Eine schrecklich kaputte Familie


Einmal im Jahr lädt die Insane Clown Posse, die nach eigenen Angaben „meistgehasste Band der Welt“, ihre Fans, die Juggalos, zum „größten Familientreffen des Planeten“. Was folgt, sind vier Tage Wahnsinn in den Wäldern von Illinois.

Es ist eine Szene aus einem Film. „American Juggalo“ heißt die 23-minütige Dokumentation, und Regisseur Sean Dunne gibt darin einen knappen, aber guten Überblick darüber, was Besucher des „Gathering of the Juggalos“ erwartet. „Wir haben Alkohol – und wir haben Sprengstoff!“, prahlt da ein sowohl physisch als auch psychisch sehr breiter Mann in die Kamera. „Lasst mich zeigen, wie toll wir sind …“ Spricht’s, zündet ein Mittelding aus Polenböller und einer Stange Dynamit an, und wirft das Ding hinter sich auf eine Wiese. Das Getöse der Detonation und das Geschrei erschrockener Mädchen übertönen seine nächsten Worte, dann ist er wieder zu verstehen. „Das mache ich hier die ganze Zeit: Saufen und Sachen in die Luft sprengen.“ Seine Kumpels kommentieren das mit lautem „Whoop-Whoop!“, dem Erkennungsruf der Juggalos, der sich wie eine Mischung aus Bellen und Hupen anhört – und mit krachendem HipHop und explodierenden Böllern die Geräuschkulisse des Festivals bildet.

Willkommen in HogRock, einem idyllischen, 46 Hektar großen Zeltlager in der Nähe von Cave-In-Rock am Ohio River! Seit 2007 verwandelt sich das Gelände jeden August ein paar Tage lang in eine Art Disneyland für Beavis & Butt-Head. Dann kommen aus allen Ecken der USA gut 10 000 Juggalos, Hardcore-Fans des Horrorcore-Rap-Duos Insane Clown Posse, zum Familientreffen. Oft reisen sie Tausende von Meilen an, aus kleinen Nestern wie Possum Creek oder Rock Springs, und oftmals unter großen Strapazen: per Anhalter, Greyhound-Bus oder Fahrgemeinschaft in bunt besprühten Pick-up-Trucks, die nur in einem Land ohne TÜV noch auf der Straße bewegt werden dürfen. Manche sparen das ganze Jahr, um die 175 Dollar Eintritt aufzubringen. Andere kündigen gar ihre Jobs, um dabei sein zu können. Denn nur wer beim Gathering erscheint, ist wirklich „down with the clown until in the ground“, versteht also seine Rolle als ICP-Fan als Lebensaufgabe.

Im Vergleich zu anderen US-Festivals, dem Coachella beispielsweise, bei dem Besucher für drei Tage – und ein für uns zugegebenermaßen ansprechenderes Programm – 285 Dollar berappen müssen, wirkt das Gathering wie ein Sonderangebot aus der Grabbelkiste. Jedes Jahr gibt es im Schnitt über 100 musikalische Auftritte, darunter hierzulande eher unbekannte Acts des ICP-eigenen Labels Psychopathic Records wie Twiztid und Dark Lotus bis hin zu Old-School-Rappern wie Ice Cube und Naughty By Nature. Manchmal treten sogar veritable Größen wie George Clinton & Parliament Funkadelic auf. Und so gut wie jedes Jahr ist Vanilla Ice mit seinen zwei Hits „Ice, Ice Baby“ und dem „Ninja Rap“ vom „Teenage Mutant Ninja Turtles II“-Soundtrack dabei. Trotz limitiertem Repertoire genießt Vanilla Ice „much love“, also den vollen Support der Juggalos, und im vergangenen Jahr wurde beim Gathering feierlich bekannt gegeben, dass sein nächstes Album bei Psychopathic Records erscheinen wird.

Doch es sind vor allem die Rahmenbedingungen und das Rahmenprogramm, die, laut Violent J, der dickeren Hälfte der Insane Clown Posse, das Gathering „zum Mekka für unsere Fans“ machen. Allerdings einem Mekka mit Riesenrädern, Karussells und einer staubigen Wegstrecke, der Drug Bridge, auf der so ziemlich alles zu kaufen ist, was anderorts verboten ist. In diesem Mekka wird gesoffen, geraucht, gerüsselt und geklinkt, von Bier und Schnaps über Koks, MDMA bis hin zu Acid, Pilzen und Lachgas aus Sahnespendern. Gefeiert wird 96 Stunden – oder solange der Körper mitmacht. Und wenn der mal streikt, gibt es ein erfrischendes Bad im „Lake Hepatitis“, einem modrigen Teich, in dem trotz Hitze eigentlich nur die baden, die entweder gar nichts mehr merken oder hineingeworfen werden.

