Groove zum Begräbnis – Heinz Rudolf Kunze Über „Bons Machine“ von Tom Watts


Erstmals in der Neuzeit erscheinen dieser Tage die vollständigen Essays von Michel de Montaigne, einem der Väter schonungsloser literarischer Introspektion, und sie sind in Gefahr, Modeliteratur zu werden: in dieser Epoche gesellschaftlicher Verwerfungen und Widersprüche. Ebenfalls verblüffend gängige Münze wurde in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch seine Arbeiten für den Film, Tom Waits — mit seinem neuen Album aber arbeitet er wie um sein Leben daran, sich dem flauen Verständnis der allzu vielen wieder zu entziehen. Wie Montaigne hat er eigentlich nur ein Thema: den Tod und den unauslöschlichen Schrecken vor ihm. Während der Franzose aus dem 16. Jahrhundert dieser furchtbarsten Festgröße der menschlichen Existenz noch mit gefaßtem Stoizismus zu begegnen suchte, bildet die Stimme von Waits, mit allen Torturen der Hölle vertraut, ihr Entsetzen trostlos ab: Imposanter ist, in einem ultrasparsamen, kaum noch weiter ausdünnbaren Sound, noch nie bei einem Begräbnis gegroovt worden.

.And the earth died screaming/while I lay dreaming of you“ — kürzer als in diesem ersten Refrain der Platte kann man die Spannweite dessen, wovon Rocksongs handeln können, nicht umreißen. Waits brüllt und wimmert seelenaufschrammend, die Knochenmaschine klappert den Rhythmus von Busunglücken mit von der Leitplanke geköpften Passagieren. Es steht zu befürchten, daß es nur wenig Menschen gibt, die sich diesem apokalyptischen Vulkan, diesen Gospels eines Nihilisten, dieser Flaschenpost ins Schwarze aussetzen können. Das einzige, was in dieser ästhetischen Finsternis noch an den Lebenswillen des Künstlers glauben läßt, ist die brennende Intensität, mit der er sich die Mühe macht, seinen Schmerzen Form zu geben.

Hardcore-Gitarrenrock ist ein genießbares Weichei gegen diese erbarmungslose Kargheit, dieses gehäutete Künstlerfleisch. .Sky is red/and the world’s on fire/and the com is taller than me/the dog is tied/to a wagon of rain/and Ihe road is as wet as Ihe sea“: Nach so was auf deutsch muß man lange suchen; und vielleicht braucht man sogar eine Brille. Ich gebe zu: Oft anhören könnte ich mir ein so wundes Inferno nicht. Aber ich muß ja auch nicht jeden Tag .Warten auf Godot* anschauen, um seines Ranges gewiß zu sein. Platte des Monats? Lächerlich. Des Jahres? Mindestens.