ECHO 2018: Unser Lehrer Doktor Specht gegen Kollegah
Wenn Diskussionen über Antisemitismus in einer Art rundenbasiertem Schaukampf von Sozialkunde-Punk Campino und Pumper-Aggressor Kollegah völlig verkürzt ausgetragen werden, dann ist wohl wieder mal ECHO-Verleihung. Linus Volkmann hat sich umgesehen und ist für uns ins Herzen der Bestie vorgedrungen. Friede seiner Asche! Hier seine letzten Notizen.
Am Donnerstag fand in Berlin die 27. ECHO-Preisverleihung statt. Ed Sheeran gewann nach vier Nominierungen drei ECHOs, Helene Fischer bleibt Rekordhalterin, die Kontroverse um Kollegah und Farid Bang bestimmte auch die sonst mal wieder langweilige Veranstaltung (hier alle Gewinner des ECHO 2018 im Überblick). Doch das ist nur das offensichtlichste Fazit der Branchensause: Wir haben unseren Starautor Linus Volkmann in die Höhle der Löwen geschickt, um für uns und Euch „von ganz nah dran“ zu berichten. Das hat er gemacht. Hier sind sie, seine Mitbringsel in Bild und Wort.
Geh doch unter, Musikindustrie: Der ECHO 2018 in Bildern
Nationalexpress
Die Aussicht, dass ich (nach all den Jahren Musikjournalismus) dieses Jahr den ECHO besuchen werde, stößt nicht überall in meiner Blase auf Gegenliebe. Ja, teilweise erscheint es mir, als könne die Nachricht, ich sei nun in die NSDAP eingetreten, auch kein negativeres Feedback mehr erzeugen.
Der ECHO hat eben einfach ein massives Image-Problem. Das fängt ja schon am Bahnhof an. An meinem Gleis steht kein ICE, sondern der „National Express“. Unwillkürlich denke ich: Oh, bestimmt eine Art Shuttle zur Veranstaltung?
Vogelgrippe
Aus dieser universellen Voreingenommenheit gegen den ECHO muss aber kein Mitleid erwachsen. Jeder bekommt letztlich, was er verdient, #kharma. Die würdelosen Diskussionen und das Gehampel um die Südtiroler von Frei.Wild haben der Marke ECHO nachhaltig geschadet – dagegen wirken die Vogelgrippe oder der Flughafen BER vom PR-Aspekt her ja noch eher zu retten.
Irgendwas mit Saufen
Das einzige Argument für den ECHO, das mir in den vergangenen Wochen immer wieder begegnete, kenne ich noch aus meiner Zeit als Musikredakteur: Es sei zwar furchtbar dort, aber man könne ja geil frei saufen.
Ganz ehrlich, da habe ich noch mehr Respekt vor den Amigos, oder wie die Viecher aus der Rubrik „Schlager“ sonst so heißen. Wer sich wirklich preiswert besaufen will, kann sich immer eine Flasche Schnaps kaufen, mit Vita-Cola mischen und diese allein oder in einem freundschaftlichen Rahmen verzehren. Niemand muss zum ECHO gehen dafür.
Faster Pussycat, kill!
Was ich mir wirklich unter der Veranstaltung vorgestellt habe, ist mir gar nicht bewusst. Ich bemerke es vor Ort aber sofort: Der schleichende Tod der Messe PopKomm, das Dauerthema von der Krise der Musikindustrie, die Tatsache, dass für vieles in der Branche kein Geld mehr da ist – all das ließ mich vermuten, dass dieses Schnittchenfest auch viel mit Pappaufstellern und Kulissenschieberei arbeitet. Doch vor Ort wirkt es komplett pompös. Es ist anscheinend doch noch Geld da! Pfff, und wir hatten in den Nullern immer noch so ein schlechtes Gewissen, wenn wir die Musikindustrie mit unseren gebrannten CDs killten!
Beruhigung
Ein weißhaariger Dandy spricht mich an. Ich habe keine Ahnung, wer er ist. Er erzählt mir, dass es in den 90ern viel mehr Gelage gegeben habe. Heute müsse man bei Plattenfirmen schon Formulare ausfüllen, wenn man mit seinen Bands mal essen gehen wolle. Ich bin beruhigt. War also doch alles richtig, was Napster in der Branche angerichtet hat.
