Frank Zappa
"Ich war und bin ein Freak und nichts anderes." Wer nicht müde wird, dies zu betonen, ist Frank Zappa, und ihm ist es ernst damit. Ihm wird überhaupt diese Wortschöpfung zugeschrieben. Dieser unberechenbare Typ erscheint nach wie vor als eines der größten Genies der Musik-Szene. Der bärtige, zottelhaarige Zyniker, Spaßvogel, Bürgerschreck und Dauer-Avantgardist hat die Popmusik stärker beeinflußt, als der erste Eindruck vermuten läßt. Immerhin sagt man von ihm, er habe die Rockmusik mit Intelligenz gespickt. Naja, zumindest war er allen anderen oft um einiges voraus.
Frank Zappa, der am 21. Dezember 1940 in Maryland/Baltimore als erstes Kind von griechisch-sizilianischen Eltern geboren wurde, ist wahrscheinlich erblich belastet. Sein Vater jedenfalls konnte seine Vielseitigkeit so schwer unter einen Hut bringen, daß er sich in mehreren Berufen versuchte. Das reichte vom Friseur bis hin zum Professor für Geschichte. Die Mutter kümmerte sich brav um den Haushalt und die vier Kinder. Der Nachwuchs des alten Herrn Zappa entwickelte sich sowieso recht vielfältig: Ein Sohn ging zur Armee und studierte anschließend Soziologie, ein anderer mixte Milchshakes in MacDonalds Imbißstuben und spülte die Teller. Die Familie Zappa war nach Kalifornien umgesiedelt, kurz bevor für Frank die Schulpflicht begann. Er hielt zwar nicht viel von dem täglichen Lehrbetrieb, marschierte jedoch am 13. Juni 1958 zufrieden nach bestandenem Examen nach Hause. Noch während seiner Schulzeit hatte er Kurse in Harmonielehre besucht. Das Schlagzeugspielen brachte er sich jedoch selbst bei. Er spielte in Schulbands, meist R&B, und er war Mitglied zahlreicher Schulorchester. Mit elf Jahren, so behauptet er, habe er bereits haarige Beine, einen satten Bartwuchs und Pickel gehabt.
Mit 14 vollendete er seine erste Komposition, ein Schlagzeugsolo mit dem Titel „Mice“. Zu jener Zeit, als ganz Amerika von Rock’n’Roll und R&B ganz fürchterlich heimgesucht wurde, stieß Frank durch Zufall auf eine Platte, die mit einem „wirren Durcheinander von Trommeln und anderen unschönen Geräuschen“ umschrieben wurde. Franks Interesse war urplötzlich geweckt. Nach Monaten endlich hatte er die Scheibe aufgespürt: Edgar Vareses „Gesammelte Werke, Vol. I“. Von nun an akzeptierte Frank keine Platte für seine Sammlung, die weniger disharmonisch klang. Keiner seiner Besucher konnte entkommen, ehe er sich diese LP angehört hatte. Frank verstand zwar nichts von dieser Art (E-)Musik, fand sie aber ganz irre und ausgeflippt. Für seine weitere musikalische Entwicklung war dieses frühe Zusammentreffen mit Vareses Musik jedenfalls überaus wichtig und bestimmend.
Bis dahin hatte er vorwiegend Rhythm & Blues-Platten besessen und auch mit den diversen Schulbands nur R&B gespielt. Oft lösten sie sich so rasch auf, wie sie gegründet worden waren. Da gab es die „Rambiers“ aus San Diego, die „Blackouts“ und die „Omens“. Bis 1958 hatte er vorwiegend getrommelt, dann schaffte er sich allerdings eine Gitarre an, um damit besser mit Komponieren zurande zu kommen. Und schon bald hatte er einige Filmmusiken für mehr oder weniger drittklassige Filme geschrieben, die erste Pop-Operette mit dem Titel „I Was A Teenage Maltshop'“ und seine erste Single namens „Break Down“ mit den „Masters“‚. Die Kohle, die dabei zum Teil abfiel und bei den vereinzelten Gigs in verräucherten Bars und Pinten an der Westküste, ermöglichten ihm, nach einiger Zeit ein kleines Studio in dem noch kleineren Nest Cucamonga einzurichten. Dort saßen siel dann, die ersten Freaks Amerikas, mit haufenweise Ideen und Träumen, aber ohne einen Penny in der Tasche. Mit einem alten Schulfreund gründete er in dieser Zeit mal wieder ’ne neue Gruppe. Der Schulfreund hieß Don van Vliet 60 auch als Cpt. Beefheart bekannt und gefürchtet – die Gruppe „The Soots“, die Rußigen. Die Aufnahmen, die aus diesen Tagen noch irgendwo bei Frank herumliegen, sind Sammlerstücke, für die sich viele vierteilen lassen würden. Eine andere Band, ebenfalls mit Don, nannte sich „Cpt. Glasspack & His Magic Mufflers“ und dürfte ein Vorläufer für die spätere, legendäre „Cpt. Beefheart & His Magic Band“ gewesen sein.
