Gigi d’Agostino, Urlaub, Harris: Linus über 12 Enttäuschungen des Jahres


Ein schwieriges Jahr zog vorüber. Und jetzt streut Linus Volkmann auch noch Salz in die Wunden!

Ich gestehe, ich musste lange suchen, um an dem Powerjahr 2024 überhaupt einen Makel zu finden. Denn wir ihr euch selbst erinnert, lief doch alles fantastisch. Man wähnte sich fast an der Schwelle zu einer Utopie und überall, wo man hinblickte, suppte Harmonie aus den Nähten. Selbst den feindlichen Biber-Brüdern von Oasis blieb da nichts anderes als eine Reunion übrig. Cocaine Supernova für alle!

Was war noch? Ach ja, der Kult-Kadaver Donald Trump errang den Sieg bei den hochdotierten US-Präsidentschaftswahlen – und, oh boy, wie sehr hatte er sich das die ganze Zeit gewünscht, jeder wusste das! Man musste sich einfach freuen mit dem schrillen Vollblut-Staatsmann! Auch in Deutschland von dröger Politbürokratie à la Bonner Republik keine Spur. Stattdessen bot Berlin eine spannende Show mit Intrigen und Drama – in die man nun sogar einbezogen werden soll. Stichwort Neuwahlen! Stichwort Mitmachtheater! Putin lädt schon mal Pro-AfD- und Pro-Wagenknecht-Wahlbeeinflussungs-Bots am Lime-Juicer auf. What a time to be alive!

Doch als Kolumnist immer nur Verdienste und Highlights im Jetzt zu markieren, gilt heutzutage schnell als langweilig beziehungsweise „klickt nicht!“. Daher habe ich hier doch ein paar Maden aus dem Christstollen gepickt. Aber wie gesagt: Nur für die Quote! Ihr wisst ja selbst, wie geil 2024 eigentlich war.

PS: In dieser Sammlung überschlagen sich sehr unterschiedliche Themen. Manchen konnte ich mit Ironie oder gar einem Augenzwinkern zu Leibe rücken, bei manchen gelingt das nicht. Um das alles dennoch in einen Flow zu bringen, habe ich die Punkte jeweils mit funny, not so funny und bitter markiert. Dann wisst ihr zumindest immer, worauf ihr euch einlassen müsst.

12 Enttäuschungen aus 2024

Christian Lindner [funny]
Leute, ich bin wirklich enttäuscht von Christian Lindners Verhalten. Okay, Spaß! Ich bin zwar bloß ein einfacher Kulturjournalist aber dennoch geistig nicht so dermaßen abgehängt, als dass ich mir von dem neoliberalen Biest je irgendwas erwartet oder gar erhofft hätte. Ich gehe sogar so weit, wenn Christian Lindner vor meinem Fenster schreiend Stuhl absondern würde und danach versuchte, die Nachbarskatze zu erwürgen … selbst dann würde ich denken: „Das hier ändert mein Bild von ihm in keiner Weise.“

Kamala Harris [funny]
Schlagt mich nicht, liebe Trump-Ultras, aber ich hätte den Wahlsieg Kamala Harris sogar noch einen Tick mehr gegönnt. Der sogenannte „Brat-Summer“ – also Charli XCX‘ Erfolgsalbum und ihr Bekenntnis zu Kamala Harris – haben irgendwie zu allen emanzipierten Kräfte auf der Welt gesprochen. Auch zu mir. Die Vision einer gerechteren Welt, das hatte schon was – und wirkte doch etwas angenehmer als bloß Rache als vorrangige Präsidentschafts-Motivation. Naja, warten wir die nächsten Jahre erstmal Kriege und Weltuntergang ab – vielleicht klappt es ja für Kamala im zweiten Anlauf. Ihre Kandidatur dann natürlich vor so einer Art „Mad Max“-Kulisse. Toi, toi, toi!

„The Acolyte“ [funny]
Wie sehr Disney seinen eigenen „Star Wars“-Franchise hassen muss! Aus der kurzzeitig gelungenen Überführung ins Serien-Format („The Mandalorian“) wurde eine Dauereinrichtung, die immer ungelenkere Projekte ausspuckt. Dieses Jahr also „The Acolyte“, das angekündigt war als Mash-Up aus „Frozen“ und „Kill Bill“. Ein bärtiger Filmkritiker, dem ich im world wide web folge, hat dazu mal gesagt: „Macht doch lieber mal wieder was mit ‚Star Wars‘, wenn ihr ‚Star Wars‘ macht.“ Die geplante zweite Staffel von „The Acolyte“ wurde nun vom „Mutterkonzern“ gecancelt. Ob es je wieder geiler wird im Krieg-der-Sterne-Franchise, erscheint allerdings immer fraglicher. I have a bad feeling about this, Leute!”

