Gossip
Zu glatt geworden? Im Berliner Berghain wirft sich Beth Ditto samt ihrem großen Herzen wie eh und je ins Getümmel, schwitzt und glüht. Und die Band? Kann noch rocken!
Beth Ditto stapft auf die Bühne, und es ist mit einem Mal alles egal. Dass die Modeindustrie die wilde Frau aus Arkansas als ihr burleskes Zirkusnilpferd durch ihre Manege gezerrt hat. Ihr Hintern auf Hinterseers Schoß. Selbst dass sich die Befürchtungen bewahrheitet haben, die man hegte, als verkündet wurde, dass die UK-Chartsschmiede Xenomania das neue Gossip-Album produzieren würde. Jawohl, ihr fünftes, A Joyful Noise, funkelt im Discolauflicht. Aber wie gesagt: alles egal. Beth tritt an, im Saal dieser Hedonisten-Trutzburg, um im Nu alles und jeden zu entwaffnen. Sie tanzt und glüht im goldenen Glitzerminikleid, aus dem sie sich schon nach vier Songs schälen wird, um sich umständlich in ein saugfähigeres kleines Baumwoll-Schwarzes zu winden. Nicht hinter, nicht neben – auf der Bühne. Ist das eine Showeinlage, die demonstrieren soll: „Die schert sich nichts“? Oder schert sie sich nur einfach nichts, braucht deshalb keine Einlagen – sondern zieht sich jetzt eben mal um? Müßige Fragen. Wichtig ist nur, dass das vogelwild gemischte Publikum, Hipster mit kryptischen Tätowierungen wie Jeansjacken-Aufträger ohne besondere Kennzeichen, lesbische Pärchen ebenso zahlreich vertreten wie gemischtgeschlechtliche, spätestens zum Ende des Konzerts begriffen hat: Beth Ditto schert sich tatsächlich nichts. Und da diese Eigenschaft dieses packend lebendigen Menschen, der vielleicht deshalb so breit und rund sein muss, damit sein großes Herz mit hineinpasst, auch noch auf eine große, so aufmüpfige wie selig machende Stimme trifft, greift keine Widerrede: Gossip bleiben eine fantastische Band. Jetzt mit fünfköpfiger Livebesetzung, um die aufwendigeren Arrangements umzusetzen. Tight genug ist die allemal, selbst wenn aus der Single „Perfect World“ und dem Schieber „Into The Wild“ ein bisschen Luft entweicht. Wer sich darüber den Kopf zerbrochen hat, ob Gossip bei Xenomania zur „Beth Ditto Show“ zusammengestaucht worden sind, darf unter anderem miterleben, wie Hannah Blilie am Schlagzeug mit geschlossenen Augen Wort für Wort der Disco-House-Ballade „Get Lost“ mitsingt. Sie liebt es! Außerdem bleibt für jene, die Trost brauchen, dass die „alten“ Gossip ja nicht verschwunden sind. Das Staccato von „Standing In The Way Of Control“ rüttelt wie eh und je am reaktionären Fundament. Beth zitiert „Psycho Killer“ und „Smells Like Teen Spirit“. Singt zum Finale aber auch, untergetaucht im glücklich schwitzenden Auditorium, „I Will Always Love You“. Aufgeraut von der Band. Gefüllt mit nichts als Gefühl von der Ditto. Oliver Götz
Setlist
Love Long Distance
8th Wonder
Move In The Right Direction
Listen Up!
Melody Emergency
Four Letter Word
Men In Love
Get A Job
Standing In The Way Of Control
Perfect World
Yr Mangled Heart
Get Lost
Into The Wild
Heavy Cross
Zugabe:
I Will Always Love You
Eyes Open