Ganz in ihrer Nähe fristeten die „Soul Giants“ ihr ärmliches Dasein. Als ihnen praktisch über Nacht einige Mitglieder davonliefen, kamen sie zu Frank und baten um Hilfe. Der vermischte kurzentschlossen beide Gruppen zu einer und nannte das Ganze schlicht und ergreifend „Mothers“‚. Um nun nicht mit etlichen anderen Formationen (wie z. B. Mother Earth oder Cat Mother) verwechselt zu werden, hingen sie noch einen Zusatz dran, der sie künftig als „Mothers of Invention'“ auswies. Ende 1964 bestanden die „Mütter der Eingebung“ aus Frank (Gitarre, Kompositionen und Konzept), David Coronado, dem Bläser, dem Bassisten Roy Estrada, dem Trommler Jimmy Carl Black und dem Sänger Ray Collins. Die Ur-Mothers waren geboren, aber es ging ihnen verdammt dreckig: „Wir machten ungefähr ein Jahr lang alle möglichen Arten des wirtschaftlichen Ruins durch, Hunger, Mißerfolge und Rückschläge“. Franks Studio in Cucamonga hatten die Bullen, denen es lange genug ein Dorn im Auge gewesen war, inzwischen dicht gemacht.
In diesen ersten Tagen der Mothers kursierte erstmals das Wort „Freak“, das man dahingehend übersetzen kann, daß man aufhören soll, mit alten Konventionen zu leben, daß man aus der elterlichen Geborgenheit ausreißen und dem bürgerlichen Bewußtsein eins auswischen soll. Und die Bandmitglieder lebten wie kaum ein anderer nach diesen „Grundsätzen“. Ihre ersten Auftritte in Los Angeles sind noch heute unvergessen. So vieles an verrückten, irren und abenteuerlichen Einfällen dürfte ein Konzert nie zuvor gesehen haben. Wenn man diese Auftritte überhaupt mit dem Wort „Konzert“ umschreiben kann. Einer dieser Auftritte wurde übrigens für die Nachwelt erhalten: In dem Dokumentar-Streifen „Mondo Hollywood“ ist er zu bewundern, worin die ganze Truppe mal so richtig ausfreakt. Diese öffentlichen „Freakouts“ sprachen sich natürlich schnell herum, und eines schönen Abends erscheint auch Tom Wilson bei einem. Er hatte kurz zuvor Bob Dylan produziert und war nun gebannt von dieser Gruppe, ihrer bizarren Musik und der ausgeflippten Stimmung im Raum. Er entschloß sich spontan, etwas für sie zu tun, was letzten Endes so aussah, daß er ihnen einen Plattenvertrag bei MGM besorgte und sie produzierte.
Mit einer Clique von nahezu 200 Typen wird „Freak Out“ aufgenommen, das erste Mothers-Album, das 1966 erscheint und in jeder Hinsicht ein Klassiker wird. Durch die elektronische Seite der Musik leitet sie die spätere Psychodelie-Welle ein, und zum erstenmal wird in der Rockmusik öffentlich Sozialkritik geäußert. Durch die zum Teil bewußt „unmusikalischen“ Exkursionen werden Begriffe wie Kunst und Können in Frage gestellt, und nicht zuletzt besitzt „Freak Out“ das erste aufklappbare Cover der Popgeschichte. Unter den Musikern, die mal kurz und mal länger ins Studio schauten, waren unter anderem Dr. John, Van Dyke Parks, der heutige Chicago-Produzent Jim Guercio und Henry Vestine von Canned Heat. Den Stamm bildeten freilich noch die Ur-Mütter von ’64, mit Ausnahme von David, für den der Gitarrist Elliot Ingber hinzukam, der aber ebenso schnell wieder verschwand und erst einige Monate später in Cpt. Beefhearts Band als Winged Eel Fingerling wieder auftauchte.
„Freak Out“ wurde zu der Underground-Platte überhaupt. Frank selbst arbeitete die Anzeigen dafür aus und verteilte sie an die ersten Undergroundzeitungen wie z. B. die L.A. Free Press und an Comic-Magazine. Er wußte, wo seine potentiellen Zuhörer saßen und erreichte durch diese Methode das Überleben von vielen, am Rande der Existenz herumkrabbelnden Underground-Blättern, denn viele große, etablierte Firmen zogen nach. Frank sorgte sich auch um das Image der Mothers. Da alle relativ alt und häßlich waren, fiel ihnen das „Ugly-Image“ nicht sonderlich schwer. Häßliche Musik, häßliche Texte und häßliches Gebärden in der Öffentlichkeit wurden zu ihrem Markenzeichen. Franks berühmtes Klo-Poster paßt ebenso gut dazu, wie die Tatsache, daß zeitweise zwei so unterschiedliche Leute wie lan Underwood (mit dem Diplom der Berkley-Music-School in der Tasche) und „Motorhead“ Sherman (der als Roadie anfängt und dann Saxophon spielt) in der Band spielten.
