Elton vs. Freddie: Warum „Rocketman“ seinen Genre-Kollegen „Bohemian Rhapsody“ in den Schatten stellt
Zwei Ikonen, ein Regisseur: Dexter Fletcher sorgte für viel Gesprächsstoff mit seinen beiden Biopics über Elton John und Freddie Mercury, die ihm sowohl Lob als auch massive Kritik einbrachten. Warum „Rocketman“ die Queen-Biographie letztlich abhängt, lest ihr hier.
Zwei homosexuelle Männer, die mit Selbstzweifeln kämpfen, nach Außen ihr Ego auf großen Bühnen präsentieren und mit Drogen und Alkohol nach Halt suchen. Auf die kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebrochen, erscheinen die beiden Musiker-Biopics „Rocketman“ und „Bohemian Rhapsody“ in ihrem Verlauf relativ ähnlich und vorhersehbar. Basierend auf Leben und Schaffen von Elton John und Freddie Mercury, inszenierte Regisseur Dexter Fletcher zügig hintereinander zwei Filme, zwischen denen bei näherer Betrachtung jedoch Welten liegen.
Fiktion vs. Realität
Schon der Blick in die Produktionsgeschichten zeigt, wie sehr sich „Rocketman“ und „Bohemian Rhapsody“ voneinander unterscheiden. Dass sich Musiker*innen bei der Verfilmung ihres Lebens eine Mitsprache-Klausel in den Vertrag schreiben lassen, ist nicht ungewöhnlich, sogar verständlich. Allerdings kann ständige Kritik und der Wunsch nach Korrekturen den Fluss eines Filmes ins Stocken bringen. Filmische Überzeichnung und Dramatisierung ist nun einmal ein Stilmittel, das es auszuhalten gilt.
Für die noch lebenden Bandmitglieder von Queen kein Grund, auf ihre Einflussnahme zu verzichten. Um die Marke und das Image der Gruppe weiterhin familientauglich zu halten, setzten sich Brian May und Roger Taylor für ein (halbwegs) gesittetes Erbe von Freddie Mercury ein. Die Wünsche führten sogar zum Austausch des Hauptdarstellers, ursprünglich war Sacha Baron Cohen („Borat“) für die Rolle vorgesehen. Da dieser eine deutlich freizügigere Version von Mercury im Sinn hatte, wechselten die Produzent*innen den polarisierenden Schauspieler gegen Rami Malek (TV-Serie „Mr. Robot“) aus.
Zwar ließ sich Elton John das Recht auf Einwirkung ebenfalls nicht nehmen, doch Regisseur Dexter Fletcher und Drehbuchautor Lee Hall („Billy Elliot – I Will Dance“) erhielten mehr Freiraum für ihre Inszenierung. Schon allein die Traumsequenzen und Musical-ähnlichen Einlagen machen deutlich, dass sich „Rocketman“ nicht zurücknimmt und positive als auch negative Aspekte des Musikerlebens in künstlerischer Form verarbeitet. Zudem wagt sich „Rocketman“ offener und ehrlicher an die Homosexualität seiner Charaktere heran, was in Hollywood-Produktionen leider noch immer ein heikles Thema ist. „Bohemian Rhapsody“ fährt diese Ebene subtiler und dezenter, was dem extravaganten Mercury kaum gerecht wird.
Turbulente Produktion
Die Entwicklung des Queen-Projektes geriet jedoch nicht nur durch lange Vorbereitungsphasen und Schauspielerwechsel ins Stocken. Während der Dreharbeiten rückte der ursprüngliche Regisseur Bryan Singer („X-Men“) in den Fokus von Vergewaltigungsvorwürfen. Das Produktionsstudio 20th Century Fox machte kurzen Prozess und besetzte während des Drehs den Regiestuhl mit Dexter Fletcher neu, der die Baustelle „Bohemian Rhapsody“ fertigstellen musste. Einen Credit im Abspann erhielt er dafür nicht. Dass ein Führungswechsel mitten im Dreh nie eine gute Ausgangslage ist, zeigte schon der Fall „Justice League“, bei dem Regisseur Zack Snyder aufgrund eines Todesfalls in der Familie durch Joss Whedon ersetzt wurde. Das Ergebnis war für Zuschauer*innen und Beteiligte wenig zufriedenstellend.
Wenn Makel Perfektion ausmachen
Für Biopics ist es fraglos ein Drahtseilakt, die Balance zwischen Realität und filmischer Inszenierung zu halten. „Bohemian Rhapsody“ entschied sich jedoch für den Versuch, eine schnöde Nacherzählung zu sein. Begonnen bei der Verwendung der Original-Songs, einer gewagten (und übertriebenen) Zahnprothese sowie der Nachbildung der legendären Performance beim Live Aid-Konzert 1985, eifert das musikalische Drama seinen realen Vorlagen hinterher, die ein Film kaum erreichen kann.
Für seinen „Rocketman“ ging Fletcher einen deutlich freieren Weg. Er verlieh dem Film durch neue Arrangements und Gesang seines Hauptdarstellers Taron Egerton („Kingsman: The Secret Service“) einen eigenen Ton, verwob die einzelnen Lebensstationen mit den Songs in fantasievollen Zwischensequenzen und beschränkte sich bei den optischen Eigenheiten auf eine angemalte Zahnlücke.
Zu Gute muss Taron Egerton ebenfalls gehalten werden, dass er nicht versucht, Elton John zu imitieren. Rami Malek stellt dagegen eine Kopie von Mercury dar, was zweifellos Anerkennung verdient und schließlich auch mit dem Oscar würdigt wurde. Am Ende bleibt aber ein bitterer Nachgeschmack, wenn die möglichst detailgetreue Darstellung einer realen Person im hochglanzpolierten Umfeld stattfindet. Mehr Gefühl, weniger faktisches Abarbeiten und unverkrampfter Zuspruch an den Musiker: Freddie Mercury wird immer eine unvergessene musikalische Legende bleiben, doch „Rocketman“ setzt Elton John das zweifellos bessere Denkmal.
„Rocketman“ läuft am Ostermontag, den 05. April 2021, um 20.15 Uhr auf ProSieben.