Dr. Trend – Alles Kassen


Er ist nicht gerade ein zuverlässiger Zeitgenossee. Manchmal sucht man ihn vergebens, ein anderes Mal ist er aus heiterem Himmel wieder zur Stelle. Dennoch: Wer Dr. Trend über längere Zeit im Auge behält, kommt seinen Gepflogenheiten schnell auf die Spur. In zyklischen Abständen taucht er auf, mal verkleidet als kerniger Country-Boy, dann wieder als verschwitzter Metall-Arbeiter, cooler Jazz-Professor oder als punkiger Bilderstürmer. S. Lake, ein Forschungsstipendium unterm Arm, besuchte Dr.Trend im Labor.

Alle Jahre wieder ringt ein Rock-Kritiker (gewöhnlich ein ernsthafter junger Mann, der seine Besprechungen gern mit literarischen Zitaten würzt) die Hände und beklagt den momentanen Zustand der Popmusik: „Es gibt überhaupt nichts Neues!“ jammert er. Und hat recht damit. Das Streben nach Novität um der Novität willen hat die Künste im 20. Jahrhundert in eher dünne Schichten der Atmosphäre vordringen lassen. Man denke nur an die „stumme“ Musik des Komponisten John Cage. Oder an Adolf Reinhardts Schwarz-auf-Schwarz-Gemälde. Jede dieser hilflosen Gesten hat lediglich symbolische Bedeutung.

Das, was wir Avantgarde nennen, ist letztlich bloß ein Punkt auf einem Kreis: Ebenso schnell, wie sie versucht, der Vergangenheit zu entkommen, bewegt sich die Avantgarde direkt darauf zu. Columbus hat demonstriert, daß man, wenn man nur weit genug in eine Richtung fahrt, schließlich wieder da ankommt, wo man gestartet ist. Seit damals wird der Fortschritt an der Geschwindigkeit gemessen, mit der man von einem Land ms andere reisen kann. Aber Spanien und Amerika sind immer noch da, wo sie vor 500 Jahren waren.

Um die Analogie noch zu vertiefen, stellt euch die Musikstile als Kontinente vor: die 50 oder mehr Staaten des Rock, Jazz. Blues, Funk usw.

So gesehen, werden Begriffe wie „Ausverkauf“ oder „Rückschritt“ völlig bedeutungslos. Denn letztlich tun Musiker nichts anderes, als ihren Laster über diese oder jene Grenze zu fahren. Und manche Grenzübergänge sind zu gewissen Zeiten halt häufiger frequentiert als andere.

Dies ist vor allem ein Artikel über die „Bastarde“. Kinder Ungewisser Herkunft, die musikalische Charakteristika geerbt haben, deren Ursprünge ihnen oft selbst schleierhaft sind.

Wir wollen ein paar Stammbäume der derzeit angesagten Popstars zurückverfolgen Nachher wird sich vielleicht der eine oder andere fragen, ob Jim Morrison seinen Abgang nicht selbst inszeniert hat. Um kein Vermögen an Alimenten zahlen zu müssen…

Die Rockstars der 60er Jahre waren Nomaden wie die Kurganen. jener ukrainische Stamm, der die indogermanischen Sprachen um die halbe Welt verbreitete. Rockmusiker hatten unbeschränkte Freizügigkeit, nachdem die versnobten Bewohner des E-Musik-Landes be schlössen hatten, daß dieses schrä ge Rock-Zeug letztlich doch irgendwelche Substanz haben müsse.

Die Wilden des Pop wurden plötzlich als kultivierte Weiße akzeptiert. Aushängeschilder wie Leonard Bernstein verkündeten, die Beatles seien die größten Songschreiber seit Schubert.

Die armen Beatles hatten natürlich so gut wie nichts von Schubert gehört – aber schon sprintete jeder in jede erdenkliche Richtung los und versuchte sich an dem utopischen Versuch, daß es jenseits der rassischen und sozialen Unterschiede ein gemeinsames Band gebe, das die Musik zum Klingen bringen könne.

Es spielte keine Rolle, ob du den Blues auf den Knien deines Großvaters in Mississippi oder in der Mittagspause auf der Kunsthochschule gelernt hattest. Dem “ weltweiten Dorf des Fernsehzeitalters“ (McLuhan) ging es nicht um Authentizität.