Viele Disc-Jockeys weigerten sich strikt, die Platte zu spielen und MGM kürzte oft und gerne die meist provokativen Texte. Die Mütter hatten es geschafft, ihre persönlichen Lebensphilosophien und Betrachtungsweisen des „American Way Of Life“ musikalisch und textlich zu veranschaulichen. Zappa wurde daraufhin als Sprecher einer neuen Generation und Revolutionär ausgerufen und gefeiert. Daß Frank die Musik von jeher wichtiger war als die Texte, wollen ihm viele seiner Fans noch heute nicht abnehmen. Aber: „Für mich ist der Text nur ein gut gemachter Bestandteil der Musik als Mittel der Verpackung. Man muß den Text auf die Musik draufkleben. damit sie sich verkauft.“ Eines der Hauptmotive seiner ersten Platten ist die Kluft zwischen All und Jung, denen, die am Drücker sitzen und andere regieren, von denen sie an sich aber viel zu wenig wissen, um das gut zu können. Sexuelle Frustationen und die Folgen davon werden ebensowenig verschwiegen, wie die Zustande Amerikas in diesen Jahren.
Noch im Jahre 1966 lernte Frank seine spätere Frau Gail kennen, die er einen Tag vor der ersten Europatournee ’67 noch schnell ehelicht, weil sie im neunten Monat schwanger ist. Und er lernte Herb Cohen kennen, den späteren „Master of Bizzare Bizniz“, der ohne lange nachzudenken das Management der Mothers übernahm. Heute besitzt Herbie mit Zappa zusammen das Bizzare-Label und bewältigt sämtlichen Geschäftskram der total unterschiedlichen Firmenableger wie z. B. Straight. Discreet und Intercontinental Absurdities, zu der die „Mütter“ zählen. Herbie kam aus dem Folk-Metier und leistete mit Frank die gesamte Aufbauarbeit des Mothers-Imperiums, und Zappa ist nur selten ohne ihn anzutreffen.
Nach etlichen Gigs in und um L.A. zog die gesamte Crew nach New York ins Greenwich Village, wo sie ganze fünf Monate im Garrick-Theater auftraten und jeden Abend eine absolut freie, spontane und unvorbereitete Show abzogen. Eines schönen Tages ließ Frank drei Mariners (US-Elitetruppe) in voller Uniform auf die Bühne kommen, die das ganze Stück hindurch immer wieder „Kill, kill, kill“ schreien und anschließend eine Stoffpuppe zerfetzen. Das Publikum war schockiert, und die Mariners heulten zum Schluß wie Schloßhunde. Die Theaterelemente in den Shows waren nicht mehr zu übersehen. Zu dieser Zeit bestand die Band aus Ray, Roy, Jimmy, dem Tastenmann Don Preston, Bunk Gardner, dem Bläser, Billy Mundi, dem Drummer u. „Motorhead“ als Roadie und Ersatzmusiker.
Frisch von Berkeley kam Ian Underwood nach New York und eines Abends auch ins Garrick. Er war begeistert von dem. was da oben iihlief und sprang kurzenlschlossen auf die Bühne und jammte mit. Wochenlang ging das so, bis Frank ihn schließlich fragte, ob er nicht bei ihnen einsteigen will. Und er wollte. Zappa hatte einen fantastischen Musiker mehr, der ihm die langen Jahre seiner Entwicklung stets verständnisvoll und begeistert folgte. In dieser Besetzung entstand noch im gleichen Jahr die zweite LP „Absolutelv Free“.
Absolut frei ging es auch hier wieder zu. Franks Angriffspunkte hatten sich erweitert. Vom persönlichen Alltag der Gruppe zur allgegenwärtigen Gesellschaftskritik der „Plastic People“. den Konsumenten, den braunbeschuhten, geilen Politikern und den Saubermännern. Die Mischung aus Aktionsliedern, wie Frank sie nennt, mit rein politischem Charakter, den Komödientexten und den surrealen Songtexten wurde beibehalten. Die Losung, die üblichen Top 20-Melodien zu killen, wurde ausgegeben, weil sie unmusikalisch und unästhetisch seien und stinken. Den typischen Teenager-Texten wurde durch bitterböse Parodien der Garaus gemacht. „Wir wollen die Leute in Wut bringen, daß sie endlich mal was tun müssen. Solange sie ihre Umwelt nicht spüren, und sie ihnen aufstößt, werden sie nichts zu ihrer Veränderung tun“, erklärt Zappa seine Schock-Therapie.
Die Mothers waren inzwischen zusammengewachsen, spielten aber nach 62
wie vor im Garrick, wo sie sich zeitweise mit den noch radikaleren Fugs abwechselten. Billy Mundi verließ die Gruppe und gründete Rhinoceros, während Art Tripp seinen Platz einnahm. Sie waren jetzt oft im Studio anzutreffen und hatten bald genügend Material beisammen für weitere LP’s. „We’re Only In It For The Money“ war der dritte Streich der Mütter, mit dem sie dem Sgt. Pepper-Album der Beatles einen selben spielen. Es wurde eine zynische Kritik an dem allenthalben hochgelobten Rock-Klassiker, und obwohl die Platte schon aufgenommen war, verging bis zur Veröffentlichung noch viel Zeit. Die Beatles hatten von der Sache Wind bekommen und interveniert. In derselben Zeitspanne entstand „Cruisin‘ With Ruhen And The Jets“, die bis heute gelungenste Parodie auf alte R&B- und Rock’n’Roll-Nummern. Musikalisch nicht unbedingt das, was die drei Vorgänger versprochen hatten, aber witzig und überzeugend gemacht.
