Ende der Stille
Vor zwei Jahren sorgten Goldfrapp für eine leise, melancholische Popsensation. Jetzt marschiert das britische Duo Richtung Disco - ein Schock für seine Fans?
Der Start hatte ihnen kaum besser gelingen können: Sängerin Alison Goldfrapp und Soundmaler Will Gregory lieferten auf ihrem Debütalbum Felt Mountain nicht nur eine überzeugende Synthese aus sehnsuchtsvollem Gesang und cineastischen Klangkulissen, ihre Musik kam auch zur richtigen Zeit. Nach der verpufften Millenniumseuphorie lag eine neue Nachdenklichkeit in der Luft, die Goldfrapp wie selbstverständlich zum Ausdruck brachten. Außerdem fing ihr Album bei vielen Fans getragener Klänge die Enttäuschung über das zweite Portishead-Album auf, das die sich vorausdenkender gewünscht hatten. Dass gerade Alison Goldfrapp dieses Bedürfnis befriedigen konnte, kam nicht von ungefähr. Sie hatte schon auf Trickys Debütalbum Maxinquaye gastiert und ist in der Musikszene im Westen Englands, insbesondere im Trip-Hop, bestens zuhause. Die Frage war nur, ob sie es mit der Geistesverwandtschaft nicht irgendwann übertreibt: Vor einiger Zeit ließ die Sängerin über das Internet verlauten, man werde sich mit einer neuen Goldfrapp-Platte ähnlich viel Zeit lassen wie Portishead. „Will und ich sind sehr langsam und lieben es, einfach nur aus dem Fenster zu schauen“, stand da. Nun hat es aber doch nur gut zwei Jahre bis zur neuen Veröffentlichung gedauert.
Ihre Abwesenheit nutzten Goldfrapp und Gregory zunächst für ein Resümee. Denn nach unzähligen Live-Auftritten mit immer denselben Stücken im Repertoire fühlten sich die beiden vom klar definierten Stil auf Felt Mountain geradezu an die Wand gedrückt. Goldfrapp mussten nicht lange überlegen, in welche Richtung ein Wechsel gehen könnte. „Auf Felt Mountain hatten wir Beats bewusst weggelassen, jetzt mussten sie unbedingt hinein. Wir brauchten sie, um atmen zu können. Außerdem war es ein großartiges Erlebnis, auf Synthesizern herumzuspielen und daraus Stücke zu entwickeln. Das hat mich unglaublich beflügelt. Zu Hause in London habe ich die Lautsprecher vor Glück umarmt, als ich unsere neuen Stücke noch einmal hörte“, gibt Alison zu Protokoll.
Beats? In der Tat. Es geht hier auch um die Neigung zu clubbiger Musik. Alison Goldfrapp hat es an Umgang damit nie gemangelt. In ihrem Lebenslauf sind immerhin Engagements als Tourmusikerin der englischen Techno-Band Orbital vermerkt. Neu ist für sie allerdings die Erfahrung als DJane. Bekannte aus der Clubszene empfahlen ihr im letzten Jahr, es einfach mal an den Turntables zu versuchen: „Ich empfand es als unglaublich befreiend, wie weniges dabei um mich als Person geht. Es wird einfach die Musik anderer Leute abgefeiert.“ Alisons DJ-Prinzip bricht mit den Gewohnheiten aus der Techno-Ära. Sauber ineinander geblendete Endlosmixe sind nicht ihr Ding, vielmehr will sie der nachgewachsenen Generation breitgefächerte Eindrücke aus der Pop-Geschichte vermitteln. In ihrer Plattenbox stehen Titel des dänischen Duos Laid Back (White Horse), von Joan Jett und ihren Blackhearts (I Love Rock’n’Roll) oder Donna Summer (I Feel Love). Oft erhielt Alison für diese Auswahl anerkennende Blicke und Applaus, manchmal wurde es kritischer: „In London fühle ich mich sehr sicher. Da weiß ich, dass die Clubgänger mit einer Mischung aus alten und neuen Sachen gut umgehen können. In Antwerpen zum Beispiel war das anders. Da haben die Leute gerufen, ich solle mit diesem New-Wave-Zeug aufhören und gefälligst Techno spielen. Denen habe ich etwas gehustet. Nichts ist langweiliger als dengesamten Abend über einen Musikstil durchzudrücken.“
Was Frau Goldfrapp den Leuten in halb Europa vorgespielt hat, sollte auch den Aufnahmen zum neuen Album Black Cherry Impulse geben. Dabei hatte sich diese Entwicklung schon vorher abgezeichnet. Bei früheren Konzerten war eine Coverversion von Olivia Newton-Johns „Physical“ fester Bestandteil der Zugaben, fraglos ein Hinweis. Mittlerweile dreht sich die Glitzerkugel bei Goldfrapp in voller Pracht. Fast die Hälfte der neuen Songs weist Einflüsse aus der Zeit des „Saturday Night Fever“ auf. Dazu Alison: „Rock-Puristen qualifizieren Disco gerne als substanzlos ab. Doch ich war schon immer ein Fan dieser Musik. Sie klingt so positiv und lebensbejahend.