Fisches Fraullein
von den Amerikanern zum Neuen Deutschen Fraulleinwunder gehypt, von den Medien abgeschossen und erst kurz vor dem tragischen Tod ihres Sohnes wieder ausgegraben. Nena kennt nicht nur die Höhen des Pop-Geschäftes. Martina Wimmer blickte tief runter bei Frau Susanne Kerner.
Nena 1982: Mit Streifenjeans und T-Shirt erobert sie in ihrem ersten Musikladen-Auftritt frisch, jung und ungestüm die Nation. „Nur geträumt“ wird kurz darauf ihr erster Hit. Was danach kommt, ist deutsches Allgemeingut: „99 Luftballons“, „Rette mich'“, „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ – viele Hits und goldene Schallplatten. Vier Jahre spater ein Flop nach dem anderen, Knatsch in der Band und 1987 die endgültige Trennung.
Nena 1989: Ganz in Schwarz, vom Scheitel bis zur Sohle ihrer hochhackigen Schuhe. Nena sieht gut aus, sehr fraulich, und auf der neuen Platte singt sie sogar ein Stück französisch. Doch das Gerede von der neuen Nena, der seriösen Chanteuse irgendwo zwischen Juliane Werding und Bettina Wegner hört die mittlerweile 29jährige gar nicht gerne; „Mein Gott, ,die neue Nena‘, das ist schon wieder so eine Bewertung. Soll ich mich jetzt hinstellen und sagen: ja, ich bin unheimlich reif und erwachsen geworden ? Wenn du das findest, nachdem wir gesprochen haben, ist das in Ordnung. Ich selber kann das sowieso nicht beurteilen. „
Also gut: ich finde Nena ist nett, natürlich und unkompliziert und glücklicherweise weit davon entfernt, erwachsen, sprich ernsthaft langweilig zu werden. Richtig geraten: „Die Unbeschwertheit von damals, die hab‘ ich immer noch, aber die spielt sich jetzt auf einer anderen Ebene ab. Ich laufe nicht mehr so kopflos in alle Sachen rein, und hoffe, daß schon alles gut gehen wird. Ich denke jetzt vorher mehr nach. Aber das ist wohl nichts besonderes nach den Erfahrungen der letzten Jahre. „
Die Erfahrungen der letzten Jahre – für Nena war das nicht nur der klassische Kometenflug eines Blitz-Popstars, sondern auch (als perfekter Medienfraß für die Regenbogenpresse) die Geburt und der Tod ihres behinderten Sohnes Christopher. Die ungewollte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat die Sache für sie nicht leichter gemacht. „Ich bin nach Christophers Tod mit Benny, meinem Mann, nach Hawaii geflogen. Er ist Schauspieler und konnte das Engagement, das er dort hatte, nicht plötzlich kündigen. Und alleine hätte ich es in Berlin zu der Zeit nicht ausgehalten. Es gab Journalisten, die sind uns dorthin nachgereist, um mich zu sprechen, oder haben die ganze Stadt nach Christopher’s Grab abgesucht und meine Familie in Berlin völlig tyrannisiert. Ich hatte damals wirklich nichts zu erzählen und war sehr wütend, daß sie mich nicht in Ruhe lassen konnten. „
Jetzt, zehn Monate nach Christophers Tod kann Nena viel erzählen, ruhig, fast abgeklärt und sympathischerweise ohne das geringste Fünkchen Selbstmitleid oder Tragik. “ Christopher war eine totale Persönlichkeit, und die Kraft, die ich in dem Jahr mit ihm brauchte, kam nur von ihm. Ich habe den von Anfang an Ernst genommen und auf ihn gehört. Er konnte zwar nicht sprechen, verbal, aber er hat sich mir auf andere Art mitgeteilt. Er wollte sterben, das war seine Entscheidung, und wir wußten, so sehr wir uns dagegen sträubten, wir müssen seinen Willen akzeptieren. Das klingt jetzt im Nachhinein natürlich wesentlich einfacher uls es tatsächlich ist. Über sowas kommst du nie richtig weg.“
