Goethe mit Schlägen
Ursula Rucker: Ihr neues, zweites Album trägt den Titel Silver Or Lead. Ist also Reden Silber und Schweigen Blei? Zumindest hat kaum ein anderer Spoken-Word-Artist das geist- und wortreiche Spiel mit zu Beats erzählten Geschichten so zum Markenzeichen gemacht wie die 36-jährige Poetin aus Philadelphia. Dabei packt die ehemalige Journalistin auch bleischwere Themenbrocken an. So hat die Präsidentschaft von George W. Bush in ihren Augen durchaus etwas Positives. „Die Friedens- und Frauenbewegung war unter Clinton ja schon fast nicht mehr existent“, sagt Rucker und richtet sich in ihrem Stuhl kerzengerade auf. „Dank Bush hat das jetzt wieder mehr Gewicht, denn kaum ein Präsident hat je eine Politik gemacht, die frauenfeindlicher und bedrohlicher für den Frieden war als seine.“ Politik und die Rechte der Frauen – nur zwei Beispiele aus dem reichhaltigen Katalog, den Ursula Rucker in lässig-bissigen Wortkaskaden abarbeitet. So verwebt sie auf „Silver Or Lead“ in immer wiederkehrenden Spiralen Themen wie Liebe, Sklaverei, sexuelle Ausbeutung und persönliche Tragödien (wie das Leben und Sterben ihres älteren Bruders) mit stimmigen, unerhört innovativen Beats. Und never change winning teams: Wie schon auf ihrem Debüt Supa Sista vor zwei Jahren arbeitete Ursula auch diesmal mit renommierten Downbeat-, Soul- und HipHop-Größen wie Jazzanova, The Roots, King Britt, 4 Hero und Lil‘ Louie Vega zusammen. „Auf meine Jungs kann ich mich absolut verlassen“, sagt Rucker über die bewährten Kollaboratoren. „Ich weiß, dass sie alle mit ihrer Musik meine Lyrics aufs Beste unterstützen. Warum sollte ich etwas anderes ausprobieren?“ Ganz besonders begeistert ist die sprachmächtige Künstlerin von der Zusammenarbeit mit dem Berliner Soundkollektiv Jazzanova. „Sein Einfallsreichtum ist geradezu grenzenlos und spornt auch mich immer wieder zu neuen Großtaten in Sachen Poetry an.“
Dass sie mit ihren Wort-Kunstwerken kaum die Charts erobern wird, ist ihr bewusst: „Das ist mir nicht wichtig. Auf Akzeptanz und Originalität lege ich mehr Wert als auf kurzfristigen Erfolg“, sagt sie. „Ich will die Leute mit meinen Texten wachrütteln, aber auf unterhaltsame Weise. Ich mache intelligente Texte für intelligente Menschen, die es nicht verlernt haben, zuzuhören. Was soll ich damit in den Charts? Goethe und Mozart waren da auch nie drin und werden heute immer noch gehört, weil sie Klassiker sind. Genau da will ich auch hin.“ Klassiker werden für gewöhnlich gedruckt – wann also schreibt sie ihr erstes Buch? „Eine gute Idee, die ich schon lange mit mir herumtrage. Ursula Rucker zum Lesen – warum nicht?“
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