Elton John: Bei Elton auf der Couch
Für einen Psychiater wäre der Mann die reinste Goldader: verklemmt und doch leutselig; eitel, aber auch selbstkritisch; im Herzen bieder, doch im Auftreten bombastisch. Gitti Gülden setzte sich zu ihm auf die Couch
ME/SOUNDS: Angesichts der Tatsache, daß du in den vergangenen Jahren Presse-Interviews hartnäckig aus dem Weg gegangen bist, will ich es noch gar nicht glauben, daß du wirklich hier sitzt. Statt dessen könntest du’s dir doch jetzt in einem deiner luxuriösen Wohnsitze bequem machen und genüßlich die Verkaufszahlen des neuen Albums studieren…
Elton: „Ha! Ich hab‘ nicht umsonst eine deutsche Frau geheiratet: Die hat mich wieder auf Vordermann gebracht! Nein, ehrlich: Nach all den Jahren habe ich mir immer noch meinen Enthusiasmus bewahrt; ich begeistere mich einfach für alles, was ich mache.
Was mich an Interviews immer so maßlos ärgert, ist die Tatsache, daß man mit jemandem ernsthaft zwei Stunden redet – und anschließend irgendeinen Blödsinn liest, den sich der Betreffende aus den Fingern gesogen hat. Da ich darüber keinerlei Kontrolle habe, spreche ich seit zehn Jahren kaum noch mit Journalisten; mit der Musik-Presse in England überhaupt nicht mehr. Ich kann locker drauf verzichten, weil die meisten Musikjournalisten absolute Idioten sind. Auf dem Kontinent ist das erstaunlicherweise anders. Himmel, ist das schon zehn Jahre her?!“
ME/SOUNDS: Du hast – bis auf wenige Ausnahmen – immer mit festen und altvertrauten Musikern gearbeitet, sowohl im Studio als auch auf der Bühne, Auf dem neuen Album sind nun erstaunlich junge Pop-Größen am Werk. Wie kommt’s?
Elton: „Als ich im vergangenen Jahr mein letztes Konzert in Amerika gab, sagte ich zu allen: ‚Das war’s, endgültig, nie wieder eine Tournee!‘ Ich hatte, ehrlich gesagt, die Nase voll; das war immer und ewig die gleiche Band.
Als ich diesmal ins Studio ging, habe ich praktisch Tina Turners Rezept kopiert: Ich arbeitete nämlich mit vier verschiedenen Gruppierungen. So etwa mit britischen Musikern, mit denen ich bislang noch nie gespielt hatte: mit Mel Gaynor, dem Trommler der Simple Minds, mit Nik Kershaw und dem Wham!-Bassisten John Deon, mit George Michael sowie John Deacon und Roger Taylor von Queen.
Das hätte ich schon vor drei Jahren machen sollen, denn seitdem macht mir die Sache auch wieder Spaß. Plötzlich veränderte sich die Situation von: ‚Ich gehe nie wieder auf Tournee und Promotion mache ich schon gar nicht‘ zu: ‚Wundervoll, phantastische Band, 13 exzellente Musiker, die größte Formation, mit der ich je unterwegs war, das wird garantiert Spaß machen.‘ Deshalb sitze ich auch hier und mache wieder Interviews.“
ME/SOUNDS: Aber eigentlich hast du doch alles gehabt und erreicht. Gibt’s da nicht die Überlegung, Jüngeren einfach Platz zu machen? Oder zieht man sich nicht so sang- und klanglos zurück?
Elton: „Es geht mir im Grunde darum, Kontakt zu halten. Ich höre zwar praktisch jede Neuerscheinung, habe also die neue Musik im Ohr, hatte aber für eine Weile den Kontakt zu den Musikern verloren, die diese Musik machen. Es gibt zur Zeit so unglaublich gute Musiker in England! Allerdings kriegt man das oft erst im direkten Zusammenspiel mit. Per Zufall spielte Nik Kershaw auf der Single ‚Act Of War‘ mit; er hatte die Melodie bereits nach einem Versuch absolut sicher im Griff! Das habe ich vorher noch nie erlebt!
