Ein Himmel voller Motorradhelme


Wenn Arcade Fire ihre Messe feiern, kommt einiges auf den Klangaltar: jede Menge Instrumente, viele Frisuren und selbstverständlich ein roter Motorradhelm.

An was die alles denken. Wie die alle aussehen. Wie viele Menschen tummeln sich da eigentlich auf der Bühne? Zwei Frauen, sechs Männer. Alles gewandet in respektabler Abendgarderobe. Anzüge, mitunter mit Westen kombiniert, das kleine Schwarze für die Dame(n). Was besonders hübsch aussieht bei Régine Chassagne, die die festive Tapete mit knallroten Longsleeves kombiniert – und dezent grotesk wirkt, wenn der Gattin von Bandleader Win Butler in dieser Montur mal wieder jemand aus der Band mit einem Schellenkranz die Frisur durchwühlt. Oder Richard Parry: Der sieht aus wie der junge Bill Gates und ist in jeder Hinsicht bestens auf das Konzert vorbereitet, auch obenrum: Er trägt einen knallroten Motorradhelm. Was sich als hilfreich erweist, weil bei den ersten Songs ständig einer seinen Kopf mit Drumsticks bearbeitet.

Vor der Bühne des Gebäude 9 ist es noch voller als darauf, es konzertieren Arcade Fire aus Montreal, und das bedeutet jede Menge: Remmidemmi, Budenzauber de luxe, Schabernack, Jux und Dollerei. Und ein Kollektiv, das alles, was man unter Rockmusik verhandeln kann, nach allen Regeln der Unterhaltungskunst zelebriert: Folk, Pop, Ethno-Geklingel, Hymnen und Hymnen-artiges, operettenhaftes Melodrama – der Sound, ein dramaturgisch verdichteter emotionaler Dampfhammer. Wenn Arcade Fire loslegen, taumeln die Töne schwelgerisch umeinander, vereinen sich zu Melodien, die einem Herz und Schädel wummern lassen. Und bei alldem spielt die Band fröhlich Rundlauf: Jeder darf mal alles, kein Instrument ist für einen allein.

Arcade Fire spielen die Songs ihres fabelhaften Albums Funeral, klatschen den Gefühlskleister von „Wake Up“

schonungslos ins Publikum, und bei „Une année san lumiere“ wird kurzerhand ein Teil des Drumkits zweckentfremdet: Mit sportivem Anlauf wird ein Becken samt Ständer gegen die Wand gedroschen. Einmal, zweimal, viele Male. Ob der über der Wand verlaufenden Rohre hat man sekundenlang etwas Angst: Wird es zum Wassereintritt in den Zuschauerraum kommen? Womöglich Gas ausströmen? Nichts passiert, und Arcade Fire könnten darauf ohnehin keine Rücksicht nehmen, es muß ihnen sogar schnurz sein, denn: Es geht um das große Ganze, all die Möglichkeiten, die im Rock’n’Roll stecken. Und, klar, um Himmel und Hölle. Ersterer ist übrigens wegen Überfüllung bis auf weiteres geschlossen. Arcade Fire haben ihn voller Geigen gehängt. Und Becken. Keyboards, Gitarren, Melodicas. Schellenkränze. Glockenspiele. Und mittendrin parkt ein roter Motorradhelm. How wunderbar.

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