Mit anderen Worten: Als die Musiker mit Einkaufswagen durch die Kulturen dieser Welt pflügten, ging in dem musikalischen Massen-Tourismus alles Authentische verloren. Bernstein fing an, Broadway-Musicals zu schreiben: Deep Purple und Procol Harum spielten mit Sinfonie-Orchestern; Jimi Hendrix jammte mit Miles Davis und Gil Evans. George Harrison saß Ravi Shankar zu Füßen; Janis Joplin sang im Fernsehen ein Duett mit Tom Jones.

Alles in allem waren die Sixties eine höchst promiskuitive Ära. Und jetzt werden ihre illegitimen Sprößlinge volljährig.

Wie Echo And The Bunnymen zum Beispiel. Die Gruppe aus Liverpool ist ein klassischer Fall, wie man seine musikalischen Eltern verleugnen kann. Jahrelang schworen sie, daß sie den Doors niemals Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Unlängst nannten sie dann doch das Kind beim Namen: Sänger lan McCulloch fing gar gleich an. „Light My Fire“ als Zugabe zu spielen.

Zur allgemeinen Verwirrung hat McCulloch immer Bowie als Einfluß zitiert: nach einem Beweis dafür sucht man im Bunnymen-Repertoire allerdings vergeblich Wenn es Bowies Brut ist, die Ihr sucht, probiert s mit den Psychedelic Furs. Bowie liebt sie – ehrlicher Ausdruck seines Narzißmus? – und führt ihr „President Gas“ unter seinen Lieblings-Platten auf. Da fallt einem die Carly Simon-Zeile „You re so vam/You probably think this song is about you“ ein.

Gemeinsame Roots komplizieren die Sache allerdings zusätzlich: Bowie hat so ziemlich alles, was er kennt, von Lou Reed und Bob Dylan geklaut. Die ersten Gehversuche der Fürs klangen ebenfalls sehr Velvet-maßig – und Dylan konnte unlängst dazu überredet werden, einen Song für die Gruppe zu schreiben.

Wie lan McCulloch strebt auch Furs-Sänger Richard Butler nach europäischer sophistication: 1984 begann er die Arbeit an einem Album mit Cover-Songs – u.a. von Jacques Brei, Edith Piaf und Charles Aznavour.

Big Countrys Bandleader Stuart Adamson schmiß seinen Job als Gitarrist der Skids hin und fuhr heim nach Schottland: In London waren ihm zu viele Araber. Eine paradoxe Einstellung für einen Mann, der versucht, seine Gitarre wie einen Dudelsack klingen zu lassen. Der Dudelsack – jeder Musikstudent wird das bestätigen – stammt nämlich aus dem Mittleren Osten – und Adamson, auch wenn er die Araber nicht mag, benutzt weiter arabische Tonleitern.

Wenn die Schotten schon einer von Gottes verdrehteren Stämmen sind, ist Aztec Camera-Frontmann Roddy Frame einer ihrer exzentrischsten Vertreter. Frame stand schon in zartem Alter im Rampenlicht und macht den Eindruck, als würde er seinen Stil, jedesmal wenn er eine neue Platte hört, wieder anders ausrichten.

Vor einigen Jahren hatte er eine Neil Young-Phase, inklusive Wildleder-Fransenjacke a la Buffalo Sprigfield. Heute spielt Roddy Van Halens „Jump“, um dann am Höhepunkt in bester Townshend-Manier seine Boxen zu zertrümmern. Zwischendurch läßt er jazzige Gitarrenphrasen vom Stapel, die an Wes Montgomery erinnern, und ist selbst Mark Knopfler-Floskeln nicht abgeneigt (die wiederum auf J.J. Cale und Eric Clapton zurückgehen).

Dreimal dürft Ihr raten, welchen 60er-Popstar Julian Lennon im Blut hat! Und wenn ich Sade höre, denke ich immer, Julie Driscoll läge auf dem Plattenteller. Daß Carmel ungeniert die Gospel-Tradition plündert, ist sicher ebenso eine Binsenweisheit. Und daß Astrud Gilberto und der Bossa Nova nach Jahren des Dornröschenschlafes wieder angesagt ist, kann nicht nur eine Gruppe wie Everything But The Girl bezeugen.