Inzwischen konnte man die Band als etabliert ansehen. Sie hatten Radio- und TV-Auftritte, hatten ausgiebige USA- und Kanada-Tourneen hinter sich und waren besser geworden. Die Arrangements wurden straffer, die Musik disziplinierter und die Produktionszeiten der Platten immer länger. Zappa hatte noch in der New Yorker Zeit mit den Aufnahmen zu seinem ersten Soloalbum begonnen, das 1967 unter dem Titel „Lumpy Gravy“ erschien. Erstmals konnte er mit einem Orchester zusammenarbeiten. Damit ging einer seiner Jugendträume in Erfüllung. Nie zuvor wurde Franks Vorliebe zu Varese und der E-Musik so deutlich wie auf Teilen von „Lumpy Gravy“, einer experimentellen, bösartigen und mitunter auch langweiligen Platte. Zappa hatte seine Probleme damit, und er gibt es zu.
Ende ’67 folgte der erste Europatrip, der die Mothers nach England, Holland und Schweden führte und ein verwirrtes, aber interessiertes Publikum zurückließ. Gail bekam ihr erstes Kind (von den bis heute dreien), und dank dem immer flüssiger fließenden Money war Frank in der Lage, im Laurel Canyon eine alte Villa, den Tom Mix-Palast, zu kaufen. Dort hausten die Zappas und die Mothers, und es war so eine rechte Freak-Szene da draußen vor Los Angeles. Weil Frank die andauernden Schwierigkeiten und Textkürzungen von MGM auf die Nerven gingen, gründete er mit Herbie sein eigenes Label „Bizzare“, auf dem gegen Ende ’68 als erste Veröffentlichung die LP „Uncle Meat“ erschien. Hier wurde erstmals deutlich, welches musikalische Potential in Frank schlummert. Das ganzseitige „King Kong“ wies ihn bereits als kleines Genie aus und kündigte schon die kommende Wandlung an: Die Texte würden ehrfürchtig vor der Musik in den Hintergrund treten.
Noch im selben Jahr suchen die Mothers Deutschland heim. Auf dem ersten, groß angelegten Festival hierzulande, den „Internationalen Essener Songtagen“, durfte eine Band wie die „Mütter“ natürlich nicht fehlen. 1968 war das Jahr der politischen Unruhen, besonders in Frankreich und Deutschland. Demzufolge erwarteten viele von einem derart engagierten Musiker wie Zappa den notwendigen Beifall zu ihren Thesen. Aber der hatte von jeher eigene Wege im Sinn, wie eine Systemveränderung ablaufen müßte: „Es ist einfach unsinnig, mit einem Stock oder einem Molotow-Cocktail auf die Straße zu gehen und zu sagen „Hier ist die Revolution“. Das hilft niemandem. Die einzige Möglichkeit ist, von innen heraus zersetzend zu arbeiten. Die Veränderung muß allen zugute kommen und darf nichl zu einem Kampf zwischen Alt und Jung, Arm und Reich oder Schwarz und Weiß führen. Das ist die einzig faire Art, die Lage zu betrachten. Im übrigen zähle ich mich nicht zur linken Bewegung.“ Wie zu erwarten, begrüßte man ihn denn auch in der Polit-Hochburg Berlin mit Transparenten wie „Mothers Of Reaction“. -Wieder einmal füllten sich die Reihen derer, die Frank nicht verstehen können oder wollen. Genauso wie in seiner Musik, ließ er sich auch politisch auf keine bestimmte Richtung festlegen. Wäre er sonst Zappa…?
Frank ist mehr Realist als Illusionist. Er erkannte schon frühzeitig, daß es zwar besser sei, wenn die alte Garde abgelöst würde, machte sich aber nichts vor, was die Aussichten dafür betraf. Er findet nämlich, daß die jüngere Generation noch lange nicht soweit ist, das Ruder zu übernehmen. Frank versucht, sich im Musikgeschäft eine möglichst freizügige Position zu verschaffen, weiß aber gleichzeitig, daß ein kleines Label gewisse Kompromisse schließen muß, um vor den „Riesen“ bestehen zu können. Er ist kein Hippie und kein Typ, der sich in einem kleinen Häuschen im Wald wohl fühlen würde. Er lebt komfortabel und tut es gern und ist in seiner Freizeit wenig kontaktfreudig. Er glaubt zwar an so etwas ähnliches wie Gott, aber nicht an die „Industrie mit dem Papst an der Spitze“. All das, besonders die Kompromißbereitschaft, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nach wie vor politisch engagiert und interessiert ist politisch engagiert auf dem Boden der Realitäten.
Die letzte Ur-Mothers-Besetzung bestand 1969 kurz vor der Auflösung aus Frank, Roy, Jimmy, Don, Bunk, „Motorhead“, Ian Art Tripp und Bunks Bruder Buzz Gardner an der Trompete. Einige Zeit hatte auch Lowell George mitgemischt, bevor er seine „Little Feat“ ins Leben rief, und der Geiger „Shugarcane“ Harris. „Wir konnten stundenlang interessante Musik machen, weil wir uns bis dahin so gut kennen und schätzen gelernt hatten, daß sich alles sehr evolutionär entwickelte. Aber die Zuschauer schrien immer noch nach unseren alten Stücken“, bedauerte Frank und wurde richtig sauer: „Meist dachten sie, wir wären die neue Band von Spike Jones!“ Zudem hatten sie das ständige Herumreisen satt und mit den Mißverständnissen von Seiten des Publikums, frustrierte das Zappa und die seinen ganz schön. Ein weiterer Grund für die überraschende Auflösung war der, daß die Gruppe trotz der häufigen Tourneen und nicht schlecht verkauften Platten (jede ca. 100000) mit der Zeit mehr und mehr Geld verlor, so daß es so nicht mehr weitergehen konnte.
