Ein ganz spezieller Dreh
Warum spielen amerikanische College-Boys und britische Elektrorocker plötzlich mit Polyrhythmen und afrikanischen Highlife-Gitarren? Antworten gibt die fasziniere Geschichte des Afrobeat. Die Rhythmen und Sounds aus dem Mutterschoß der Popkultur machen Indie-Rock und-Pop gerade wieder flott.
Und der Herr sprach: „Rhythm is the soul of life. The whole universe revolves in rhythm. Everything and every human action revolves in rhythm.“ Diese Sätze sind dem Beat-Evangelium nach Babatunde Olatunji entnommen. Der 2003 verstorbene Percussionist und Prediger trug die Rhythmen und Gesänge seiner Yoruba-Vorfahren Ende der 50er-Jahre nach Amerika, seine Platte Drums of passion war der Startschuss einer Annäherung zwischen afrikanischen und angloamerikanischen Musikern, deren Geschichte gerade in eine neue Umlaufbahn geht. Heute spielen die Kinder des Indie-Pop mit den Polyrhythmen des Afrobeat und den flirrenden Gitarrenmelodien aus dem Nachlass von King Sunny Adé.
Afrobeat boomt. Was jahrelang nur über Worldmusic-Läden und Dritte-Welt-Labels vertrieben wurde, hat nun die Pop-Intelligenzija erreicht. Schicke Compilations wie der neue Nigeria SPECIAL-Sampler mit bislang unveröffentlichten Beatzeugnissen, Zusammenstellungen der besten afrikanischen Militärorchester und Remix-Alben, die den rhythmischen Finessen afrikanischer Bands Tribut zollen, demonstrieren das Interesse an einer Musik, die lange ein Nischendasein fristete. Afrobeat ist mit der postumen Wiederentdeckung von Superstar Fela Kuti an die Oberfläche der Popmusik gespült worden und seitdem nicht mehr von den Dancefloors der Welt wegzumischen.
Die Geschichte erhält gerade aber einen ganz speziellen Dreh – Indie-Pop goes Afrobeat. Man kann das in den von Afro-Sounds angeführten Songs der New Yorker Vampire Weekend („Cape Kod Kwassa Kwassa“) genauso gut hören wie im Afrobeat-informierten, nanotechnischen Präzisionsrock der britischen Foals. Vampire Weekend haben ihrer Musik einen marktfähigen Stempel verpasst: „Upper Westside Soweto“. Signal eines frischen Selbstbewusstseins, mit dem Vampire Weekend die Popgeschichte nach ihrer eigenen Grammatik zusammenstellen. Die Columbia College Graduates leisten sich den lässigsten Soundhybriden seit Orange Juice und Haircut 100: leicht holpernde afrikanische Rhythmen, hochfliegende Lyrics, Soukous-Gitarren und von den Beach Boys geborgte Harmonien.
Die Fans in der Blogsphere jubelten und meckerten ob der Ähnlichkeit zu Paul Simons Crossover-Megaseller Graceland (1986). Aber im Gegensatz zu Simon oder Peter Gabriel ist den aktuellen Indie-Bands nicht an der Entwicklungshilfe für die afrikanische Popkultur gelegen, die die Rock-Granden in den 80er-Jahren mit dem Gestus der Wohltätigkeit betrieben. Afrobeat besitzt gerade den entscheidenden Coolness-Faktor. Für Bands wie Vampire Weekend, Foals oder Extra Golden stellt die Königsklasse der Afro-Rhythmen eine hübsche Herausforderung dar, und wer heute eine dieser Juju-Hawaiigitarren spielen kann, besitzt das bisschen Vorsprung durch Technik, das im Wettbewerb um die Downloads der iPod-Gemeinde wertvoll geworden ist. Afrobeat wird zur Laufhilfe für den lahmenden Patienten Indie-Rock, der seine eigene kleine Geschichte konsequent zu Grabe trägt, indem er sich fast nur von dieser nährt: von den Punk-Roots über Manchester Sound und Rock-Dance bis zu den Shoegazer-Bands der frühen 90er. Indie-Musiker beschleicht langsam der Ennui der Besserwissenden: Was mache ich mit mir und meiner Musik, wenn ich eigentlich schon nichts mehr von mir und meinen Ursprüngen weiß?
