Kolumne

Diese Kolumne verstößt gegen Gemeinschaftsrichtlinien – KI am Limit (lies: am Arsch)


Linus Volkmann möchte am liebsten wieder unterm Stein leben, so nerven die nur vermeintlich so klugen Maschinen.

Anfang letzten Jahres schrieb ich in dieser Kolumnenreihe über den Hype um die Künstliche Intelligenz. Der hatte zu jener Zeit nämlich auch die Musikwelt erreicht. Die Faszination (lies: Sorge) stand im Raum, dass man demnächst vielleicht selbst zu Songs tanzt, die eigentlich von Programmen „komponiert“ (liest: zusammengesetzt) wurden. Der Titel jener Kolumne lautete damals „Robot Superschlau oder Künstliche Demenz? Wie die KI nach der Musik greift“.

Wenn ich den Text dazu heute lese, strahlt er für mich neben allem Argwohn auch eine gewisse Begeisterung aus. Der Computer tritt nicht mehr bloß als Werkzeug Erscheinung sondern als Ansprechpartner, ja als kreativer Erzeuger. Man müsste Science-Fiction wirklich hassen, wenn einen diese Perspektive nicht zumindest auch ein bisschen kickt, oder?

18 Monate sind seitdem vergangen – in Hunde- und Microchip-Jahren also eine kleine Ewigkeit. Daher präsentiere ich heute ein Update zum Thema. Arbeitstitel: „Warum ich KI nicht mehr feiere oder fürchte sondern bloß noch Mitleid empfinde“. Wobei ich fairerweise sagen muss, dass ich das Mitleid nicht so auf schludrige Prozessoren richte, sondern vor allem auf all jene, die von ihnen betroffen sind. Und das sind nicht gerade wenige. Auch ich hatte und habe Berührungspunkte mit KIs in meinem Alltag – und dabei das Gefühl, eine Frage müsste mal ausgesprochen werden: Wie wenig bereichernd ist die daraus resultierende Kommunikation und wie sehr wird man sich noch rumschubsen beziehungsweise mobben lassen müssen von diesem technischen Fortschritt?

Doch versteht mich nicht falsch! Ich will nicht wieder zurück in die Höhlen vor der Stadt, ich will meine Likes nicht mit der Postkutsche ausfahren, ich möchte keine Wählscheiben an mein Telefon montieren. Natürlich ist die KI die Zukunft – aber ich hoffe mit Verlaub, die wird irgendwie erträglicher als die Gegenwart, in der man bereits allzu oft von buggy digitalen Intelligenz-Attrappen zum Augenrollen gebracht wird.

KIs erlebe ich wie so Dudes, die einem total drüber auf einer After Hour begegnen: Man kann nicht wirklich mit ihnen kommunizieren, aber sie kommen immer wieder angeschissen und wollen irgendwas von einem, was man garantiert selbst nicht möchte. Okay, damit ich mit meinem launigen High-Tech-Bashing hier jetzt nicht klinge wie Thomas Gottschalk, wenn er ein PDF auf dem Smartphone nicht geöffnet bekommt, möchte ich in ein paar Beispiele gehen.

KI auf Facebook – R2-D2 gone mad

Wer wird nicht gern von den beschränkten Robotern eines dystopischen, steuerflüchtigen Welt-Konzern (Meta) gescholten? Eines Konzerns wohlgemerkt, den man seit den 2010er Jahren unentgeltlich mit eigenen Beiträgen aktiv bis attraktiv hält? Der Kampf gegen Fake-News, Fake-Profile und vor allem Hassrede stellt inhaltlich schon immer die größte Herausforderung für Facebook und Co dar. Dass das auch Geld kostet, scheint für Meta stets abscheulicher zu sein als alle Hassverbrechen auf der eigenen Plattform zusammen. Doch selbst die düstersten Callcenter-Sweat-Shops in Schwellenländern mussten eben bezahlt werden, um beleidigende Kommentare und Spam-Postings ausfindig zu machen. Dass da die eigene KI nicht mehr nur vorsortiert, sondern auch alles autonom abwickelt, stellt natürlich eines jeden Shareholders Traum dar. Kein Mensch mehr involviert? Was das spart!

