Drei und das rettende Album
Dass eine Platte Leben und Seelen retten kann, weiß man. The Subways kam ihr eigenes Work in progress zur Hilfe.
Der Ort könnte schwerlich passender sein für ein Interview mit The Subways. Tief unter der Erde, in den Katakomben eines Münchner Clubs sitzen Sänger/Gitarrist Billy Lunn und Bassistin Charlotte Cooper, während Billys Bruder Josh Morgan (Billy hat den Nachnamen seines von ihm verehrten Großvaters angenommen, daher die Inkongruenz) oben sein Schlagzeug soundcheckt. Aus ihren Gesichtern strahlt Zufriedenheit, Freude, Erleichterung. Verständlich, wenn man bedenkt, unter welchen Vorzeichen ihre Rückkehr stand.
Es war ein verheißungsvoller Start, den die Band aus der englischen Kleinstadt Welwyn Garden City vor drei Jahren hinlegte. Mit Young for eternity und der ungestümen Rock-Hymne „Rock & Roll Queen“ eroberte das Trio die Indie-Clubs Europas. Die vier Singles vom Debüt schafften es in die Top 30 der UK-Charts. Auftritte bei den größten Festivals machten sie zu einem der Acts des Jahres. Doch dann, mitten im Steigflug, setzten Turbulenzen ein.
Im Sommer 2006 diagnostizierten Ärzte bei Lunn eine Vergrößerung der Rachenmandeln – im Volksmund Polypen genannt. Tourneen mussten abgesagt werden, eine Operation wurde unumgänglich, bei der der Bandkopf im schlimmsten Fall seine Stimme hätte einbüßen können. „Wahrscheinlich hätte ich mich umgebracht“, sagt Lunn im Rückblick. „Das klingt vielleicht übertrieben, aber ehrlich, ich weiss nicht, wie ich ohne meine Stimme und das Singen leben sollte. Die Musik ist mein Leben, sie bedeutet mir alles.“ Nach drei Wochen, in denen er weder sprechen noch singen durfte, schloss sich die Band in den Proberaum ein und jammte – ohne Gesang, ohne Billys Kommandos, ohne Zielvorgabe. „Normalerweise lenke ich den Sound, sobald ich erkenne, in welche Richtung sich ein Song bewegt. Ich erkläre den anderen, was sie ausprobieren sollen. Aber weil ich nicht sprechen konnte, spielten wir einfach. Stundenlang. Sie machten ihr Ding, ich meins“, erinnert sich der 23-Jährige. Die so entstandenen Songskizzen zeigten auf, in welche Richtung die Band gehen sollte: härter, lauter, kompromissloser.
Im Juni 2007 reisten The Subways für die Aufnahmen zum zweiten Album nach L.A. Als Produzenten engagierten sie den Mann, der einst bei ihrem Lieblingsalbum, Nirvanas Nevermind, Regie geführt hatte: Butch Vig. Der verpasste der Band nicht nur einen fetteren Sound, sondern trieb sie dazu an, sich mit vermeintlich fertigen Songs nochmals auseinanderzusetzen. In schier endloser Arbeit feilte er mit der Band akribisch an Details, bis sie sich wie Puzzleteile ineinander fügten. „Butch hat uns einen riesigen Schritt vorangebracht. Die Liste der Dinge, die wir von ihm gelernt haben, ist endlos. Er hatte Ideen, auf die ich in einer Million Jahre nicht gekommen wäre“, schwärmt Billy. Das Resultat ist ein Album, das in seiner Wucht als Befreiungsschlag zu verstehen ist: ALL OR NOTHING.
Doch schon bald mussten The Subways – zumindest zwei von ihnen – den nächsten Tiefschlag wegstecken. Während der Aufnahmen zerbrach die Beziehung von Billy und Charlotte. Das Paar, das seit frühen Teenagertagen zusammen war und sich 2005 noch verlobt hatte, erkannte fernab der Heimat, dass der gemeinsame Weg zu Ende war. Die Arbeit an der Platte sollte sich jedoch als Therapie erweisen. „Klar war es problematisch. Aber wir steckten zu der Zeit mitten in den Aufnahmen und hatten somit etwas, das uns ablenkte und worauf wir uns fokussieren konnten. Nach allem, was geschehen war, bedeutete diese Platte alles für uns“, erklärt Charlotte. Billy ergänzt: „Die Musik hat uns gerettet. Sie rettete uns vor den Schwierigkeiten, die wir nach meiner Operation hatten, wo wir als Band fast zerbrochen wären. Danach hat sie uns beiden geholfen, mit unseren persönlichen Schwierigkeiten umzugehen und die Trennung zu verarbeiten.“
Aus den Teenagern sind junge Erwachsene geworden, aus der Beinahe-Famile eine „normale“ Band. Eine Band, die bei aller Jugend bereits eine Art Neuanfang wagt.
>» www.the subways.net
>» Albumkritik S.90
>» cd im Me S. 50