Geschichten vom Pferd
ganz bestimmt war es die Zeile „I once fell in love with you /Just because the sky turned from grey into blue“, die mich damals in CocoRosie verliebt machte. Zwei widerspenstige Schwestern aus Brooklyn mit blau umflorten Lidern und Eishaken im Herz, die ihr erstes und tollstes Album LA MAISON DE MON RÊVE hauptsächlich in einer Pariser Badewanne aufgenommen hatten. CocoRosie spielten Traummusik, die manchmal klang wie der tropfende Wasserhahn im Winterpalast der bösen Königin und manchmal wie der Fiebertraum eines jungen Mädchens im Maryland der4oer-Jahre. CocoRosie ließen Vögel zwitschern, benutzten Spieldosen, Kinderspielzeug und Telefone als Instrumente, erzählten von Jesus, von Santa Claus und vom Regen auf Tahiti. Die eine, Bianca Casady, sang wie Billie Holiday, die andere, Sierra Casady, hatte eine Opernausbildung hinter sich. Noch als 2005 noah’s ark erschien, wollte ich den Schwestern lieber nicht begegnen. Ein dunkles, klanglich und visuell überwältigendes Konzert mit Gast-Rappern, kratzigen Samples und grotesken Videoprojektionen bestärkte den Vorsatz: Diese beiden Musikerinnen keinesfalls treffen und dadurch unter Umständen der Gewöhnlichkeit preisgeben! Bis das Schicksal es nun eben doch wollte, dass CocoRosie mir in einem chinesischen Nudelgericht stochernd gegenübersitzen und über ihre dritte LP THE ADVENTURES OF GHOSTHORSE AND STILLBORN sprechen sollen. Ja, „sollen . Denn Interviews zu geben, wird in diesem Leben wohl nicht mehr zur Lieblingsbeschäftigung der Casadys. Zäh läuft der Informationsfluss. Gibt es zeitgenössische Künstler, die eure Musik beeinflusst haben? „Och, wir interessieren uns eigentlich nicht so für Musik, hören auch kaum welche. Vielleicht gregorianische Gesänge und so was.“
Hört man die Musik und die Texte, könnte man auf die Idee kommen, dass auch Filme als Inspiration dienten. Ist da was dran? „Och, wir gucken eigentlich keine Filme. Höchstens alberne Komödien, die die meisten intelligenten Leute doof finden. Wir mögen ,The Little Mermaid‘. Das Lied , Under The Sea‘, das die Meeresbewohner zusammen singen, ist lustig.“
Ja ja, lustige Fische, die Meerjungfrau, der Krebs, das Seepferdchen: Da können schon mal die Glasnudeln kalt werden. Falls sich jemand fragt, ob die Casadys vielleicht mal ein Buch lesen oder gar TV gucken: Tun sie auch nicht, sagen sie. Macht aber nichts, denn langsam tauen sie jetzt auf. „Unsere Songs entstehen oft so, dass Bianca und ich Spiele spielen. Zum Beispiel .Schneewittchen‘: Bianca spielt Schneewittchen und ich die sieben Zwerge. Ich renne dann um sie herum oder tue bestimmte Sachen für sie. In der letzten Zeit sind wir ziemlich besessen voneinander und finden den anderen ganz schön amüsant. Als wäre da ein Bildschirm zwischen uns und wir gucken uns gegenseitig im Fernsehen an. Am Ende des Tages – beziehungsweise wenn die Sonne aufgeht – ist es egal, wer was zu dem entstandenen Track beigetragen hat.“ War bisher besonders Sierra, die Ältere, um Konversation bemüht, schaltet sich nun auch Bianca, die schläfrig um das Sofa schlich und Tee aufsetzte, ins Gespräch ein. „Ein Konzeptalbum istTHE ADVENTURES OF GHOSTHORSE AND STILLBORN nicht, auch wenn sich die Abenteuer der zwei Protagonisten durch alle Stücke ziehen. Die Erlebnisse von Stillborn basieren auf der Idee, dass ein Totgeborenes ja streng genommen keine Abenteuer erleben kann. Dabei umfasst das sterbliche Leben ja nur ein sehr kurzes Zeitintervall. Erst wenn das beendet ist, können die richtigen Abenteuer beginnen.“
