„Diese Aufmerksamkeit will ich gar nicht haben“


Carl Barat ist verschnupft. Der Gitarrist und Sänger der Dirty Pretty Things ist krank - und nicht etwa beleidigt, weil nicht sein neues Album Thema ist, sondern wieder mal Pete Doherty...

Pete Doherty, natürlich. Barat ist inzwischen 30 Jahre alt und dürfte einige hundert Interviews gegeben haben. Aber bei all diesen Gesprächen musste er „vielleicht ein, höchstens zwei Mal“ keine Frage beantworten zu seinem alten Kumpel. Musste nicht erklären, wie das damals war bei den Libertines, wie sie sich später prügelten, wie Pete bei ihm einbrach, um sich den nächsten Schuss zu finanzieren. Und ob er und Pete, wie die britische Presse meldet, tatsächlich gerade zusammen an einem Musical schreiben.

Nein, diese Meldung ist „der übliche Boulevardpresse-Dreck“, sagt Barat. Und erträgt das Thema Wer wird früher sterben: Carl Barat oder Pete Doherty?

Anthony Rossomando: Ich wette fünf Euro, dass Carl länger lebt.

Wie frustrierend sind all diese Fragen zu Doherty?

carl barat: Nicht allzu frustrierend. Nur wenn ihr zu lange auf dem Thema herumreitet, dann wird es langweilig. Aber ich kann ja verstehen, warum diese Fragen gestellt werden. Und zum Glück habe ich Doherty ansonsten erstaunlich stoisch. Auch Anthony Rossomando, der zum Interview mit angereiste Gitarrist, ist eher amüsiert.

eine ganz gute Selbstwahrnehmung und kann damit umgehen.

Aber ist es nicht unfair, dass Doherty die ganze Aufmerksamkeit bekommt?

barat: Die Aufmerksamkeit, die er bekommt, will ich gar nicht haben. Man muss sehr gut aufpassen, welche Sorte Publicity man haben will. Ich finde es ganz angenehm, dass ich auf der Straße nicht erkannt werde, und die Leute, wenn sie über mich reden, vor allem über meine Musik sprechen.

Allerdings scheint es offensichtlich wichtiger zu sein, ein berühmtes Model als Freundin zu haben als gute Songs zu schreiben?

barat: Ich weiß ja, wie die Medien funktionieren. Das muss man akzeptieren. Und ich habe mich entschlossen, mich nicht in diese Maschinerie hinein zu begeben. Ein Prominenter zu sein, hat einfach keinen Reiz für mich.

Ist die englische Boulevard-Presse eine Art Fegefeuer, durch das jede halbwegs erfolgreiche Band durch muss?

rossomando: Da kommt man nicht drum rum. Das ist die Natur der Bestie. Aber man kann entscheiden, wie weit man sich darauf einlässt.

Kann man die Bestie benutzen oder wird man unweigerlich uon ihr verschluckt?

barat: Man kann sie sicherlich besiegen, aber man muss den richtigen Moment für den Absprung schaffen. In England kann das sehr schnell gehen. Die Libertines hatten gerade mal eine Single gemacht und schon waren wir auf dem Cover des NME. Am Anfang braucht man die Bestie, um bekannt zu werden. Aber dann muss man abspringen.

Aber braucht man die Bestie nicht auch, um Platten zu verkaufen?

ROSS0MAND0:Mit dieser Sorte Publicity verkaufen sich eh keine Platten. Pete ist der berühmt-berüchtigste Musiker in Großbritannien neben Amy Winehouse. Aber das schlägt sich nicht in Plattenverkäufen nieder. Während Coldplay der Yellow Press absolut keinen Stoff liefern und trotzdem Wagenladungen von CDs verkaufen.

barat: Pete verkauft vielleicht gerade mal 100.000 Platten. Amy Winehouse kommt mit der derselben Strategie auf drei Millionen!

rossomando: Amy Winehouse ist aber auch extrem talentiert.

