Emmylou Harris: Country-Lady in zerschlissenen Jeans


Country-Music, das ist für viele die spezifisch amerikanische Version der Schnulze. Triefend sentimentale und mit reichlich Musik-Schmalz versehene Lieder werden da von aufgedonnerten Damen mit Hochfrisur und geschniegelten mittelalterlichen Herren in perlenbestickten Cowboyanzügen vorgetragen – so wie es Robert Altman in seinem Film „Nashville“ geschildert hat. Von dieser Art Country Music soll hier nicht die Rede sein, sondern von „Cosmic Country“ und von „Country der zerschlissenen Jeans“: So nämlich hat der Kritiker Mick Houghton einmal die Musik von Emmylou Harris zutreffend beschrieben.

Viele Rockfans kennen Emmylou Harris sicherlich als Begleitsängerin von Bob Dylan auf der LP „Desire“. Die Liste der Platten, in deren Besetzungsliste sie auftaucht, ist lang: „Heart Like A Wheel“ von Linda Ronstadt gehört dazu, „Two Sides To Every Story“ von Gene Clark und das großartige, hierzulande nicht veröffentlichte Album „Southwest“ von Herb Pedersen.

Unabhängig von solchen Studiojobs schaffte Emmylou in jüngster Zeit allerdings endlich auch den Durchbruch als Solistin. Mit Hilfe von drei exzellenten Alben, der Hitsingle „You Never Can Teil“ (eine alte Chuck Berry-Nummer) und erfolgreichen Auftritten in den USA und in England rückt sie derzeit überall zur First Lady des Country-Rock auf und macht Linda Ronstadt heftig Konkurrenz, die zwar mehr Platten verkauft, aber viel weniger Ausstrahlung und Aussagekraft besitzt. Derzeit reist Emmylou zum ersten Mal durch Deutschland; ihre Tournee begann am 30 .März in Düsseldorf, als weitere Stationen eingeplant sind Hamburg, Frankfurt und München.

Alabama ade

Emmylou Harns stammt aus Birmingham (Alabama) im Süden der Vereinigten Staaten; aus eineT Gegend also, die nicht gerade dafür bekannt ist, wegweisende Beiträge zur Pop-Musik geliefert zu haben. Emmylous früheste Interessen tendierten daher auch mehr zur Schauspielerei, wenngleich sie mit sechzehn Jahren begann, Songs von Joan Baez und Bück Owens zur Gitarre zu singen. Um sich Geld für ein Studium der dramatischen Künste an der Universität von Boston zu verdienen, blieb sie zunächst bei der Musik, die dann im Laufe einiger Jahre (ganz schön teuer, so ein Universitätsstudium!) sie so faszinierte, daß sie schließlich den Traum von einer Karriere als Schauspielerin aufgab.

Was kann ein Mädchen allein mit einer Gitarre schon anderes machen als Folk-Music? Und was scheint folgerichtiger, als nach New York zu gehen, ins Greenwich Village, wo die große Folk-Bewegung der frühen 60er Jahre begann? Allerdings war Emmylou etwas spät dran, denn als sie 1967 in New York auftauchte, hatten Bob Dylan, die Byrds, die Mamas & Papas und andere mit elektrischen Gitarren und Schlagzeug bereits aus der Folk Music den Folk-Rock entwikkelt. Und der wiederum war schon vom Psychedelic Rock überholt worden.

Es wurde eine harte Zeit für die Folksängerin Emmylou Harris, aber immerhin konnte sie sich mit ihrer Musik so etwa zwei Jahre lang über Wasser halten. Sogar eine LP nahm sie auf, „Gliding Bird“, – eine Katastrophe, wie sie heute sagt. Doch wer lebt schon von der Musik allein? Verheiratet, schwanger, und mit einem Haufen persönlicher Probleme verließ Emmylou New York.

Cosmic Cowboy

1971 lebte sie in Washington bei ihren Eltern, hatte sich in die lokale Musikszene eingeklinkt und trat in diversen Bars und Clubs auf. Dort traf sie eines Tages Chris Hillman, damals Mitglied der flying Burrito Brothers. Durch ihn und noch mehr durch einen Country-Rock-Interpreten – Gram Parsons – bekam Emmylou entscheidenden Anstöße.

