Die Zirkus-Ag


Mit Ziegenkostüm, Discokugel-Helm und spaßorientierter Kapitalismuskritik trasht die hedonistische Armee von Monsieur Bonaparte über internationale Bühnen. Nun erscheint das zweite Album MY HORSE LIKES YOU der ADHS-Glam-Rocker.

Es muss so im Sommer vor vier Jahren gewesen sein, als Tobias Jundt mit einem alten, roten Sportwagen von Spanien nach Berlin fuhr. Auf die Tür war eine schwarz-weiße 21 lackiert, wie die Startnummer eines Rennwagens. Man hätte sich nicht gewundert, wenn beim Öffnen der Tür noch ein wenig Sand von einem Wüstenrennen raus gerieselt wäre. Der Fahrer sah aus, als würde er gerade von einer Welterkundungstour kommen. Irgendwie war er, der einst in Bern in der Schweiz startete, das wohl auch. Die Garderobe, eine Mischung aus dem frühen James Bond und Sherlock Holmes, nur jünger, kleiner und echter, so fuhr er durch den Kreuzberger Sommer. Wenige Abende später stand er mit ein paar Musikern auf den Brettern der Bar 25 und spielte ein Konzert, das jedem Anwesenden in Erinnerung geblieben sein dürfte. Die Drums waren aus dem Müll des Clubs zusammen gesucht, die Technik war nicht gerade höchst professionell verkabelt und dennoch derwischte Jundt mit seiner Gitarre durch die Bar, als müsste das alles genau so sein, als wäre das alles genauso geplant oder eben nicht. Das war das erste Konzert von Bonaparte.

Irgendwann war das Auto dann voll mit kostümierten Menschen, gestrandet aus aller Welt, die Jundt auf seiner Stadterkundungstour eingesammelt hatte. Sie wurden Tänzer, oder waren es schon. Aus Tobias Jundt wurde Monsieur Bonaparte. Und aus dem Weltenbummler ein Zirkusdirektor, mit blau-goldenem Jacket. Angeditschte Ballerinas und boxende Ziegen mit Identitätsstörungen sprangen aus dem Auto auf die kleinen Bühnen der Stadt und es wurde klar: Der junge Mann war gekommen, um weiter zu ziehen.

„Das Projekt ist ganz unschuldig entstanden“, sagt Jundt in einem Kreuzberger Café Mitte Mai. Wie im Schneeballsystem traf er immer mehr Leute, die sich dem losen Kollektiv anschlossen. „Es waren immer die Menschen, Begegnungen und Freunde, die Bonaparte weiter gebracht haben“. Unschuldig, ungeplant, aber doch auch wahnsinnig ehrgeizig. Tobias Jundt war gekommen, um sich zu bewegen, er „wollte etwas spüren“, sagt er. Mit einem ausgeprägten Verständnis von Inszenierung und Authentizität wurde er zum Kaiser, zum Anführer der spannendsten Live-Band, die Berlin in den letzten Jahren gesehen hat.

„Mir wird schnell langweilig“, sagt der 31-Jährige verschmitzt. Man hatte es schon geahnt. Dem ersten Album Too MUCH, das er auf seinen Reisen schrieb und dann 2008 in einer Kreuzberger Fabriketage aufnahm, gab er das passende Label „Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom-Musik“. Es war irgendeine Mischung aus Rock’n’Roll und Punk und Electro. Einfach, effektiv, eingängig. „Ich wusste doch damals noch gar nicht, wie das heißt, was wir machen. Punk oder so.“ Die ersten 100 CDs haben sie selbst gebrannt und irgendwann ist er dann zufällig beim Büro des Berliner Labels Staatsakt vorbei gekommen und hat eine der Aufnahmen rein gereicht. Staatsakt tat, was ein Label tun muss, und produzierte die Platte.

„Das erste Album war für mich Kreuzberg, mein neues Berlin. Wie den ersten Kuss kann man die erste Platte nicht wiederholen“. Songs wie „Anti Anti“ und „Too Much“ wurden zu Party- und YouTube-Hits. Von Freunden recht professionell produzierte Videos sind nicht unerheblicher Teil des Feldzuges von Bonaparte. Maskierte, geschminkte Gestalten sieht man im Mauerpark oder einer Wüste umher taumeln und springen.

Bonaparte ist mittlerweile eine GmbH und Jundt der verantwortliche Chef. „Die Anfangszeit war gemütlicher. Band und Publikum kamen aus einem Umfeld. Das ist die schönste Zeit. Aber wenn man versucht, das Schiff auf dem Wasser zu halten, muss man weiter ziehen“, sagt Jundt. Das Schiff auf dem Wasser zu halten bedeutet, verdammt viele Konzerte zu spielen. Er habe etwas gefunden, für das er Verantwortung trage, eine Familie nennt er sie, den Zirkus. Seine Entscheidungen und Entwicklungen beeinflussen nun das Leben von über zehn Menschen.

