Die wundersame Welt des Michael Jackson


Im Dezember 1982 veröffentlichte er "Thriller", mit 58 Millionen Exemplaren die meistverkaufte Platte aller Zeiten. Dann verschwand er in den bewachten Fluchten seines Hauses, in einer Welt kindlicher Phantasie und unvorstellbaren Reichtums — versteckt hinter kugelsicheren Fenstern und in luftdichten Sauerstoff-Kammern. Mit einer neuen LP tritt er nun wieder an die Öffentlichkeit. Paul Du Noyer wirft einen Blick auf den Mann hinter der Maske.

Da liegt er nun, wie ein balsamierter Heiliger oder wie ein toter Held, eingebettet in Stille, in einem gläsernen Käfig. Aber er lebt. Und er redet mit uns! Er sagt: „Ich will in einer friedlichen Welt ohne Hunger und Leid leben. Ich glaube, daß ich mithelfen kann, dieses Ziel zu erreichen, wenn ich gesund an Körper und Geist bleibe. Ich glaube, daß ich, wenn ich richtig lebe, 150 Jahre alt werden kann.“

Und was macht die Welt? Fällt sie bewundernd auf die Knie, preist sie laut seinen Namen? Nein. Die Welt hat im Großen und Ganzen beschlossen, daß dieser Junge ein armer Irrer ist. Ein ziemlich amüsanter Irrer vielleicht — einer, der einige gute Songs geschrieben hat. aber eben nur ein armer Irrer. Und dann blättert die Welt weiter zu den Sportseiten.

Die Pressemeldungen des letzten Jahres waren traurig und erheiternd zugleich. Denn Michael Jackson lebt sein Leben rückwärts. Während die gewöhnlichen Sterblichen von Unschuld zu Erfahrenheit reifen, läuft es bei ihm genau andersrum. Solange er denken kann, war er ein Star und eine gute Einkommensquelle für jeden Erwachsenen, der mit ihm zu tun hatte. Jetzt nutzt Michael sein Leben als Erwachsener, um das Kind zu werden, das er nie sein durfte. Seine Augen werden größer, seine Stimme wird heller, seine Gedanken bekommen eine Art kindlicher Naivität.

Er verbringt Stunden in seinem Zimmer mit fast reinem Sauerstoff — eine Umgebung, die ihn so wenig wie möglich belastet. „Michael hat viele bizarre Ideen“, erklärt sein Arzt in vorsichtig gewählten Worten, „und manchmal sind diese Ideen ihrer Zeit voraus. Sein Manager ist da ehrlicher: „Ich habe Michael gesagt, dieser verdammte Apparat ist viel zu gefährlich. Was passiert, wenn etwas schiefgeht mit dem Sauerstoff?“ So denken Manager nun mal.

Steven Spielberg ist ebenfalls ein Künstler. Auch ein Phantast. Er sagt über Michael Jackson: „Er ist eine Art Faun in einem brennenden Wald. Michael kommt aus einer schönen Welt. Ich wünschte, wir alle könnten einige Zeit lang in seiner Welt leben. „

Was aber würden wir dort finden?

„Ich wurde auf der Bühne großgezogen“, sagte Michael Jackson in einem seiner wenigen Interviews, in diesem Fall mit der „Rolling-Stone“-Autorin Gerri Hirshey. „Und dort fühle ich mich wohl. Wenn es Zeit ist, von der Bühne zu gehen, dann will ich nicht. Ich glaube, daß dort, in allen Ecken Schutzengel sitzen. Ich könnte auf der Bühne schlafen. „

Michael Jackson steht seit 23 Jahren auf der Bühne. In dieser Zeit hat er gelernt, nur zwei verschiedene Daseinsformen zu akzeptieren: die besessene Hingabe an die Arbeit oder den vollkommenen Rückzug ins Privatleben. Es gelingt ihm nicht, diese beiden Zustände miteinander zu vereinbaren.