Wenn man mit vertrauten Musikern so lange arbeitet wie ich, dann neigt man dazu, sich auf eine bewährte Erfolgsformel zu verlassen. Mit meiner Rhythmuskombination Nigel und Dee habe ich einfach alle Variationen durchgespielt: wir konnten uns nicht mehr weiterentwickeln. Sie sind nach wie vor eine phantastische Gruppe, aber von einem gewissen Zeitpunkt an stagnierte alles. Und dann begegnete ich diesen jungen Typen und hatte das Gefühl, einen gesunden Tritt in den Hintern zu bekommen.
Was für ein Glück, daß es Live Aid gab! Bei den Proben zu Live Aid nämlich fand ich die Jungs so aufregend, daß ich spontan beschloß, mit ihnen eine Tournee zu machen. Mitten während der Studioarbeit für Ice On Fire war das – und es hat einen irren Spaß gemacht. Wäre Live Aid nicht gewesen, hätte ich wohl nie wieder ein Konzert gegeben.“
ME, SOUNDS: Mit anderen Worten: Tourneen machst du nur noch zum privaten Plaisir?
Elton: „Wenn ein Konzert keinen Spaß macht, sollte man keins geben. Natürlich geht’s um den Spaß! Wenn der nicht mehr da ist, dann sollte man umgehend aufhören. Nichts ist furchtbarer als auf der Bühne zu hocken und zu denken: ‚Mein Gott, was soll ich morgen bloß anziehen?‘ Oder: ‚Wann muß ich aufstehen, wann geht morgen der Flieger?‘ Dann geht’s selbstverständlich auch noch um den Kontakt zum Publikum. Im Studio wiederholst du ja alles bis zur vermeintlichen Perfektion. Auf der Bühne hingegen weißt du nie, was passiert, auch wenn alles Stück für Stück festgelegt ist. Es ist jeden Abend anders. Wenn’s das nicht ist, wenn es praktisch erstarrt, mußt du als Künstler aufhören, sofort! Deshalb habe ich 1976 einen Schlußstrich gezogen. Ich hatte seit 1970 einfach zu viel gemacht und als Musiker einfach die Nase voll. Da kam nichts mehr, und es dauerte ganze drei Jahre, bis ich wieder auftreten konnte. Im Moment bin ich sehr glücklich, daß es wieder losgeht.“
ME/SOUNDS: Es gab unlängst im Fernsehen einen Film über deine damalige Rußland-Tournee mit Ray Cooper, dem Multi-Percussionisten. Vermutlich die ungewöhnlichste Tournee, die du je gemacht hast?
Elton: „Absolut! Das war bis heute der fraglose Höhepunkt all meiner Live-Erlebnisse. Jedes Konzert drei Stunden, nur ein Percussionist und ich! Ich mußte jeden Abend eine vernünftige Show mit allen möglichen Musikfärbungen auf die Bühne bringen, ohne daß sich die Zuschauer langweilen, lediglich zwei Leuten zuzuschauen. Es mußte einfach klappen, das war ich meinem Stolz schuldig – und es klappte durch dieses Wechselspiel, das wir uns ausgedacht hatten: Mal machte Ray kleine Verrücktheiten, mal begleitete er mich bei meinem kleinen Irrsinn. Nachdem ich ’76 gesagt hatte ‚Nie wieder, das war’s‘, war ich mir diese Herausforderung einfach schuldig.“
ME SOUNDS: Warum ist er auf der gegenwärtigen Tournee nicht dabei?
ELTON: „Er hat bei den England-Gigs mitgespielt, hat aber im Moment Verpflichtungen bei George Harrisons Filmgesellschaft. Und ich kann verstehen, daß er sich nicht darauf einläßt, mit mir eine Welt-Tournee zu machen, um am Ende des Jahres wieder ohne Job dazustehen. Schade, es macht viel Spaß mit ihm. Wir überlegen übrigens gerade, ob wir eine weibliche Percussionistin engagieren sollen.“
ME/SOUNDS: Wie wär’s denn mit Sheila E.?
