Hans Söllner
Dieser Mann spricht offen aus, was andere kaum zu denken wagen. In bitterbösen Versen zur Wandergitarre zieht der bayerische Volkssänger gegen Politik, Papst und Polizei zu Felde .
Welcome to the jungle: Hans Söllners verschachteltes Haus in Marzoll bei Bad Reichenhall ist fast völlig zugewachsen. Mit beinahe kindlicher Freude schaut er an einem neun Meter hohen Sequoia, einem amerikanischen Mammutbaum, hoch, an dessen unterstem Ast ein Schild baumelt. „Eric“ steht darauf. „Den habe meinem dritten Sohn zum Tag seiner Geburt gepflanzt. Meine Buben kriegen keinen elektrischen Ferrari, die bekommen alle Bäume von mir. Ich erziehe sie so, daß sie später mal auf diese Bäume aufpassen und sie wiederum an ihre Söhne vererben. Sie sollen lernen, mit der Natur zu leben, nicht dagegen.“ Also doch: Söllner, der nachdenkliche Umweltengel und politisc penindianer? Mitnichten: Songwriter Söllner läßt sich nicht kategorisieren, er folgt nur einer Logik – seiner eigenen.
An den bewußt unsachlichen, zum Teil weit unter die Gürtellinie zielenden Geschichten, die er, nur mit der Gitarre bewaffnet, von Österreich bis Frankfurt in ausverkauften Sälen vorträgt, scheiden sich die Geister. Für seine Fans ist Söllner einer, der „sich was traut“, der ausspricht, was viele nur insgeheim denken. Andere empfinden die derben Verbalattacken, mit denen der „wilde Hund von Reichenhall“ gegen das ankämpft, was ihm sauer aufstößt in Staat und Gesellschaft, einfach als niveaulos oder gar proletenhaft.
„Ich habe mich immer gewehrt gegen diese Zwänge. Aber ich weniger erlauben als früher. Ich kann zwar sagen: ‚Setz‘ dich doch auf den Baum, den sie dir wegen irgendeiner blöden Autobahn umhauen wollen. Du bist Bauer, dich nehmen sie ernst‘. Wenn ich mich aber selber auf diesen Baum setze, würde mir das doch sofort als Publicity-Aktion ausgelegt werden. Also mache ich’s heute eben anders: Wenn irgendein Politiker oder sonst einer Mist baut, dann geh ich auf die Bühne und behaupte, daß er ein Arschloch ist. Das hören dann 2.000 Leute, und vielleicht sind 30 dabei, die ihn kennen, und die am nächsten Tag zu ihm sagen: ‚Der Söllner hat behauptet, du bist ein Arschloch. Und wenn ich mir so anschaue, was du machst, dann gebe ich ihm Recht‘. Daß meine Ausdrucksweise nicht die feinste ist, das ist eben so, das bin dings über niemanden ein Urteil anmaßen, den ich nicht kenne. Wenn ich aber beispielsweise einen sehe, der aus Neid ein Auto zerkratzt, dann sag ich ihm, daß ich sowas für arschig halte. Und so erlaube ich mir auch ein Urteil über Leute wie Edmund Stoiber, weil ich sehen kann, was sie für Scheiße bauen. Du kannst dich über jemanden ärgern, aber sobald du zu feige bist, das demjenigen auch zu sagen, mußt du den Ärger unzerkaut runterschlucken und den Typen so nehmen, wie er ist. Ich will im Grunde niemanden beleidigen, ich sage nur, was meiner Meinung nach Sache ist.“ Mit dem sprichwörtlichen Wasserfall hat man es zu tun, wenn Söllner erst einmal warmgelaufen ist und seine Überzeugungen darlegt. Das tut er derart leidenschaftlich und mit soviel Nachdruck, daß einen das Gefühl beschleicht, da habe einer Angst, in irgendeine Ecke gedrängt zu werden. „Ich weiß“,
pause, „es ist am Anfang immer ein bißchen schwierig mit mir. Ich glaube einfach, daß viele Interviewer versuchen, mich in irgendeiner Weise zu ‚entlarven‘. Darum bin ich ziemlich vorsichtig geworden. Und ich kann mich nun mal auch nicht in drei Sätzen erklären, ich muß reden dürfen.“ Zu entlarven gibt es bei Hans Söllner nichts, er hat nie Masken getragen. Bei näherer Betrachtung kommt ein anderes Gesicht zum Vorschein als das des pöbelnden Volkstribunen: Söllner, der Philosoph.