„In seinem Innern“, schreibt Hirshey in ihrem Buch „Nowhere To Run“, „wird die Spannung zwischen dem Showstar und dem Privatmann so unerträglich, daß er jeden Sonntag fasten und tanzen muß, bis er zusammenbricht. Nur so kann er sein emotionales Gleichgewicht wieder herstellen. Er ist einsam und sagt, daß er sehr viel weint.“

Nicht alle Analysen seiner Persönlichkeit sind so wohlwollend. „Is Jacko Wacko?“ („Ist Jackson irre?“), hieß es 1984 in der britischen Boulevardzeitung „The Sun“. Mit der Hilfe ungenannter Experten kam das Blatt zu dem Schluß, daß einige der Eigenheiten des Stars Symptome einer ausgeprägten Geisteskrankheit seien.

Boy George, der mittlerweile selbst auf die Revolverblätter nicht mehr gut zu sprechen ist, wurde eine Zeit lang als Jackson-Vertrauter zitiert. Er berichtete, daß er regelmäßig von einem gewissen Houston Harkins angerufen werde: „Ich weiß, es war Michael, obwohl er darauf bestand, es nicht zu sein.“ Später verlor dann sogar Boy George die Geduld: „Es dauert eine halbe Stunde, bis er ein Wort sagt. Am liebsten würde ich ihm was in den Tee kippen, damit er endlich den Mund aufkriegt.“

„Manchmal bin auch ich verblüfft, wie jemand so schüchtern sein kann“, sagt Diana Ross. Sie ist Michaels älteste Vertraute und hat sich immer wieder bemüht, den Jungen aus seinem wattierten Schneckenhaus herauszuholen. Aber sie kennt auch besser als alle anderen seine Zwiespältigkeit: „Er versteckt sich, er flüstert nur, aber dann, wenn man ihn auf die Bühne läßt, wird er zu diesem sexy Monster.“

Wie Diana Ross umgibt sich auch Jackson am liebsten mit berühmten Menschen wie Sophia Loren oder Elizabeth Taylor — Menschen, die die dünne Luft des Ruhmes atmen, die seine drückende Last kennen, seine Anforderungen verstehen und die es ebenfalls schätzen, der Publicity entfliehen zu können, für die sie früher mit allen Mitteln gekämpft hatten. Außerdem sind diese Leute einfach zu reich, als daß sie es nötig hätten, ihre Erlebnisse mit Michael Jackson an die Presse zu verhökern.

Michael Jacksons bester Freund ist der 13jährige amerikanische TV-Star Emmanuel Lewis. Durch sein Alter ist der kleine Emmanuel die ideale Gesellschaft für einen 28jährigen, dessen Gefühlswelt auf dem Stand eines Knaben geblieben ist.

Es mag töricht erscheinen, daß Jackson sich von der finsteren Welt, die wir Sterblichen bewohnen, zurückgezogen hat. Doch genau darin hatte er schon immer den Sinn des Lebens gesehen — schon bevor er 15 Jahre alt war.

Im Alter von fünf Jahren wurde Michael jedes Wochenende in den Laderaum eines Kleintransporters gesteckt und mußte durch die Soul-Szene der nördlichen USA tingeln. Mit seiner schrillen Stimme war er das tanzende Maskottchen der Jackson-Familie.

Joe Jackson arbeitete in der Nachtschicht als Kranführer, seine Frau Katherine war eine frömmelnde Zeugin Jehovas. Sie waren geachtet, aber arm. Und es lag nahe, daß sie ihren fünf Söhnen — von Jackie bis Tito, Jermaine, Marion und Michael rieten, ihren Lebensunterhalt weit weg von der Hitze, dem Lärm und dem Dreck ihrer Heimatstadt Gary zu verdienen.