Elton: „O no, darling. Hahaha, ganz bestimmt nicht, o nein! Wie heißt diese tolle Tante noch mal? Ja, Carmen Miranda, so was wäre toll. Ha!“
ME/SOUNDS: Carmen Miranda dürfte wohl kaum in der rechten Verfassung sein.
Elton: „Verfassung? Ich lach mich krank, das ist eine gute Art, jemanden zu beschreiben, der längst tot ist.“
ME/SOUNDS: Du hast auf dem letzten Album wieder mit deinem alten Texter Bernie Taupin zusammengearbeitet; es gab du ja mal eine Unterbrechung…
Elton: „Ja, aber wir haben nie wirklich den Kontakt zueinander verloren. Sicher, viele Beobachter dachten vermutlich, wir hätten uns endgültig getrennt, als ich 1979 Single Man ganz ohne seine Hilfe fertigstellte. Bernie lebt nun mal in Amerika – und ich hauptsächlich in England. Er hat dort alle Hände voll zu tun – und ich fand es einfach reizvoll, einmal mit ganz anderen Leuten zu arbeiten, wie etwa Gary Osborne oder Tom Robinson. Von Bernie werde ich mich wegen solcher Seitensprünge aber nie trennen, schon deswegen nicht, weil’s immer amüsant war, mit ihm zu arbeiten.
Dabei haben wir noch nicht einmal in direktem Kontakt gestanden, das ist der größte Witz. Er schickt mir seinen Text, ich schreibe die Melodie dazu. Das klappt mysteriöserweise ganz ausgezeichnet – und wir haben nie die leisesten Zweifel an den Fähigkeiten des anderen. Ohne Text eine Melodie zu komponieren, ist für mich völlig unnatürlich. Und meine eigenen Texte sind sowieso hoffnungslos.
Was das neue Album betrifft, so hat unsere alte Arbeitsweise wieder bestens funktioniert. Wenn’s hart auf hart kommt, dann verläßt du dich halt auf die Methoden, die sich im Lauf der Jahre bewährt haben.
Deshalb habe ich auch wieder Gus Dudgeon als Produzent geholt, der ja ebenfalls in meiner frühen Phase dabei war. Ursprünglich wollte ich zwar Trevor Horn haben, aber erstens steckt er bis zum Hals in Arbeit, und zweitens dauert es bei ihm ungefähr ein Jahr, bis mal ’ne Single rauskommt. Also zurück zu Gus, das war die richtige Entscheidung.“
ME/SOUNDS: Diese Möglichkeit, Entscheidungen uneingeschränkt selbst zu treffen, alles in der Hand zu haben: War das auch der Grund, dein eigenes Label ‚Rocket‘ zu gründen? Oder ist das die Marotte und der Luxus eines betuchten Stars?
Elton: „Ursprünglich habe ich die Firma gegründet, das war 1972, um andere Künstler der Öffentlichkeit vorzustellen. Ich war ja noch unter Vertrag bei Dick James, also konnte das gar keine Plattform für mich selbst sein. Viele Musiker brauchen ein derartiges Label als Vehikel, um sich überhaupt erst zu entfalten. Und bis zu einem gewissen Grad hatten wir ja in Amerika und England auch durchaus Erfolg; denk an Kiki Dee und Neil Sedaka. Inzwischen haben wir die Aktivitäten der Firma ziemlich eingeschränkt. Und eins möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich betonen: Mit dieser Single von Anja (der jungen Dame, die in seinem ‚Nikita‘-Video mitspielt. – Red.) habe ich absolut nichts zu tun, die habe ich nicht abgesegnet. Ich dreh durch, wenn ich die höre, furchtbar!
ME/SOUNDS: Wenn wir von Verlagsrechten sprechen, müssen wir auch über den Prozeß gegen deinen früheren Verleger Dick James reden. Alle Songs, die du zwischen 1966 und 1973 geschrieben hast, gehörten James, u. a. „Crocodile Rock“ und „Rocket Man“, also Millionenseiler. Du wolltest die Rechte an über 140 Liedern und die Rückzahlung von vorenthaltenen Tantiemen gerichtlich erzwingen. Das ist aber im November ’85 nicht so ganz nach deinen Vorstellungen entschieden worden.