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Spotify Wrapped [not so funny]
Der Gründer des Musiker:innen-Sweatshops Spotify, Daniel Ek, schüttet lediglich Brotsamen seiner Einnahmen an die Artists selbst aus. Stattdessen investiert er Teile des erschlichenen Vermögens in Waffentechnologie. Nach dem letzten Spotify Wrapped (also Dezember 2023) entließ Ek fast ein Viertel der Belegschaft. So schmeckte die Zusammenfassung des eigenen Musikgeschmacks, die einem der Konzern auch kürzlich wieder als „Wrapped“ auftischte, mehr nach Asche und Datenklau als eh schon.

Wrapped überall [funny]
Dass all die gesammelten Daten den User:innen nicht nur verkauft, sondern for fun auch wieder zurückgespielt werden können, hat längst über Spotifys Wrapped hinaus (teils seltsame) Gestalt angenommen. Wohingegen sich die Sprach-App Duolingo zumindest noch Spaß-Profis leistet, damit die unheilige Eule noch gruseliger, krasser und viraler wird, scheint auch bei kleineren Apps der Wunsch groß, hier nicht den Trend zu verpassen. Der bekannte Popjournalist und Sportfreunde-Stiller-Gegenspieler Gerrit Pohl hat die unfreiwillige Komik der Sache sehr schön in einem Posting pointiert …

Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Gerrit Pohl

Gigi d’Agostino [bitter]

Ein Popsong wird zur Chiffre für reinrassigen Fremdenhass. Das tut natürlich besonders mir als Musikjournalist weh, das hat aber vor allem viele migrantische Menschen verletzt und verunsichert in diesem Jahr. Ende offen. Wer „L’amour toujours“ für diese Zwecke gebraucht, verdient dafür einen Instant-Tinnitus – und irgendwas mit Höllenfeuer oder Gulag, je nach dem, woran man glaubt. Keine Pointe.

Niemals vergessen [bitter]
2024 war auch das erste Jahr nach dem siebten Oktober Dreiundzwanzig. Also nach dem Überfall der Hamas auf Zivilist:innen bis hin zum Abschlachten der Besucher:innen eines Musikfestivals. Eine direkte Folge darauf ist die Entfesslung eines globalen Antisemitismus, dessen Ausprägung dieses Jahr immer wieder Erschaudern ließ. Brennende Synagogen, ausagierter Hass beim ESC gegen die israelische Sängerin Eden Golan oder einfach Menschen, die durch die Straßen Amsterdams gejagt werden, weil sie Juden sind. Dieser Entwicklung lässt sich nicht mehr mit wohlfeilen Instagram-Kacheln beikommen, so viel dürfte klar sein. Dennoch hinterlässt es ein ungutes Gefühl, wenn selbst etablierte Bands wie die Toten Hosen sich stattdessen einfach nur von dem Thema zurückziehen. In den Jahren vor dem Überfall der Hamas ließen sie noch die wohlfeile „Niemals vergessen“-Kachel zum Gedenken an die Pogrome vom 9. November 1938 für ihren Account Likes einsammeln. 2024 indes am selben Datum bloß noch Werbung für ein Re-Release. Ohne an der Haltung der Band zweifeln zu wollen … das passt für mich leider schon in einen Artikel der Enttäuschungen des Jahres.

Screenshot: Instagram Linus Volkmann

Stefan Raab [funny]

Die kompetitive TV-Legende Stefan Raab ist als sein eigener Prime-Time-Zombie „auf die Mattscheibe“ zurückgekehrt. Das besaß etwas von einem lange verschollen geglaubten (und eher unsympathischem Schulfreund) über dessen Wiederauftauchen man sich paar Minuten höflich freut – und der dann aber laut furzend bei einem in die Garage zieht.

Doch Kirche, Olaf Scholz und Woke-Twitter haben offensichtlich gepennt – und so konnte sich der gelernte Metzger („Wadehaddedudeda“) in der Garage (lies: Dem ungelüfteten Programm-Schema von RTL) festsetzen. Seine „neue“ Show ist chronisch geworden, die wird man nicht mehr so leicht los.