Daß die Jackson Five von Diana Ross entdeckt worden seien, war eine hübsche Publicity-Ente des Motown-Labels. In Wirklichkeit wurde Motown auf die Gruppe auf dem üblichen Weg aufmerksam, durch Auftritte bei Sendern und in Clubs. Die Diva der Supremes trug später aber tatsächlich ihren Teil dazu bei, die Gruppe herauszuputzen, insbesondere den kleinen Michael. Schon 1970 waren die Jungs mit der ersten Welle von Hits („ABC, „I Want You Back“, „I’ll Be There“, „The Love You Save“) alte Hasen im Show-Business. Und „Dad“ Joe Jackson blieb ihr Manager, wie am Anfang, als die Jungs zu Hause saßen und die Erntelieder aus dem Mittelwesten sangen, die ihre Mutter so liebte.

Michael nutzte die Zeit bei Motown als eine Art Lehre. Mit inquisitorischer Besessenheit lernte er alles über das Komponieren und die verschiedenen Aufnahmetechniken. Im Apollo-Theater in Harlem beobachtete er, wie die erste Generation des Soul — James Brown, Jackie Wilson, Etta James,— ihre Show abzog. Viel von dem, was heute Jacksons Überlegenheit gegenüber seinen Zeitgenossen ausmacht, verdankt er diesem Grundlagenstudium.

Bei Motown hatte man die Talente des Jungen schnell erkannt. Schon 1972 brachte er seinen ersten Solo-Hit „Got To Be There“. Aber dieser erste Anflug von Unabhängigkeit weckte in ihm noch nicht den Drang, seine Familie endgültig zu verlassen. Sein jüngerer Bruder Randy nahm zwar allmählich Michaels Position als Nesthäkchen ein. Auch die drei Schwestern — Rebbie, LaToya und Janet — forderten inzwischen ihren Anteil am Ruhm der Familie. Aber immer noch war Michael am unwilligsten, wenn es darum ging, das heimatliche Nest zu verlassen. Bis heute ist das Haus der Jacksons Familie, eine Villa in Encino/Kalifornien, seine Basis.

Michael bleibt der treusorgende Sohn, besonders für seine Mutter: Zum 56. Geburtstag schenkte er ihr einen Rolls Royce im Wert von 75 000 Dollar. Und es heißt, er sei Wortführer gewesen, als die Familie ganz und gar nicht mit der Flucht Janets einverstanden war. Sie war mit dem Sänger James DeBarge durchgebrannt (die Ehe zerbrach innerhalb eines Jahres. Janet kehrte reumütig in ihr Zimmer nach Encino zurück). Immer auf den guten Namen der Familie Jackson bedacht, verdammte Michael die unvermeintlich „zweideutigen“ Bühnenshows und Videos seiner jüngeren Schwester. Böse Zungen allerdings meinen, daß er nur eifersüchtig auf ihren Erfolg war. Er trieb den Streit mit Janet so weit, daß er sich wegdrehte, wenn er ihr im Flur der Villa begegnete. Erst zum letzten Weihnachtsfest gelang es der Familie, die beiden zu versöhnen.

Bleibt noch immer diese eine Platte, die für alle Zeiten dafür sorgen wird, daß Michael nie mehr als „nur ein Jackson“ angesehen wird. Wenige Wochen nach dem Erscheinen von Thriller übertraf sie die Verkaufszahlen seines 1979er Erfolges Off The Wall. Der geschmeidige Beat von Thriller stempelte den Discosound der Vorgängerplatte zu einer antiquierten Musik aus einer anderen Ära ab.

Hatte Off The Wall nur einen einzigen Grammy gewonnen (in der Kategorie Rhythm & Blues, aus Enttäuschung weinte Michael noch Tage später), erhielt das neue, von Quincy Jones produzierte Meisterwerk sensationelle acht Grammys. Blitzschnell übertraf Thriller den Rekord von Saturday Night Fever mit 25 Millionen Exemplaren und bestätigte Michael als den Star der 80er Jahre.