Elton: „Moralisch gesehen haben wir eine Schlacht gewonnen und den Krieg verloren. James muß mir das gesamte Geld zahlen, das er mir vorenthalten hat, zuzüglich der Zinsen, die im Laufe der Jahre angewachsen sind. Das ist wahnsinnig viel Geld, aber immer noch nicht alles, weil James große Summen in irgendwelchen Scheinfirmen in der ganzen Welt angelegt hat. Da kommt man nicht ran. Wir hätten alles, was uns zusteht, auch wirklich bekommen, wenn wir bereits 1972 vor den Kadi gezogen wären; damals aber riet man uns, keine gerichtlichen Schritte einzuleiten. Das war ein Kardinalfehler.“
ME/SOUNDS: Im November wurde Dick James zwar zu einer Zahlung in dieser Höhe verurteilt, die Rechte an den Songs aber bleiben weiterhin bei ihm…
Elton: „Das ist ja der Punkt, den ich mit der Klage moralisch klären wollte. Mir wäre es lieber gewesen, man hätte sich außergerichtlich einigen können, aber da spielte soviel verletzter Stolz und totale Sturheit eine Rolle, daß das einfach nicht mehr möglich war.
Dick James war für mich eine Vaterfigur, und zu Anfang waren wir ja auch überglücklich, daß er uns überhaupt einen Vertrag gab. Ich hab’s nie bereut, für ihn zu arbeiten, da er mir völlig freie Hand ließ. Bei wem gab’s das damals schon?
Das Geld bedeutet mir überhaupt nichts; was ich wirklich mit dem Prozeß wollte, waren meine Songs, die wollte ich zurück haben! Vermutlich kann er uns noch nicht mal das Geld zurückzahlen. Er lebt ganz sicher nicht im Luxus, aber vor Gericht zu behaupten, er habe an 140 Songs gerade mal eine Million Pfund verdient, ist ein schlechter Witz. Ich mag zwar halbblind sein, aber blöd bin ich ganz sicher nicht.“ (Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs konnte Elton nicht wissen, daß Dick James wenig später im Alter von 67 Jahren in London starb.)
ME/SOUNDS: Während des Prozesses hast du erwähnt, daß ihr hei der Vertragsunterzeichnung total naiv wart; 20jährige Burschen, die nur ihre Musik im Kopf – aber von Paragraphen keine Ahnung hatten. Würdest du sagen, daß sich junge Bands von heute eher mit ihrer vertraglichen und juristischen Situation befassen?
ELTON: „Ganz bestimmt. Damals dachte man nicht an Verträge mit Klauseln und Fußangeln, man machte einfach Musik. Als ich Anfang der 70er meinen zweiten Plattenvertrag bekam, war das der erste Multi-Millionen-Dollar-Deal, meine prozentuale Beteiligung stieg auf 22 Prozent. Das war vorher absolut unmöglich, davon hatte man noch nicht mal gehört. Dann schalteten sie voller Stolz, daß sie mich für diese Riesensumme überhaupt bekommen hatten, ganzseitige Anzeigen in der New York Times, das war schon sehr lustig.
Auf der anderen Seite veränderte das die gesamte Plattenindustrie. Plötzlich fiel ein paar Leuten auf, wieviel Geld man mit Popmusik machen konnte, das wurde ja vorher überhaupt nicht ernst genommen. Da kamen dann plötzlich unzählige Rechtsanwälte mit ihren Aktenköfferchen, um sich mit der rechtlichen Seite des möglichen Profits zu befassen.
Als wir unseren ersten Deal machten, hatten wir überhaupt keinen Anwalt, das machte einfach mein Manager. Wir versuchten immer noch möglichst ohne Rechtsanwalt auszukommen. Die können nämlich ganz hübsch teuer sein.“
ME/SOUNDS: Nun hast du dank deines Managers, deines Ehrgeizes, deines Talents und deines Durchhaltevermögens alles, was man als Popmusiker erreichen kann, erreicht. Gibt’s da noch unerfüllte Träume?
