Ghostface Killah im Interview: „In IRONMAN steckten leider nur 75 Prozent meines Herzbluts“
Wir haben uns anlässlich des 25. Jahrestags des Debütalbums IRONMAN mit Ghostface Killah getroffen und sprachen mit ihm über die Entstehung der Platte, Probleme, die ihn zu dieser Zeit plagten, sowie über das geplante Sequel zu seinem 2000 erschienenen Genreklassiker SUPREME CLIENTELE.
Der Wu-Tang-Clan zählt seit seiner Gründung in den frühen 90er-Jahren zu den bekanntesten HipHop-Formationen aller bisherigen Zeiten. Mit ihrem Debüt ENTER THE WU-TANG (36 CHAMBERS) im Jahr 1993 eroberte die Truppe die Szene und etablierte einen Sound, den die Welt so zuvor noch nicht gehört hatte. Neben dreckigen Drum- und düsteren Piano-Samples bediente sich der kreative Kopf der Gruppe RZA zusätzlich an Kung-Fu- und Martial-Arts-Filmen und schuf so einzigartige Beats, die auch außerhalb New Yorks Anklang finden sollten.
Nach ihrem erfolgreichen Debüt folgten drei Jahre, indem die Gruppen-Mitglieder etliche Solo-Projekte veröffentlichten. Dabei entstanden Klassiker von Größen wie Method Man, GZA Ol´ Dirty Bastard, Raekwon und nicht zuletzt Ghostface Killah, die den Wu voll und ganz in den HipHop-Olymp katapultieren sollten. Auch ein Vierteljahrhundert nach ihren Veröffentlichungen haben diese Projekte einen enormen Stellenwert in den Archiven des Rap.
Wir haben uns anlässlich des 25. Jahrestags seines Debüt-Album IRONMAN mit dem heute 51-jährigen Ghostface Killah, der mit bürgerlichem Namen Dennis Coles heißt, getroffen und sprachen mit ihm über die Entstehung der Platte, Probleme, die ihn zu dieser Zeit plagten, sowie über den geplanten Nachfolger zu seinem 2001 erschienenen Sophomore-Album SUPREME CLIENTELE.
Wir sprechen heute miteinander, weil Dein 1996 veröffentlichtes Debüt IRONMAN 25 Jahre alt geworden ist. Was bedeutet dieses Album für Dich?
Ich bin sehr dankbar für dieses Album – auch wenn es deutlich besser hätte sein können. Es ist verrückt, dass die Fans mein erstes Soloprojekt nach 25 Jahren immer noch würdigen und feiern.
Inwiefern „noch besser“?
Ich habe zu dieser Zeit einiges durchgemacht. Das ist auch der Grund, wieso ich nicht auf den Songs „Assassanation Day“ und „The Faster Blade“ vertreten bin. Ich war an vielen Tagen nicht in der Lage zu schreiben. Zum Ende der Produktion entstanden noch zwei weitere Songs, die es nicht einmal auf die Tracklist geschafft haben. Allerdings hat mir Sony damals eine Deadline gestellt, die ich einhalten musste. Insgesamt hatte ich gerade einmal zwei Monate, um die Platte fertigzustellen. Das war in meiner damaligen Situation einfach zu wenig Zeit.
Wie kamst Du auf die Idee, Dein erstes Solo-Projekt nach einem Superhelden zu benennen?
Für mich gab es nur zwei Titel, die infrage kommen würden. SUPREME CLIENTELE oder IRONMAN. Zu dieser Zeit war Reakwon ziemlich heftig auf Lex Diamond hängen geblieben – ich befand mich wiederum total auf einem Tony-Stark-Film. Eines Tages waren wir gemeinsam in der Mall und ich sah dieses Ironman-T-Shirt, das mich total umhaute. Die Farben waren so intensiv und hell. Danach war für mich alles klar. Und die Tatsache, dass Tony Stark ein betrunkener Milliardär ist, hat die Entscheidung für mich noch einfacher gemacht.
Bevorzugst Du die Ironman-Comics oder die alten Cartoons?
Als ich noch jung war, liefen die Cartoons ständig im TV. Daher konnte ich mich eher dafür begeistern. Das Zeug, das heute im TV und Kino läuft, ist absolut nicht mein Fall. Was die Comics betrifft, muss ich zugeben, dass ich nie ein großer Comic-Liebhaber war.
