Eddie and The Hot Rods
Drinnen gibt es irrwitzig schnellen, ungestümen Rock, lärmen Teens mit Ringen im Ohr, Rasierklingen um den Hals und abenteuerlich grell gefärbten Haaren. Draußen gibt es hinterher mal kräftig was auf die Schnauze, fliegen Fäuste, wehen Alkoholfahnen: In der britischen Punk-Rock-Szene geht es derzeit heiß her, heiß und laut und ganz schön frech. Weiß der Teufel, was nun in diesem Jahr aus dem Punk wird, nachdem er im vergangenen Jahr das Klassenziel sozusagen nicht erreichte und nur eine kleine, radikale Minderheit der britischen Nation entflammte: die bösen Kinder nämlich, die sich nicht – wie die lieben Kinder – bei den Bay City Rollers ausheulen, sondern Dampf machen und Dampf ablassen – mit Vorliebe in Konzerten von Eddie & The Hot Rods.
Die Hot Rods haben allen anderen Punk-Gangs zwei Dinge voraus: Erstens machen sie ganz gute Musik, und zweitens haben sie Erfolg. Bis Mitte Januar, berichtet ein Fachblatt der britischen Musikindustrie, hatten Eddie und sein Anhang im Lande ihrer Majestät rund 100.000 Singles und 20.000 LP’s abgesetzt. Falls sie halbwegs menschenwürdige Verträge besitzen, können sie sich also zumindest das tägliche Brot leisten.
Der Eddie, von dem hier immer die Rede ist, der existiert übrigens gar nicht. Die Hot Rods bilden vier Musiker, alle unter oder so um die zwanzig: Sänger Barrie Masters, Gitarrist und Hauptkomponist Dave Higgs, Baßmann Paul Gray und Drummer Steve Nicol. Bis Anfang 1976 spielte noch ein Junge mit der Mundharmonika bei ihnen, der Lew Lewis hieß und sich davonmachte, als „Writing On The Wall“ erschien, die erste Single der Gruppe.
Gesehen habe ich Eddie & The Hot Rods zum ersten Mal im letzten Sommer beim Reading Festival. Da traten sie in erlauchtem Kreise auf: Nach ihnen spielten am selben Tag unter anderem noch 801 mit Eno und Phil Manzanera, die fantastische US-Band Mallard und Gong. Die Rods gefielen mir damals recht gut, regten mich aber nicht sonderlich auf. Was wohl an der Umgebung lag. Denn was für eine Musik die Gruppe macht und für wen, das dämmerte mir erst im Dezember, als ich sie im Londoner Roundhouse wiedersah, eingekeilt in eine 2000köpfige, schwitzende, zuckende Masse. Dort war das Zielpublikum der Rods zur Stelle.
Kopfschuß
Teenager, die in miesen, häßlichen Mietskasernen wohnen, wegen der chronischen britischen Wirtschaftskrise keine Arbeit finden oder unlustig irgendeinen schlecht bezahlten Job durchziehen, den sie mit Müh und Not ergattern konnten. Deshalb also wird gesoffen, setzt es manchmal Prügel. Klar?
Von all dem Ärger, den die Teens heutzutage um die Ohren haben, reden die Hot Rods im Barne Masters Paul Gray Titelsong ihres ersten Albums „Teenage Depression“. Auf dem Cover ist ein Junge abgebildet, der die Nase endgültig voll hat und der sich erschießen will. Das Thema ist also wieder aktuell, genau wie in den sechziger Jahren, als die Who die ebenso programmatische Platte „My Generation“ herausbrachten.
Stichwort „Who“: Von ihnen und von Chuck Berry wurden die Hot Rods musikalisch am stärksten beeinflußt; den Who-Klassiker „The Kids Are Allright“ haben sie im Repertoire.
Schmutz
Natürlich ist die Rods-Musik keine revolutionäre Neuschöpfung; sie ist wohlvertraut und „alt“ wie alles, was nach dem Rock’n‘ Roll der ersten Stunde, nach Elvis Presley, Little Richard und Chuck Berry kam. Aber verblüffend ist schon, daß der Punk, wie ihn Eddie & The Hot Rods spielen, so verdammt frisch, unverbraucht und energiegeladen dröhnt. Im Grunde macht man diese Erfahrung immer wieder: Wenn die Musik ehrlich ist, der Background der Musiker stimmt, Schwärze und Schmutz in ihren Knochen stecken und nicht im Papierhirn ihres Managers, dann fährt man ab auf die einfachsten Akkordfolgen.
„Teenage Depression“, in England schon im vergangenen Spätherbst, bei uns jedoch erst vor wenigen Wochen veröffentlicht, enthält vorwiegend Eigenkompositionen der Hot Rods, die reichlich reinknallen. Das überrascht, denn bislang hatte sich die Band immer auf Fremdkompositionen gestürzt und sie großartig bearbeitet. Ihre zweite Single – produziert übrigens vom Roxy-Mann Andy McKay – hieß „Wooly Bully“ und war ein alter Hit von Sam The Sham & The Pharaohs. Auf der nachfolgenden EP, live im „Marquee“-Club aufgenommen, brachten sie „96 Tears“ von den Mysterians, „Get Out Of Denver“ von Bob Seger, „Gloria“ von Van Morrison und – wirklich stark – „Satisfaction“ von den Stones. Ihre Musik baut auf den Rhythm & Blues, auch wenn diese Wurzel sich nicht so deutlich aufspüren läßt wie zum Beispiel bei Dr. Feelgood, der ausgewachsenen Pub Rock-Band, die genau wie die Hot Rods aus der sogenannten Southend-Szene in Canvey-Island stammt.
Vergewaltigung
Daß die Rods so einfach und für verwöhnte Ohren richtig ordinär spielen, macht sie zu Heckenschützen in einer Musiklandschaft, in der sich synthetische, kalte, überzüchtete Musik breitgemacht hat und das Rockpublikum im HiFi-Fachgeschäft um die Reinheit von Sinustönen und um die siebte Stelle hinterm Komma beim Wert des Klirrfaktors streitet. Amerikas bekannteste Punk Band, die Ramones, haben für solche Technik-Freaks auf ihrer ersten LP einen Song eingebaut, der mit dem fürchterlich lauten, schrillen Ton einer Kreissäge beginnt und in aufgedrehten Stereoanlagen in Sekundenbruchteile die Hochtöner zerstört. Ganz so brutal sind die Hot Rods nicht, aber auch sie sind Beweis dafür, daß es gärt in der Rockmusik.
Man mag von den Hot Rods halten, was man will: Fest steht, daß man sie mittlerweile schon in Gegenden liebt, in denen man Anhänger nun wirklich nicht vermutet. Zum Beispiel in Frankreich. Dort haben sie mal eine Tournee über die Dörfer gemacht und in Kaffs gespielt, in denen die Leute noch nie zuvor eine Rockband live erlebt hatten. Seitdem veranstalten die Franzosen Punk-Festivals und tragen auch Rasierklingen um den Hals. Was aus Deutschland wird, kann noch niemand sagen. Die Hot Rods basteln an einer Tournee durch kleine bundesdeutsche Clubs. Und deutsche Väter, die Abba lieben und ihren Sohn aus dem Wohnzimmer schmeißen, weil er die Musiktruhe (Nußbaum, beste Qualität) mit den Hot Rods vergewaltigen will, soll es auch schon geben.