Erst Vorsicht, dann purer Hedonismus: Bei Faber auf dem ersten Picknick-Konzert
„Das Einzige, was ihr wirklich nicht dürft, ist euch gegenseitig auf die Decken zu springen“, fasst Faber die Corona-Regeln des Abends in Leipzig zusammen. Kann man sich da überhaupt richtig locker machen? Darf mitgesungen und getanzt werden? Hier kommt unsere Review zum Faber-Konzert im Picknick-Format.
Zu Beginn regiert vor allem die Vorsicht. Das alte Messegelände in Leipzig liegt verlassen da, nur vereinzelt und mit Abstand stromern Menschengruppen zu der großen Wiese, auf der innerhalb von präzise abgesteckten Markierungen Picknick-Decken ausgebreitet sind. Das Gelände darf man nur mit einem Mund-Nasen-Schutz betreten, wer sich etwas zu nah an eine fremde Decke bewegt, erhält einen strafenden Blick. Es hat sich einiges geändert.
Die Erwartungen sind hoch, die Verunsicherung auch.
Die zuletzt besuchten Konzerte liegen bei den meisten mehr als sechs Monate zurück, kurz danach kam der Corona-Lockdown und damit die staatlichen Regulationen für Großveranstaltungen. Und nun? Nun sitzen Menschen grüppchenweise wieder zusammengedrängt auf ausgebreiteten Decken, vor sich Drinks und Essen aus Tupperdosen. Sie alle warten auf Faber, der an diesem letzten Donnerstagabend im Juli bei dem allerersten der sogenannten Picknick-Konzerte auftreten soll. Die Erwartungen sind hoch, die Verunsicherung auch.
Was darf man eigentlich?
Es ist ein komisches Gefühl, mal wieder vor einer Bühne zu sein (und da zu sitzen) – fast, als würde man etwas Verbotenes tun. Was darf man noch auf einem Live-Konzert? Was darf man wieder? Der totalen Ausgelassenheit steht eine gewisse Vorsicht gegenüber, die sich in den Augen der meisten Zuschauer*innen auch widerspiegelt. Dabei ist das Konzept der Picknick-Konzerte sichtlich einfach: Um der angeschlagenen Musikindustrie wieder etwas auf die Beine zu helfen, haben Landstreicher Booking ein neues Konzertformat ins Leben gerufen – eine Mischung aus Open-Air-Show und privater Picknick-Veranstaltung. Jede*r Besucher*in darf zwei Liter an Getränken (pro Person!) mitnehmen, auch selbst mitgebrachtes Essen ist erlaubt. Die Regel lautet nur: Bleib auf deiner Decke. Und wenn du doch einmal auf die Toilette musst, heißt es Abstand halten und Maske aufsetzen.
Der Sound ist nicht gerade ideal. Es ist zu leise.
Als Faber gemeinsam mit zwei seiner Bandmitglieder die Bühne betritt, wird es im Publikum kurz unheimlich still. Zu groß ist die Vorfreude und zu hoch die Erwartungshaltung, die bei einem Preis von 50 Euro pro Ticket sicherlich auch legitimiert ist. Dann zunächst die ernüchternde Erkenntnis: Der Sound ist nicht gerade ideal. Es ist zu leise. Schon nach den ersten zwei Songs kommen die ersten „Lauter!“-Rufe, woraufhin sich Faber das erste Mal an das Publikum wendet. Der 27-jährige Schweizer zuckt entschuldigend mit den Schultern und erklärt, dass das leider nicht ginge und es grundsätzlich einige Regeln gäbe, an die wir uns alle hier zu halten hätten. „Für uns alle ist die Situation neu“, erklärt er. Faber selbst dürfe sich seinem Posaunisten auf der Bühne nicht nähern, da er eine „Corona-Schleuder“ sei. In Leipzig dürfe die Crowd offiziell nicht tanzen, in Dresden nicht mitsingen. „Das Einzige, was ihr wirklich nicht dürft, ist euch gegenseitig auf die Decken zu springen“, sagt Faber und lacht. Das kollektive Wissen um die Absurdität der gesamten Situation löst die Anspannung. Der Bann ist gebrochen.
