Drahtseilakt


und die Band steigt vorsichtig ein. Nach und nach findet man zusammen, und als Francesco beim Refrain genau in dem Augenblick in die Kopfstimme wechselt, in dem das Publikum den Song als „911“ von Wyclef Jean erkennt, bricht tosender Szenenapplaus los. Daß dieser Mann einer der vielseitigsten, lockersten und vor allem beseeltesten Sänger Deutschlands ist, wissen nun immerhin in Mosambik mehr Menschen als in seiner Heimat.

Früh morgens im Taxi gibt es niemanden, der nicht von den Erlebnissen dieser langen Nacht ergriffen wäre. „Hiergibt es irgendwie nicht so einen Zeitgeist“, stellt Stefan fest.

„Die Leute wissen vielleicht schon, was in Europa oder Amerika in den Charts ist -das hört man ja hier auch. Aber gleichzeitig ist überall auch die traditionelle Musik: Für uns ist traditionelle Musik Volksmusik, mit der wir nichts zu tun haben wollen. Hier gehört sie völlig selbstverständlich zum Leben und zur Kultur. “ Jörg nickt und fügt hinzu: „Musikfindet hier wohl auch einfach anders statt bei den Leuten: Sie ist einfach da. In Deutschland gibt es immer eine Bühne oder zumindest eine klareTrennung zwischen denMusikanten und den Konsumenten. Selbst wenn man bei einer Party eine Gitarre in die Hand nimmt – da werden plötzlich alle still, und es entsteht so eine Art Konzert-Atmosphäre. Da kriegt das sowasWichtiges: Du bist der Musiker, ich bin der Zuhörer. Und das ist in Afrika überhaupt nicht so. Da sitzt man zusammen, und es gibt ganz viele Lieder, die jeder kennt. Alle sind dabei: Jeder klatscht irgendwas dazu oder schnappt sich eine Trommel und singt mit. Vielleicht war es deshalb für uns bei den Konzerten auch so leicht, Leute mit aufdieBühne zu holen.“

Inzwischen ist der Lärmpegel im Club deutlich angestiegen, denn ein langer Mann mit dicker Brille hat sich zur Band gesellt und singtltes „With OrWithout You“, Peter Toshs Version von „Johnny B. Goode“ und ein paar folkloristisch anmutende mosambikanische Popsongs. Bald spricht sich herum, daß der schlacksige Entertainer die aktuelle Nummer 8 von „Mosambik sucht den Superstar“ ist. Eine Weile beobachten Tele fasziniert, wie immer wieder andere Leute aus dem Publikum das Mikrophon ergreifen und, lautstark unterstützt von den Gästen, entweder ein traditionelles Stück oder einen Klassiker wie „Let It Be“ zum Besten geben. Schließlich bahnen sich Tobias und Keyboarder Patrick Reising einen Weg durch den prall gefüllten Club und steigen in eine Jazz-Improvisation der Hausband ein. Als Francesco dazustößt, eine Weile still mit dem Mikrophon in der Hand den Akkordfolgen lauscht und dann überraschend mit dem Refrain von „Another Day In Paradise“ einsetzt, haben sie das Publikum auch schon auf ihre Seite gebracht. Beim Applaus diktiert Francesco den Jazz-Musikern ein paar Akkorde, worauf sich der Gitarrist und der Schlagzeuger kurz auf Portugiesisch austauschen. Als alle nicken, beginnt er mit „Ifdeath comesfor me tonight,ghi, 1 want you to knoio that 1 love you“, In Sachen Kulturdialog -der eigentlichen Mission dieserTour-, entpuppt sich der Workshop am nächsten Vormittag als voller Erfolg. Obwohl ein Wochentag ist, erscheinen knapp 30 junge Leute, die sich mit großem Eifer einbringen. Francesco wird ausgiebig über seine Stimmtechnik, Einflüsse und Vorbilder befragt, Jörg zeigt ein paar angehenden Bassisten die Slap-Technik, und Tobias und Martin Brombacher lehren die Gitarristen Licks, Riffs und Akkordfolgen. Die Trommler zeigen Stefan an einem Schlagzeug im Hof zunächst die traditionelle Betonung eines in Mosambik häufig benutzten Sechs-Achtel-Takts und lassen sich dann von dem Deutschen wieder und wieder möglichst dramatische Trommelwirbel und Hardrock-Breaks vorführen. Am Ende spielen Tele gemeinsam einen eigenen Song an und übergeben dann – einer nach dem anderen – die Instrumente an die Schüler. Als der Titel langsam zerfällt und schließlich in einem kakophonischen Wahnsinn aus mehrstimmiger Afro-Improvisation verendet, kann sich kaum jemand bei Tele ein Grinsen verkneifen. “ Wenn wir sowas im Proberaum machen „, sagt Martin, „dann heißt das bei uns,Todesjam‘.“