Die wenigen öffentlichen Auftritte Michael Jacksons mögen ihm die Aura eines freundlichen, beatbesessenen Parade-Bimbos geben. Aber die Songs von Thriller zeigen ein anderes Bild: finster und paranoid. Von der durchdringenden Angst, die in „Beat It“ lauert, bis zur panischen Verzweiflung in „Wanna Be Starting Something“. Die Stücke, die Jackson selbst geschrieben hat, leben von Angst und zeigen gleichzeitig das gnadenlose Selbstbewußtsein, mit dem er reichlich gesegnet ist. In „Billie Jean“ etwa hat er seine eigenen Themen — alptraumartige Isolation und selbstzerstörerisches Mißtrauen — zu einem beängstigendem Extrem getrieben.

1983 brachte Thriller Michael einen zweiten kommerziellen Triumph: das „Thriller“-Video. Die Platte war bereits ein Jahr alt. eigentlich brauchte sie kein Video mehr für weitere Promotion. Aber Michael wollte eines. Jon Landis‘ Film, ein Feuerwerk von Spezial-Effekten und übernatürlichem Hokuspokus, begann mit den Schauder erregenden Worten Michaels: „I’m not like other guys…“

Während seine Tanznummern (angeblich zählte Fred Astaire zu seinen Bewunderern) am meisten beeindruckten, zeigten auch seine schauspielerischen Einlagen, daß er sein ehrgeiziges Ziel, Filmstar zu werden, durchaus noch erreichen könnte.

Schon 1978 gab’s wohlwollende Kritiken für sein Filmdebüt als kleiner Gnom neben Diana Ross in „The Wiz“. Dann ein ansonsten bescheidenes Remake von „The Wizard Of Oz“.

Weiter Projekte wurden über die Jahre geplant und wieder verworfen: Für Steven Spielberg sollte er die Rolle des Peter Pan spielen. Im Gespräch war auch eine „schwarze“ Version des Oliver-Twist-Musicals.

Noch vor kurzem hieß es, Michael werde (wieder für Spielberg) die Titelrolle in einer Filmversion des Musicals „The Phantom Of The Opera“ übernehmen. Aber alles, was bisher dabei herauskam, ist „Captain EO“, ein 3 D-Science-Fiction-Filmchen von 17 Minuten, das in den amerikanischen Disney-Parks gezeigt wird. Das mit jeder Menge High-Tech-Effekte vollgepackte Werk stammt aus den Studios von George Lucas. Jackson spielt einen außerirdischen Helden, der unzählige Bösewichte besiegt. Sollte aus seiner Filmkarriere nichts werden, dann dürfte das eher an seiner Unfähigkeit liegen, passende Rollen zu finden, als an mangelndem Talent.

Schon im Kasten sind natürlich die Werbespots für Pepsi-Cola. Noch in diesem Jahr werden in Amerika zwei neue Spots laufen. Jacksons Verbindungen zu Pepsi gehen zurück ins Jahr 1984. Damals sponsorte Pepsi USA die gewaltige „Victory-Tour“ der Jacksons. Obwohl zwei Millionen Amerikaner sie sahen und dafür 10 Millionen Dollar bezahlten, war die Tour nicht gerade eine glückliche Episode in der Geschichte der Jacksons. Von Anfang an gab es Unstimmigkeiten mit dem Tour-Promotor Don King. Diese schillernde Figur, einschlägig bekannt als Box-Promotor, wurde von den Jackson-Boys und Vater Joe nach den ersten Auftritten gefeuert.

Obwohl dies immer dementiert wurde, bleibt der Eindruck, daß Michael an der Victory-Tour gar nicht teilnehmen wollte und nur dazu überredet wurde, um seinen weniger erfolgreichen Brüdern zu helfen. Die anderen Jacksons wiederum waren nicht glücklich darüber, im Schatten Michaels zu stehen und wären gerne ohne ihn auf Tour gegangen. Während der Tour zogen sie von einer Stadt zur nächsten, jeder mit seiner eigenen Begleitmannschaft. Nur gelegentlich trafen sie sich, um über alle möglichen Schikanen zu meckern. Zum Beispiel über die offiziellen Tournee-T-Shirts, auf denen nur Michaels Gesicht zu sehen war.

