Interview

Garbage im Interview: „Sei mutig, mach Fehler!“

Shirley Manson über Softness, gesellschaftliche Zwänge, ihre neuen Ideale – und warum sie Lady Gaga umarmen möchte.


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Dieses langgezogene, herzhafte Lachen, bei dem ihre Stimme immer an irgendwelchen Kanten entlang zu schrammen scheint – das ist eine der Besonderheiten, die ein Interview mit Shirley Manson ausmachen. Die 58-jährige Schottin erweist sich beim Zoom-Talk zwar als Vollprofi, der man die mehr als 30 Schaffensjahre und nunmehr acht Studioalben mit ihrer Band Garbage anmerkt, aber eben auch als eine, die den Industrie-Upfuck nicht als Zynismus ausdünstet. Die seit 2006 in Los Angeles lebende Musikerin lässt tiefer blicken als zwingend erforderlich. Kein Wunder also, dass Butch Vig, Steve Marker und Duke Erikson ihre Frontfrau gerne bei Gesprächen vorschieben. Jeder Satz der Sängerin ist druckreif, bringt sie uns näher und nimmt uns für sie ein. Und so ist es wohl auch mit ihrem neuen Album LET ALL THAT WE IMAGINE BE THE LIGHT, bei dem die Lyrics genauso auf Demo-Plakaten wie auf Merchandise-Artikeln und als Tattoos funktionieren würden. Die Leichtigkeit, mit der Shirley Manson die gesellschaftskritischen Messages auf dem zehn Tracks umfassenden Werk absetzt, ist schon eine Kunst für sich. Wobei sie auf das alte Beuys-Zitat besteht: Jeder Mensch ist ein Künstler.

ME: Du hast mal gesagt, dass du unbedingt eine Reaktion bei deinem Gegenüber auslösen möchtest – egal, ob positiv oder negativ. Für dich als Kunstschaffende erscheint das naheliegend. Aber im Alltag erlebe ich eher Menschen, die Angst vor Reaktionen haben – aus den verschiedensten Gründen.

SHIRLEY MANSON: Für mich sind alle Menschen Kunstschaffende. Damit möchte ich jetzt nicht besonders niedlich klingen – ich meine das ganz ernst. Ich habe die gleiche Beobachtung gemacht wie du und sie macht mich traurig. Viele Leute scheinen zu vergessen, dass sie die Artists, die Ingenieur:innen und Designer:innen ihres Lebens sind. Sie müssen keine verdammt talentierten Opernsängerinnen oder Maler sein, aber sie sollten erkennen, wie schön, poetisch und aufregend so ein Alltag gestaltet werden kann. Die Hemmung und auch Angst liegen vielleicht darin begründet, dass sich zu viele Menschen darüber Gedanken machen, was andere von ihren Bemühungen halten könnten. Aber mit der Selbsteinschränkung geht eben auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung einher: Wer sich zurücknimmt, der oder die kann nicht grenzenlos kreativ im eigenen Leben werden. Leider verlangt unsere Gesellschaft von uns, dass wir brav sind, immer arbeiten gehen, die Klappe halten, ein oder zwei Kinder haben und dann mit Ende 60 oder Anfang unserer 70er sterben, weil das System nicht möchte, dass wir das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes belasten. Doch wofür ist das gut? Ich bin der Meinung: Breite dich aus, nimm Raum ein, sei mutig, mach Fehler!

Diesen „Einfach machen“-Vibe soll auch ihr achtes Studioalbum vermitteln. Shirley Manson meint, sie sei gedanklich bei der Platte noch in der „Flitterwochen- Phase“, in der die „Endorphine schwirren“ würden. Nach so langer Zeit in einer Band (1994 stieß sie zu Garbage) ein besonderes Gefühl. Doch die Musikerin mit den nun wasserstoffblonden Haaren will sich auch nicht mit weniger zufrieden geben. Sie will das Allerbeste – und: Weichheit.

Du klingst so euphorisch, das passt gar nicht zum Songtitel des Album­-Openers „There’s No Future In Optimism“. Wie kommt’s?

