Doppelstunde Kunst


Seit der ersten Single hatten Franz Ferdinand in England keine ruhige Minute mehr. Um ungestört über Erfolg, Musik zum Tanzen und - natürlich - die EAVzu sprechen, luden sie den ME zum Dinner und Konzert nach Holland ein.

reiche Journalisten, Konzert- und Festivalveranstalter vor dem Eingang eines Live-Clubs drängeln, kann nicht umhin, den einen oder anderen Blick zu riskieren: In ihren adretten Frisuren und tadellos gebügelten Hemden, die sorgfältig in die Bundfaltenhosen gesteckt wurden, sehen Franz Ferdinand ein bisschen wie von ihren Müttern angezogene Grundschüler aus, die sich auf dem Weg nach Hause verlaufen haben. „Es ist schrecklich aufregend“, sagt Sänger und Gitarrist Alex Kapranos, klappt die Karte zu und bestellt Gulasch, Reis und ein kleines Bier. „Manchmal ist es fast zu viel, um alles zu verarbeiten.“ Seit Domino Records im Oktober 2003 die Single „Darts Of Pleasure“ veröffentlicht hat, haben sich die Ereignisse überschlagen. Weil am Anfang alles ,so spannend ist, dass man niemandem absagen will“, wie Alex zugibt, hat die Band seither mehr als 60 Konzerte absolviert und mindestens ebensoviele Interviews gegeben. Nach den ersten Anzeichen von Erschöpfung muss man nicht lange suchen: Über der linken Augenbraue von Schlagzeuger Paul Thomson prangt ein blau-roter Fleck. Früh morgens, kurz vor der Abfahrt zum Glasgower Flughafen, hat er Freundschaft mit der Waschbeckenkante geschlossen. „Ich bin aus der Wanne gekommen und ausgerutscht“, sagt er und grinst sein Averell-Dalton-Grinsen. „Betrunken?Nö, ich war einfach sehr müde.“

So Verwirrend die Medienberichte im Detail auch sein mögen – was lernen war zum Beispiel über Franz Ferdinand, wenn wir in Betracht ziehen, dass die Strokes bei ihrem Debüt noch allerorts als „beste Band seit Nirvana“ galten, bis nur ein Jahr später The Vines mit HIGHLY evolved „das beste Debüt seit Nirvanas bleach“ (NME) gelungen sein soll, obwohl doch wiederum die Vines für die Musikgeschichte offenbar relativ bedeutungslos waren, wenn, glaubt man dem Spiegel, Franz Ferdinand nun den Rock „so glanzvoll und energisch“ neu beleben, wie man das zuletzt allenfalls von …] The Strokes“ erleben durfte (Fortsetzung auf S. 73) -, der Presserummel um die vier jungen Männer hat gefährliche Ausmaße angenommen. Dass die sensationshungrigen Medien durch verfrühte Lobeshymnen einen Erwartungsdruckaufbauen, dem die Hoffnungsträger dann nicht standhalten können, erlebt man in allen Ländern und Sparten (siehe auch: der Sportjournalismusund Sean Dundee, Lars Ricken, Benni Lauth, Sebastian Deisler etc.), in England aber ist diese Rücksichtslosigkeit besonders ausgeprägt. Da sich Franz Ferdinand, über die bereits einen Monat vor Erscheinen des Debüts mehr als 60 Artikel in englischen Publikationen erschienen sind, der Problematik durchaus bewusst sind, beteuern sie, „es ganz mit Woody Allen zu halten „, der seine Kritiken bekanntlich nicht liest. „Das ist eine heikle Situation, oder Bob?“, sagt Alex, der meist das Wort ergreift, sich regelmäßig aber der Zustimmung seiner Bandkollegen vergewissert. „Es ist ungesund, sich zu viel mit der eigenen Presse zu beschäftigen. Und wenn wir in der Situation wären, dass wir solche Kritiken bekämen, obwohl wir noch keinen Song aufgenommen – oder, Gott bewahre, geschrieben – hätten, wäre der Druck nicht auszuhalten. Aber wir haben unser Album ja fertig. Egal was geschrieben wird, die Platte kann sich nicht mehr verändern“ Tatsächlich wirken Alex, Paul, Gitarrist Nick McCarthy und Bassist Bob

Hardy, die am Nachmittag im Hotel noch einen neuen Song geschrieben haben, wenige Stunden vor dem wichtigen Auftritt beim „Eurosonic“-Festival (siehe Kasten rechts) ganz und gar aufgeräumt. „Wir können ja unsere Lieder spielen „, sagt Alex. „Wir haben Spaß. Und wir werden dafür gelobt, uns zu amüsieren. Das ist eigentlich verrückt. Als ob du schrecklich gerne gutes Essen genießt und dann kommt jemand und sagt,, Wie du dir das Essen schmecken lässtdas machst du wirklich sehr gut‘, haha! Deswegen würdest du auch nicht aufhören, das Essen zugenießen.“