Würdest Du die Wu-Tang-Clan-Mitglieder als Pioniere dieses Alter-Ego-Raps bezeichnen?
Mitte der 90er kamen viele aufsteigende Rapper auf die Idee, sich mit einem Alter-Ego zu rüsten. Wir sind Pioniere des Mafia- und Gambino-Raps. Wir kommen aus Staten Island, man – Leute wie John Gotti und Paul Castellano repräsentierten unseren Bezirk.
Wie denkst Du an die Produktion des Albums zurück? Es war das erste Wu-Album, das entstand, nachdem RZAs berühmtes Keller-Tonstudio Opfer einer Flut wurde.
Diese Flut hat uns damals ein großes Stück Arbeit gestohlen. Wir haben dadurch über 1000 Beats verloren. Allerdings war das auch ein Zeichen für uns als Gruppe. Du musst verstehen, dass ich ein sehr spiritueller Mensch bin. Ich hatte damals das Gefühl, dass Gott uns damit sagen wollte, dass wir noch härter arbeiten müssen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Fans es genossen hätten, unsere Stimmen auf diesen Beats zu hören.
Songs wie „Motherless Child“ und „All That I Got is You“ stechen aufgrund ihrer persönlichen Themenwahl besonders hervor. War es schwer für Dich, diese Songs zu schreiben?
Das kann ich so nicht sagen. Ich glaube, viele Musik-Konsumenten*innen verstehen das nicht ganz – in der Regel ist es der Beat, der dich dazu drängt, über gewisse Dinge zu sprechen. Vielleicht ist die erste Zeile nicht die allerbeste, doch im Endeffekt nimmt der Beat sich die Wörter aus deinem Mund. Zumindest bei mir ist das so. Wenn ich einen Beat höre, der nach einer Crime-Story klingt, führt das dazu, dass ich alte Geschichten aufgreife und darüber rappe. Es ist immer die Musik. Ich hatte in meiner Karriere selten das Verlangen, einen Reim zu schreiben und mir anschließend den passenden Beat zu suchen. Beide Elemente müssen matchen.
Auf dem IRONMAN-Nachfolger SUPREME CLIENTELE hast Du aber genau das getan, oder?
Genau. Das war „Nutmeg“. Ich habe diesen Song in Afrika geschrieben – ohne Beat. Ich saß einfach nur draußen und beobachtete die Sterne. Sie waren so hell und es schien, als wären sie überhaupt nicht weit entfernt. Das brachte mich dann auf den Gedanken, einen Text zu schreiben, dessen Sinn die Hörer*innen nicht entziffern können. Verdammt, nicht einmal ich weiß, was genau ich gemeint habe. Es war dieser Style, der diese Anreihungen von Wörtern aufs Papier gebracht hat. Diesen Style habe ich später für dem Track „One“ übernommen. Danach bin ich jedoch wieder auf meinen regulären Schreib-Prozess umgestiegen.
IRONMAN erschien nach dem äußerst produktiven und erfolgreichen Jahr 1995, in dem Wu-Tang Solo-Projekte von Ol´Dirty Bastard, GZA und Raekwon veröffentlichte. Bei letzterem Projekt warst Du zudem ein essenzieller und nicht wegzudenkender Teil. War der Druck auf Deinen Schultern in Bezug auf Dein erstes Solo-Album dadurch noch größer?
Mir ging es in erster Linie darum, ein solides Stück Arbeit auf die Beine zu stellen. In Bezug auf den Schreib-Prozess verspürte ich dabei eigentlich keinen enormen Druck. Jedoch war es mir wichtig, dass mein Werk mit der Arbeit von den anderen Mitgliedern mithalten kann. Wie ich bereits erwähnt habe, war ich zu dieser Zeit mit meinem Kopf nicht zu 100 Prozent bei der Sache. Deswegen stecken leider auch nur etwa 75 Prozent meines Herzbluts in diesem Album.
Möchtest Du darüber sprechen, was genau damals vorgefallen ist?
Ich hatte gerade rausgefunden, dass ich Diabetiker bin und verlor daraufhin eine große Menge an Körpergewicht. Zu alldem erteilte der Richter meinem besten Freund eine 20-jährige Haftstrafe für eine Tat, die er gar nicht verbrochen hatte. Ich war auf mich alleine gestellt. Mittlerweile ist er wieder frei und alle Anklagen gegen ihn wurden fallengelassen – aber es macht etwas mit einem Menschen, wenn er grundlos weggesperrt wird.