Immerhin, für Pepsi USA war die Tour ein glatter Erfolg. Für fünf Millionen Dollar Sponsorengelder bekam Pepsi Michael als Darsteller in ihren 84er Werbespots. Nach Ansicht des Pepsi-Präsidenten Roger Enrico trieb diese Werbekampagne den Pepsi-Erzfeind Coca-Cola zu einem panischen Gegenangriff: der letztlich katastrophalen Einführung der „New Coke“. die bald wieder vom Markt zurückgezogen werden mußte. Zum ersten Mal überhaupt hatte Pepsi seine Rivalen übertroffen. Und verdankte es Michael Jackson.

Der Krieg gegen Coke bescherte Pepsi aber auch einige heikle Tage in der Firmengeschichte. Bei den Dreharbeiten zu den Spots hatten Michaels Haare Feuer gefangen. Die Verletzungen waren nicht ernst (Jackson mußte für einige Zeit ein Haarteil tragen), doch ein Prozeß konnte nur abgewendet werden, weil Pepsi sich an Michaels Spende für das „Brotman Medical Center“ beteiligte, wo seine Verbrennungen behandelt worden waren. Hier entdeckte er auch die berühmte Sauerstoff-Kammer, die dort der Behandlung von schweren Verbrennungen dient.

Jackson hat darüber hinaus weitere Werbeverträge abgeschlossen. In Amerika kann man „Michaels Kuscheltiere“ kaufen — eine Auswahl von plüschigem Spielzeug, wobei ein Teil des Verkaufspreises wohltätigen Zwecken gestiftet wird. Oder ein Parfüm von Max Factor mit dem Namen „Thriller“. Er hat seinen Namen auch einer Kollektion von Kinder- und Teen-Moden zur Verfügung gestellt.

Vor kurzem schloß er einen neuen Vertrag mit Pepsi ab: die Summe wurde nicht veröffentlicht, bewegt sich aber zweifellos in astronomischen Dimensionen. Für jemanden, der nie eine Pepsi-Flasche auch nur angefaßt hat, sicher ein erfreuliches Geschäft.

Frank „Tookie“ Dileo ist ein impulsiver, zigarrenpaffender Italo-Amerikaner aus Pittsburgh. Der Mann ist beinahe so breit wie hoch. Als Manager von Michael Jackson ist Frank natürlich ein äußerst gewichtiger Mann. „Michael wollte jemanden, der einen guten Kontakt zur Straße hat“, witzelte er. „ich bin gerade einsfünfzig groß!, näher an die Straße kommt kein anderer ran.“

Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Es geht die Legende, daß er, nachdem er sein Hotelzimmer für vier Stunden verlassen hatte, 187 Telephon-Nachrichten vorfand.

Aber Michael ist keinesfalls seine Marionette. Denn trotz seiner Weltfremdheit hat Jackson ein ausgereiftes Gespür für Geschäft. Sein Anwalt John Branca: „Er will alles über die Steuergesetze wissen oder über die Unterschiede in einem Filmvertrag zwischen Brutto-Beteiligung und der Bestimmung des Reingewinns. Er lernt sehr gerne.“

Er verdient auch sehr gerne. Sein Tantiemenanteil von 42 Prozent ist der höchste weltweit (bei Motown bekamen die Jackson Five gerade 2,7 Prozent). Mit 13 Jahren war er Millionär. 1984 wurde sein Vermögen auf 70 Millionen Dollar geschätzt. Wahrscheinlich sind nur Paul McCartney und der fleißige Bruce Springsteen noch reicher. Alle drei spenden übrigens beträchtliche Summen für wohltätige Zwecke.

Michael nimmt aktiv an geschäftlichen Besprechungen teil und beansprucht das letzte Wort bei allen wichtigen Entscheidungen. Dazu zählte auch 1985 der Kauf der Firma, der u.a. „Northern Songs“, der Musikverlag der Beatles-Songs, gehört (der pro Jahr schätzungsweise fünf Millionen Pfund an Tantiemen einbringt). Mit seinem Gebot von 40 Millionen Dollar warf er Paul McCartney aus dem Rennen, der schon lange versucht hatte, die volle Kontrolle über das Beatles-Werk zurückzubekommen. Hartnäckigen Gerüchten zufolge soll Quincy Jones bereits an Arrangements von Beatles-Songs für Michael arbeiten.

lnzwischen tauchten Berichte auf, nach denen Michael sogar Motown kaufen will.