Spandau Ballet: „Es waren die alten Sänger wie Sinatra, Tom Jones und Barbra Streisand, die mich gesanglich inspiriert haben.“- Sänger Tony Hadley.

„In gewisser Weise machen wir dasselbe, was die Stones gemacht haben. Die haben sich was von den schwarzen Rools Amerikas geschnappt, ihre Aggression und ihre Herkunft dazugetan und das als Rn’B verkauft. Dasselbe machen wir mit Funk. “ – Gitarrist Gary Kemp.

Ein Wort zu Sinatra und zur wohlwollenden Verteidigung von Hadley. Ich erinnere nur daran, daß Jim Morrison Sinatra immer als seinen Lieblings-Sänger nannte – Frank steht damit Pate (nein, nein, seine Mafia-Verbindungen sind diesmal nicht gemeint) für so gut wie jeden, der einem überhaupt einfällt.

Was Sinatra für die Sänger, ist die gesamte Motown-Schule für Songschreiber und Arrangeure. Wharn!, Paul Young, der Culture Club, aber auch Style Council würden wohl mit ziemlich leeren Händen dastehen, gäbe es da nicht Motown, speziell Hoüand-Dozier-Holland. bei denen man so herrlich abkupfern kann.

Was den Culture Club betrifft, so sei ein nebensächlicher Satz festgehalten, den Boy George unlängst in einem ME-Interview von sich gab: „Mein älterer Bruder Richard war eine Art Hippy. Folglich hab ich dagesessen und mir jede Menge Soft Machine-Platten anhören müssen.“

Nun kann man wohl die gute alte Soft Machine beim besten Willen nicht für „The War Song“ verantwortlich machen. Das muß doch wohl Melanie gewesen sein, die die „war is stupid“-Schublade aufgezogen hat. Und siehe da: „Der erste Song, den ich von Anfang bis Ende kannte, war ,Alexander Beetle‘ von Melanie. Die Platte habe ich heiß und innig geliebt.“

Wo wir grad bei Melanie sind – Dm ich der einzige, der, jedesmal wenn Cyndi Lauper den Mund aufmacht Melanie hört?

Cyndi nennt die Beatles und Janis Joplin als formende Einflüsse. Trotzdem muß sie wohl individuelle Substanz haben, wenn der ultrageschmackvolle Miles Davis ihr „All Through The Night“ spielt. Eine ähnliche Geste machte Miles zuletzt 1970, als er (sehr zum Verdruß der Rock-Kritiker, die sich damals für hip hielten) David Crosbys „Gumevere“ in sein Repertoire aufnahm. Aber Miles ist eben Miles und nahm das Byrds-Revival um gut zehn Jahre vorweg.

Die unverkennbare Rickenbakker-Gitarre der Byrds hat inzwischen sicher schon die Hälfte der modernen Rock-Welt übernommen: The Smiths, The Bängtes, Echo And The Bunnymen, Let’s Active, The Dream Syndicate, The Pale Fountains, R.E.M. die Liste wird lang und länger. Merkwürdig nur, daß Roger McGuinn, während diese Bands alle im Aufwind sind, zur gleichen Zeit in winzigen Clubs seine kargen Brötchen verdient.

The Dream Syndicate stützen sich nicht minder aut die Byrds. haben aber auch was vom strammen, kompromißlosen Beat der Crazy Horse. Ihr Sänger weiß, wie man gequälte, Lou Reed-artige Songs schreibt: ihren Namen haben sie übrigens von dem in Vergessenheit geratenen Album OUTSIDE THE DREAM SYNDICATE, aufgenommen von Tony Conrad mit der deutschen Band Faust.

Tony Conrad (beinharte Diskographen möchten das vielleicht notieren) war ganz früher Mitglied in La Monte Youngs experimenteller Gruppe The Theatre Of Eternal Music. zu der auch John Cale gehörte, bevor er zu den Velvets ging. Setzt das Syndicate also irgendwo auf den Lou Reed-Stammbaum und laßt gleich Platz für Lloyd Cole.

Cole, meiner Ansicht nach der beste der neuen schottischen Songwnter, identifiziert sich vor allem mit dem späteren Lou Reed. Coles Songs sind wesentlich durchdachter als die hingeprügelte, frühe Musik der Velvets; sein individueller Eklektizismus beweist Überblick: Er sucht sich seine Songwriter intelligent aus und sichtet sie dann auf Einfälle, die er klauen kann. Aus den Songs auf seinem Album kann man Scott Walker, Tom Waits, Dylan und einige mehr filtern.