Von nun an änderte sich Zappas Arbeitsweise. Fortan führte er seine Band wie ein Orchesterchef und bezahlte den mitwirkenden Musikern pro Konzert (300 Dollar plus Spesen) und Plattenanteil einen bestimmten Betrag aus. Die alten „Mütter“ hatten wöchentlich ihre 200 Dollar kassiert, ob Arbeit da war oder nicht. Franks neue Methode war für einen Musiker bzw. einen Komponisten wie ihn, die einzig mögliche Art zu arbeiten. „Da nicht jeder Musiker alle Stilarten beherrschen kann, besorge ich mir jetzt für jedes Projekt die geeigneten Leute.“ Einfach und einleuchtend! Daß er damit richtig lag, beweisen seine Platten seit dem fantastischen und revolutionären „Hot Rats“-Album, das mit Sicherheit mehr Musiker beeinflußt hat als alle gleichwertigen Versuche (von den Beatles mal abgesehen). Nunmehr konnten nur noch die Besten der Besten vor Franks kritischen Ohren bestehen.
Zappa hat sich, zumindest für eine gewisse Zeitspanne, völlig der Musik verschrieben, seiner wohl stärksten Seite. Auf „Hot Rats“ findet man denn auch bis auf das von Cpt. Beefheart gesungene Zuhälter-Stück „Willie The Pimp“ keinen Gesang. „Burnt Weeny Sandwich“, die LP, die danach erscheint, die aber trotzdem etwa in der gleichen Zeit aufgenommen wurde, merkt man bereits an, daß eine neue Phase eingeleitet werden soll. Zwar spielen hier noch die alten Mothers mit, aber Gesang fehlt schon völlig, und die „heißen Ratten“ sind die einzig denkbare Weiterführung dieser Art Musik.
Trotz der einmaligen „Sandwich“-Platte bleibt „Hot Rats“ Zappas unumstrittenes Meisterwerk. Sein Sgt. Pepper, wenn man so will. Sämtliche Musikarten, mit denen er sich bisher beschäftigt hatte, wurden hier glänzend vermischt und integriert. Ein unvergleichliches Rock-Album und ein Klassiker ohnegleichen. „Mothermania“, ein anderes Album, das in dieser Zeit erschien, besteht aus alten Mothers-Stücken und ist der einzige Sampler, mit dem sich Frank einverstanden erklärt hat. Die 1970 erschienene LP „Weasels Ripped My Flesh“ ist aber die endgültig letzte Scheibe mit Mothers-Material. Es sind Live-Aufnahmen aus den Jahren 1967 bis 1969. Das von Frank schon seit damals versprochene 9er-Set mit alten Aufnahmen der „Mütter“ wird sich wohl noch gedulden müssen, denn nach wie vor ist Reprise, Zappas Plattenvertragsfirma, das Projekt zu unsicher und kostspielig. Frank würde es sehr gerne veröffentlichen, aber er will keinen Stunk mit der Firma, so daß letzten Endes die Bänder vermutlich als Dreifachkassette in den Handel kommen werden. Wenn sie überhaupt das Ufer erreichen …
Das Orchester-Experiment Ein kurzes Aufleben der Mothers gab es Mitte ’70 nochmal, als Zappa das Angebot erhielt, seine Musik mit einem Orchester aufzuführen. Und da hatte er ja noch nie nein sagen können. Um die Sache durchzuziehen, stellte er eine Band auf die Beine, die er als Mothers verkaufte, die aber weder musikalisch noch personell etwas mit der alten Formation gemein hatte. Ian ist dabei, Max Bennet, ein glänzender Studiobassist, „Shugarcane“ Harris an der Geige (beide auch auf Hot Rats“), Billy Mundi (mal wieder) und erstmals AynsJey Dunbar, den Frank in Belgien kennengelernt und direkt in die Staaten mitgeschleppt hatte. (Dort, in Amougie fand ein Avantgarde-Festival statt, wo Zappa mangels einer Band als Präsentator auftrat, schließlich aber bei jeder der engagierten Gruppen mitjammte. Unter anderem waren das Archie Shepp und Pink Floyd.) Die Leitung des Orchesters in L.A. lag in den Händen von Meister Zuban Mehta und die Sache ließ sich ganz gut an. Frank hat viel dabei gelernt.