Der Legende nach hat vor zwei Jahren in Celias Küche der Mund geblutet, den sich Alex nun mit einer Serviette abtupft, nachdem er am meisten geredet und seinen Teller doch lange vor den anderen geleert hat. Nick war es, der ihm damals auf einer Party einen Schlag ins Gesicht versetzt hatte, nachdem Streit um eine Flasche Wodka ausgebrochen war, die wohl keinem von beiden gehörte. Ausgerechnet nach diesem Handgemenge soll Alex, der im Frühling 2002 erstmals ernsthaft bemüht war, eine ordentliche Band zusammenzustellen, Nick die Frage gestellt haben, ob er Schlagzeug spielen kann. „Du weißt, wie das ist“, meint Alex heute ein wenig ausweichend. „In der Schule war das doch auch so: Da hast du dich mit jemandem geprügelt, und danach war er wieder dein bester Freund. Wenn ich mich zurückerinnere, dann hob ich die Leute zuerst fast nie gemocht, die mir später am nähesten standen. „Und da jede gute Band ein bisschen Mythos braucht, schadet es nichts, es bei dieser Version auch zu belassen. Fakt jedenfalls ist, dass Nick damals log, als er die ihm gestellte Frage bejahte. Er hatte am Richard-Strauß-Konservatorium in München Kontrabass und Piano studiert, von einem Schlagzeug allerdings verstand er herzlich wenig. Das Angebot wollte er dennoch nicht abschlagen, denn er sehnte sich nach Gesellschaft. Erst kurz vor Celias Party war Nick von München, wo er als Sohn englischer Eltern aufgewachsen war, nach Großbritannien gekommen, um auf der Insel nach seinen Wurzeln und in Glasgow nach einem Job als Musikerzu suchen. So erschien er wenig später zur ersten gemeinsamen Probe von Franz Ferdinand, wo er den Rest der Band kennenlernte: Paul Thomson spielte Gitarre, da er das auch von seinen diversen Elektropop-Acts gewohnt war. Sein Geld hatte er bisher als Aktmodel an der Glasgow School Of Art verdient, an der Bob Hardy seinen Abschluss gemacht hatte. Hardy war Maler, jobbte als Koch und hatte keine musikalische Vorbildung, spielte aber Bass, weil Alex, ein ehemaliger Student der Englischen Literatur, ihm einen geschenkt hatte.

Die Chemie, stellte sich heraus stimmte durchaus, die Rollenverteilung dagegen noch nicht. Platzen sollte der Knoten erst, als Thomson, zermürbt durch das etwas armselige Getrommel von Nick, widerwillig einräumte, selbst ein recht brauchbarer Drummer zu sein. Erbot seine Dienste unter einer Bedingung an: Sein Schlagzeug durfte nur genau so viele Trommeln und Becken enthalten, dass ihn Mädchen unbehindert bei der Arbeit beobachten konnten. Gerne ließ man ihn gewähren, denn Nick konnte so an die ihm wesentlich vertrautere Gitarre wechseln. Als Proberaum besetzte man just ein leerstehendes Industriegebäude, installierte darin Elektrik und nannte es – Andy Warhols „The Factory“ lässt grüßen – „The Chateau“. Kaum hatten Franz Ferdinand ihre ersten vier Songs geschrieben, lud Celia wieder zu einer Party ein, die in Verbindung mit einer Kunstausstellung gefeiert wurde. Das Motto: „Girl Art“. Für ihren ersten Auftritt also formulierten die Vier die Maxime, „Musik, zu der Mädchen tanzen können“, zu spielen. „Auf dem Fest ist uns klar geworden, dass normalerweise auf Konzerten fast nur Jungs sind und keiner tanzt“, erinnert sich Alex. „Bei Acts wie Electric Six“, fährt er fort, als wir den Namen zur Diskussion stellen, „ist das Dance-Element auch eher ein Versehen. .Dieser Song‘ war gut, ja. Aber ich hatte das Gefühl, das ist eine Rockband, die mit der Idee von Tanzen sonst nicht viel am Hut hat…“- „Die erinnern mich an die EAV“ wirft Nick ein, und damit ist das Thema beendet.

Überhaupt ist die Rechnung inzwischen bezahlt und die vier Musiker werden langsam ungeduldig. Als sie aufbrechen und die paar Schritte zum Club Vera durch den Nieselregen gehen, steht ihnen die Vorfreude auf den Auftritt ins Gesicht geschrieben. Es muss schön sein, in einer weit offenen Tür an der Schwelle zum Erfolgzustehen. „Es ististrfas bestmögliche Gefühl“, nickt Alex ernst. „Als ob duganz vorne auf einem Sprungbrett stehst. Der Moment ist noch aufregender als der Flug oder als der Aufprall auf dem Wasser.“