Drei Mann in einem Boot
Neues Spiel, neues Glück — Pink Floyd mischen die Karten neu. Nach längerer Studio-Abstinenz und 140 Millionen verkauften Platten läutet „The Division Bell“ die nächste Runde ein. Die Tour folgt im August: High Tech mit künstlerischem Anspruch.
Nebel liegt auf der Themse. London im Winter, Edgar Wallace läßt grüßen. Unweit des Ufers ankert David Gilmours Hausboot, ausgerüstet mit modernster Studio-Technologie: Pink Floyd bei der Arbeit an ihrem neuen Album. Ein Song ist im Kasten, als plötzlich leise Klopfgeräusche die Kreativpause stören. Gilmour öffnet die Tür, doch niemand ist da. Spuk? Technische Probleme? Pink Floyd intonieren den nächsten Song, als das unheimliche Klopfen immer lauter wird. Die Crew wird hellhörig, Bootsmann Gilmour ergreift schließlich die Initiative. Taucher sollen das Boot inspizieren — und werden fündig: Zwei Bootlegger haben sich unter Wasser zu schaffen gemacht, die Klopfgeräusche verursachte ein Mikrofon, das gegen den Schiffsrumpf stieß. Ein Fall für Scotland Yard: Die Bänder werden konfisziert, die überraschten Raubkopierer in Handschellen abgeführt.
Eine Anekdote, die Pink Floyds augenblicklichen Marktwert definiert: sieben Jahre nach ihrem letzten Studioalbum, „A Momentary Lapse Of Reason“, gilt ein neues Lebenszeichen der Rock-Dinosaurier aus Cambridge als kleine Sensation. Insgesamt 140 Millionen Platten haben Pink Floyd seit ihrer Gründung im Jahre 1967 abgesetzt, allein „The Dark Side Of The Moon“ ging 28 Millionen Mal über den Ladentisch — Rang drei in den „ewigen“ Verkaufscharts.
David Gilmour, Nick Mason und Rick Wright — letzterer entschied sich erst während der Aufnahmen dazu, wieder ein vollwertiges Floyd-Mitglied zu sein — wollen den hohen Erwartungen gerecht werden: 50 neue Songs, berichtet die englische Niederlassung ihrer Plattenfirma EMI, wurden produziert, die zehn besten Stücke finden ihren Weg auf das aktuelle Album „The Division Bell“. Vier weitere, gewohnt blumige LP-Titel standen noch zur Debatte: „Awaken To The Sense Of Reality“, „Awake On The Verge Of Insanity“, „Above The Water“ sowie „Waiting For The Sun“ — frei nach Jim Morrison und den Doors.
„Nicht Kleckern, Klotzen“ lautet auch die Devise, wenn Pink Floyd im Sommer auf Tour gehen: „Es gibt keinen Etat“, behauptet Schlagzeuger Nick Mason, “ was die Tour auch kosten mag — wir werden es bezahlen. “ Der Griff in die Kasse dürfte demnach etwas tiefer ausfallen: Pink Floyd planen 29 Shows in 18 Ländern, eine Bühne, die von 48 Sattelschleppern transportiert wird und mit deren Aufbau 120 Roadies drei Tage lang beschäftigt sind. Die Bühnen-Technik nehme man mal zwei, denn für einen reibungslosen Tour-Ablauf sorgen die bei derartigen Mega-Unternehmen üblichen Stage-Duplikate: Während die Band auf der Bühne ihre Show abzieht, wird in der Stadt, die als nächste auf dem Tourplan steht, bereits der zweite Aufbau installiert.
„Einmal wöchentlich treffen wir uns mit allen, die an der kreativen Umsetzung unserer Live-Shows beteiligt sind“, erklärt David Gilmour: „Im Brainstorm-Verfahren entwickeln wir ein Konzept,
das — so hoffe ich wenigstens — vergleichbare Unternehmen in den Schatten stellen wird. Uns schwebt das ultimative Live-Spektakel vor.“ Ausgetretene Präsentations-Pfade ä la U2 und Genesis haben dabei keine Chance: „Unsere künstlerischen Ansprüche sind außerordentlich hoch. Wir verzichten auf Videoleinwände, unsere Spezial-Effekte sollen statt dessen das Publikum miteinbeziehen.“ Das interaktive Konzert!
Mit Bühnen-Designer Mark Fisher konnten Pink Floyd zumindest einen Routinier gewinnen, der bereits für die Live-Aufführung von „The Wall“, die „Steel Wheels“-Tour der Rolling Stones sowie zahllose Shows von U2, Tina Turner, Whitney Houston, Simply Red und Janet Jackson verantwortlich zeichnete. Der Allerbeste ist im Fall von Pink Floyd eben gerade gut genug — was auch für den Posten des Lichttechnikers und Art Directors gilt: Marc Brickman ließ bei den olympischen Spielen in Barcelona die Sonne aufgehen, fungierte als Licht-Chef von Schwarzeneggers „Running Man“-Film, und auch Bruce Springsteen schwört auf seine Dienste. Man darf gespannt sein.
Während Pink Floyd 1994 also wieder im Mittelpunkt des Medien- und Publikumsinteresses stehen werden, ist für Roger Waters die Zeit des Superstar-Daseins wohl endgültig passe: Allen Gerüchten zum Trotz wird der egomanische Bassist nicht in den kommerziell einträglichen Schoß seiner Ex-Band zurückkehren. Und für das andere Gründungsmitglied ist der Zug ohnehin schon lange abgefahren: Syd Barrett bewohnt eine kleine Wohnung in Cambridge und jammt hin und wieder im örtlichen Pub. Von seiner Vergangenheit mit Pink Floyd will der psychisch kranke Gitarrist schon lange nichts mehr wissen.
Noch einmal zurück zu dem Thema, das in den nächsten Monaten die ganze Musikwelt beschäftigen wird — „The Division Bell“: Das neue Album wird mehr als alle aus den Jahren zuvor vom neuerwachten Team-Geist getragen, der die drei Musiker auf eine, selbst für sie überraschende Weise animiert und geradezu beflügelt hat. „Auf,The Division Bell‘ spielen wir Drei erstmals wieder richtig zusammen. Das grenzt an eine Wiedergeburt der alten Floyd. Wir fühlen wieder den alten Schwung“, sagt David Gilmour. ¿