„Enola Holmes” auf Netflix: Young-Adult-Kitsch und formelhafter Feminismus


Netflix' Film um die Schwester des berühmten Sherlock Holmes versucht sich an Wokeness. Doch statt einer facettenreichen Protagonistin darf Millie Bobby Brown nicht mehr sein als das „aufgeweckte, drollige Mädchen“.

Es kommt, was kommen muss: Enola flieht, als Junge verkleidet, nachdem sie die ersten Rätsel der Mutter entschlüsseln und das kleine Vermögen, das Eudora ihr hinterließ, finden konnte. Und diese Flucht bringt einige Bilder mit sich, die unweigerlich Erinnerungen an die ersten Harry-Potter-Filme zu Tage fördern. Der Zug, in dem Enola im roten Sechserabteil sitzend, durch grüne Wiesen und über lange Brücken über tiefe Schluchten prescht, könnte genauso gut der „Hogwarts-Express“ sein. Man wartet geradezu darauf, dass ein*e Service-Mitarbeiter*in vorbeikommt, um Schokofrösche, Gummischnecken oder Bertie-Botts-Bohnen feilzubieten. Aber alles, was Jack Thorne („A Long Way Down“), der das Drehbuch basierend auf der gleichnamigen Buchreihe von Nancy Springer anfertigte, anzubieten hat, ist ein Junge, der sich aus dem Koffer schält, sobald die Fahrt losgeht. Der junge Lord Viscount Tewksbury (Louis Partridge) flieht ebenfalls, stürzt Enola in eine unnötige Teenie-Romanze und beschert dem Plot gleichermaßen unnötige Umwege.

Gut gemeinter Feminismus

In London angekommen, trennen sich ihre Wege zunächst, bleiben aber trotzdem miteinander verbunden. Enola macht sich daran, ihre Mutter ausfindig zu machen und gerät dabei in einen Suffragetten-Zirkel hinein, der Einfluss auf eine wichtige Abstimmung im Parlament nehmen möchte. Spätestens dann verschreibt sich „Enola Holmes“ ganz und gar dem feministischen Anspruch seiner Geschichte, weiß aber nicht mit mehr als Plattitüden aufzuwarten, die selbst für jugendliches Publikum keine Neuigkeiten darstellen dürften. Gebetsmühlenartig wiederholen die weiblichen Figuren, mehr als Ehe- und Hausfrau sein und sich mit mehr als Kochen und Putzen beschäftigen zu wollen, und muten mit diesem bescheidenen Anspruch doch nur unfortschrittlich an. Eigene, spannende feministische Perspektiven, die individuell zu seiner Protagonistin passen könnten, entwickelt der Film unter der dem Druck, mit aller Macht plakativ zu sein, leider nicht.

So bleibt „Enola Holmes“ der Versuch, einer Männergeschichte vorsichtig eine formelhaft-feministische Randnotiz hinzuzufügen. Es wäre erfreulicher gewesen, hätte man den Mut gezeigt, selbstbewusst eine völlig neue Geschichte zu erzählen, als sich in ein Fan-Universum zu begeben, in dem Enola nie mehr als ein „Die-Schwester-von“ sein kann. Zu allem Überfluss wird beim Rätsellösen der große Bruder auch noch zitiert: Wenn die Scrabble-Buchstaben durchs Bild fliegen, fühlt man sich unweigerlich an Guy Ritchies „Sherlock Holmes“-Reihe mit dem stets laut vorausplanenden Robert Downey Jr. in der Hauptrolle erinnert. Und dennoch kann weder das Rätsel um die verschwundene Mutter noch um die Jagd auf den geflohenen Lord – beide gehen schließlich ineinander auf – Spannung erzeugen.

Am Ende ist „Enola Holmes“ dank der überzeugenden Performance Millie Bobbie Browns ein charmanter, aber langatmiger Film in einem hübschen Setting, der so gerne „woke“ sein möchte, seinem Anspruch aber leider zu keinem Zeitpunkt gerecht wird.

 „Enola Holmes“ ist ab dem 23. September im Netflix-Abo verfügbar.

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