„SUPREME CLIENTELE 2 besitzt das Potenzial, den ersten Teil zu übertrumpfen“
Reden wir über eine andere Freundschaft, die schon lange besteht. Wie kam es, dass Du und Raekwon so viel gemeinsame Musik gemacht habt?
Wir hatten das alles nie geplant. Ein wichtiger Faktor unserer Freundschaft und Zusammenarbeit liegt darin, dass wir eine ähnliche Art und Weise haben zu denken. Rae hat mir in Bezug auf Straßen-Rap sehr viel beigebracht. Er hat mir gezeigt, wie man intensiv nach dem richtigen Wort graben muss und wie man es schlussendlich kraftvoll präsentieren kann.
Wie habt Ihr Euch kennengelernt?
Wir sind zusammen zur Junior-High-School gegangen. Allerdings war Rae in einer anderen Klasse und hing dadurch auch mit anderen Leuten ab. Gekannt haben wir uns zu dieser Zeit aber alle schon.
Gehen wir etwas weiter in die Zukunft. Die Medien spekulieren in den vergangenen Wochen viel über den Nachfolger zu SUPREME CLIENTELE, SUPREME CLIENTELE 2. Kannst Du uns schon Details verraten?
Du meinst wegen der Sache mit Kanye West? Leider hat jemand Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Viel kann ich darüber noch nicht erzählen. Ich kann aber bestätigen, dass ich bereits seit einer Weile an diesem Projekt feile. Es wird keine Features geben – zumindest sind bisher noch keine geplant. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich sogar, dass der Nachfolger SUPREME CLIENTELE 2 das Potenzial besitzt, den ersten Teil zu übertrumpfen.
Das ist eine heftige Aussage. Schließlich gilt der erste Teil als zeitloser Klassiker.
Es ist einfach, diese Musik zu machen. Man muss aber etwas Grundlegendes verstehen. Ein Vibe ist ein Vibe. Und es ist verdammt schwer, einen Vibe nachzuahmen. Aber aus welchem Grund auch immer, bin ich der Meinung, dass ich die Fähigkeiten besitze, genau das zu tun. Vor allem wenn es um Projekte wie SUPREME CLIENTELE oder IRONMAN geht. Viele Rapper*innen versuchen einen zweiten Teil ihrer größten Hits zu rekreieren, doch am Ende fragt man sich: „Wo ist der Vibe“? Meiner Meinung nach geht es bei so etwas vor allem um wesentliche Elemente wie Beats und Skits. Überlass mir nur diese zwei Komponenten und ich erschaffe das für dich. Gerade tue ich das, was ich eigentlich für SC1 machen wollte. Es hat dasselbe Feeling, enthält jedoch bessere Reime und härtere Beats. Schlussendlich müssen natürlich die Fans entscheiden, ob es mir gelungen ist. Aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht zu weit von dem weg bin, was wir 20 Jahren auf dem ersten Teil gelassen haben.
Du befindest Dich derzeit auf Mini-Tour. Wie fühlt es sich an, wieder auf der Bühne zu stehen?
Ich würde das Ganze nicht als Tour bezeichnen. Es sind eher ein paar Shows, die wir spielen. Trotzdem ist es schon eine Weile her, dass wir unterwegs waren. Ich bin neugierig, wie die Fans reagieren werden, uns nach längerer Zeit wieder auf der Bühne zu sehen. Aber es ist trotzdem noch Arbeit. Deswegen ist es nicht so, dass ich übertrieben aufgeregt oder so bin. Ich mache das seit langen 27 Jahren, weswegen das Ganze mehr zu einer Routine geworden ist. Mit der Zeit lernt man das was auf der Bühne passiert, auf der Bühne zu lassen. Ich tue das um den Leuten zu zeigen, dass ich für sie da bin. Deswegen interagiere ich auf der Bühne auch mit den Zuschauer*innen. Ich möchte, dass sie meine Energie spüren. Selbst wenn ich müde werde, oder außer Atem bin – schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste. Aber ich bin keiner von den Leuten, die einfach nur rumstehen und ihre Show runterleiern. Ich möchte verdammt nochmal tanzen!
Ghostface Killahs Debüt-Album IRONMAN erschien am 29. Oktober 1996. Seitdem veröffentlichte er zwölf weitere Soloalben.
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