Guerilla Radio


Reclaim your city: Wie man sich als uneingeladener Gastgeber Zugang zur größten Party der Geschichte verschafft.

Allerheiligen in München: Verstorbener Seelen gedenken und ausgelassen feiern oder gar laut Musik hören, das geht an diesem sogenannten „stillen“ Feiertag nicht zusammen. Konsequenterweise ist die Stadt mit einem Tanzverbot belegt. Ausgerechnet an diesem Tag gehen hier die als Jahrhundertereignis angepriesenen MTV Europe Music Awards zum dritten Mal über eine deutsche Bühne. Ist so schlimm aber nicht, denn das Popgipfeltreffen vertreibt die gegen den Katholizismus aufbegehrenden Partybereiten, wie es keine vier Wochen zuvor emsige Putzkräfte mit der Kotze von 6,2 Millionen Stimmungskanonen getan haben. Drin ist nur, wer „in“ ist bzw. durch ein Castingverfahren dazu auserkoren wurde, ganz vorne im Cheerpit Stars wie Foo Fighters, Mika und einen mit Gamsbart verzierten SnoopDogg gefühlsecht anzukreischen. Kein Zugang für Normalsterbliche, Musikinteressierte und minderwertige Medienvertreter. Mit diesem bitteren Wissen und einigem an Alkohol im Hinterkopf machten sich Marion Uschold und Bernhard Simek, zwei kühne Nachwuchsjournalisten des lokalen Radiosenders M94.5, auf zum Austragungsort Olympiahalle. Ziel der Kurzreise: eine Reportage über den vermeintlich vergeblichen Versuch, die hermetische Abriegelung doch zu durchbrechen. „Uns war absolut klar, dass wir da zu 993 Prozent nicht reinkommen – und darum ging’s ja auch“, sagt Simek. Und dann kam doch alles anders. Aufgebrezelt wie Mika samt Promoterin passierten die beiden eine Sicherheitsabsperrung nach der anderen und sogar die aus Flughäfen bekannten Röntgenchecks; ohne Eintrittskarten, ohne VIP-Umhängeschilderund vor allem ohne aufgehalten zu werden. „Wir haben ja noch nicht mal behauptet, wir seien Mika. Eigentlich haben wir gar nichts gesagt. Offenbar waren wir in unserem Outfit aber schon so überzeugend, dass sich niemand mehr getraut hat, überhaupt nachzufragen“, lacht Simek. „Uns rannten sogar 14-jährige, begeistert schreiende Mädchen hinter“, berichtet Uschold. Bis in die Umkleidekabine von Avril Lavignes Tänzerinnen und sogar bis direkt hinter den Bühnenvorhang mit freiem Blick auf die Popos von Avril Lavignes Tänzerinnen preschten die beiden vor-immer mit Aufnahmegerät. Die Reportage geriet zum Manifest des Aufstands der kleinen Unterjochten gegen den großen Invasor und sorgte zumindest für einen kleinen „Skandal“ bei einer ansonsten recht trüben Veranstaltung, die davon noch nicht einmal Kenntnis nahm.