Mehr dazu hier …

Farin Urlaub [bitter]
Die Ärzte stehen nicht bloß für ein musikalisches Gesamtwerk in Punk, sondern auch für eine integre Haltung. Beides ist unbestreitbar. Umso schwerer wog es dieses Jahr, als Farin Urlaub auf dem Weihnachtsalbum von Christian Lorenz, alias Flake, auftauchte. Jener war im Zuge der Geschehnisse um Rammstein nicht nur als Mitträger des Systems in die Kritik geraten, es wurde auch die Geschichte einer Person öffentlich, in der Flake selbst Anfang der Nullerjahre einen mutmaßlichen Übergriff begangen haben soll. Farins aktuelle Teilhabe bei Flake bestürzte und frustrierte nun viele Fans. Wollte er damit demonstrieren, dass er auf das Thema pfiff und seinem Langzeit-Buddy Rücken geben? Im Shitstorm meldete sich Farin dann selbst zu Wort (im Gästebuch der Homepage), zeigte sich überrascht und betroffen und wies alle männerbündischen Implikationen von sich. Immerhin kein Vorsatz also. Bisschen mehr hätte man sich allerdings schon gewünscht. Vielleicht kommt ja noch was …

Elon Musk [funny]
Nicht falsch verstehen: Ich liebe Horrorclowns! Aber dennoch biete ich ganz wertfrei folgende Langzeitwette an („Long term bets“ – kenne ich aus „How I Met Your Mother“):

==> Ich wette, dass Elon Musik nicht eines natürlichen Todes sterben wird.

Disclaimer: Damit möchte ich nicht, dass ihm etwas zustößt. Ich wünsche ihm und jedem anderen viel mehr ein langes und gesundes Leben. Dennoch drängt sich mir der Eindruck auf, dass dieser Entrepreneur des Schreckens nicht nur den Penis an beiden angezündet hat (11 Kinder von 12 verschiedenen Frauen). Kann das wirklich auf längerer Strecke gut gehen? Ich glaube nicht. Tippt mit!

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Schorsch Kamerun [not so funny]
Liebe junge Leser:innen, kennt ihr diesen Mann mit dem Fun-Punk-Namen überhaupt? Vermutlich nicht. Also … früher war er mit seiner Band Die Goldenen Zitronen einmal sehr wichtig und wir haben noch mit D-Mark bezahlt. Mit Schorsch Kamerun wollten wir außerdem die Regierung stürzen. Diesen Regierungssturz-Jieper muss man sich heute ja allerdings mit Querdenkern, Putin-Vasallen und anderem Unrat teilen. Das kann der kaderdoofe Boomer-Linke von heute aber – wie so vieles – als Nebenwiderspruch ausblenden. Wird sich alles schon richten, wenn nur endlich der NATO das Handwerk gelegt wird – wie es doch auch schon in den 70ern auf dem ersten Flugblatt stand, an das man sich bis ins Alter mit wohligem Schauer erinnert. Hegte ich nach der unterperformenden Pseudo-Biographie „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ von 2016 schon ernstliche Zweifel an der Brillanz des gut beleumundeten Punkmännchens, ist Kamerun mir mit seinem an Wagenknecht anschlussfähigen „Anti-Kriegssong“ von 2024 wirklich komplett fremd geworden. Zum Glück hat das Ding niemand gehört. Ich muss es aus Chronistenpflicht dennoch verlinken. Hier, nichts zu danken, „Schorsch“!

„Never Forget“ [funny aber bitter]
Ich bitte euch: Das Comeback des Jahres steht doch nicht wirklich bei den zänkischen Gallagher-Brüdern zu Buche, sondern geht ganz eindeutig auf die Karte eines der unterhaltsamsten Podcasts der freien Welt. Ich selbst, euer freundlicher Erzähler, habe noch nicht fest für die Redaktion des Musikexpress gearbeitet, da betrieben zwei Männer dort schon die kurzweiligste und schlauste Retro-Talkshow. Die Rede ist von Fabian Soethof, Stephan Rehm-Rozanes und ihrem „Never Forget“-Podcast über die Neunziger. Nach über vier Jahren, einer Pandemie und weiteren großen Verwerfungen in der Welt haben sich die zwei Dilfs bequemt, ihre Pop-Aufklärungsarbeit wieder aufzunehmen. So weit, so fantastisch. Nur bislang hat sich das Projekt noch nicht wieder „am Markt“ etablieren können. Inhaltliche Qualität lässt sich natürlich nicht über Klick-Quantität beurteilen – dennoch möchte ich auf die dritte Staffel von „Never Forget“ nicht wieder eine halbe Dekade warten müssen. Also tut mir den Gefallen, entdeckt diese Show und macht sie zu dem Hit, der sie eh schon ist. Ich sag’s euch im Guten!

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