Freundliche Gespenster
Esben And The Witch
Ob mit dem Van in den Weiten Utahs oder zwischen bunten Projektionen in einem abgeschotteten Landhaus in East Sussex: Das Trio aus Brighton schwebt weiter durch schaurig-schöne Traumlandschaften. Allerdings ist ihm jetzt nicht mehr ganz so kalt.
Zur Vorbereitung des Interviews klickt man sich durch diverse Links, die die Band auf Twitter geteilt hat. Einer davon führt zur Zeichentrickverfilmung des Kinderbuchklassikers „Big Friendly Giant“ von Roald Dahl (dt.: „Sophiechen und der Riese“) – ein Film, den man meint, noch nie gesehen zu haben. Falsch. Völlig unvermittelt findet man sich wieder in einer der grauenerregendsten, intensivsten Filmerfahrungen des eigenen Lebens. Tief verschüttete Erinnerungen werden wachgerufen an schlaflose Nächte voller Todesangst vor menschenfressenden Riesen, die durchs Fenster greifen und Kinder stehlen. Man freut sich doppelt: Weil man tief sitzende Kindheitstraumata verarbeiten kann, und weil man damit auch den idealen Einstieg für ein Gespräch mit Esben And The Witch gefunden hat. Die surreale Phantastik düsterer Märchen, unheimliche Traumwelten, der schmale Grat zwischen Faszination und Grauen – das sind genau die Landschaften, durch die dieses Trio wandelt.
Die Unterhaltung dreht sich also anfangs um alte Kinderfilme und die bemerkenswerte Bereitschaft ihrer Macher, ihrem jungen Publikum Grauenvolles zuzumuten. Man kommt von „Alice im Wunderland“ zum Kinderfänger in „Chitty Chitty Bang Bang“, wandert durch Pans und David Bowies Labyrinth, landet bei der beängstigenden Besenvermehrung in Disneys „Fantasia“. Rachel Davies, Daniel Copeman und Thomas Fisher unterhalten sich gerne, angeregt mäandernd diskutieren sie Filme, Bücher und das eigene Schaffen und gehen dabei so vollendet höflich miteinander um, wie es nur Briten können: „That’s certainly an interesting point, though …“
Die enthusiastischen Geeks haben sich für die Arbeiten an ihrem zweiten Album in einem Landhaus in East Sussex verkrochen. Die Vorhänge wurden zugezogen, die Wände als Projektionsflächen für Filme und Bilder genutzt. „Wir haben das Haus versiegelt und von innen mit Dingen aufgefüllt, die uns inspirieren. Wir haben uns in unsere eigene kleine Welt eingeschlossen, um eine neue zu erschaffen“, berichtet Sängerin Rachel Davies.
Das Album, das dabei herausgekommen ist, zeigt sich deutlich zugänglicher als das klirrend kalte Debüt. Mit dem Titel Wash The Sins Not Only The Face erlaubt sich die Band sogar ein Späßchen. „Wir wollten ein wärmeres, lebendigeres Album machen. Humor ist vielleicht das falsche Wort. Es geht um eine gewisse Menschlichkeit, die eben manchmal auch ein wenig komisch wirken kann“, sagt Thomas Fisher. „Wir mussten aber auch erst einmal genug Selbstvertrauen für so etwas bekommen.“ Deutlich zurückgeschraubt wurden die dynamischen Ausbrüche in der Musik, die dramatische Geste. Das neue Material ist wesentlich ruhiger und ebenmäßiger. „‚Brauchen wir das wirklich, ist das notwendig?‘, haben wir uns gefragt. Die Platte ist noch dramatisch genug, aber diese Momente sind jetzt besser in den Fluss des Albums integriert, weniger konfrontativ.“
Der beliebte Topos vom Album als eine Reise wird bemüht. Esben And The Witch waren ja tatsächlich unterwegs – auf US-Tour. Daniel Copeman: „England ist so klein und vollgestopft. In den USA gleitest du in deinem Van stundenlang durch diese surrealen Weiten. In Utah zum Beispiel. Man fühlt sich so unbedeutend, aber auf eine aufregende Art und Weise.“ Da ist er wieder, der schmale Grat zwischen Staunen und Schaudern, Faszination und Schrecken. Esben And The Witch beschreiten ihn trittsicher.
Albumkritik S. 84