Echo & The Bunnymen – Mersey Psychedelica


Hungrige Künstler mögen zwar die besseren Musiker sein. Bei Interviews wirkt sich ein knurrender Magen jedoch leicht negativ auf die Konzentration aus. Echo & The Bunnymen waren hin und hergerissen zwischen ihrem Kohldampf und unserem Interesse an ihrer bewegten Lebensgeschiente.

da standen sie nun – im langen Heimkehrermantel und mit Tegtmeier-Gedächtniskappe, die Knopfaugen runder als bei Käthe-Kruse-Puppen, ihr Vorbeter unter Haarstacheln der Marke Hamsterfell, dreimal durch den Ventilator gejagt.

Daß es sich tatsächlich um Echo And The Bunnymen handelte, angeführt von Ian McCulloch, wurde trotzdem schnell deutlich. Weil nämlich Letzterer, bekannt als ein wenig unberechenbar, tischklopfend darauf bestand, unbedingt in Sichtweite des zu erwartenden Essens zu verbleiben. Und reichlich Kohldampf schoben alle vier.

Nach freundlichem Hinundher (und der Versicherung, daß die Portionen auf jeden Fall gebracht würden) sitzen wir dann oben in der Teestube der Hamburger Markthalle. Eine 1980er-Ausgabe der „Merseysound“-Postille hätte ich besser nicht mitgebracht, denn darin versinken umgehend Les Pattinson und Will Sergeant: Schließlich kommt das Gedruckte aus der Heimat Liverpool. Nur Pete De Freitas strahlt wie Hutlicht und erweist sich als der Redseligste. Das Essen ist noch immer nicht da.

Im Rahmen einer kurzen Package-Tour mit Bauhaus ist das ausgesprochen sympathische Quartett an der Elbe gelandet, nachdem die Band gar nicht erst gen Berlin gereist war. Pete: „Wir wollten, aber der Zeitplan wurde auf einmal so verdammt knapp. Und statt je einer womöglich schwachen Vorstellung in Berlin und Hamburg haben wir den Gig in Berlin lieber sausen lassen.“ Und Will, inzwischen am Fanzine knabbernd, wirft gleich ein paar Brocken von „nach Hause fahren“ hinterher.

Zuhause sind die Senkrechtstarter in Toxteth, dem Liverpooler Distrikt, wo’s an jeder Ecke rund geht, weil die sozialen Bedingungen unter der Talsohle angelangt sind. Frage: Seid ihr heute völlig raus aus dem Milieu, abgenabelt von den Problemen, mit denen ihr aufgewachsen seid?

Pete: „Wir leben dort nach wie vor. Und wenn wir nicht unterwegs sind treffen wir auch die alten Kumpels. Irgendwie ist das schon ein seltsames Gefühl: Zu wissen, die stecken noch voll drin im Dreck – und wir haben zumindest den Absprung geschafft, schwirren in der Weltgeschichte umher.“

Zum Beispiel in Hamburg, wo irgendein herzloser Koch noch immer nicht in Schweiß gekommen ist …

1976 lief in der Stadt am Mersey River kaum noch etwas. Den Hafen hätte man längst schließen können, wenn da nicht das Wasser gewesen wäre. Die einst geköderte Großindustrie war abgehauen, von Kleinkunst, Selbstgemachtem so gut wie keine Rede. Dort, von wo rund 15 Jahre zuvor die Beatmusik um die Welt gestartet war, regierte der musikalische Stillstand. Erst durch den Punk-Knall in der lethargischen Ruhe gestört, erinnerten sich dann einige Musiker ihrer Instrumente und das Heer der Arbeitslosen; in einigen Stadtteilen über 60 % sonderte plötzlich eine Band nach der anderen ab.

„The Crucial Three“ war eine davon. Am Baß: Julian Cope (Teardrop Explodes), die Gitarristen hießen Pete Wylie (jetzt Wahl) und eben Ian McCulloch, alle drei noch heute bestens verfeindet. „Mac“ wechselte zu „A Shallow Madness“ und formierte 1978 Echo And The Bunnymen mit Les Pattinson (Baß) und Will Sergeant (Gitarre) von Industrial Domestic. Den Rhythmus paukte eine Maschine, die auf den Namen „Echo“ hörte. Sehr schnell wurde die Gruppe zu dem Tip auf der lokalen Szene.

Und schon gibt’s Remmidemmi: Ian, lange genug links sitzengelassen, meldet sich von selbst zurück: „Es gibt keine Szene!“ Will: „There is a scene!“ Les: „There was a scene, but it is dead now!“

Man streitet durcheinander und zu Ende, der Hunger ist fürs erste vergessen. „Das ist Quatsch, auch wenn Julian Cope sowas behauptet. Es gab und gibt kein Kollektiv wie z.B. in Manchester, wo dann alle Bands gleich klingen. Keine gemeinsamen Jam-Sessions, nichts speziell elektronisch Orientiertes à la Sheffield, es ist viel variabler. Also gibt es keine Szenen. Es sprach der Chef.