Während einem dieser Konzerte lernte Zappa die Ex-Turtles-Sänger kennen. Howard Kaylen und Mark Volman tauchten ganz begeistert hinter der Bühne auf, und Frank, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hatte, versprach, etwas mit ihnen zu machen. Dank ihrer Bühnenshow waren sie für ihn genau das Richtige: „Sie haben genauso pervertierte und verrückte Ideen wie die Mothers“. Und überhaupt ist Humor eines der wichtigsten Auswahlkriterien für Musiker, die bei ihm mitspielen wollen. Zappa ist der Ansicht, daß derjenige, der nicht genügend Humor besitzt, unmöglich diese Art von Musik verstehen, geschweige denn sie vortragen könne. Aber er fand einige, die ihn in ausreichendem Maße besaßen: Jeff Simmons, einen sehr jungen Bassisten, der kürzlich auf Zappas Label seine erste Solo-LP vorstellte, Mark und Howie natürlich und Ian. Desweiteren den unerschöpflichen Aynsley und George Duke, einen Pianisten. Alles junge und großartige Musiker, die vor lauter Spielfreude jeden Moment zu platzen drohten. Das häßliche Image gehörte nun endgültig der Vergangenheit an, und ein neuer Name schien ihnen angebracht. Als Mothers war der Start erheblich leichter, also blieb es dabei.
Etwa neun Monate hatte Frank bis zu dieser zweiten Auflage der „Mütter“ keine feste Gruppe gehabt. In dieser Zeit entwickelte er sein Gitarrespiel zur Meisterschaft und versuchte, sie vermehrt in den Rhythmus zu integrieren. Überhaupt lag ihm, dem „ausgedienten“ Drummer, jetzt mehr an Rhythmen. Vor allem die beiden Trommler der Ur-Mothers waren ihm nie flexibel genug gewesen, ein Nachteil, mit dem nunmehr gründlich aufgeräumt wurde. Das erste Album dieser (ca. sechsten) Besetzung ist „Chungas Revenge“, auf dem dank Mark und Howie wieder erheblich mehr gesungen wird. Es erscheint 1970 und enthält ebenso freie Improvisationen wie kurze Songs und komische Experimentierstückchen. Frank ist von dieser Besetzung so begeistert, daß er ausruft: „Alles was sie machen, gefällt mir. Solange es sich im Rahmen des Songs hält, haben sie jede nur mögliche Freiheit“. Aynsley bringt Rock- und George lazz- und Blues-Aspekte in die Musik ein. Teile der Platte geben schon einen Vorgeschmack von Zappas gerade begonnenem Filmunikum „200 Motels“.
Nicht genug damit, daß Frank, der Wandelbare, seine Musik selbst schreibt, sie spielt, aufnimmt, produziert und verlegt und die Tourneen und Werbung mit vorbereitet. Nein, er dreht nebenbei noch Filme und widmet sich anderen Künstlern, die er produziert. Künstler, mit denen, wie er sagt, wichtige dokumentierende Platten gemacht werden können. „Rock’n’Roll sollen besser andere machen!“ Vom Standpunkt der Dinge 1975 aus, scheint er von diesem Grundsatz wohl ein wenig abgekommen zu sein, denn was ist „Apostrophe“ anderes als eine Rock’n’Roll-Platte?! Aber damals (1969) produzierte er wirklich nur wichtige Platten, wie z.B. die der All-Groupie-Band „GTO’s“, oder des Straßenpoeten Wild Man Fisher, oder Cpt. Beefhearts Klassiker „Trout Mask Replica“ oder, oder… Und wie bereits angedeutet, liefen bereits einige Filmpläne. Einer davon „Billy The Mountain“ verschwand mangels Finanzkraft schnell wieder in Franks weiten Schreibtisch-Schubladen, und nicht viel anders erging es dem „Uncle Meaf‘-Projekt, von dem zwar Ende ’70 bereits 40 Minuten abgedreht waren, wo schließlich aber auch das Geld ausging. Schon seit er die Schulbank verlassen hatte, interessierten Frank die verschiedenen Medien. Er wollte sie alle benützen, sich mit ihnen auseinandersetzen und befassen. Sobald ihm also jemand die nötige Kohle vorstreckte, war ziemlich sicher, daß er einen Film drehen würde.
Und „200 Motels“ wurde fertiggestellt, mit dem Geld von United Artists, wo später der Soundtrack dazu herauskam. Zappa nennt ihn eine „Surrealistische Dokumentation“, die sich mit dem Leben einer Rockband „on the Road“ befaßt, mit Groupies, Publikum und allem was so dazu gehört. Franks eigenwillige Erzählart fehlt auch hier nicht. Der Film ist sehr schwer faßbar, extrem, übersteigert und oft kaum verständlich. In nur sieben Tagen war er abgedreht, plus Schneiden und Übertragen dauerte das Ganze knapp einen Monat bis zur Fertigstellung. Mitwirkende sind neben Frank, der nur selten auftaucht, sein Double Ringo Starr, die GTO’s, Keith Moon, Teile der alten und neuen Mothers, Roadmanager, Techniker, einfach alle, die zufällig gerade in der Nähe waren. Weil die Mothers natürlich keine durchschnittliche Band darstellen – und um sie geht es ja schließlich – ist es auch kein durchschnittlicher Film geworden. Nicht zu vergessen, daß es der erste abendfüllende Kinofilm war, der mit dem neu entwickelten Video-System abgedreht wurde. Zappa war allen andern mal wieder ein ganzes Stück voraus. Momentan plant Frank ein neues Opus, mit echten Schauspielern und nicht unbedingt das Thema Rockmusik betreffend. Mal sehen, was dabei herauskommt…
Inzwischen hatten die Musiker wieder gewechselt, und für Jeff kam Jim Pons, ebenfalls von den Turtles, in die Gruppe. George machte „good old“ Don Preston Platz, ansonsten aber unverändert reisten sie mal wieder nach Europa. Die deutschen Fans werden dabei von einem Stück überrascht, das in deutsch gesungen ist und sich „Sofa“ nennt. Aber schlimme Dinge werfen ihren Schatten voraus! Bereits am Anfang der Tour brannte in Montreux in der Schweiz, erst der Saal, dann die gesamte Halle und natürlich die vollständige Anlage der Mothers ab. Frank wollte sofort nach Hause zurückkehren, fügte sich aber dann doch dem Veto der Gruppe, die verständlicherweise mit dem Geld gerechnet hatte. Sie liehen sich eine Anlage zusammen, aber schon beim folgenden Konzert im Londoner „Rainbow“ geschah ein weiteres Unglück. Frank wurde von einem eifersüchtigen Fan gegriffen und in den Orchestergraben geworfen. Die Folgen: Ein komplizierter Bein- und ein Rippenbruch, Platzwunden am Kopf und nicht zuletzt das Ende einer weiteren Mothers-Besetzung.