Wer bei Facebook noch nie mit diesen flächendeckend eingesetzten Lo-Tech-Hausmeistern in Berührung gekommen ist, nutzt die App vermutlich immer noch, um ausschließlich Candy Crush oder Farmville zu spielen. Mich jedenfalls sprang zuletzt Bildschirm füllend eine Nachricht an: „Linus, wir wollen dir helfen! Du bist vermutlich in einer schwierigen Lebenssituation!“ Okay, Plot-Twist, die KI scheint mein Dasein also doch atomgenau beurteilen zu können! Ich muss mich zurückhalten, um nicht in Tränen auszubrechen. Endlich mal jemand, der mich versteht! Doch es geht noch weiter, ich bekomme immer wieder derartige Push-Mitteilungen. Es wirkt wie eine Mischung aus Spam und Intervention: „Du willst dich selbst verletzen“, bricht es irgendwann aus den Nachrichten heraus. Ich bin irritiert, ist das jetzt noch eine Warnung oder schon eine Aufforderung? Dann lichtet sich endlich das Dunkel. Eine weit unhöflicher klingende Stimme (KI als Good Cop / Bad Cop?) in dem Pop-Up-Nachrichten-Gewitter teilt mir mit, man habe einen Beitrag von mir entfernt, indem ich zu Selbstverletzung aufgerufen habe und ich müsste damit rechnen, nun Einschränkungen auf der Plattform auferlegt zu bekommen. Anhand des beanstandeten Posts kann ich endlich rekonstruieren, was dieser ganzen Geschichte zugrunde liegt. Der hochintelligente Algorithmus bezieht sich also auf ein von mir gepostetes Meme von vor anderthalb Jahren. Warum das erst jetzt geschieht? Ein Rätsel. Ist die KI vielleicht auch nur eine Art unterbesetzte Behörde mit zu hohem Krankenstand?

Jedenfalls dreht sich alles um diesen von mir geposteten Bilderwitz in einer sogenannten Story. Diese haben, wie man weiß, eine Halbwertzeit von exakt 24 Stunden. Die Sichtbarkeit des Bilds ist also seit anderthalb Jahren abgelaufen, es ist von niemand mehr einzusehen. Das Motiv ging so. Auf einer Shampoo-Flasche für Kinder steht „No more tears“, keine Tränen mehr. Die Pointe: Vielleicht einfach trinken, wenn man dauernd soviel heulen muss?

Klar, Shampoo trinken ist Selbstverletzung. Sehr gut, R2-D2! Allerdings dürfte doch eindeutig sein, wie das hier in diesem Fall gemeint ist – und wie nicht? Doch die scheinbar so verästelten Talk-Möglichkeiten mit der Künstlichen Intelligenz geben sich betont schmallippig. Ich habe lediglich die Möglichkeit, a) zu gestehen oder b) eine Überprüfung zu beantragen. Beflissen entscheide ich mich für b). Denn wie schön wird es sein, wenn ich und die Facebook-KI bald über ihren Irrtum lachen können. So viel können wir noch voneinander lernen. Also speziell sie von mir. Doch das Ergebnis der Überprüfung, so wird mir alsbald erneut bildschirmfüllend mitgeteilt, bliebe dasselbe wie zuvor. Ich werde verwarnt, dürfe zwei Tage nicht über Facebook telefonieren (als ob!) und das ohnehin nirgends mehr verfügbare Meme werde aus meiner Story von vor anderthalb Jahren gelöscht.

Einen Tag später kommt der Good Cop der KI nochmal angeschissen – und gibt mir Tipps, wie mit einer Depression umzugehen sei. Übergriffig? Ach, was! The Robots wissen es eben am besten. Wortlaut:

„Gehe, wenn möglich, draußen spazieren. […] Lass ein wenig frische Luft in dein Zimmer, indem du ein Fenster oder eine Tür öffnest. […] Höre deine Lieblingsmusik.“

Gut gemeint oder nicht – wer Menschen, die wirklich unter Depressionen leiden, mit solchen Plattitüden kommt, gehört streng genommen verschrottet.