Im März ’85 kam Jackson nach Großbritannien, um seine Wachsfigur bei Madame Tussaud zu enthüllen. Obwohl von diesem Aufenthalt nur das vielsagende Zitat „Es ist schön, hier zu sein“ überliefert ist, genoß er ihn offensichtlich doch. In einem Moment für ihn untypischer Ausgelassenheit hüpfte er auf das Dach seiner Limousine und winkte seinen Fans zu. (Später erhielt er eine Rechnung über 2300 Pfund wegen einer Beule im Dach des Wagens.) Er trug eine kugelsichere Sergeant Pepper-Jacke und trieb seinen Hygiene-Kult soweit, daß er für 8000 Pfund Perrier-Mineralwasser kaufte, um darin zweimal täglich zu baden — 300 Flaschen sollen für eine volle Badewanne notwendig sein.

Er frönte seiner Leidenschaft für den „Elefantenmenschen“ John Merrick, besuchte das Whitechapel Hospital, wo das Skelett dieser unglücklichen Kreatur auf Wunsch gezeigt wird. (Jacksons Ansinnen, das Skelett im Juni dieses Jahres für eine Million Pfund dem Hospital abzukaufen, wurde vom Klinikchef indigniert abgelehnt).

Frank Dileo läßt grundsätzlich alle Gerüchte dementieren, u.a. auch jene, nach denen sein Schützling schwul sei, weibliche Hormone einnehme oder sich bei kosmetischen Operationen die Augen und Wangenknochen habe verändern lassen. (Die Nasenkorrektur wird noch zugegeben, aber was ist etwa mit dem eintätowierten Eye-Liner?) Er versuchte auch nicht, so auszusehen wie Diana Ross. (Die übrigens, einem anderen verbreiteten Unsinn zufolge, seine Mutter sein soll.) Es gibt sogar ein Gerücht über die Gerüchte: Angeblich sollen sie vom Jackson-Lager in die Welt gesetzt und der Presse zugespielt worden sein, um mehr Publicity zu erreichen. Man kann nur hoffen, daß einige Informationen, die naher an der Wahrheit liegen, in der Michael-Jackson-Autobiographie auftauchen, die von Jackie Onassis als Herausgeberin betreut wird. Der renomierte Doubleday-Verlag in New York erwartet die Fertigstellung des Projekts in diesem Herbst.

Es wäre interessant, wenn das Buch auch Jacksons Verhältnis zu den „Zeugen Jehovas“ beleuchten würde, die er vor kurzem verlassen hat. Zu diesem Thema haben sich bisher weder er selbst noch die Sekte geäußert.

Die „Zeugen“ verbieten Bluttransfusionen genauso wie wesentlich angenehmeren Zeitvertreib. Alkohol etwa und außerehelichen Sex. Homosexualität ist selbstverständlich völlig tabu. Man sagt, die Organisation sei über einige Begleiterscheinungen von Jacksons Karriere besorgt gewesen, über seine Aufmachung beispielsweise, obwohl seine Lebensweise untadelig ist.

Die „Zeugen“ sind nicht die einzigen, die wachsam auf Michaels Lebenswandel blicken. Doch trotz größter Bemühungen haben es die Medien kaum geschafft, ihm Romanzen anzuhängen. Die Schauspielerinnen Tatum O’Neal und Brooke Shields waren nicht mehr als platonische Begleiterinnen. Aber die Geriüchteküchen lieben eben die Geschichten mehr, in denen Michael homosexuell (der Song „Muscles“, den er für Diana Ross geschrieben hat, gab dem Verdacht noch Auftrieb), asexuell oder sogar ein Zwitter sein soll. Niemand hat aber je eine wirkliche „Billie Jean“ ausfindig machen können. Und seiner Behauptung, mit 28 noch „Jungfrau“ zu sein, widerspricht keiner.