Irgendwann hat es bei ihm „Klick“ gemacht, ist der introvertierte Liedermacher sich sicher. „Ich bin in Familienverhältnissen aufgewachsen, in denen kriegsähnliche Zustände herrschten. Und da hab ich mir irgendwann gesagt: Ich möchte nichts auf der Welt, als nur glücklich sein.“ Wer möchte das nicht? Doch Glück, das ist für Söllner eben nicht die Wolke Nummer neun, auf der er als einer, der „es geschafft“ hat, schweben könnte. Er hat seine eigene, lebensnahe Definition parat, die er mit einem Satz auf den Punkt bringt: „Wer nur lacht, ist nicht frei“, verkündet er, „Glück ist für mich nicht, hier acht Stunden am Tag rumliegen zu können. Was ich darunter verstehe, ist: hier ein bißchen feststellen, daß was beschissen läuft, dort ein bißchen Sorgen haben, da ein bißchen mithelfen. Alles im Leben hat zwei Seiten, wie im Yin und Yang. Und wenn in dem weißen Glück kein Schwarz drin ist, dann ist es kein Glück. Ich will und kann nicht den ganzen Tag lachen und mich freuen, so ein Hannelore Kohl-Grinsen spazierentragen, weil ich ja die ganze Scheiße, die passiert, immer noch sehe. Aber dagegen kann ich mich wehren. Und wenn ich mich wehre, dann mit Händen und Füßen. Wenn ich nämlich unglücklich werde, dann kann es leicht passieren, daß ich ausraste, ausflippe. Ich krieg‘ dann den Übergang zwischen Legalität und Kriminalität wesentlich schlechter auf die Reihe.“
Kaffee wird nachgeschenkt, Söllner zieht an dem Joint, den er sich gerade auf dem Küchentisch gekurbelt hat („Das Hanfverbot hab‘ ich für mich abgeschafft. Ich habe immer nur die berühmten ‚geringen Mengen‘ im Haus, und manchmal zahle ich halt ein paar Mark Strafe.“) Dann sinniert der mittlerweile 40jährige weiter: „Viele Leute brechen sich daran das Kreuz, daß sie meinen, wenn es ihnen irgendwann mal gut geht, dann dürfe es plötzlich nur noch die eine Seite geben. Dann muß die Kohle stimmen, die Frau muß wahnsinnig schön sein, bis sie sechzig ist, und die Kinder müssen sich alle mit Doktorentiteln schmücken. Glück ist für die ein Gilette Tandem“, führt er ironisch in die Warenwelt abschweifend fort, „denn nur mit Gilette Tandem kann man ja einen zweifachen Salto auf dem Surfbrett überhaupt mal in Erwägung ziehen. Aber sowas macht nicht glücklich, glaube ich. Klar, ich habe ein geiles Auto, und manch einer denkt sich vielleicht: ‚Wenn ich das hätte, dann war‘ ich wirklich glücklich‘. Ich könnte ihm die Karre schenken, ich fahr sowieso fast nur noch mit dem Rad, seine Eheprobleme löst der Benz aber nicht. Und das habe ich irgendwann kapiert.“
Söllner ist nicht mehr zu halten und gibt seiner Lebensphilosophie den letzten Schliff: „Ich glaube, jeder Mensch hat zumindest drei wichtige Tage in seinem Leben. Der erste ist der Tag, an dem du auf die Welt kommst, der zweite der, an dem du schlußendlich gecheckt haben mußt, wo’s langgeht, wenn du abtrittst und dein Leben noch einmal vor dir abläuft. Und der dritte, an dem du checken kannst, wo’s langgeht. Der liegt irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten. Wenn du diesen Tag nicht verpennst, dann checkst du’s, und dann checkst du’s für immer. Dann weißt du, es geht gar nicht mehr anders.“ Das und der gute alte Grundsatz: „leben und leben lassen“ machen das Söllner’sche Weltbild aus. Nicht zu vergessen natürlich eine gesunde „Leck mich“-Attitüde. „Als ich noch in München lebte, habe ich jahrelang nur unter Brücken geschlafen. Und ich war glücklich so. Ich habe nur halbtags gearbeitet und wurde natürlich gefragt: ‚Ja, Herr Söllner, warum arbeiten sie denn nicht mehr, dann könnten sie sich eine Wohnung leisten‘. Ich wollte mir aber gar keine leisten, und als sie mir irgendwann eine Sozialwohnung zuwiesen, stand mir die auch zu, schließlich zahlte ich Steuern dafür. Ich mach’s mir halt so bequem wie möglich auf der Welt. Aber ich war immer glücklich mit dem, was ich hatte. Und jetzt, wo ich mehr habe, da tu ich auch was für andere.“
Zum Beispiel für die drei bosnischen Kriegsflüchtlinge, die er seit drei Jahren in einem Nebenbau seines Hauses untergebracht hat. „Ich kann mir das eben leisten, ein anderer vielleicht nur fünfzig Pfennige, die er in den Hut eines Penners wirft. Aber jeder kann was tun. Und wenn dann die Schulfreunde meiner Buben uns nicht besuchen kommen dürfen, weil wir ‚Kanaken im Haus haben‘, dann frag‘ ich mich, was es immer noch für Leute gibt.“
Hans Söllner ist keiner von den angepaßten Unangepaßten, die auf Biegen und Brechen einer bestimmten Ideologie anhängen. Er ist einer, der einen Teufel tun wird, sein Fähnchen in irgendeinen Wind zu hängen, oder sich irgendjemandem anzubiedern, nicht seinem Publikum und nicht den lustfeindlichen Linkstheoretikern und Gralshütern der politischen Korrektheit, die ihm seinen berühmt-berüchtigten „Schlampenschlepper“, ein schwarzes Mercedes Cabriolet, das er immer noch vor dem Haus stehen hat, wohl nie verzeihen werden. Einer, der seine Werte plaziert hat, auch wenn er von böswilligen Zeitgenossen als „Asozialer“ beschimpft, von anderen als „Ökofritze“, „Vollzeit-Kiffer“ oder „Möchtegern-Revoluzzer“ belächelt wird: „Ich mach das, was ich glaube, machen zu müssen. Und wenn auf meinen Konzerten nur einer zuhört und am nächsten Tag versucht, seine Grenzen ein bißchen anders zu ziehen, erst dann glaube ich auch, daß ich mit meinen Ansichten und meiner Haltung nicht ganz allein dasteht.