War es in der Anfangszeit von CocoRosie noch richtig, zu behaupten, die eine sei Coco (Bianca) und die andere Rosie (Sierra), gibt es auf dem aktuellen Album keine feste Rollenverteilung mehr: Niemand ist Ghosthorse, niemand Stillborn. Sicher ist aber, dass die Aufnahmen immer nachts stattfanden und stark von einem wiederkehrenden Traum Sierras befeuert wurden: „Ich träumte mehr als einmal von einem sterbenden Pferd. Auf der Farm, auf der wir die Platte aufnahmen, hörten wir nachts Geräusche. Wirf orschten nach und fanden heraus, dass sich ein krankes Pferd auf der Farm befand. Das haben wir natürlich mit meinem Traum in Verbindung gebracht. Es war nicht dasselbe Pferd, das ich im Traum gesehen hatte, aber die emotionale Verbindung war da. Das war der Anfang der Geschichte.“ Ein kotzendes und zwei kopulierende Pferde also auf dem Cover von noah’s ark, ein Geisterpferd auf GHOST-HORSE and Stillborn (auf dem übrigens u.a. noch ein Werwolf und ein Mädchen, das sich in eine Gans verwandelt, vorkommen).
Das Rollenspiel, die Travestie, der Schnauzbart, den Bianca Casady sich früher gern über den Mund malte: Schade, dass zu Zeiten von noah’s ark kaum wer darauf einging, dass „Armageddon“ und „Beautiful Boyz“ jeweils aus der Sicht von Männern geschrieben wurden. Sierra sagt: Würde CocoRosie von zwei Brüdern gemacht werden, wäre das ganz wundervoll und würde ähnlich klingen. Die Frage aber, die man sich nach intensiver Beschäftigung mit CocoRosie-Platten immer aufs Neue stellt, würde dieselbe bleiben: Wo kommt diese Musik nur her? Bianca Casady kann auch nicht weiterhelfen: „Dazu fällt mir nicht wirklich was ein. Wir haben viel Zeit isoliert verbracht und uns somit vor allem gegen seitig beeinflusst. Offensichtlich gibt es auf unseren Platten eine HipHop-, Daticehall- und Opern-Affinität, aber es gibt keine anderen Gruppen, mit denen wir uns geistesverwandt fühlen. Wir hören höchstens die Musik unserer Freunde: Bunny Rabbit und Quinn Walker, die hoffentlich bald mehr Aufmerksamkeit finden werden.“ Auf ihrer Myspace-Seite verraten Bianca und Sierra immerhin persönliche Wünsche für die nahe Zukunft: Antony heiraten, eine Operschreiben, eine Platte mit RZA machen, sich als lesbische Schweißerinnen in New Mexico zur Ruhe setzen.
Was bei all den Wunderlichkeiten der Schwestern gern vergessen wird: CocoRosie singen nicht nur Sachen wie „Gun hip/Swollen lip/ Bottle sip/Yeah I suck Dick“ (in „Werewolf‘), sondern eben auch „Everybody wants togo to Irak/But once they go they don’t come back“ (in „Japan“) und kommentieren die Märchengeschichten der US-Regierung. Es stimmt schon: CocoRosie sind politisch (und sexuell) anders denkend. Dazu Bianca: „Klar, unsere ganze Arbeit ist politisch. Aber nicht in dem Sinne, dass wir eindeutige Statements formulieren. Wir haben keine politische Message. Wir bieten lieber verschiedene Perspektiven an, die man hinterfragen, weiterdenken oder sich zu eigen machen kann.“ Das haben wiruns übrigens schon gedacht. Wir sind ja hier schließlich nicht bei den Levellers >» www.cocorosieland.com —