Vor allem die Konzerte mit der ganzen Truppe prägen Bonapartes Ruf. Halbprofessionelle Tänzer aus Amerika oder Frankreich benässen sich mit Kunstblut, vollführen unendlichen Striptease und schmieren in Epilepsien um die Musiker herum. Freunde werden in Hasenkostüme gesteckt oder setzen sich Discokugel-Helme auf. Immer in der Mitte der Sänger und Gitarrist Jundt, mit schwarz umrandeten Augen, der sich, man muss es mit Klischee ausdrücken, die Seele aus dem Leib spielt. Bald traten sie auf der Aftershow-Party von Quentin Tarantinos Filmpremiere auf. „Ständig kam der besoffene Sänger von Bloodhound Gang und wollte mir das Mikrofon wegreißen. Der ist dann aber rausgeschmissen worden“, erzählt Jundt. Natürlich dient sowas der Geschichtsschreibung.

Was auf der Bühne nach unkalkuliertem Chaos und Entgleisung aussieht, ist wohl temperiert. Jundt weiß, was er tut und er weiß, was er nicht möchte. „Ich esse, trinke, rauche Bonaparte“, sagt der Nichtraucher, bei dem man sich nicht erinnern kann, ihn jemals Alkohol trinken gesehen zu haben. Das Management macht er immer noch selbst. In dem Spiel mit der Identität Napoleons steckt auch ein Stück Ernst. „Ich kenne ja alle Beteiligten am besten, und weiß, wann man Ja oder Nein sagen muss. Ich habe immer das Gefühl, den Job kann man niemand anderem zumuten“. Er sprudelt vor Ideen wie ein Kind, hat ein Faible für einprägsame Begriffe wie die „Hedonistic Army“, wie er seine Zirkus-AG auch manchmal nennt, und er hat in seinen Mitstreitern die passenden Geschäftspartner gefunden. „Wir sind all den Leuten treu geblieben. Dasselbe Label, derselbe Booker. Ich arbeite lieber mit Menschen zusammen, nicht mit Firmen, das ist nicht so kompliziert.“

Der Autodidakt Jundt, dessen Vater es als Liedermacher in der Schweiz ebenfalls zu gewisser Bekanntheit brachte, schrieb in seiner Heimat kommerziell erfolgreiche Songs. So erfolgreich, dass er ab und zu Seminare an einer Musik-Uni gibt. „Ich habe ja auch keine Ahnung, wie man den perfekten Song schreibt. Man muss es eben so machen, wie es flutscht, aber dafür braucht man Mut. Den Mut, einfach das Eigene zu machen. Man muss seine Sprache finden, und man muss wissen, wie man es raus lässt. Wie bei einer vollen Badewanne, muss man den Stöpsel zu ziehen“, sagt er spitzbübisch, macht noch ein Plop-Geräusch dazu und vermutlich weiß Monsieur Bonaparte selbst, dass er gerade kokettiert. „Ich bin ein ökonomischer Songwriter, ich habe wenig Restmaterial. Ich bin schon sehr ehrgeizig und lasse selten etwas fallen“.

Er ist ein beeindruckend guter Songschreiber. Wer denkt, diese kratzigen Songs mit wenigen Akkorden und vielen Zitaten entstünden aus mangelnden Mitteln, der irrt. Auch wenn der General behauptet, es sei reiner Zufall, wie seine Musik klinge, weiß er doch, wie seine Musik klingen muss, um zu gefallen. Songwriting sei wie Kochen, sagt er, die gute Vorbereitung sei wichtig, „das Mise en place“. Dann holt er ein kleines schwarzes Notizbuch aus seiner Tasche. Hierin sammle er die Textideen. Er blättert darin herum: „Kidnap children in the park“, liest er vor, „Nee, das war unbrauchbar“.

Die Texte von Jundt sind ein weiterer wichtiger Bestandteil des Erfolges. Klar verständliche Textzeilen wie „You know tolstoy, I know playboy/ You know politics, I know party chicks“, sind Ansage und Aussage. Bonaparte sind sowohl musikalisch als auch textlich nicht anspruchslos und predigen gleichzeitig die hedonistischen Exzesse. Eine schwitzige und physische Präsenz. Sie sind unterhaltsam und kritisch. Titten und Kapitalismuskritik. „Das Intellektuelle und das Einfache reizt mich beides“, sagt Jundt. „Das tolle am Songwriting ist doch, dass es für einen Moment tanzbar sein kann, dann hat man wieder etwas zum Nachdenken und dann kreiert man einen Übermoment, wie im Film.“