“ Dass im Untergrund derzeit Stilkreationen wie Electroclash köcheln, in denen Zutaten aus Punk, Disco und Techno zusammenfließen, findet Alison Goldfrapp gut, sie sieht in dieser allgemeinen Tendenz aber keinen Auslöser für die stilistische Entwicklung ihres Duos: „Mich interessieren nicht irgendwelche Genres, sondern nur das Gefühl, das ein Song vermittelt. Nehmen wir Vangelis. Seine Sachen klingen überproduziert, theatralisch und kitschig. Aber ich mag Musik, die in epische Breiten geht. Vielleicht geht das auf eine Erfahrung aus meiner Jugendzeit zurück als ich im Alter von neun Jahren ,Carmina Burana‘ von Carl Orff hörte, zog es mir fast die Schuhe aus.“ Klassik? Disco? Pop? Man kann die Elemente benennen, wie man will. Alison ist jedenfalls sehr zufrieden mit Black Cherry und hofft, dass die kreative Partnerschaft mit Will Gregory auch nach dieser gelungenen Etappe möglichst lange hält: „Wir sind zwar sehr unterschiedliche Typen, doch bei unseren Anstrengungen im Studio kommt etwas heraus. Er ist ausgebildeter Musiker, aber dennoch für alles offen. Viele seiner Kollegen sind verkrampft und lassen sich davon leiten, was man von ihnen erwartet. Ich habe es mit anderen Leuten probiert, doch es dauert eben, bis man den richtigen musikalischen Partner gefunden hat – nicht anders als bei der Suche nach einem Partnerfürs Leben.“
Die so gelobte zweite Hälfte von Goldfrapp sitzt derweil in einem anderen Hotelzimmer und muss getrennt interviewt werden – eine feste Abmachung zwischen den Musikern: Der kreative Kanal zwischen den beiden soll nicht durch störende Einflüsse verstopft werden. „Für uns ist es nicht gut, wenn wir zu viel Intimes voneinander erfahren. Das kann der Musik nur schaden. Ehrlich gesagt: Ein guter Tag im Studio ist der, an dem wir überhaupt nicht miteinander sprechen. Über die Musik zu kommunizieren, das ist entscheidend“, erklärt Will Gregory, fraglos ein anderer
Typ Mensch als Alison. Sie ist schlank, bevorzugt schräges Retro-New-Wave-Outfit mit Pumps, Ringelsöckchen und Friedensemblemen und wählt einfache Worte. Er ist korpulent, überhaupt nicht modisch gestylt, spricht akzentfreies Oxford-Englisch – und ist dennoch kein Bildungsbürger mit snobistischen Zügen. Er hat zwar ein klassisches Musikstudium hinter sich, sieht die Tätigkeit als Popmusiker aber durchaus als logische Entwicklung an. „Ich hatte mich im Studium zum Glückrecht zeitig auf Komposition spezialisiert. Als Komponist wirst du überhaupt nicht von Genrekriterien geleitet, wie es etwa bei einem Geigenspieler im Orchester der Fall ist. Mein Lerninstrument war das Saxofon, und das wird sowohl in Popmusikais auch in Jazz und Klassik eingesetzt, muss also von Natur aus etwas Wandlungsfähiges ausstrahlen.“
Das Saxofon ist auch in vielen Disco-Hits zu hören, etwa in „Funkytown“ von Lipps Inc. Folglich kann auch Gregory seine Schwäche für den Musikstil der Tanzpaläste nicht völlig leugnen: „Ich bin natürlich in Discos gegangen, wenn auch nicht so oft wie viele meiner Altersgenossen. In meinem Plattenschrank stehen Alben von Earth, Wind & Fire oder ABBA. Alison und ich haben eine gemeinsame Vorliebe für Donna Summer. Lange Zeit haben wir uns nicht getraut, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch die Zeit des Versteckspiels ist vorbei. Was für ihn persönlich dann allerdings doch nur bedingt gilt. So richtig wohl fühlt sich Will Gregory nämlich nicht in seiner Haut, wenn er hinter dem Keyboard auf der Bühne steht. Er sieht sich mehr als musikalischer Direktor, der die Dinge abseits des Rampenlichts steuert. Jetzt, wo die Band live auf jeden Fall um einen Bassisten erweitert werden soll, könnte sich für ihn die Möglichkeit eröffnen, ans Mischpult zugehen und das Konzert von dort aus zu steuern. Was Alison betrifft, so ist zu vermuten, dass sie nun anders als vorher auftreten wird. Auf jeden Fall weniger intensiv und ernst, wesentlich lebendiger. Zu extrem soll der Wechsel aber nicht ausfallen, wie sie sagt: „Niemand muss erwarten, dass wir nun eine bunte Revue präsentieren, bei der wir die Puppen tanzen lassen und in der ich selbst wie ein verrücktes Huhn herumhüpfe. Die Fans des ersten Albums sollen weiterhin auf ihre Kosten kommen. Sie sollten aber nicht nur mit dem alten Lied rechnen.“
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