Elton: „Im Grunde genommen wollte ich eigentlich nie Sänger werden; das passierte rein zufällig. Als ich meine erste Band Bluesology verließ, wußte ich zunächst nicht, was ich machen sollte. Ich wußte nur, daß ich niemanden mehr auf dem Piano begleiten wollte. Ich hoffte jemanden zu finden, mit dem ich ein paar vernünftige Songs schreiben konnte. Und als ich Bernie Taupin kennenlernte, hatten wir schon kurz darauf den Vertrag bei Dick James – mit der Verpflichtung, für den Verlag kommerzielle Songs zu schreiben!
Es kamen aber immer Kompositionen dabei heraus, die nur uns gefielen und keinerlei kommerziellen Wert hatten. Wir hatten also einen Stapel Songs und beschlossen, die einfach mal im Studio aufzunehmen. So kam das erste Album Empty Sky zustande, und um davon zumindest einige Platten zu verkaufen, mußten wir wohl oder übel auch Konzerte geben.
Heute gibt’s Video, da braucht man das nicht mehr, aber zu jener Zeit mußte man unweigerlich auf Tournee gehen. Heute sind Alben ja auch keine Alben mehr, sondern LPs mit einem Haufen Singles drauf. Ich habe nie in Form von Hitsingles gearbeitet, sondern immer an LPs, heute weiß ich sowieso nicht mehr, was eine Hitsingle ausmacht und was nicht. Ich überlasse die Auswahl der Plattenfirma.
Wenn man sich eine junge Band wie Culture Club oder Wham! anschaut, dann arbeiten die zunächst an ihren Singles. Wenn sie dann zwei Alben geschafft haben, denken sie: ‚Oh, wie furchtbar, ich stecke in einer kreativen Krise, was soll ich nun als nächstes machen?‘ Und das nach zwei Platten! Dies hier ist meine 27. oder 28. Platte in 17 Jahren!“
ME/SOUNDS: In den 70ern feierte man dich als den „Liberace der Rockmusik“. Wie entwickelte sich eigentlich dein exzentrischer Modestil?
Elton: „Modestil??? Machst du Witze? Gib zu, du meinst doch im Grunde, daß ich der größte Pop-Kitsch bin, stimmt’s? Ich hab‘ auf der Bühne immer getragen, wozu ich gerade Lust hatte. Endlich konnte ich meine Teenager-Träume ausleben. Als Junge konnte ich nämlich nie die schicken Sachen tragen, weil ich nicht die richtige Figur hatte. Die hab‘ ich zwar heute auch nicht, aber jetzt ist mir das auch egal.
Die höchste Anerkennung für meinen exzellenten Geschmack verlieh mir vor ein paar Jahren eine amerikanische Modezeitschrift: Nur in Amerika ist es möglich, gleichzeitig als schlechtgekleidetster Mann und als schlechtgekleidetste Frau ausgezeichnet zu werden! Ha! Ein paar von den Klamotten habe ich noch zu Hause im Schrank hängen, absolut lächerlich. Aber meine Karriere war ja eigentlich ebenso lächerlich.“
ME/SOUNDS: Ich muß noch einmal auf meine Frage nach den unerfüllten Träumen zurückkommen – gibt es irgend etwas, was du liebend gern tun würdest und nie gemacht hast?
Elton: „Ich würde gern ein gutes Musical schreiben, so in der Kategorie von ‚West Side Story‘, nur um zu zeigen, daß ich’s kann. Allerdings brauchten Bernie und ich viel Zeit, allein schon um sich ein vernünftiges Musical-Thema auszudenken. Die neuen Musicals sind so unglaublich langweilig, daß endlich mal wieder Qualität her muß. Seit ‚West Side Story‘ gab’s nur noch Mittelmaß.“
ME/SOUNDS: Was macht denn ein gutes Musical aus?