Während einige seiner Einflüsse – wie die beiden Morrisons, Jim und Van – die packendste Musik oft dann machten, wenn sie in den äußersten Winkeln ihrer Zurechnungsfähigkeit forschten und dabei wirklich bis an die Grenze gingen, sieht Cole die Sache wesentlich journalistischer: Man hat immer das Gefühl, er interpretiert die Verrücktheit einer anderen Person.

Besonders erfrischend wirkt das, wenn man die Smiths und Mornsseys ermüdende Egozentrik dagegenhält. Den armen Mann quält andauernd die Frage, ob er nun ein Sex-Life haben soll oder nicht.

Lustigerweise betont jeder Smiths-Artikel die Tatsache, daß Morrissey mal Schriftführer des New York Dolls-Fanclubs gewesen sei – viel gelernt haben kann er von denen allerdings nicht. David Johansen und Sylvain Sylvain haben Songs geschrieben, die genau auf den Punkt gingen – „Pills“ und „Trash“ beispielsweise.

Die Dolls sollen inzwischen auch als geistige Väter der finnischen Glam Metal-Band Hanoi Rocks herhalten. Mit dem Pfannkuchen-Make-up, dem zurückgekämmten langen Haar, den engen Klamotten und den hohen Absätzen sehen die Finnen tatsächlich fast so aus wie sie, aber die Dolls waren vor allem lustig.

Bei Hanoi Rocks kann man sich allenfalls über die schwachsinnige Sprachlosigkeit amüsieren. Schlagzeuger Razzle: „Ich glaube, wir kultivieren so ziemlich den Rock n‘ Roll-Lifestyle. Wir haben nix zu sagen, was neu ist oder so. echt. Wir machen halt einfach unsern Job. weißt du?“

Ich weiß.

Ich habe Jack Bruce mal gefragt, ob er sich für den ganzen hirnlosen Heavy Metal. den Creams Einführung des virtuosen Gitarren-Helden in die Welt gesetzt hat, mitschuldig fühle. Seine Antwort gefiel mir ganz gut: „Ich hab immer das Gefühl gehabt, daß wir und Hendnx für all den guten Hard Rock verantwortlich sind und Led Zeppelin für all das selbstgefällige, aufgesetzte Zeug.“

Der Sänger von Quiet Riot behauptet, daß er jede Nacht vorm Schlafengehen zu einem Exemplar von LIVE AT LEEDS der Who betet. „Roger Daltrey“, haucht Kevin Du-Brow inbrunstig, „ist Gott.“ Komisch, daß gerade Du das sagst, Kevin. Roger findet das nämlich auch seltsam.

Aber ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, als seien sämtliche neueren US-Bands unterbelichtet.

Was uns unweigerlich zum vielbeschworenen Country-Punk-Revival bringt. Aber von diesem vermeintlichen „Trend“ war verschiedentlich in diesem Heft die Rede und ich will gar nicht näher darauf eingehen, sondern nur die deutlichsten Einflüsse einiger Bands aufzählen, die unter dieser Un-Kategone in einen Topf geworfen werden.

Rank And File (aus Texas): beeinflußt von Johnny Cash, Joe Ely, The Clash, The Byrds.

Die wundervollen Violent Femmes (Milwaukee): Gene Vincent, Velvet Underground, George Jones, Howlin Wolf, John Coltrane, The Art Ensemble Of Chicago,Thi>

Thirteenth Floor Elevators, Biuegrass-Musik im allgemeinen.

Jason And The Scorchers (Nashville): Gram Parsons, Dylan, Neil Young. Sex Pistols. Creedence Clearwater Revival.

The Bluebelte (Glasgow): Dylan. Big Star. Stones. Velvets. Modern Lovers. Dolls. Bo Diddley, T. Rex.

Bei der letzten Auflistung muß ich unwillkürlich stutzen. Wahrscheinlich wurde sie von jemandem zusammengestellt, der weiß, was Rock-Journalisten zum Schwärmen bringt. Da reagieren wir wie Pawlows Hund, wenn nur die richtigen Knöpfe gedrückt werden. Big Star? JawoIHDie Dolls? Ui!