Kavka – Das Urteil
Vor der Tür suchen Leute Karten, Mädchen kreischen – meist auf Verdacht – bei der streng deutsch geregelten Einfahrt der Limousinen. Aus einer steigt Ex-MTV-Anchor Markus Kavka, vermutlich mit den Gewinnern von einer Sponsoren-Aktion. Der Musikjourno-Held von einst jetzt eine Art Biermarkenbotschafter. Man wird bisschen wehmütig. Wie wenn man einen Puma hospitalistisch im Zoo gegen die Zellenwände dotzen sieht. Allerdings lächelt Kavka, vielleicht ist er ja glücklich.
Messe Nord Fashion Week
Bei so vielen herausgeputzten Pop-Assoziierten ist es eigentlich egal, was man selbst angezogen hat. Es gibt immer jemand, der den eigenen Style in geiler trägt. Megaschicke Anzüge, exzentrische Haarschnitte, goldene Stiefel, diamantbesetzte Stiefel, Cowboyhüte, Gesichtstattoos, Federschmuck… Die Outfits aller Gäste hier in der Messe Nord zu Berlin schreien nach Aufmerksamkeit. Es ist ohrenbetäubend, glaube, ich kriege Migräne.
Nur noch Hass
Von einem bekannten Fotografen erfahre ich Gossip über die Hierarchie des ECHOs. Da Universal der Big Player ist, war er mal mit einer Indieband eingeladen, die dort einen Deal hatte. Sie waren mehrere Reihen vor Dieter Bohlen gesetzt worden. Denn der wurde damals vertreten von BMG/Sony. Man habe im Saal den ohnmächtigen Hass des Popmoguls greifen können. Glaube die Story sofort.
Pissen
Olivia Jones ist so beeindruckend groß. Von meiner Warte aus würde ich schätzen: vier Meter. In echt dürften es aber wohl zumindest über zwei sein. Dazu Kleid und Haare in sattem Kanarien-Orange, wenn es diese Farbe geben sollte. Besonders aufregend der Moment, auf dem Weg ins Herren-Pissoir zu merken, dass diese perfekt inszenierte Überfrau hinterher kommt.
Davon hätte ich mal eine Insta-Story machen sollen. Habe mich aber nicht getraut…
Notizen
Die Veranstaltung an sich hatte ich mir feierlicher vorgestellt. Im Vorfeld wurde gezischelt, man dürfe seinen Platz nicht verlassen – wegen TV-Übertragung. In vorauseilendem Gehorsam hatte ich mich schon damit abgefunden, in eine Flasche oder meinen Audiolith-Rucksack pinkeln zu müssen. Vor Ort dann aber alles sehr casual. Alle reden die ganze Zeit, der Typ neben mir fährt die Steigerung vom sogenannten Menspreading auf, er menstampft mit bei den unzähligen sinnlosen Jingles, die die Verleihung bestimmen werden. Bei jeder einzelnen Druckwelle, die die Sperrholzbühne an mich weiterleitet, wünsche ich ihm den Tod. Notiz an mich: über eine Therapie nachdenken.
Campino vs. Kollegah
In den Frei.Wild-Jahren des ECHOs hatte ich am meisten an der Veranstaltung verachtet, dass das alles kein Thema war auf der Bühne. Obwohl teilweise draußen demonstriert wurde, Künstler weggeblieben waren. Besonders die Hosen hatten enttäuscht, als sie im Mega-Krisenjahr einfach verhärmt einen Song spielten und abzogen. Daher überrascht es auf jeden Fall, dass die diesmalige Diskussion um Antisemitismus und den Beitrag von JBG, also Kollegah und Farid Bang, sich schon nach wenigen Minuten auf der Bühne wiederfindet. Vorgetragen durch… Campino. Er hat ein paar Zettel dabei und interessiert sich offensichtlich einen Scheiß für den eigenen Preis. Man sieht an den Blättern in seiner Hand, dass er zittert. Bin sofort gerührt. Die Ansprache wirkt dabei wie die letztes Jahr gegen Böhmermann: wahnsinnig freudlos. Doch nicht nur ich bin ihm dankbar, dass das Thema nicht ausgeschwiegen wird.https://www.youtube.com/watch?v=nguQ-YH-lJQ
Der Kritikerpreis
Dieser Award ist stets das Feigenblatt gegen den Vorwurf, beim ECHO ginge es nur um Verkaufszahlen. Hier tauchen ein paar coolere Namen auf, Tocotronic, Nils Frahm, Feine Sahne Fischfilet, zum Beispiel. Aber irgendwie wirkt es gerade deshalb total lame, wenn man sieht, dass im Saal außer Universals Neu-Signing Haiyti kein einziger weiterer Nominierter überhaupt vertreten ist. Die zeigt sich dennoch ganz überrascht, als sie aufgerufen wird. Nun ja.