Yannis Philippakis, Sänger der Oxforder Elektrorocker Foals, ist griechischer Herkunft, er wuchs in ländlicher Umgebung auf. „Ich bin lange Zeit in die Heimat gereist, um meinen Vater zu besuchen. Er baut Instrumente und singt mit den Männern aus dem Dorf alte byzantinische Lieder. Das sind Epen, sie dauern manchmal eine ganze Stunde an“, erzählt der Foals-Frontmann. Live nimmt sich die Band schon einmal einen Schnipsel solch eines Liedes und stellt ihn in aller Deutlichkeit vor ihr Programm – eine Art Danksagung an außereuropäische, rockfremde Traditionen, die dem durchschnittlichen Artschoolpunk von nebenan eher vorenthalten bleiben. Mit den Afrobeat-Elementen auf ihrem Debüt-Album Antidotes ist es ähnlich, sie dienen der Band als Abstandhalter zur britischen Indierock-Mischpoke, von der Foals sich gründlich entfremdet haben, wie Ex-Literaturstudent Philippakis in Interviews gerne erzählt. In der Neuauflage des Indie-Imperativs „Be different!“ treffen sich Foals mit den schwedischen Suburban Kids With Biblical Names. Die Skandinavier experimentieren mit Highlife-Mustern in einem catchy geratenen Pop-Ambiente. „Highlife-Musik klingt so gut, weil sie voller Energie ist -und kein Rock“, sagt Sänger und Gitarrist Johan Hedberg. ‚Aber wir haben bei den Aufnahmen nicht verschiedene Highlife-Bands diskutiert. Wir spielen unsere eigene Version, die hat mehr mit dem Gefühl als mit dem Sound zu tun.“ Bei Extra Golden ist Afrobeat ein Stück kulturelle Praxis mit den Hindernissen, die Annäherung mit sich führt: Die Band besteht aus den Gitarristen Alex Minoff (Weird War) und Ian Eagleson aus Washington D.C. und den Benga-Musikern Onyango Jagwasi, Opiyo Bilongo und Onyango Wuod Omari aus Nairobi; sie jonglieren mit den musikalischen Echos ihrer Heimat, variieren zwischen Folk und spacigem Rock und finden dabei eine Zwittersprache, fernab gängiger Worldmusicformate. Nach den Unruhen in Kenia wurde das Haus von Jagwasi geplündert, seine Familie musste fliehen.
Der Rest spielt Afro-Hype, in sicherer Entfernung zu Politik, Ökonomie und den Unbilden des Lebens. Das Internet-Magazin „Stereogum“ pusht gerade den afro-karibisch inspirierten Hippiefolk des NY-Duos High Places, gut informierte Blogger bringen Brooklyns Yeasayer und den Songwriter Adrian Orange ins Spiel, der seine Küchenlieder neuerdings mit Afrobläsern aufnimmt. Das Phänomen ist auch schon bis ins deutsche Feuilleton gedrungen: Die „taz“ entdeckt in der Afrobeat-Welle „Popsongs für das gute Gewissen“, Thomas Gross würdigt in der „Zeit“ „Fela Kutis wuchernden Klangkosmos“. Wo stünden wir heute ohne Fela Kuti, den nigerianischen Superstar und Panafrika-Propheten, der dem Afrobeat Kopf und Körper schenkte? Kuti entdeckte für uns das Rauscherlebnis Rhythmus, er nutzte seine L.A.- und New-York-Besuche Ende der 1960er-Jahre zum Re-Import der Black Music in den oft zitierten Mutterschoß der Popkultur. Kuti radikalisierte die regionalen Juju- und Highlife-Stile seiner Heimat mit den scharfen Kanten aus dem Soul-Repertoire James Browns und Sly Stones. Für das Finetuning zuständig: Bandleader und Superschlagwerker Tony Allen. Das war die Geburt des Afrobeat vor knapp 40 Jahren.
Was ist Afrobeat 2008? Eine Werbekampagne für bessere, intelligentere, rhythmisch reichhaltigere Musik? Oder etwa doch der Versuch einer Versöhnung der westlichen Popkultur mit ihren verstreuten Ursprüngen, wie er von den Strategen des Postpunk Ende der 70er vorgeführt wurde? Als die Talking Heads 1979 ihr Album Fear of music veröffentlichten, war afrikanische Popmusik kaum mehr als der Hobbykellertraum einiger Jazz-Enthusiasten. Die Talking Heads legten eine Afrobeat-Adaption vor, die erstmals von den Möglichkeiten der Erweiterung der Rockmusik erzählte („I Zimbra“).