Ich merke halt immer mehr, dass ich eine Idealistin bin. Ich muss einfach mehr wollen als das, was ich momentan um mich herum erlebe. Ich muss Hoffnung haben. Je älter ich werde, desto mehr Freunde verliere ich. Die Uhr tickt auch für mich. Deshalb muss ich tiefer graben, um dem allen noch einen Sinn abzugewinnen. Ich erlebe nicht mehr so viel zum ersten Mal – diese Aufregung des ersten Mals begleitet einen bis zum ungefähr 40. Lebensjahr und macht alles zu einem großen Abenteuer. Das Alter, die Erfahrungen und Erkenntnisse daraus stehen heute diesen schnellen Freuden entgegen – ich arbeite für die Hoffnung, sie mit aller Macht zu aktivieren. Und das ist eine notwendige Arbeit. Keine Hoffnung zu haben, ist ein Privileg. Ich finde, es wäre eine faule Haltung, davon auszugehen, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Ich schulde es allen Menschen, die leiden, dass ich mich täglich in Hoffnung übe, und mich weigere, mich einem System hinzugeben, in dem wir uns alle gegenseitig bekämpfen sollen. Mein neues Ding heißt Softness.

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„Mein neues Ding heißt Softness“

Als Kind von Eltern, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, ist die am 26. August 1966 in Edinburgh geborene Shirley Ann Manson auch ein Fan von Resilienz. Einfach, weil es die Erfahrung ihrer Eltern war und zum Überleben nötig. Manson selbst verinnerlichte diese Haltung. Auf dem Schulhof wurde sie wegen ihres Aussehens gemobbt, was in Autoaggression umschlug und darin mündete, dass sie mit 16 Jahren die Schule verließ, um ihr eigenes Ding zu machen. Erst war sie als Backgroundsängerin bei einer Band namens Goodbye Mr. Mackenzie unterwegs, dann gründete sie die Band Angelfish, die wiederum ins Visier des Nirvana-Produzenten und Drummers Butch Vig geriet und zu einem Anruf bei ihr und schließlich zum Einstieg von Manson bei Garbage führte. Ihr Credo für Dinge, die schwer sind und dann doch ein gutes Outcome haben können: „Wir Menschen sind viel belastbarer, als wir es uns selbst zutrauen. Daran sollten wir denken.“ Also weitermachen, weiteratmen – diese Art von motivierenden Worten lassen sich neben den aktivistischen auch in der Instagram-Story von Garbage finden. Ein Grund dafür könnte sein, dass nach all den Highlights, die Garbage erlebten (sieben Grammy-Nominierungen! MTV EMA- und VMA-Gewinn!), zuletzt mit den gesundheitlichen Problemen Mansons – die vom Touren wie ein „Wrack im Rollstuhl“ zurückkam, eine „heftige Laryngitis“ erlitt und sich einer Hüftoperation unterziehen musste – ein echtes Down auf die Band zukam.

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Fühlst du dich momentan wieder gesundheitlich so richtig auf der Höhe?

Ich bin wieder völlig fit, aber es waren zwei lange Jahre mit krassen Schmerzen. Es war eine sehr schwierige Zeit für mich und die Band. Aber gleichzeitig haben wir eben auch in dieser Zeit das Album gemacht, es gibt am Ende also etwas Schönes vorzuzeigen. Und ich habe eine Menge gelernt – zum Beispiel geduldig zu sein. Denn wenn man nach einer Operation aufwacht und erst mal nicht mehr laufen kann, ist das heftig. Besonders für jemanden wie mich – ich war bis dahin echt körperlich gesegnet, war nie im Krankenhaus, hatte nie mit gebrochenen Knochen zu tun.

Trotz des Kampfes, den du gesundheitlich hat­test, klingst du warm und souverän auf dem Album. Deine Stimme hat etwas Leichtes an sich.

Ich habe mich selbst noch nie so weich gefühlt wie jetzt. Innen wie außen. Wenn man körperlich versehrt ist, muss man lernen, liebevoller und nachsichtiger mit sich selbst umzugehen. Und wenn man erst einmal dieses Zartgefühl sich selbst gegenüber akzeptiert, dann geht das auch in den Blick und das Verhalten nach draußen über. Nach meiner OP habe ich angefangen, Menschen nur noch als Haut und Knochen zu sehen, die in einer Nanosekunde ausgelöscht werden könnten. Wenn ich nun die Straße entlang gehe, sehe ich so viele humpelnde Leute, Menschen mit Gehstock, mit Rollator und im Rollstuhl.