Das daraufhin ausbrechende Gelächter ist nur ein klein wenig hämisch, aber dafür sehr befreiend. Und vor allem schafft es endlich diesen Elefanten aus dem Raum. Jetzt ist Platz, um zu reden über romance at short notice. Das hat vielleicht nicht das Zeug zum Klassiker, aber markiert doch eine Weiterentwicklung seit dem zwei Jahre alten Debüt waterloo to anywhere. In ein paar Songs ist noch der Sturm und Drang der Libertines zu hören, andere aber sind kleine Dramen, kunstvoll konstruierte Britpop-Preziosen. Trompeten, mächtige Melodiebögen, das eine oder andere Streicher-Arrangement. Wer will, kann die Beatles da heraus hören und natürlich die Kinks. Und dass Barat, Rossomando, Drummer Gary Powell und Bassist Didz Hammond groß geworden sind, als „Cool Britannia“ gerade die Weltherrschaft anstrebte, hinterlässt auch seine Spuren in ihrer Musik. Man könnte aber auch sagen, die Dirty Pretty Things haben ihre eigene Stimme gefunden. Der NME jedenfalls findet das, und der ist ja nicht ganz unwichtig in England. England, das ist unüberhörbar der wichtigste Bezugspunkt von romance… Es ist das England der stolzen Arbeiterklasse, die heute durch die Wohlfahrt gedemütigt wird. Das von der Globalisierung gebeutelte England, über das es in „Blood On My Shoes“, dem programmatisch letzten Song des Albums, heißt: „The rich get richer but still they cry.“ Dirty Pretty Things formulieren eine Sehnsucht nach einem England, das nicht versunken ist, sondern das so nie existiert hat. Dieses England verteidigen sie in der ersten Single „Tired Of England“ gegen, so formuliert es Barät, „die üblichen Moserer“. Ist es womöglich das „New England“, das Billy Bragg sich vor mehr als zwei Jahrzehnten erst gar nicht zu erträumen wagte?

barät: Ich habe, als ich „Tired Of England“ schrieb, garantiert nicht an Billy Bragg gedacht. Aber tatsächlich kann ich Ähnlichkeiten entdecken. Interessanter Vergleich auf jeden Fall. Witzigerweise haben wir all die Probleme, die Bragg in seinem Song thematisiert, immer noch in England – und noch mehr sogar.

rossomando: Allerdings sucht Bragg nach einem neuen Mädchen.

Trotzdem war es ein politischer Song. Sind Dirty Pretty Things auch eine politische Band?

rossomando: Es gibt Referenzen an die Politik. Aber wir schwenken keine Fahne, wir propagieren nicht den Sozialismus. Wir sind Träumer, Romantiker. Aber wissen trotzdem, was los ist in England. barat: Und wenn es nötigwäre, würden wir auch auf die Barrikaden gehen und kämpfen. Beim richtigen Anlass.

barat: Für die Freiheit. Gegen den Faschismus. Oder gegen einen sinnlosen Krieg.

Ist Großbritannien nicht gerade in einen sinnlosen Krieg verwickelt?

barat: Der Krieg im Irak ist dämlich. Aber nach Afghanistan zu gehen, dafür gab es durchaus gute Gründe. Außerdem sind eh die Amis dran Schuld. Wir sind doch noch Anfänger, was das Kriegführen angeht, wir wissen nicht, wie’s geht. Aber grundsätzlich: Ich benutze meine Stimme für Dinge, die mir am Herzen liegen. Es gibt politische Inhalte, die mir wichtig sind, aber es gibt noch viel mehr, das mir wichtig ist.

Kann politische Popmusik überhaupt etwas erreichen?

barat: Wir leben in einer hochpolitisierten Welt, in der alles was man sagt, politisch interpretiert werden kann. Jede Kaufentscheidung im Supermarkt ist politisch. Aber deshalb muss man noch lange keinen Song über die Steuerreform machen. Also, okay, hier die Antwort auf deine Frage: Ja, wir sind eine politische Band. Aber das ist nicht unser einziges Ziel.

>» www.dirtyprettythings.com

>» CD-KRITIK S. 78