Nena hat sich selbst therapiert, sechs Monate hat sie in der Abgeschiedenheit eines Schweizer Alpentales („Das war richtig ruhig und idyllisch dort…“) mit Vollenweider-Schlagzeuger Walter Keiser und Phil Carmen am neuen Album WUNDER GESCHEH’N gearbeitet. „Die Idee diese Platte zu machen, hatte ich die ganze Zeit über, aber ich habe mich halt mit dem Kind so intensiv beschäftigt. Ich hab‘ mir eine Zeitlang eingebildet, ich könnte die Platte parallel dazu machen, aber ich weiß heute, das wäre nie gegangen. „
Rund um die Uhr hat sich Nena ein Jahr lang der Pflege ihres behinderten Kindes gewidmet, der böse Traum, den so viele sensationshaschende Journalisten draus machen wollten, war für Nena Alltagsrealität, von der sie heute sagt: „Es war eine unheimlich schöne Zeit, und vor allem eine unheimlich positive Zeit. Es war ja nicht so, daß wir nur zu Hause gesessen sind und geweint und gelitten haben. Das Kind hat uns wahnsinnig viel Kraft und Energie gegeben. „
Genug Energie, um traumatische Erinnerungen (Nena hatte bei der Geburt wegen einer weheneinleitender Spritze einen Herzstillstand, durch die fehlende Sauerstoffzufuhr erlitt ihr Kind den schweren Gehirnschaden) abzuschütteln und den Blick wieder nach vorne zu richten.
„Naturlich will ich wieder Kinder haben, ich wollte immer Kinder haben und daran hat sich auch jetzt nichts geändert. Aber das hat Zeit, man muß ja nicht immer alles auf einmal machen. Jetzt hab‘ ich erstmal meine Pläne gemacht.“
Für sich und wohl auch für ihren Sohn. Christopher ist auf WUNDER GESCHEH’N hörbar präsent. „Du bist überall“ heißt denn auch ein Stück aus der eher melancholisch-melodiösen Song-Kollektion. Der Rotz der frühen Jahre, das pubertäre Aufmotzen ist eindeutig verschwunden. „Die Platte klingt so wie ich mich zu der Zeit gefühlt habe. Sicher ist da eine ganze Menge von meiner Trauer mit drin. Die nächste wird wohl ganz anders werden. Damit will ich aber jetzt nichts abwerten, ich fühl‘ mich wohl mit der Platte, die ich gemacht habe. „
Mit ihrer Vergangenheit hat sie dabei keine Probleme. Nena will Nena bleiben, auch wenn Ex-Nena-Gitarrist Carlo Karges Prozesse wegen des ehemaligen Band-Namens anstrebt.
„Der Carlo hat echt ’n Problem, der kann einfach die Vergangenheit nicht loslassen. Was der so erzählt, von wegen die Band-Mitglieder wären jeweils mit 100 000 Mark abgespeist worden, damit ich meine Solo-Karriere starten kann, ist wirklich vollkommener Quatsch. Und von wegen Namensrecht – Nena heiße ich schon, seil ich drei Jahre alt bin. „
Mit dem Rest der ehemaligen Nena-Band ist sie nach wie vor eng befreundet, Gitarrist Jürgen Dehmel hat zu der neuen Platte sogar einige Kompositionen und Arrangements beigetragen. Zu anderen NDW-Veteranen und Charts-Mitstreitern aus ihrer großen Zeit Anfang der Achtziger hat sie keine Kontakte mehr. „Doch!“, Nena kichert, „Markus hab‘ ich neulich mal zufällig in Frankfurt getroffen. Das war lustig, den mal wieder zu sehen. „
Der Blick nach vorne gestattet keine Sentimentalitäten.Oder doch? „Natürlich muß ich erst abwarten, wie meine neue Platte ankommt, schließlich ist die Musik schon sehr verschieden von dem, was man von Nena kennt. Aber ich würde wirklich wahnsinniggem wieder auf Tour gehen. Schließlich möchte ich doch endlich mal wieder , 99 Luftballons‘ spielen „.