Die Toten
Während die Toten der Musikindustrie (Chester Benning, Joy Flemming) beklagt werden mit Einspielern, liest eine Schülerin ein komisches Gedicht vor. Es fallen Zeilen wie „Draußen ist der Abdruck deiner Füße noch auf dem Sandweg“. Ich bin irritiert, ist das die Tochter vom Vorstandsvorsitzenden oder warum dieser Gemeindehaus-Gottesdienst-Flair? Später werde ich erfahren, dass das Julia Engelmann gewesen ist. JAOK! Die hatte selbst ich mir nicht dermaßen schlimm vorgestellt.
Zeitlos
Der Tod ist aber ohnehin eine gute Kulisse, um zu verdeutlichen, wie zeitlos die Veranstaltung wirkt. Yvonne Catterfeld ist nominiert, die Toten Hosen gewinnen „Beste Rockband national“, natürlich wieder Helene Fischer dabei, die Kastelruther Spatzen und so weiter. Der Abend heute könnte genauso gut 2011 sein oder 2024. Der ECHO ist ein langer ruhiger Fluss.
International
Gut auch immer wieder, dass die Kategorien international gespiegelt werden. Es gibt also genauso Preise für den besten Künstler Pop international oder so. Die sind geschickt dazwischen gepackt, aber irgendwann merkt man schon, kein internationaler Act hat Bock zu kommen – außer dem Geilo von „Despacito“ natürlich. An dessen Stelle würde man aber jetzt natürlich auch alles mitnehmen. Faustregel: Die internationalen Kategorien werden zum Umbau genutzt. Den Gipfel der Verachtung für unsere schöne deutsche Popkultur sehe ich in dem Gruß-Einspieler von Ed Sheeran (gewinnt gefühlt Dutzende Male). Garantiert im First Take belassen wirft uns das pausbäckige Eichhorn-Gesichtchen ein paar Kusshände zu. Aber in seinen Augen erkennt man: Es bedeutet ihm gar nichts. Der Verräter!
Junge Leute am Saufen
Dieses Jahr gibt es keinen Host, der durch alle Kategorien führt. Das übernehmen größtenteils die anwesenden Musiker, was der Sache ein teils charmantes, teils schon anarchisches Moment gibt. Newcomer Wincent Weiß labert minutenlang darüber, wie ihn der Erfolg in den Charts nun auch so gut an der Flasche hat werden lassen.
Kollegah vs. Campino
Die Dramaturgie könnte nicht unversöhnlicher sein. Zum Schluss der Awards – bevor der Lebenswerkpreis an Klaus Voormann noch mal sedieren und ausleiten soll – bekommen Kollegah und Farid Bang die Bühne. Nachdem unser Lehrer Doktor Specht, äh, Campino den Saal aber längst gegen die beiden aufgebracht hat, endet ihre Performance mit kaum Applaus. Wütend rauschen sie ab, dem Publikum scheint das aber eh egal. Jetzt gibt’s ja dieses frei saufen, von dem dauernd die Rede ist.
Dämon
Auf der After-Show-Party bleibt der Showdown zwischen Campino und Kollegah aus. Obwohl letzterer mit seiner schrankigen Entourage einige Runden dreht, kurz wird auch mal irgendwohin gerannt. Aber es reicht für keinen Eklat.
Immerhin: Antisemitismus in Musik wurde kurz zum Thema gemacht, Ed Sheeran hat sich als Dämon geoutet, Kollegah war angepisst – mehr kann man vermutlich vom ECHO nicht verlangen.
Bis zum nächsten Jahr!