Nicht entfernt

Umgekehrt funktioniert der Kanal des Beanstandens dagegen nicht ganz so gut.

„Versuche oft halb verzweifelt Kommentare zu melden (Antisemitismus, Rassismus, homo- und transfeindlich …), aber scheinbar verstößt nix davon gegen die Standards. Wurde selbst aber OFT wegen ‚Mobbing‘ ermahnt, wenn ich Cis-Männer mal wieder etwas fragte, wie ‚ob sie noch alle Latten am Zaun haben‘. Wir sind alle verloren.“

In diesem Zitat einer Freundin dürften sich sicherlich nicht wenige wiederfinden. Gerade das Melden von Hass-Kommentaren scheint fast selbstverständlich auf taube Ohren zu treffen.
Eine Fotografin schildert ihre Erfahrungen wie folgt:

„Mich mahnt Instagram (beziehungsweise deren KI-Analyse) oft ab, wenn ich Bilder, die Fanseiten aus meinem Feed klauen (!), kommentiere mit: ‚thanks for sharing my pics‘. Ich wolle mir Likes und Follower erschleichen, daraufhin werde ich mit einem Shadowban belegt.“

Besonders sensibel (lies: vernagelt) ist natürlich auch der KI-Umgang mit Nacktheit. Das ganze Gehubere um männliche versus weibliche Nippel. Was darf sein, was nicht? Am Ende bleibt den User*innen nur vorauseilende Selbstzensur, denn die vermeintlich so smarten Programme raffen den Unterschied zwischen Pornographie, keiner Pornographie und Kunst ja bis heute wirklich gar nicht. Wirkt auf mich auch nicht so, als würde sich daran noch groß was ändern. Insofern ist es also nicht ratsam, bestimmte Plattencover auf Facebook zu posten.

Wer sich Sperren seines Accounts einhandeln möchte, braucht bei Spam-Challenges wie „10 Platten, die dein Leben bereichert haben“ nur mal die SURFER ROSA von den Pixies posten.

Bei allem Spaß am KI-Bashing darf man natürlich nicht vergessen werden, dass diese willkürlichen Gängelungs-Regime unser Verhalten auf Social Media beeinflussen. Dass es was mit einem macht, wenn falsche Beschuldigungen unverhandelbar als wahr gelabelt werden. Wie bei einem halb kaputten Staubsauger muss man sich also sogenannte Work-Arounds zulegen, damit der eigene Ausdruck im Netz irgendwie noch funktioniert. Das ist nervig und entspricht am Ende überhaupt nicht dieser ewig postulierten Verheißung einer Alltagsverbesserung durch digitale Intelligenz. Und ob es sich gegenwärtig bei all den nutzlosen KI-Assistenten, die mal wieder irgendwo aufpoppen, weil sich ein Konzern selbst noch das Callcenter sparen will, wirklich nur um eine „Erstverschlimmerung“ handelt, scheint mir nicht gerade eine gesicherte Wahrheit.
Doch wie dem auch sei – wir werden es die nächsten Jahre zwangsläufig miterleben, ob wir wollen oder nicht. Darauf erstmal eine Runde Shampoo trinken!

P.S. beziehungsweise Versöhnliches

Am unterhaltsamsten und harmlosesten scheint mir die KI, wenn es um random popkulturelle Novelty-Apps geht. Daher möchte ich schließen mit einem solchen Phänomen, das zumindest für etliche Momente zur Abwechslung mal was zurückgibt. Für YouTube werden mithilfe von Künstlicher Intelligenz Fake-Trailer gebastelt zu bekannten Franchises wie „Herr der Ringe“, „Star Wars“ oder auch „Breaking Bad“. Diese lassen die Stoffe dann in anderen Ländern oder Zeiten spielen. Wer das noch nicht kennt … das macht kurz richtig Spaß.

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Liebe Grüße!

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