HogRock ist Privatbesitz und als solcher polizeifreie Zone. Es gibt im umliegenden Landkreis Hardin County zwar einen Sheriff mit vier Gehilfen, doch die betreten das Gelände nur im äußersten Notfall – so geschehen, als ein wütender Würstchenverkäufer im Sonstwasrausch seinen Chef mit einem Messer anpikste. Ansonsten beschränken sich die Polizisten auf Fahrzeug- und Drogenkontrollen auf den Schotterwegen, die von und zum Parkgelände führen. Angesprochen auf den für amerikanische Verhältnisse unglaublich laxen Umgang mit offenem Drogenkonsum, blaffte Sheriff Tom Seiner die Journalistin Camille Dodero, die das Festival im Auftrag der New Yorker „Village Voice“ vor zwei Jahren besuchte, an: „Sie waren doch selbst vor Ort. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich da mit fünf Mann reingehe und Leute wegen Drogen verhafte?“

Natürlich gibt es auch legale Vergnügungen, deren Austragungsstätten auf einer Karte am Eingang zu HogRock verzeichnet sind. Zwischen den drei Campingzonen „Chaos District“, „Loonie Boonies“ und „Red Mist Mountain“ locken mehrere Bühnen, Zelte und ein Ring, in dem sich Wrestler, viele davon abgehalfterte Profis à la Mickey Rourke in „The Wrestler“, aber auch hoffnungsvolle und -lose Talente aus dem Publikum balgen können. Auf der Hauptbühne treten traditionell ICP selbst auf, unterstützt von Wasserwerfern, aus denen sie beim „Faygo Armageddon“ 8 000 Liter Faygo, eine billige, klebrige Limonade aus ihrer Heimatstadt Detroit, ins Publikum spritzen. Auf den Nebenbühnen geht es schon etwas gemächlicher zu, sieht man einmal vom vorletzten Jahr ab, als Sängerin Tila Tequila von den Juggalos mit so ziemlich allem beworfen wurde, was fliegt, inklusive vollen Windeln. Da half es auch nichts, dass Tila Tequila ihr Top lüpfte und ihre auffällig modellierten Busenberge zeigte – sie hatte zuvor „Trash“ über die Juggalos verbreitet, also abfällige Kommentare gemacht, und dafür gab es nun die Quittung. Die Zelte hingegen sind beinahe Ruheoasen. Mal signieren dort Pornolegenden wie Ron „The Hedgehog“ Jeremy die Brüste von Juggalettes, mal entspannen sich Komiker wie Gallagher von ihrem anstrengenden Auftritt, der wie immer im Zermatschen von Wassermelonen mit einem Vorschlaghammer endete. Auch die eine oder andere Freakshow findet Platz unterm Zeltdach: Dabei zeigen Miss-Juggalette-Kandidatinnen das Wunder weiblicher Ejakulation und ein zwergwüchsiger Wrestler der Half Pint Brawlers lässt sich Dollarnoten an die Hoden tackern. Selbst der nackte, gefesselte Juggalo, der erst ein Ecstasy-Zäpfchen und dann eine Tequlia-Bong verabreicht bekam, stach da kam heraus: auch die abstrusesten Formen des Amüsements gelten hier als „good, clean family fun“ – was wenig verwundert, wenn man bedenkt, dass die Juggalos eine schrecklich kaputte Familie sind.

Denn das sind sie wirklich. Gefragt nach Gründen, warum sie Juggalos geworden sind, erzählen Fans mit schillernden Pseudonymen wie Switch, Monica, Ester Jules, Random Ninja und Wicket fast einhellig Horrorgeschichten aus ihrer Kindheit und ihrem Leben. Einige von ihnen wurden bereits als Kinder sexuell missbraucht, viele mussten den Verlust von Elternteilen durch Krankheit oder Verbrechen ertragen oder wurden von Mitschülern gemobbt. Trost und Zuflucht fanden sie in den offenen Armen anderer Juggalos, ihrer schrägen, aber liebenden Ersatzfamilie. Und in der Musik von ICP, in der es zwar vordergründig um die gleichen tumben Themen wie bei anderer dumpfer HipHop-Musik geht, also „Bitches“, „Hos“ und „Dicks“, in der aber über den Verlauf von mehreren Konzeptalben der Dark Carnival, eine finstere Cartoonwelt, kreiert wurde, in der es vollkommen legitim ist, Kinderschänder zu kastrieren, fiese Väter und reiche Schnösel auszuknocken, und mit einer Axt hinterm Rücken zum Klassentreffen zu erscheinen – ein fantastisches Utopia im Kopf von Außenseitern und Geknechteten, in dem sie ungestraft Rache an allen Bösen und Unterdrückern nehmen können.

Die ultimative Rache lebt ihnen die Insane Clown Posse selbst vor: Violent J beschreibt in seiner Autobiografie „Behind The Paint“, wie sich der Stiefvater an seinen Geschwistern verging, wie Mitschüler ihm seine vor Angst vollgemachte Unterhose auszogen, sie an einen Stock banden und ihn damit durch die Schule jagten. Und wie er in Shaggy 2 Dope einen Leidensgenossen fand, einen Außenseiter, der genau wie er auf Wrestling und HipHop stand. Gemeinsam rappten sie als JJ Boys, dann als Inner City Posse, unbeholfen und von niemandem ernst genommen. Erst als sie sich Insane Clown Posse nannten, ihre Gesichter schminkten und immer irrwitzigere Texte rappten, nahm die Öffentlichkeit Notiz von ihnen. Mainstream, Major Labels und die Presse hassten sie. Gleich zweimal wurden ihre Alben von der Zeitung „USA Today“ zum schlechtesten des Jahres gekürt, und MTV weigerte sich, ihre Songs zu spielen. Doch ihre Fans, generiert in bester Grassroots-Manier durch unzählige Auftritte und das unermüdliche Verteilen von Mix Tapes, liebten sie: Endlich einmal rappten zwei Loser über all die Gewaltfantasien, die ihnen durch die Köpfe spukten.