„Ich konnte nicht arbeiten, also konnte ich sie auch nicht bezahlen“, bedauert Frank später. Nach seinem Krankenhausaufenthalt in London war er noch monatelang an den Rollstuhl gefesselt, während die Gruppe sich unter der Leitung von Mark und Howie als „Flo and Eddie“ neu formiert. Nach einer Tour mit Alice Cooper und zwei, nur wenig erfolgreichen LP’s jedoch ist auch dieses Kapitel beendet. Frank hat inzwischen das Komponieren wieder aufgenommen, und man findet ihn fast nur noch in einem der Studios in L.A.. wo er bis in den frühen Morgen hinein verbissen plant und arbeitet. Die lange Wartezeit überbrückt er mit „Live“-Material der letzten Gruppe bzw. den beiden Alben „Just Another Band From L.A.“ und „The Mothers/Fillmore June, 1971“. Gleichzeitig die letzten Aufnahmen, auf denen Mark und Howard zu hören sind. Zappas langwieriges Tüfteln in diesen Monaten hat natürlich Früchte getragen, und was für welche… „Waka/Jawaka“ heißt sein erstes Studioalbum seit „Cungas Revenge“ zwei Jahre davor, und es bietet viel Musik, wenig Text und einen glänzenden Gitarristen, nämlich Frank. Am besten, man sieht darin einen Nachfolger für „Hot Rats“.
Etwa in der gleichen Zeitspanne, in der Rollstuhl-Periode, schrieb Zappa auch erstmals die Musik für ein „elektrisches Orchester“, wie er es gerne nennt, das Grand Wazoo-Orchesrra. Die Truppe, die er dafür auf die Beine stellte.
Die High Speed Dancers-eine Szene aus Frank Zappas Chaoten-Film „200 Motels“.
umfaßte annähernd 20 Musiker, von denen man nur ganze drei Gesichter kennt: George Duke, Aynsley und Don Preston. Sämtliche Mitglieder ergeben die „erste Garnitur“ der Studio- und Orchestermusiker an der Westküste, ebenso Jazz- wie Klassik-Beeinflußte. Die Musik der „Grand Wazoo“-LP ist ernster denn je, so richtig wertvoll und mit zeitgenössischen Elementen durchsetzt. Deutlich erkennt man wieder Franks Zuneigung zur orchestralen Musik. Ein wirklich reifes, überzeugendes Stück Arbeit. (Nach der Polit- und Instrumentalphase folgte nun die klassische, oder was?) Mit dieser 20köpfigen Gruppe gab er ganze acht Konzerte auf dem Erdball, die beiden europäischen (Den Haag und Berlin) darunter. Zappa, dem seine Beinoperation noch schwer zu schaffen machte, zupfte dabei nicht wie erwartet die Gitarre, sondern dirigierte von vorne, in typischer Pose sein Rock-Orchester und bewies, daß er auch diese Spielart perfekt beherrscht.
Wenn Zappa in einem Pariser Nightclub aufkreuzt, wird’s spannend…
Mit der Zeit ist Frank zu der Überzeugung gelangt, daß seine verschiedenen musikalischen Reisen besser in kleineren Dosierungen zur Geltung kämen. Er möchte künftig in kürzeren Abständen grundverschiedene Bands mit stets anders klingender Musik formieren. Daher ist leicht verständlich, daß seine nächste LP ziemlich das Gegenteil von „Grand Wazoo“ darstellt. In weitaus kleinerer Besetzung und wieder ziemlich rockorientiert erscheint „Overnite Sensation“, mit der Creme de la Creme an Musikern. Frank hatte das Glück, mit dem französischen Geiger Jean Luc Ponty zusammenzuarbeiten, der bereits vor Jahren eine Platte mit Zappa-Musik (King Kong) herausgebracht hatte. Außerdem war der grandiose George Duke wieder mit von der Partie und der schon verschollen geglaubte Ian Underwood. „Um mit solch exzellenten Musikern zu spielen, werden an den Sänger natürlich hohe Anforderungen gestellt. Wenn einer erstmal Wochen dazu braucht, den Text zu kapieren, ist es zwecklos. Also habe ich mich entschlossen, jetzt selber zu singen“, erläutert Frank die größte Überraschung der Platte. Nie zuvor hatte er es gewagt zu singen, aber recht so: Wer sollte seine pervertierten, verrückten, doppelsinnigen Texte optimaler bringen als er selbst.