Aher neue Clubs und Kneipen gibt’s inzwischen wieder zuhauf. Der Ausgangspunkt war „Erics“, wo die Gruppe im Spätherbst 1978 ihr Debüt bestritt. Auch etliche Kleinlabels etablierten sich, darunter „Zoo“, geleitet von Bill Drummond, dem gegenwärtigen Manager von McCulloch & Co.

Im März 1979 wurde die Single „Pictures On My Wall“ veröffentlicht, London stellte die Ohren hoch – und rasch wurde ein Stempel geprägt für so Vieles, was aus Liverpool kam: „The New Psychedelia“.

Pete: „Viele Musiker wollen das regelrecht hören von den Medienleuten, um einen Zug zum Aufspringen zu haben. Wenn du aber nachfragst, wissen meistens beide Seiten überhaupt nicht, wovon sie eigentlich reden.“ Will: „Wir haben damit nichts zu tun, ich weiß auch gar nicht, was das konkret sein soll. Aber in London ist das momentan wieder ‚in’…. ‚psychedelische Klamotten‘ zum Beispiel, lächerlich“. Weniger witzig, daß noch immer kein … na, ihr wißt schon.

Echo And The Bunnymen avancierten zum zeitweiligen Lieblingsobjekt der englischen Presse. Vom Korova-Label unter Vertrag genommen, veröffentlichten sie die Alben CROCODILES (Juli 1980) und HEAVEN UP HERE (Juni 1981). Längst war Pete De Freitas als Drummer dabei.

Der Häschen-Sound kam an: Donnernder Uhrwerk-Rhythmus ohne aufgesetzte Depresso-Attitüden, rasiermesserscharfe, ultra-ökonomische Gitarrenlinien und … ja, und Ians Stimme, wohl das Markenzeichen dieses Rock-Verbundes. Sehr klar, die Aussage gewollt stark überzeichnend, immer eine gebastelte Träne im Mundwinkel „wie ein verhungernder Prediger“, hat man das mal trefflich beschrieben. Von den Doors über Velvet Underground bis hin zu den Searchers – all jene Verwandtschaften hat die Presse den Bunnies schon verordnet.

„Wir haben“, so die Quintessenz des protestierenden Antwortgewirrs, „nicht mehr oder weniger Vorbelastungen‘ als andere durch das, was wir gehört haben und was wir mögen. Aber eine Art Konzept, nein. Serrrchiz??!! Der betreffende Journalist mochte uns wahrscheinlich nicht…!“

An diesem Abend eröffneten Bauhaus, die – trotz eines starken Sängers/Schauspielers Peter Murphy – streckenweise klangen wie eine Mixtur aus unterbelichteten Joy Division und aus dem Ruder laufenden Black Sabbath (Drohbriefe bitte an die Redaktion). Bei weitem nicht so enervierend und düster die Bunnymen, in deren Texte „höchstens mal ein kleiner Schock“ eingearbeitet wird, „ansonsten keine Erfindungen; oft ein bißchen vage, aber immer fußend auf irgendwelchen Erlebnissen, die ich hatte“. Ian besorgt die Worte, die Musik wird wechselweise und spontan spendiert, „wem’s gerade einfällt“.

Und noch immer keine Schritte auf der Treppe.

Fälschlicherweise wurde „Mac“ in die Nahe Leonard Cohens gerückt, nur weil er ihn „gerne hört“, mit den Lyrics habe das allerdings nicht die Bohne zu tun. Also wird er – in Anlehnung an Julian Copes Scott Walker-Projekt – auch keine LP „The God-Like Genius Of Leonard Cohen“ edieren?

„Cope“ und schon ist er wieder hellwach, „hat beschissene Eigenkompositionen von Scott ausgesucht. Der war ein guter Sänger, aber kein Autor. Und außerdem“, grinst er, „gibt’s ja noch alle Cohen-Platten zu kaufen …! Aah luv’m, h’s graait, aber ich kopiere ihn nicht, das sollte doch jeder erkennen.“

Apropos erkennen: Die Band trägt auf der Bühne keine Guerilla-Tarnkleidung mehr, ein paar lappige Netze hängen noch schlaff im Hintergrund. “ Wir sind wohl zu ernst, so daß niemand das als Parodie begriffen hat auf jene Gruppen, die sich als ‚Kämpfer‘ für irgendwas verstehen.“

Ian gibt gerade noch den Namen seiner persönlichen Favoriten aus Liverpool preis (die Ponderosa Glee Boys), da duftet’s plötzlich. Das Viererfeld erwischt geschlossen einen Blitzstart. „Schon genug?“, fragt Elfi von der Plattenfirma. „Mit dem Interview wohl“, antworte ich, drehe mich um und schaue auf bereits halbleere Teller …