Wie besonders die Erlebnisse in Mosambik waren, wird der Band in aller Deutlichkeit erst am nächsten Tag bewußt. Nach einem Auftritt an der deutschen Schule in Pretoria, bei dem Tele in der prallen Sonne vor einer Horde desinteressierter (und, wie der an Fieber erkrankte Tobias insistiert, „verwöhnter, verzogener“) deutscher Schüler ihr Bestes gegeben haben, lernen die sechs Berliner am Abend das Süd-Afrika des weißen Mannes kennen. In einem lückenlos eingezäunten Privilegierten-Ghetto sitzen sie in der tausendfach gesicherten Luxusvilla eines hochrangigen Mitarbeiters der Deutschen Botschaft und bewundern artig den Billardtisch, den Pool und die Aussicht auf das Lichtermeer einer nahegelegenen Township. Als um 20 UhrPro-7-Nachrichten geschaut werden und der Gastgeber danach von sensationellen Rolling-Stones-Konzerten und „dem Hartmut“ von Purerzählt, bedauert manch ein Bandmitglied im Stillen, nicht doch bei den Rastas in Johannesburg ein Ticket nach Swasiland gelöst zu haben.

Niemand von Tele ist traurig, daß es am nächsten Tag schon weiter nach Namibia geht. 24 Stunden ohne Programm hat die Band dort vor ihrem Auftritt in Windhoek zur Verfügung, weshalb man raus aus der Stadt auf eine Farm in der Wüste fährt. Die Weite, die Stille und der Frieden wirken schnell – jeder einzelne kommt an diesem Tag zu sich. Erst die Hälfte der Tour ist absolviert – die Reise geht weiter nach Zimbabwe, Tansania und Madagaskar -, doch auf so manche Frage läßt sich bei einem Gespräch am Abend bereits eine Antwort finden. Kann die Afrika-Tournee einer Popband aus Deutschland denn nun tatsächlich „einen wichtigen Beitrag zum Frieden“ leisten, wie das Goethe-Institut das hofft? „So eine Reise ist auf jeden Fall wahnsinnig horizonterweiternd, oder?“ fragt Jörg seine Kollegen. „Weil es wohl kaum ein besseres Mittel gibt, um Vorurteileabzubauen, als irgendwohin zufahren und mit den Leuten zu sprechen.“

„Ich glaube das große Ganze können wir gar nicht sehen „, meint Tobias, nachdem er eine Weile über die Frage nachgedacht hat.

„Das passiertfürmich eher im Kleinen: Wir sind einfach eine kleine Band, die jetzt zwei Wochen durch das südliche Afrika zieht. Wie wir uns verhalten, wie wir uns mit den Menschen, die wir treffen, austauschen, das ist ein Mini-Kosmos. Aber vielleicht ist es ja so, daß dieser Mini-Kosmos eine Aujienwirkung hat, daß das alles auf irgendeine Weise Früchte trägt.“ www.telemusic.de