Man könnte meinen, daß Jackson seit Beginn seiner Karriere Objekt sexueller Annäherungsversuche aller erdenklichen Spielarten war. Über die Auswirkungen auf seine jugendliche Psyche kann man nur spekulieren. Immerhin hat er schon mehr als 4000 Heiratsanträge erhalten und abgelehnt.

So sieht Michael Jacksons öffentliches Gesicht aus: Ein altersloser Mensch, keiner Rasse zugehörig, ohne eigene Meinung. Er lebt hinter den hohen Schutzmauern von Encino oder in dem schwerbewachten Märchenschloß, das er sich in Malibu gekauft hat. Immer in der Nähe ist der Leibwächter, den er seit seinem zehnten Lebensjahr hat, ein ehemaliger Polizist namens Billy Bray.

Immer in Bereitschaft: sein vegetarischer Leibkoch Mani Khalsa und die Phantasiefiguren, die ihm seine Freunde von Disneyland gebaut haben. Weiterhin sein Widder „Mr. Tibbs“ und das Lama „Louis“. Seine Lieblingsschlange „Muscles“ ist inzwischen gestorben, aber es gibt noch seinen Schimpansen „Bubbles“, der Designer-Sportkleidung trägt.

Er geht nur selten aus — etwa als Clown verkleidet nach Disneyland oder zu Konzerten in Los Angeles. Zum Beispiel mit Sophia Loren zu einem a-ha-Gig. wo er hinter seiner Maske mitsang. Er soll in einem Flughafen mit einer Gorilla-Maske herumgelaufen sein und ruinierte den Auftritt nur dadurch, daß er einen gefüllten Aschenbecher krachend durch eine Glastür schmiß. Die neuesten Meldungen berichten von seiner Vernarrtheit in Howard Hughes.

Das ist es also, was wir von der Welt Michael Jacksons erhaschen dürfen. Was davon stimmt oder erfunden ist, weiß er allein. Die neue LP wird uns vielleicht mehr verraten — oder überhaupt nichts.

Zehn neue Songs präsentiert Michael Jackson auf seinem dritten Album BAD, zwei davon Fremdkompositionen. Zur ersten Single „I Just Can’t Stop Loving You“ gibt es kein Video, dafür zu den folgenden Auskoppelungen „Bad“ und „Smooth Criminal“. Stevie Wonder singt mit Michael im Duett auf „Just Good Friends“ und Billy Idols Steve Stevens spielt Gitarre auf „Dirty Diana“. Jazz-Veteran Jimmy Smith liefert ein Orgel-Solo zum Titelsong.

Am 13. Juli stellte Michael sein neues Werk erstmal halb-öffentlich vor. Er lud 60 Vertreter der größten amerikanischen Plattenlädenketten zu einer Cocktail-Party ins Beverly Hills Hotel und anschließend zum Dinner in sein Haus in Encino. Erster Eindruck eines Teilnehmers: „Nicht so glatt produziert wie THRILLER, mehr zurück zu den Wurzeln.“ Am 31. August endlich dürfen wir es alle hören, dann wird BAD gleichzeitig auf der ganzen Welt veröffentlicht. Am 12. September geht Michael Jackson wieder auf Tournee. Start in Japan. Europa steht, nach USA und Australien, erst 1988 auf dem Plan.

Und in den großen Pausen zwischen den Auftritten? Unser weltfremder Junge wird in seinem schallgeschützten Ersatz-Uterus liegen und über die nächsten 122 Jahre seines irdischen Daseins grübeln. Vielleicht wird er seinen liebsten Beatles-Song summen, den von der Sehnsucht nach „Yesterday“. Dann wird er aufstehen und seinen Lieblingstanz, den „Moonwalk“ üben. Das ist der, bei dem es so aussieht, als würde er vorwärtsgehen. In Wahrheit bewegt er sich dabei rückwärts.