Aktion und Reaktion – alles funktioniert
Der Abend entwickelt sich zu einem dynamischen Ballwechsel, eine Komposition aus Aktion und Reaktion zwischen Band und Publikum. Auf drei ruhige Songs, darunter eine wunderbare Akustik-Version von „Highlight“ aus Fabers zweitem Alben I FUCKING LOVE MY LIFE, folgen das schnellere „Top“ und „Sag mir wie du heißt Part 1“, damit sich die Zuschauer*innen nicht jedes zweite Lied wieder hinsetzen müssen. Es ist ein vorsichtiges Herantasten. Wer bereits ein Faber-Konzert erlebt hat, kennt die Energie seiner Goran Koč y Vocalist Orkestar Band, die jedem Lied – sei es Chanson oder Balkan Brass – eine magnetische Sogkraft verleiht. Umso beeindruckender ist es, dass dieselbe Wirkung auch an diesem Abend erzeugt wird – auch wenn bloß drei Musiker auf der Stage stehen. Schlagzeuger und Posaunist Tillmann Ostendarp beherrscht beide Instrumente gleichzeitig, der Cellist und E-Bassist Janos Mijnssen gibt den Songs die Tiefe, die sie brauchen.
https://www.instagram.com/p/CDTTYqzhOjN/
Faber ist nicht gleich Faber.
Und dann natürlich Faber selbst: Der Singer/Songwriter, der mit bürgerlichem Namen Julian Pollina heißt, genießt im deutschen Musikjournalismus einen Ruf irgendwo zwischen genialer Gesellschaftskritiker und arroganter Sexist. Sein Spaß am Rollenspiel wird häufig falsch verstanden, das Narrativ verdreht. Denn Faber ist nicht gleich Faber. So singt er mal über die paradoxe Lebensweise der Millennials („Fliegst nach Lima in den Urlaub / Und nach China zu ’ner Klimakonferenz“), mal aus der Sicht eines AFD-Wutbürgers, dann wieder aus der Perspektive eines übergriffigen Groupies. Und das mit einer Intensität und Überzeugungskraft, sodass die allgemeine Verwirrung darüber, wer Faber denn nun eigentlich ist, durchaus nachvollziehbar ist. Doch Zeilen wie „Die einen ertrinken im Überfluss / Die anderen im Meer“ lassen einen nicht nur aufhorchen – sie zeigen ein Talent, das diesen Musiker von einem Großteil der deutschen (bzw. schweizerischen) Poplandschaft abhebt: Faber spiegelt die Gesellschaft in all ihrer Widersprüchlichkeit. Dass er damit zwischendurch auch aneckt, ist klar. Niemand fühlt sich gerne ertappt.
Ein bisschen Eskapismus noch, bitte!
Die Sonne geht unter, Faber steht alleine auf der Bühne und singt einen italienischen Chanson. Einige Menschen kuscheln auf ihren Picknickdecken, andere öffnen noch eine Flasche Wein und zünden sich eine neue Zigarette an. Die zuvor herrschende Vorsicht weicht einem neu erwachten Hedonismus, je länger sich der Abend erstreckt. Bei einer ausgelassenen Version von „Nichts“ tanzt das Publikum bereits außerhalb der Decken, eine junge Frau sitzt auf den Schultern eines Freundes. Als die Band nach zwei Stunden Konzert und einigen Zugaben die Bühne verlässt, sind die Zuschauer*innen noch nicht bereit zu gehen. Nicht jetzt, wo die Endorphine gerade erst ausgeschüttet wurden und vor allem nicht jetzt, wo der Wunsch nach Eskapismus kurz befriedigt wurde. Denn, wie Faber in seinem Song „Jung und dumm“ singt: „Es gibt immer was zu saufen / selten was zu feiern.“ An diesem Abend gab es das.