Talking-Heads-Chef David Byrne und Brian Eno gingen auf My life in the bush of ghosts 1981 noch einen Schritt weiter und montierten aus Radio-Sequenzen und anderen musikalischen Fundstücken afrikanischer und westlicher Herkunft viel beachtete Sound-Collagen. Deren Bestandteile lösten sich von Geschichte und Ursprung, unterlegt nur vom Shuffle, den ein Dutzend Rhythmiker ihnen im Studio eingespielt hatten.
Paul Simon und Peter Gabriel haben die afrikanische Musiken in den 80ern ins kollektive Gedächtnis befördert. Aber handelte es sich nicht um einen Akt postkolonialer Arroganz, wenn West-Popgrößen glaubten, die musikalischen Erzählungen ganzer Regionen in ihr Schema von „Crossover“ pressen zu können, um ihre Karrieren anzuschieben? Damon Albarn, Ex-Chef der Britpophelden Blur und Erfinder der Cartoonband Gorillaz, trieb ein anspruchsvolleres Anliegen um; in seiner Afropop-Vision sollte die Essenz des Mali-Sounds mit den gerade aktuellen Neuerungen im wilden Westen der Elektronik zu etwas Größerem zusammenfließen, das die Kategorie „Weltmusik“ hinter sich lässt. Was ihm mit dem Album Mali music (2002) bis zu einem gewissen Punkt gelang. Früher oder später jedoch setzte sich beim interessierten Hörer der Eindruck fest: Danke Dämon, aber beim nächsten Mal suche ich gleich die Originale aus Mali. Albarn setzte seine Afro-Erkundungen 2007 fort, machte mit Tony Allen Station im Kongo, um sich von den Likembe-Bands in neue musikalische Universen entführen zu lassen.
Noch nie gab es SO Viel neue und wiederveröffentlichte afrikanische Musik wie heute – ein Ergebnis gesteigerter Nachfrage, meint Alan Scholefield vom Londoner Label und Record Shop Honest Jon’s. „Wir verkaufen spürbar mehr Afrobeat-Alben als noch vor ein paar Jahren.“ Special-Interest-Labels wie Honest Jon’s, Sterns und Soundway konkurrieren um die Hebung der wertvollsten Schätze von morgen die Entdeckung der Roots-Musiken aus hunderten Regionen des 30-Millionen-Quadratkilometer-Kontinents Afrika mit seinen vielfältigen musikalischen Dialekten. „Das Interesse an Reissues im Afro-Beat verdankt sich auch dem letzten Generationswechsel“, so Scholefield. „In vielen Labels sitzen heute Leute, die mit Soul, Jazz und Funk groß geworden sind und nun nach den afrikanischen und lateinamerikanischen Vorläufern suchen, so wie die Stones-Fans der 60er nach Muddy-Waters-Alben Ausschau hielten.“ Gibt es einen aktuellen Aufhänger, verkauft sich der Backkatalog wie geschnitten Brot. Beispiel Tinariwen: Die als „Rolling Stones der Sahara“ beworbene Band aus Mali machte World-Music-Karriere unter dem „Tuareg“-Label. Tinariwen bedienen die Sehnsucht der ergrauenden Rockgemeinde nach Widerstand und Authentizität und demonstrieren, wie sich eine traditionelle Musik auch die Errungenschaften des Rock zunutze machen kann. Das umgekehrte Spiel findet bei Foals statt, bar jeder rebellischen Geste. Afrobeat ist im Klangkosmos der Briten zum strukturfördernden Element geworden; Fela Kuti, Talking Heads, die Ethiopiques-Reihe, zentralafrikanische Tanzbands und die Platten der Afro-Avantgardisten Konono N0.1 gehören zu den erklärten Einflüssen der Band. Genauso wie R& B, HipHop – all das, was das multikulturelle Großbritannien des 21. Jahrhundert auszeichnet. „Wir wollen Musik machen, die auch technisch ein bisschen anspruchsvoll ist,“ sagt Sänger Yannis Philippakis, „mehr als nur Partymusik, aber trotzdem tanzbar.“ In anderen Worten: Afrobeat.