Reflektor

Der Messias ist wieder da: Wie Frank Z. seinen Weltekel mit Melancholie & geschmackvoller Rockmusik vermischt


Jan Müller von Tocotronic trifft für seinen „Reflektor“-Podcast interessante Musiker*innen. Im Musikexpress und auf Musikexpress.de berichtet er von diesen Begegnungen. Hier die 24. Folge seiner Kolumne, in der er die bisherige Karriere von Abwärts-Sänger Frank Z. genauer unter die Lupe nimmt.

Meine erste Begegnung mit Frank Z. von Abwärts hat 1987 stattgefunden. Ich saß ihm in der Hamburger U-Bahn gegenüber. Sein Gesicht kenne ich, seit ich zwölf bin. Ich erkannte Z. in der U3 auch deshalb, weil in der Fernsehsendung „OffBeat“ einige Tage zuvor der Clip „Alkohol“ gelaufen war. Das ist neben „Computerstaat“ vermutlich der einzige kommerzielle Erfolg in der langen Karriere der Band.

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„Alkohol“ hat bis heute nichts von seinem Zauber verloren. Der Text ist eine geniale Reduktion des Charles-Aznavour-Hits „Du lässt Dich gehn“. Frank Z. extrahierte die wesentlichen Zeilen des Songs und entfernte die im Original enthaltene Misogynie. Außerdem fügte er noch einen Refrain hinzu: „Keiner kommt raus aus diesem Haus, dieser Salon hat keine Tür.“ Zurück bleibt Bitterkeit. Allerdings gibt es wohl kaum einen Song, der für uns Hörer*innen Frust und Enttäuschung so sanft und poppig zu kanalisieren versteht.

Erstaunlich, welche Quintessenz ihres Schaffens Künstler*innen oft schon in ihren frühestens Werken liefern

Zurück in der U-Bahn: Frank Z. guckte mürrisch. Aber er wirkte ganz und gar nicht unfreundlich. Natürlich sprach ich ihn nicht an. Er trug ein gestreiftes Shirt, eine Lederjacke und Blue Jeans, aber keine Uhr. Obwohl es im ersten veröffentlichten Song von Frank Z. heißt: „Und ich heiß’ Frank und hab’ ne Uhr um und mir ist das alles scheißegal.“ Es ist schon erstaunlich, welche Quintessenz ihres Schaffens Künstler*innen durchaus oft schon in ihren frühestens Werken liefern.

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Zumal bei Frank Z., der mit Abwärts in einer Band spielt, die wirklich erstaunliche Entwicklungen vollzog. Z., der gelernte Schriftsetzer, gehörte immer zur expliziten Fraktion in der multipolaren Band Abwärts. Die Künstlerin Margita Haberland war Teil der ersten Abwärts-Besetzung. Sie spielte eine sägende Geige und teilte sich zum Teil den Gesang mit Z. Nachhören kann man das auf dem grandiosen Debütalbum AMOK KOMA (von 1980). Die Abwärts-Mitglieder Mark Chung und FM Einheit spielten ab 1981 parallel bei den Einstürzenden Neubauten.

DER WESTEN IST EINSAM ist ein düsteres Meisterwerk

All das sorgte dafür, dass Abwärts ganz anders klangen als die übrigen Hamburger Punkbands, aber eben auch anders als die Avantgarde-Gruppen der New-Wave-Sektion. Nach dem ersten Album verließ Haberland die Band. Abwärts produzierten 1982 mit DER WESTEN IST EINSAM ein düsteres Meisterwerk. Die Single-Auskopplung „Beim ersten Mal tut’s immer weh“ verirrte sich auf einige NDW-Sampler. Der verstörende Song verwirrte bestimmt nicht nur mich, sondern auch viele andere Kinder, die „Ich will Spaß“ von Markus lustig fanden.

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Wenig überraschend erfüllte DER WESTEN … nicht die kommerziellen Erwartungen des Majorlabels Phonogram. Abwärts mutierten zum Synth-Pop-Duo und nahmen die argwöhnische Hymne „Olympia“ auf. Unglücklicherweise veröffentlichte das neue Label Totenkopf die Platte erst nach den Olympischen Spielen 1984. Frustriert warf Z. das Handtuch und kehrte erst 1987 mit dem oben erwähnten Song „Alkohol“ zurück. Der Song ist auch auf dem wundervollen, schlicht ABWÄRTS betitelten Pop-Album enthalten.

„Die Reise“ ist einer der schönsten Songs, den ich überhaupt kenne

1990 veröffentlichten die zum Quintett angewachsenen Abwärts dann jedoch mit ICH SEH DIE SCHIFFE DEN FLUSS HERUNTERFAHREN ein Rockalbum. Es ist neben AMOK KOMA und DER WESTEN … eines der großen Alben der Band. Selten hat Frank Z. seinen Weltekel so gekonnt mit Melancholie und geschmackvoller Rockmusik vermischt. Mit wechselnden Besetzungen bestehen Abwärts bis heute fort. Sie veröffentlichten auch nach 1990 noch einige sehr hörenswerte Titel. „Sonderzug“ ist ein Abgesang auf jede Illusion einer nach dem Kalten Krieg besseren Welt und der Shanty „Die Reise“ ist einer der schönsten Songs, den ich überhaupt kenne: „Die Segel sind voll gesetzt wenn wir versinken“.

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Die Band wechselte die Plattenfirmen wie Hemden. Fragwürdige Metal-Einflüsse brachten keinen Erfolg. Das Album V8 beendete diese Entwicklung zwar, dafür aber brachen sich Z.s Aversionen zunehmend in vulgären Texten Bahn: „Hallo Schwachkopf, Papageiengehirn, spürst du nicht, dein Geist beginnt sich zu verwirren“. Es erfordert schon eine spezielle Stimmung, um die V8 aufzulegen. Für die gegenwärtige Zeit ist das Album jedoch durchaus geeignet.

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Heute machen Abwärts noch immer harten Rock mit einem leichten Industrial-Einschlag. Ich empfehle euch vor allem, sie euch live anzuschauen. An der Gitarre ist übrigens Rod Gonzalez, der den Anstand hat, sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Im Reflektor-Interview stellte ich fest, dass Z. jegliches Lamento fremd ist. „Ich komm schon klar“, antwortet er knapp auf meine Frage nach den wirtschaftlichen Umständen. 2019 hat er nach 15 Jahren Kreuzberg den Rücken gekehrt, weil er „die Schnauze voll“ hatte „vom grünen Disneyland“. Im Frühjahr erscheint das neue Album SUPERFUCKER. Die erste Single heißt „Allein unter Flaschen“. Ich freu’ mich drauf!

Zu Jan Müllers „Reflektor“-Podcast: www.viertausendhertz.de/reflektor

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 02/2023.