Elton: „Die Songs natürlich, jeder Song muß ein Treffer sein. Schau dir ‚Jesus Christ Superstar‘ an, da gibt’s höchstens drei passable Lieder, das ist auch schon alles. Da es zur Zeit nichts anderes gibt, akzeptiert das Publikum dieses Mittelmaß, aber es müßte endlich wieder etwas richtig Gutes geschrieben werden. ‚Hair‘ war auch nicht schlecht, brillante Songs dabei, aber wie gesagt, solche Sachen brauchen Zeit.
Wenn man keine Ziele mehr hat, endet man womöglich in einer dieser Las Vegas-Shows und leiert seine Hits runter. Das wird mir nie passieren. Allein der Gedanke, vor Leuten zu spielen, die schmatzend ihr Dinner verspeisen, macht mich krank, eine grauenvolle Vorstellung. Ich hab‘ all die wundervollen Jahre erlebt und es genossen, ein Popstar zu sein. Den Erfolg brauche ich heute nicht mehr, mir kommt’s wirklich nur aufs Vergnügen an.“
ME/SOUNDS: Andererseits bist du aber berühmt dafür, bei jeder nur denkbaren Gelegenheit auf allen Bühnen der Welt aufzukreuzen, bei den Stones in San Francisco oder bei John Lennon im Madison Square Garden.
Elton: „Was? Tatsächlich? Bin ich berühmt dafür? Nun, ich hatte wohl wirklich eine Phase, wo ich gern bei anderen mitgespielt habe. Solche Sachen passieren ja immer spontan, wie überhaupt alles bei mir sehr spontan und überraschend geschah. Auf meinen plötzlichen Erfolg in Amerika war ich überhaupt nicht vorbereitet. Und das war auch gut so, denn wir brauchten und konnten überhaupt nicht planen, was als nächstes passieren sollte. Das passiert einfach von selbst. Letztlich war es für mich wichtig, immer wieder bei anderen, vor allem bei jungen Musikern einfach nur als Pianist mitzumachen, damit man das Gefühl fürs Publikum nicht verliert.
Als Superstar bist du zu weit weg, da kann der Spaß verlorengehen. Wenn du dich auf den Status als Star verläßt, bekommst du es mit der Angst, weil du nicht mehr feststellen kannst, ob du mit deiner Musik überhaupt noch in die Zeit paßt. Ich hab‘ nie aufgehört, mir alles anzuhören, anzusehen, was neu war.
Das, was ich wirklich kann, ist Musik machen, deshalb mache ich sie auch heute noch. Natürlich war es nicht sehr lustig für mich, nach 1976, also nachdem ich mich vorübergehend zurückgezogen hatte, die Charts anzuschauen und kein Produkt von mir vertreten zu sehen.
Aber ich mußte diese Pause einlegen, um meinen Verstand zu behalten. Ich meine, bei der Unmenge von Platten, die ich bisher veröffentlicht habe, kann man sich eher wie 59 und nicht wie 39 fühlen. Wenn ich zurückschaue, wenn ich anfange, über meine Karriere richtig nachzudenken, kommt es mir wie ein Wunder vor, daß ich das alles gesund überlebt habe. Heute bin ich dankbar, daß ich nicht nur für meine Generation spiele, sondern daß auch die Kids meine Songs mögen. Die entdecken mich, und mir kommt’s so vor, als wenn die 70er Jahre noch nicht mal vorbei wären.“
ME/SOUNDS: Dir gehört ja bekanntlich auch der FC Watford. Wärst du eigentlich statt Pop- lieber ein Fußballstar geworden?
Elton: „Natürlich. Man will immer das, was man nicht hat. Ich hätte auch gern eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewonnen. Oder Wimbledon, auch nicht schlecht. Ihr seid doch in Deutschland alle ausgerastet, als Boris Becker Wimbledon gewann. Ich war beim Endspiel, brillant der Junge! Aber soviel Erfolg so früh kann einen unglaublichen Druck auslösen. Irgendwann einmal dazustehen und nur Tennis spielen zu können bzw. nicht mehr spielen zu können, muß grausam sein. Als ich ’76 meine Krise hatte, war immer noch mein Fußballverein da. Ich brauche glücklicherweise auch nicht dauernd in Topform zu sein. Ich kann noch Klavier spielen, wenn ich 65 bin!“