Auf dem aktuellen Album MY HORSE LIKES YOU scheinen die Texte noch ausgefeilter, weniger gradlinig. „I’ve got ADHD, but I do deserve all the attention“ und „Ignorance killed the reality star“, sind weitere Beispiele für die schlau-spaßigen Zeilen, aber diesmal gibt es auch introvertiertere Lieder über Liebe und so weiter. Während das Geheimnis des ersten Albums in seiner Einfachheit lag, für die man sich entschied und nicht gezwungen war, ist das neue Album komplexer. Als ob mehrere Schichten übereinander gelegt worden wären. Bonaparte spielt jetzt mit noch mehr Stilrichtungen, mit noch mehr Zitaten. Ob Folkloreelemente oder die Zusammenarbeit mit Modeselektor – „Wir nehmen uns alles raus, was zusammen passt“.

My Horse Likes You entstand im letzten Winter. Nach unzähligen Konzerten, hatte Tobias Jundt sich in seine Kammer eingeschlossen. „Du musst on the road bleiben, um die Karawane zu ernähren, aber irgendwann habe ich die Notbremse gezogen und keine Gigs mehr angenommen, um Produzieren zu können“. Fertig war das Album, das Monsieur Bonaparte fast komplett allein aufnahm, dann doch erst eine Stunde, bevor sie wieder ins Auto stiegen, um zum ersten Konzert nach der Tourpause zu fahren. „Songwriting ist kein demokratischer Prozess. Ich bin offen für jede Idee, egal ob vom Bäcker oder vom Drummer, aber ich will entscheiden“, sagt er. Er würde gerne versuchen, das dritte Album als Bandalbum auf der kommenden Tour zu entwickeln.

Doch erstmal wird es in der Bandbesetzung einige Wechsel gegeben. Der neue Keyboarder zum Beispiel siedelt gerade nach Berlin über. Der Kaiser hatte ihn auf seiner Tour durch Neuseeland kennen gelernt. „Der Lebensentwurf muss einfach zum Bandleben passen. Wir spielen im Oktober vier Wochen am Stück. Jeden Tag. Ich kann nicht von allen erwarten, so lange unterwegs sein zu wollen. Die Intensität ist ähnlich wie im Zirkus. Man zieht zusammen weiter und weiter“. Mittlerweile spielen sie „Hoteltouren“, früher waren es noch „Küchenbodentouren“. Zwischen 500 und 1000 Leute kommen auf die Konzerte von Bonaparte, auch Lena Meyer-Landrut outete sich in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ als Fan. So nass geschwitzt sei sie gewesen, dass sie auf dem Nachhause-Weg Angst gehabt hätte, sich zu erkälten. „Ich kenne die nicht wirklich, die ist doch von dem TV-Total-Dingsda. Aber das ist lustig. Naja, oder vielleicht auch nicht so lustig“.

Dann bekommt Tobias Jundt einen Anruf. Das Label ist dran, das neue Album ist im Internet aufgetaucht, drei Wochen, bevor es überhaupt erscheint. „Ja, egal. Mit den Plattenverkäufen verdient man eh kein Geld. Ich hoffe einfach, dass es die Produktionskosten rein spielt“, sagt er. Und die Produktionskosten dürften recht hoch sein. Es wird auch eine Doppel-LP auf weißem Vinyl geben. „Mit Pferdeposter fürs Kinderzimmer oder Klo“. Vinyl ist eben Tradition bei Staatsakt, auch wenn sich das nicht mal mehr die meisten Technolabel leisten wollen. Jetzt bloß keine Waterloo-Witze machen.

Im Sommer spielen Bonaparte die großen Festivals: Exit, Roskilde, Rock am Ring, Melt! Der gewonnene „Radio Award“ und der „Live Entertainment Award als beste Clubband“ locken die Veranstalter, während die Fans kommen, um das Gesamterlebnis Bonaparte zu feiern. Auf YouTube gibt es mittlerweile Videos von Schülerbands, die „Anti Anti“ in großen Schulaulen nachspielen. Das meist junge Publikum erscheint zum Konzert mit nachgebastelten Kostümen. „Süß, oder? Ich finde das super. Alles ist ausgeliehen, alles bewegt sich im Kreis“. Bonaparte bedient sich ja auch überall selbst.

„Ich will keine Routine, keine Festgefahrenheit. Vielleicht werden wir irgendwann eine Electro-Trash-Big-Band oder am Nachmittag Lieder für Kinder spielen. Warum eröffnen wir nicht ein Hotel und werden die Hotelband? Es geht ums Weitermachen, darum, weiterzugehen. Ich habe Angst vor Stagnation“.

Nach Stagnation sieht es im Moment nicht aus. Der ganze Wahnsinn geht weiter. Aber vorher will er am Wochenende noch mal raus aufs Land fahren, Vögel beobachten.

Albumkritik S. 73

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