Über Gram Parsons, „kosmischer Cowboy“ und „kummervollen Engel“ (so ein LP-Titel), in einer Person, müssen hier und jetzt einige Worte verloren werden, ohne Emmylou’s Geschichte allzu sehr zu unterbrechen. Parsons gilt als einer der Männer, die Zeichen in der Rock-Musik setzten. Als erster verschmolz er Rock und Country zu einer Musikform, später als Country-Rock etikettiert; zunächst in seiner International Submarine Band, deren einziges Album „Safe At Home“ heute zu astronomischen Preisen gehandelt wird, dann mit den Byrds auf deren Album „Sweetheart Of The Rodeo“, schließlich auf dem Debutalbum der Flying Burrito Brothers, „The Gilded Palace Of Sin“. Die beiden letztgenannten Scheiben sind Meilensteine des Rock, ohne deren stilbildende Musikelemente Rockgruppen der 70er Jahre wie die Eagles wohl kaum ihren heutigen Erfolg erreicht hätten. Gerade die Eagles übrigens haben Gram Parsons mit Bernie Leadons Song „My Man“ ihren Tribut gezollt.

Als die Flying Burrito Brothers 1971 nach Washington kamen, war Parsons schon nicht mehr dabei, aber Chris Hillman erinnerte sich, daß Gram eine Duo-Partnerin suchte. Zurück in Los Angeles, empfahl er ihm Emmylou Harris. Parsons reiste nach Washington, sang einige Stücke mit ihr bei einem ihrer Club-Gigs und engagierte sie sofort für die Aufnahmen zu seiner ersten Solo-LP „G.P.“, die 1972 erschien.

Platten mit Gram Parsons Die Zusammenarbeit der beiden fand ein jähes Ende durch Parson’s Tod im September 1973; die Plattenfirma Reprise veröffentlichte posthum noch ein weiteres Album, „Grievious Angel“, auf dem Emmylou Ht-ris als gleichberechtigte Sängerin neben Gram Parsons zu hören ist. Parsons soll gesagt haben, daß die Songs von „Grievious Angel“ seinen musikalischen Ideen optimal gerecht werden, und ganz sicher ist dieses Album eines der schönsten im Country-Rock-Stil. Die hier vorgestellte Mischung von melodisch sehr eindrucksvollen Country-Standards und Parsons Originals in unsentimentaler elektrischer Instrumentierung legte den Grundstein zu den späteren Solo-LPs von Emmylou Harris.

Ein eigener Plattenvertrag wurde der hübschen Amerikanerin 1974 angeboten, und ein Jahr darauf erschien ihre erste LP für das Reprise-Label: „Pieces Of The Sky“. Eine hervorragende Crew von Studiomusikern begleitet Emmylou auf dieser Platte, darunter der Pianist Glen D. Hardin und James Burton, ein Meister der elektrischen Gitarre, der schon für den Erfolgssound der Hit-Singles von Ricky Nelson verantwortlich war(„Poor Little Fool“, „It’s Late“, „Hello Mary Lou“ u.a.) und der auch für Elvis Presley gearbeitet hat. Hardin und Burton (seit kurzem von Albert Lee, ex-Heads, Hands & Feet abgelöst) bilden den Kern von Emmylou’s Hot Band, die 1976 Kritiker und Publikum in England und Amerika begeisterte.

Die Stimmung der Lieder von „Pieces Of The Sky“ ist, von den schnellen Country-Rock-Nummern abgesehen, ebenso wie auf den nachfolgenden Platten „Elite Hotel“ (1976) und „Luxury Liner“ (1977) melancholisch; jedoch gleiten die Songs nie ins Schmalzige ab. Reminiszenzen an Gram Parsons tauchen auf allen drei LPs auf, etwa in Emmylous „Boulder To Birmingham“ (von „Pieces“) und besonders natürlich in den Parsons-Kompositionen „Las Vegas“, „Wheels“, „Luxury Liner“ und „She“. Die Songauswahl ist immer makellos, Emmylou interpretiert Songs von Lennon/McCartney („For No One“ und „Here, There And Everywhere“) ebenso bewegt und ausdrucksvoll die Titel von den Louvin Brothers, einem Country-Duo, oder – wie schon erwähnt – von Chuck Berry.

Dessen Evergreeen „You Never Can Teil“ brachte Emmylou inzwischen auch – man höre und staune – in die aktuellen Sendungen und die Musikprogramme etlicher deutscher Rundfunksender. Und wenn sogar die Jungs dort aufgewacht sind, muß Emmylou noch Großes in diesem Lande blühen.