Um es mal provokativ zu formulieren: Müssen wir leiden, um mitzufühlen?

Tatsache ist, dass wir alle leiden. Man kommt nicht drum herum. Aber wenn ich mich frage, ob Künstler:innen in einem ständigen Zustand des Leidens sein müssen, um kreativ zu sein, muss ich das verneinen. Nur denke ich, dass man das Leiden verstehen muss, um gut in dem zu sein, was man macht. Um berühren zu können. Und um dieses Verständnis entwickeln zu können, muss man es wohl selbst erleben. Sonst glaube ich nicht, dass es zu einer wirklich interessanten Kunst führen kann. Und die Schwächen im Leben machen es doch erst so richtig aus. Augenblicke der Freude und des Triumphes sind die Zwischenerscheinungen.

Auf drastische Aussagen lässt Manson Sätze, die wie Ibiza-Sonne wirken, folgen. So erzählt sie im Anschluss von dem Spaß, der mit dem Album-Release, dem erneuten Touren und dem Musikerinnendasein einhergeht. Davon, dass sie sich als Part einer Community fühlen und ihre Stellung darin sehr ernst nehmen würde.

„Mir wurde erzählt, Frauen über 30 wären zu alt“

Gibt es einen großen Traum, der für dich noch offen ist?

Ich will diesen neuen Lebensabschnitt so richtig auskosten. In meinem Alter gibt es nicht viele Musikerinnen, mit denen ich mich vergleichen kann. Da sind Chrissie Hynde, Patti Smith, Debbie Harry, Stevie Nicks, die gesunde Karrieren in der Musikszene hinlegen konnten. Aber es ist schwer, weitere zu finden. Erst heute verändert sich die Rolle der Frau deutlicher. Es ist natürlich aufregend, das zu beobachten. Ich bin in den 60er-Jahren aufgewachsen, als meine Mutter nicht einmal ein eigenes Scheckbuch, eine Kreditkarte oder eine eigene Einkommensquelle hatte. Dazu kam, dass uns erzählt wurde, Frauen ab 30 Jahren wären schon zu alt.

Das erinnert mich an Lady Gaga, die kürzlich auf die Bemerkung, sie sei mit Ende 30 schon ganz schön lange im Musikbusiness, antwortete, sie würde sich gerade erst aufwärmen.

Ich bin um die 20 Jahre älter als Lady Gaga, ich habe ich meine Aufwärmphase hinter mir. (lacht) Aber ja, als ich das hörte, wollte ich sie umarmen und ihr sagen: „Bravo, Babe! Bravo, dass du dir zugestehst, dass du noch so viel mehr erreichen kannst!“ Ich liebe Lady Gaga, ich liebe, wie mutig und klug sie ist. Aber als jemand, der um einiges älter ist, weiß ich auch, wie viel schwieriger es mit den Jahren für Frauen in der Unterhaltungsbranche wird. Das ist eine Tatsache. Ich sehe, wie Männer in der Musikindustrie mit einer anderen Art von Respekt als Frauen behandelt werden und es frustriert mich. Aber ich tröste mich damit: Ich mache etwas, das lange als unmöglich galt, möglich. Dass ich in meinem Alter eine neue Platte bei einem Majorlabel veröffentliche, ist die Unmöglichkeit. Zumindest wurde mir das oft genug gesagt. Und ich mache es trotzdem.

Auf dem Album geht es auch um Lie­be – aber nicht nur die in einer Partner­schaft. Heißt das, du hast die Selbst­ liebe entdeckt?

Ich habe festgestellt, dass Selbstliebe in meinem Leben sehr schwer zu erlangen ist. Ich hatte nie viel davon übrig. Mit zunehmendem Alter lerne ich aber, was es bedeutet, sich um sich selbst zu kümmern. Es fällt mir nicht leicht, aber ich habe erkannt, dass es ein notwendiger Bestandteil auch der Nächstenliebe ist. Und was ich jetzt sage, klingt sehr kitschig und ich komme mir fast albern dabei vor, aber ich glaube, dass wir der Zerstörung und dem Hass in der Welt nur eine massive Mauer aus vereinter Liebe entgegensetzen können. Oh ja, ich verwandle mich im Alter in einen riesengroßen Hippie! (lacht)