Echt heliumhaft: Wie sich Domiziana mit Hyperpop zum Highspeed-Erfolg pitcht
Pop gegen die Corona-Stagnation: der Erfolg von Domiziana und der Hyperpop-Hype. Die aktuelle Hitparaden-Kolumne von Julia Lorenz.
Musiker*innen, die sich seit Jahren abmühen für den Erfolg, die als Nachmittagsacts auf Festivals in Mitteldeutschland vor zehn dösenden Partyleichen oder als Support von egalen Indie-Bands gegen das Biergläserklirren anspielen müssen – all diese Glücksritter dürften sich komplett verarscht vorkommen, sollten sie sich je auf die Wikipedia-Seite von Domiziana Gibbels verirren. „Im Februar 2022 unterschrieb sie einen Plattenvertrag bei dem Musiklabel Four Music“, heißt es da. „Am 4. März 2022 wurde ihre erste Single ‚Ohne Benzin‘ veröffentlicht. Ein Musikvideo erschien am selben Tag auf YouTube. Ende Mai 2022 stieg der Song unter anderem auf Platz acht in die deutschen Singlecharts ein und erreichte am 17. Juni 2022 Platz eins.“
Was ist da passiert mit Domiziana, wie sich Gibbels (auch auf die Gefahr hin, wie eine „Deutschland sucht den Superstar“-Kandidatin von 2003 zu klingen) nennt – im Laufe von nur drei Monaten? It’s TikTok, stupid. Klar, der Dance-Pop-Song „Ohne Benzin“ ist durchaus ein Hit, allein schon wegen des Videos, in dem Domiziana auf einem Motorrad herumturnt. So richtig in, nun ja, Fahrt kam die Karriere der gebürtigen Freiburgerin, gelernten Sizilianerin und nunmehr Berlinerin aber erst, als „Ohne Benzin“ in Dance-Challenges auf TikTok auftauchte – in 1,1-facher Geschwindigkeit.
@iam.domiziana Remix droppen??? @marekderking thank u for making me realise #ohnebenzin #berlinaesthetic #domiziana #fürdich #berlintechno #berlin #foryou ♬ Ohne Benzin (1,1x Speed Version) – Domiziana
Sachte beschleunigt klingt Domizianas Stimme heliumhaft und außerirdisch, der Beat hyperaktiv: nach Hyperpop eben, jenem Genre, das dem Zeitlupenpop der Zehnerjahre-Königinnen, der Billie Eilishs und Lana Del Reys, seit einiger Zeit Überdrehtheit und Highspeed entgegensetzt. Vor zwölf Jahren wurde der US-Produzent Nick Pittsinger zum Internetphänomen mit dem Kunstgriff, Justin Biebers „U Smile“ in einer 800-fach verlangsamten Version zum spukigen Witch-House-Stück für die beschleunigungsmüde Welt runterzukochen. Nun, nach Jahren der Corona-Stagnation, pitchen sich Künstlerinnen wie Domiziana mit Hyperpop zum Highspeed-Erfolg. Wenn auch drei Monate bis zu Platz 1 in ihrer Zeitrechnung sicher eine Ewigkeit sind.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 09/2022.