Es ist eine sehr jazzige Truppe, und Frank ist begeistert: „Die jetzige Mothers sind die erste Formation von der ich behaupten kann, daß sie die technischen Fähigkeiten besitzt, selbst die schwierigsten Stücke auswendig zu spielen. Man kann und sollte sie mit keiner meiner früheren Gruppen vergleichen. Es ist die außergewöhnlichste Band, die ich je hatte!“ Neben den bereits erwähnten Assen findet man Bruce und Tom Fowler an Posaune bzw. am Bass, Ralph Humphrey am Schlagzeug und Ian’s Frau Ruth Underwood an den Percussions. Sie hatte schon auf Spielart perfekt beherrscht.
ein herrlicher Trompeter (von „Grand Wazoo“), stieg leider nach einigen anstrengenden Tourneen wieder aus. In Los Angeles wurde so hart geprobt wie nie zuvor und danach folgen Konzerte und ausgiebige Touren um die ganze Welt. Diese Gruppe wurde mit Titeln wie „großartigstes, zeitgenössisches Musik-Ensemble“ überhäuft und wer sie hört, wird dem begeistert zustimmen. Nach nicht allzu langer Zeit jedoch löste sich Ponty von Zappa und stieg beim Mahavishnu Orchestra ein, Ian fühlte sich mal wieder zu kurz gekommen (musikalisch) und wollte endlich was eigenes auf die Beine stellen, und auch Ralph verschwand wieder. Mit Napoleon Murphy Brock, der Frank künftig beim Singen tatkräftig unterstützt und noch nebenbei bläst, und dem Drummer ehester Thompson fand Zappa neue, gute Leute. Kurzzeitig war auch Jeff Simmons wieder dabei, allerdings diesmal an der Gitarre.
1974 feierten die Mütter ihr zehnjähriges Bestehen. Aus diesem Grunde wahrscheinlich rief Frank noch schnell sein drittes Label „Discreet“ ins Leben und eine erneute Europa-Tournee mußte dafür herhalten. In Paris wurde ein rauschendes Freak-Fest im „Alcazar“ gefeiert, wie es diese Stadt noch nicht gesehen hatte. Und nicht zuletzt erreichte das folgende „Jubiläums“-Album „Apostrophe(‚)“ als erstes Zappa-Produkt die amerikanischen und englischen Top 10. Die Mothers in den Charts – es geschehen noch Zeichen und Wunder! Frank hatte sich von jeglicher festen Formierung getrennt und die LP mit sage und schreibe fast dreißig Musikern aufgenommen, darunter Jack Bruce, Jim Gordon, „Shugarcane“ und Ponty und alte und neue Mothers-Teile. Es ist Zappas inzwischen fünftes, sogenanntes Solo-Album und sein bis heute eingängigstes.
Trotzdem ein intelligentes Rock’n-Roll-Album. Es folgte erneut eins von den begehrten Live-Plattenwerken, von denen Frank, wenn er wollte, noch mindestens zwanzig herausbringen könnte, da bei ihm jedes einzelne Konzert mitgeschnitten wurde und noch wird. „Roxy and Elsewhere“ heißt es und paßt genau zwischen „Apostrophe“ und dem bis heute letzten „One Size Fits All“, einem neuerlichen Studioalbum in kleinster Besetzung. Zappas feste Gruppen gehören endgültig der Vergangenheit an. Die kurzzeitigen Formationen werden meist nur für ein Album und die folgende Promotion-Tournee zusammengestellt. Zappas scharfer Blick für gute Leute und das nie versiegende Reservoire an starken Musikern in L.A. wird aber nichtsdestoweniger auch in Zukunft möglich machen, seine musikalischen Pläne und Ideen perfekt ins Bild zu setzen. Die bislang letzte Formation besteht aus Ruth, ehester, Tom, Napoleon und dem frühen Freund und Superfreak Cpt. Beefheart, mit dem Frank seit vielen Jahren eine Art Haßliebe verbindet. Frank wird immer geeignete Musiker finden, selbst wenn Aynsley recht haben sollte, wenn er einmal sagte: „Dieser Mensch ist ein Genie, aber er zahlt schlecht!“
„Die Mothers spielen heute mehr Popmusik als je zuvor. Aber so schlecht die Popmusik auch sein mag, sie ist immer noch weitaus besser, als alles was sonst gespielt wird. Mich interessiert einzig und allein, ein ganz bestimmtes musikalisches Bewußtseinsbild zu erweitern. Und davon möchte ich mich auch möglichst wenig lösen.“ Und weil er der einzig kompetente Mensch ist, der über sein Werk sprechen kann, lassen wir ihn noch mal zu Wort kommen: „Mein ganzes Material gehört zu einem großen Werk, das man nicht gesondert betrachten kann und auch nicht sollte. Alles zusammen ist ein einziges Album mit austauschbaren Teilen.“