Auf dem Bluebells Album-Cover finden sich auch noch Fotos von Stalin und Picasso, bloß damit sämtliche Punkte auf der Glaubwürdigkeits-Checkliste abgehakt sind aber die Musik bleibt fröhlicher und hohler Pop. harmlos bis schwächlich. Nichts ist leichter, als eine Hitliste beeindruckender Namen aufzustellen: ob man die dann auch tatsächlich alle verarbeitet hat. ist eine andere Frage.

Im Rückblick scheint mir Patti Smith die erste gewesen zu sein, die ihre Glaubwürdigkeit nach diesem Prinzip erwarb. Mein Gott, von wem war Patti Smith nicht inspiriert?? Sie mußte sich bloß schlafen legen – und alle bedeutenden Geister aus der Geschichte der Kunst standen Schlange, um in ihren Träumen aufzutauchen. Leonardo Da Vinci! Brian Jones! Jackson Pollock! Robert Johnson! Albert Ayler!

Die Liste der Kreuz- und Querverbindungen war so überwältigend, daß die meisten Kritiker sofort autgaben. Nur langsam dämmerte die Erkenntnis, daß Miss Smith eigentlich gar nichts konnte. Sie konnte die Tonart nicht halten, kein Instrument spielen, keinen Song schreiben, kein Bild malen und keinen genuinen Gedanken aufs Papier bringen. Sie sah nichtmal gut aus und das ist normalerweise die Mindestanforderung an einen Pop-Schaffenden.

Aber sie war laut. Sie schwadronierte die Medien taub und redete sich berühmt.

Ich halte die 60er zwar nicht gerade für das Goldene Zeitalter – auch da herrschte kein Mangel an banaler Musik – aber ich finde, daß es damals ungleich schwerer war, das breite Publikum für dumm zu verkaufen. Die Rockmusiker hatten längst nicht so leichtes Spiel mit den Medien.

Heute kannst du eine Band gründen und – wenn dein Manager gerissen genug ist – dich innerhalb von sechs Monaten auf den Titelseiten von vier britischen Wochen-Zeitschriften wiederfinden. Sorg erstmal für ein leidlich zündendes Image, um die Musik kannst du dich später kümmern.

Jim McGuinn versucht in dem berühmten Leadgitarren-Break in „Eight Miles High“ die Klänge von Coltrane und Ravi Shankar zusammenzubringen. Die Aufgabenstellung ging weit über seine Fähigkeiten; aber 1985 wird es wohl kaum jemanden geben, der sich überhaupt daran versuchen würde.

Der moderne Musiker würde stattdessen die Original-Sounds im Fairlight speichern und es bei einem hingepfuschten Kompromiß belassen. Tatsächlich planen Working Week, paradoxerweise eine der kreativeren neuen Bands, gerade eine Hip Hop-Version von Coltranes „A Love Supreme“. zu der sie das Original des genialen Saxophonisten als Hintergrundspur verwenden wollen – mit Scratchen und Rappen und zusätzlichen Soli obendrauf. (Schande! Frevel!) Noch kurz zu Coltrane: Es ist vielleicht ganz sinnvoll, die 60er-Bands aufzulisten, die er beeinflußt hat, zumal einige dieser Bands wiederum wesentlichen Effekt auf das jetzige Popvolk ausgeübt haben: die Doors (als ich ihn letztes Jahr traf, trug Ray Manzarek immer noch sein Coltrane T-Shirt). Jefferson Airplane, The Jimi Hendrix Experience, MC5 (deren erklärte Absicht es war, die Intensität des Saxophon-Spiels von Coltrane und Pharoah Sanders zu verdoppeln), Frank Zappas frühe Mothers. Traffic, Grateful Dead. Spirit (die immer mehrere Coltrane-Nummern im Repertoire hatten). Die Liste ist endlos…

Überflüssig zu erwähnen, aber das Problem mit all solchen Stammbäumen ist natürlich, daß sie niemals die wirklich allererste Quelle festnageln. So großartig er war selbst Coltrane kam nicht aus dem Nichts.

Gänzlich unmöglich ist es natürlich nicht, daß irgendwann in der Geschichte ein Musiker einmal eine total ursprüngliche Idee hatte. Aber es dürfte schwerfallen, dieser Person auf die Spur zu kommen. Die meisten Innovationen sind entweder halbe Zufälle oder aber fast zwangsläufige Antworten auf die Tradition, die, wie gesagt, dazu neigt, sich immer wieder um dieselben alten Bahnen zu drehen.

