Hitparaden-Kolumne „Die da oben“

Ein „Zu spät“ fürs Jahr 2021: Was Katja Krasavice und Die Ärzte gemeinsam haben


Ist der Erfolg von Katja Krasavice die Rache des Patriarchats für den Popfeminismus? Eine Kolumne von Julia Lorenz.

Es gibt Zeilen in „Raindrops“, dem Song, mit dem Katja Krasavice gerade zum vierten Mal in diesem Jahr auf Platz 1 der Singlecharts steht, die erinnern ausgerechnet an: Die Ärzte. „In der ganzen Zeit hast du mich nicht einmal gefragt / Wie es mir so geht, jetzt bin ich die Eins in den Charts / Und jetzt hör’ ich, wie dein Herz zerbricht / Doch ich weiß nicht mehr, wer du bist“, singt die gebürtige Tschechin im Video, während sie sich − schummrig weichgezeichnet − im Zottelpelz räkelt.

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Der Song, den sie mit der Sängerin Leony aufgenommen hat, ist ein „Zu spät“ fürs Jahr 2021. Nur, dass hier kein schluffiger Jungpunk seiner Ex eine lange Nase dreht, sondern die Frau, die ihr im Februar erscheinendes Album PUSSY POWER nennen wird. Die in ihrem Webshop „Bitch Tangas“ (9,90 Euro) verkauft. Die erst als YouTuberin berühmt wurde, dann bei „Promi Big Brother“ auftauchte, schließlich über Nacht zur Charts-Regentin morphte: Ihre Alben BOSS BITCH (2020) und EURE MAMI (2021) kletterten beide auf Platz 1.

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Ein ausgestreckter Mittelfinger an alle, die Katja Krasavice als Insta-Phänomen abtun wollen

Die Frau hinter den Erfolgen bleibt jedoch von vielen gering geschätzt. Krasavices schönheitsoperiertes Äußeres ist immer wieder Vorlage für zeitgeistkritische bis misogyne Kommentare, sie selbst eine Art deutsches Pendant zu kontroversen Figuren wie Cardi B. Die kommt, wie auch Krasavice, strahlend stark und sexuell selbstermächtigt daher, beherrscht aber zugleich das „Ich Chef, du nix“ Game der Machtmänner ein bisschen zu gut, um als lupenreine Ikone der Frauensolidarität durchzugehen.

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Egal, ob Girlboss Krasavice nun eine street-smarte, mit allen Wassern gewaschene Feministin ist − oder die Rache des Patriarchats für das „Was mir gut tut, wird schon emanzipatorisch sein“-Laissez-faire des Popfeminismus: Tatsächlich wird ihre Musik immer besser. „Raindrops“, ihr persönliches „Zu spät“, ist ein verdammt guter, eingängiger, schick minimalistisch produzierter Popsong auf internationalem Niveau. Und nicht nur ein ausgestreckter Mittelfinger an eine Ex-Liebe, sondern an alle, die sie als Insta-Phänomen abtun wollen.

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Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 01/2022.