Ding, dong! Ein Hausbesuch bei den eigenen Nachbarn
Einfach mal so bei den Nachbarn klingeln, mal „Hallo“ sagen, auch bei denen, die man nicht kennt.
Bettina zum Beispiel. Zusammen mit Daniel. Eine schöne Liebe, beide Kameraleute, ultradünne Daunenjacken, ultraschöne Wohnung. „Wir wollten nie in einem einfachen Mietshaus leben. Wir wollten Wohnraum selbst gestalten.“ Beide sind Gründungsmitglieder dieser Genossenschaft. Mitentwickler dieser Idee.
Genauso wie Grazyna, Haus 2, 4. Stock. „Wir wollten Orte schaffen, die mehr sind“, erinnert sie sich. Grazyna hat eine kleine Cateringküche in Haus 3. Große Fenster, grüne Schwingtür. Davor finden auch die Versammlungen der Bewohner statt. Die Küche ist nicht nur ein vermieteter Gewerberaum, sondern auch Schnittstelle und Begegnungsraum. Komische Wörter für eine gute Sache. Manchmal gibt es hier Mittagessen und da treffen sich die Gewerbetreibenden mit den Nachbarn. Es riecht immer gut und manchmal reicht Grazyna ein Stück Wurst aus ihrer Tür zum Probieren. Und manchmal lässt ihr Kochkollege Otto die schnüffelnden Nachbarn seine frisch gebackenen Kekse kosten. Grazyna wollte dort kochen, wo sie auch wohnt. Eigentlich ist sie Dokumentarfilmerin, aber wer bleibt schon, was er ist. Sie wohnt hier mit Mann und zwei Kindern. Ihre Wohnung ist leicht teilbar, sodass sie die Fläche verkleinern können, wenn die Kinder ausgezogen sind oder alleine leben wollen. „Orte schaffen, die mehr sind“, was so alternativ-romantisch klingt, ist vor allem auch eine Antwort auf stadtpolitische Herausforderungen. Eine Abkehr vom versorgenden System, selbst tätig werden, Alternativen schaffen. „Ländliche Strukturen in der Stadt zu etablieren, ist die Antwort auf die Frage, wie man dort alt werden kann“, sagt Grazyna. Auch wenn sie vom alt werden noch ganz schön weit entfernt ist.
Die Form, in der wir hier zusammen wohnen, scheint recht einzigartig. Deswegen kommen öfter mal Studenten oder Interessierte vorbei, stehen in Gruppen herum und gucken neugierig in die Wohnungen und gucken schnell weg, wenn sie merken, dass da jemand wohnt. Das Besondere ist auch: Das Grundstück umgibt keine Zäune, alle Wohnungen sind rollstuhlgerecht ausgebaut und die Bewohnerschaft ist ziemlich heterogen. Das liegt vor allem daran, dass die Genossenschaft mit ihrem Grundstück bürgte, sodass auch Menschen mit wenig Geld einen Kredit für das Projekt bekamen. Ältere Singles, junge Familien mit unterschiedlichem Einkommen. Es gibt Musiker und Künstler, die ein bisschen berühmt sind, aber die fallen auch nicht mehr auf, als die Menschen mit normalen Berufen. Auf dem einen Balkon weht eine rote Antifa-Fahne, auf einem anderen steht ein Gasgrill. „Ein Haufen, der keinen Bock hat, normal zu leben“, sagt Bettina.
Die Erdgeschosse der Häuser sind nicht bewohnt, damit sich Gewerbe ansiedeln und so Bewohner und Nachbarn aus dem Umkreis anziehen kann. Da ist zum Beispiel ein Kindergarten eingezogen. Und gegenüber gibt es am Wochen-ende Puppentheater für Kinder ab 4. Spekuliert werden kann mit diesen Wohnungen bisher nicht, obwohl der Wert sich schon jetzt enorm erhöht haben dürfte. „Ich empfinde uns als Beispiel, wie man es auch machen kann. Ich bin stolz, wenn ich von unserer Genossenschaft erzähle.“ Das sagt Bettina.
„Warum?“, hatte ein Kollege letztens gefragt, „warum müsst ihr denn durch eine andere Wohnung gehen, wenn ihr aus eurer Wohnung zum Treppenhaus kommen wollt?“ Da war einem so schnell auch keine Antwort eingefallen. Außer vielleicht: „Zusammenleben neu denken, kein Bock auf reines Mietverhältnis.“ – „Aber ihr habt schon jeder eine eigene Küche?“ Ja, eigenes Bad, eigene Küche, aber fünf Wohnungen, die durch eine Gemeinschaftswohnung verbunden sind, in der die Mineralwasserkisten stehen, die Kinder Bobbycar-Rennen fahren und die Freunde übernachten, wenn die Feiern mal wieder etwas länger dauern. Man sollte das eigentlich nicht öffentlich sagen, aber die Türen stehen hier schon recht oft offen. Man sieht, wann der Nachbar nach Hause kommt (und mit wem!), wenn der Postbote sich in der Etage geirrt hat, wenn die Nachbarskinder versuchen, Klingelstreiche zu machen. Man isst sich gegenseitig die Schokoladenvorräte weg, trinkt den Wein aus und seit Weihnachten ist auch endgültig das Geschirr fusioniert. Wenn das Kind zum Nachbarn läuft, kommt der Hund im Gegenzug. Aber es gibt keine Regeln, kein gemeinsames veganes Kochen, keine festen Termine.
Bettina und Daniel gehören so wie Grazyna zur Gattung sichtbare Nachbarn. Man sieht sie aus dem Küchenfenster, wie sie auf ihrer großzügig begrünten Terrasse sitzen. Oder ein Vogelhaus anbringen oder noch mehr Pflanzen auf den Balkon tragen. „Wir haben heute mit unseren Nachbarn mehr Kontakt, als damals, als wir in einer Haus-WG gelebt haben, in der ich der Einzige war, der an Türen geklopft hat“, sagt Daniel. „Wir treffen uns auch am Abend oft spontan zum Essen. Die Sichtweite ist hier entscheidend. Man sieht sich am Fenster oder auf den Terrassen, prostet sich zu, lädt sich ein.“