Zwanzig Jahre später herrschen ICP über ein Imperium: zweimal Platin, fünfmal Gold, insgesamt 6,5 Millionen verkaufte Alben, eine eigene Plattenfirma, Wrestling-Liga, Filme und Merchandise sorgten dafür, dass aus den einstigen Verlierern mehrfache Millionäre wurden. Selbst einen Energy Drink namens Spazmatik haben sie, und ihr eigenes Social Network, JuggaloBook. Und mit „Miracles“ einen Hit, der auf YouTube bislang 9,8 Millionen Mal angeschaut wurde. Natürlich kann man sich eigentlich nur lustig machen über ein Lied, in dem fuckin‘ Regenbogen, fuckin‘ Magnete und fuckin‘ Giraffen als Art Weltwunder besungen werden. Man kann den Song aber auch hassen. „Komplette Idiotie“, „Dreck“ und „Gift“ sind noch die milderen Urteile in den Foren, ein besonders erregter Kommentator zeterte sogar: „Von dem Song bekomme ich Krebs!“

All der Hass bestärkt uns nur darin, weiterzumachen“, antwortet Shaggy 2 Dope, die dünnere Hälfte des Duos, seinen Gegnern. „Er gibt uns Kraft.“ Und schweißt gleichzeitig die Band noch enger mit ihren Fans zusammen. Denn echte Fans lieben ihre Band, egal was andere sagen. Nein, eigentlich nicht egal: Wenn andere sie hassen, dann lieben sie sie sogar noch mehr. Nur folgerichtig, dass ein ewiger Verkaufsschlager im Online-Shop der Band das T-Shirt mit der Aufschrift „Most Hated Band In The World“ ist.

Natürlich bräuchte man auch das Phänomen der Juggalos, die sich zwar als „anders“ und „individuell“ bezeichnen, in Wahrheit aber kaum mehr als eine Horde Schafe sind, die zwei Clowns hinterherrennen, nicht viel ernster als den Song „Miracles“ – oder jede andere Jugendbewegung, von Goths bis Club Kids – zu nehmen

Doch das FBI tut das. Nach ein paar schlagzeilenträchtigen Verbrechen aus dem Dunstkreis der Juggalos, darunter ein Fall von Nekrophilie, untersuchten sie die Fangemeinde genauer. Und stuften sie im Oktober 2011 auf Seite 22 des alljährlichen National Gang Threat Assessment Report als „lose organisierte Hybrid-Gang“ ein, deren Mitglieder „immer häufiger Untergruppen bilden und an organisiertem Verbrechen teilnehmen“. In vier Staaten, Arizona, Kalifornien, Pennsylvania und Utah, gelten Juggalos bereits als vollwertige Gang, auf einer Stufe mit den Bloods, Crips und der Aryan Brotherhood. Würde auch Illinois die Juggalos als Gang einstufen, dann wäre das Gathering in Cave-In-Rock nicht länger zulässig.

„Uns alle in einen Topf zu werfen und als kriminelle Organisation abzustempeln, ist fahrlässig“, erregen sich die Juggalos in Sean Dunnes Dokumentation darüber. „Natürlich gibt es ein paar schwarze Schafe. Aber es gibt auch Straight-Edge-Juggalos, Manager-Juggalos und sogar einen Gehirnchirurgen-Juggalo. Der tanzte heute Morgen in einem Zelt, voll auf Acid. Wir sind eben eine Riesenfamilie, aus ganz vielen verschiedenen Puzzleteilen. Whoop-Whoop!“ Damit verschwinden sie im Getümmel des Gatherings. Und feiern, solange es eben noch geht.

INSANE CLOWN POSSE

Seit Anfang der 90er rappen die Schulfreunde Joseph Bruce aka Violent J und Joseph Utsler aka Shaggy 2 Dope unter dem Namen Insane Clown Posse.

Mit ihrem grellen Clown-Make-up und Texten voller Nonsens und Gewalt eroberten sie zwar nie den Mainstream, aber eine loyale Fangemeinde, die Juggalos. Musikkritiker verdammen sie als eine der schlechtesten Bands der Welt, ihr Hit „Miracles“ verursachte bei einem Hörer angeblich sogar Krebs.

Doch mit 6,5 Millionen verkauften Alben ist den Multimillionären Kritik egal. Ihre Antwort an all die Hater: das Mozart-Stück „Leck mich im Arsch“, das sie 2011 mit Jack White aufnahmen.