Ob er auf einem Baumstamm oder einem DMX-Computer gespielt wird – im Grunde genommen bleibt ein Rhythmus immer ein Rhythmus. Und an seiner primären Funktion – den Hörer in einen Zustand sexueller Erregung zu versetzen – hat sich seit dem Altertum ebenfalls nichts geändert.

Aber ich wollte mich hier nicht in philosophische Aspekte verirren, also zurück zum Thema. Wenn Ihr mich nach dem wesentlichsten Einfluß des 60er-Rock auf die Musik von heute fragen würdet, würde ich antworten: der „Leidens-Fakior“.

Der „Leidens-Faktor“, jawohl. Über bloße stilistische Anleihen hinaus war der Sixties-Pop die erste Musikrichtung, der es Spaß machte, sich im Elend zu suhlen. Nachdem die weisen Rocker den Blues entdeckt hatten, konnten sie gar nicht mehr genug davon kriegen. Hört Jim Morrison, wenn er „I’ve been down so goddamned long/That it looks like up to me“ singt. Hört Euch irgendeinen von den Paranoia-Songs von Buffalo Springfield an: „Down To The Wire“, „For What It’s Worth“, „Four Days Gone“: oder aber die Byrds voller Selbstmitleid angesichts der ihnen entgegengebrachten Verehrung in „So You Want To Be A Rock And Roll Star“.

Die Leute aus den 60ern, die in den 80ern als Idole vergöttert werden, sind die, die ihr Leiden zum Kult gemacht haben: Morrison, Neil Young, Leonard Cohen, Jaques Brel, Scott Walker. Janis Joplin. Mit auf die Liste setzen könnte man James Dean, wahrscheinlich die erste Person, der gehuldigt wird, weil sie a) frustriert war und b) tot ist.

Und ganz besonders von Morrison geht eine Reihe zwielichtiger Popstars aus, deren Wirkung auf dem Eindruck beruht, als seien sie bloß noch einen Steinwurf vom Tod entfernt. Iggy sprang am schnellsten auf den Zug (nach Morrisons Tod übernahm er dessen Freundin, seinen Hund, sogar Lederhosen und Hut). Seitdem hatten wir die Birthday Party und die Pistols, die Stooges-Songs sangen; den Gun Club mit seinem Ersatz-Morrison Jeffrey Lee Pierce und ein scheinbar endloses Geflecht mit bleichen, bleichen Gesichtern: The Cult, Passion Puppets. Einstürzende Neubauten, Inca Babies. The Cure, Marc Almond, Fad Gadget, Sisters Of Mercy und so weiter und so fort. Alles waschechte Schwindsüchtige.

Anja von X-Mal Deutschland versuchte neulich in einem Interview, diesen Standpunkt zu verteidigen und sagte: „Wir sind wirklich eine traurige Band, aber…“ Wartet, gleich kommt s …….. ich würde die

Stimmung unserer Musik eher als .positive Melancholie‘ beschreiben. „

Ach, positive Melancholie! Warum hast du das nicht gleich gesagt!

„Eine Traurigkeit, getönt mit einem Schimmer Hoffnung.“

Der Hoffnungsschimmer besteht vermutlich darin, daß du deine Melancholie jemand anderem verkaufen kannst. Leonard Cohen, nicht gerade für seinen Humor bekannt (obwohl sich hinter der tristen Darbietung viel Witz verbirgt), traf mitten ins Schwarze, als er sich selbst als „Verzweiflungs-Krämer“ bezeichnete. Kein Wunder, daß er von vielen der heutigen Edel-Desperados als Schutzheiliger verehrt wird (Echo, Nick Cave – der Cohens „Avalanche“ covert – und Matt Johnson von The The, der sich gar mit Cohen traf, um sich Karriere-Ratschläge geben zu lassen). In puncto Depresso-Musik ist Tim Buckleys BLUE AFTERNOON von 1969 nicht zu schlagen. Hört Euch bloß diese Zeilen an: „Well I don t get no letters/Nobody calls/Nobody comes round my door nor more/No pretty ladies/No pretty boys/Nobody comes round my door no more/it’s just… lonely.“