Die Vereinigten Staaten von Weezer


Kann eine Band beides zugleich sein: schwer zu fassen und doch eine erstaunlich feste Größe? Erkundungen im sich fundamental verändernden Reich von Rivers Cuomo und seiner Band, die sich mittlerweile eine eigene Verfassung gegeben hat.

Das Tor von Bob Dylans Anwesen steht weit offen. Wir spähen hinein und sehen ein Wohnmobil und einen angerosteten 70er-Jahre-Volvo. Man kann nicht erkennen, wie weit nach hinten die Schotterstraße führt oder wie viel von diesem hügeligen Küstenabschnitt hier bei Malibu der heilige Boden des Anwesens einnimmt. Wir überlegen kurz, unseren gemütlichen Motorroller-Ausflug an diesem milden Nachmittag um ein wenig gemütliches widerrechtliches Betreten eines Grundstückes anzureichern. Zumindest einer von uns überlegt. „Da sind überall Sicherheitskameras“, warnt Rivers Cuomo. Der 38-jährige Frontmann von Weezer trägt ein blaues Hoodie, karierte Shorts, weiße Strümpfe bis zu den Knien. Und natürlich einen Helm.

„Was ist das Schlimmste, das einem passieren könnte?“, frage ich. „Deine Karriere wäre vorbei“, antwortet er grinsend, dreht seine Vespa hoch und schert aus, entscheidet aber dann weise, dass solches Eindringen keine Art und Weise wäre, sich gegenüber seinem Nachbarn zu verhalten. Ich recke meinen Hals für einen letzten neugierigen Blick, dann folge ich ihm zurück zu seinem Haus.

ES ist viel geredet worden über Rivers Cuomos eigentümlich minimalistische häusliche Bedürfnisse – nachdem er im Jahr 2003 den Großteil seiner materiellen Besitztümer weggegeben hatte, wohnte er in einer umgebauten Garage mit geschwärzten Fenstern in Hollywood; auf dem Gipfel seines Starruhms bezog er ein Studentenzimmer in Harvard, um seinen Bachelor in englischer Literatur zu Ende zu machen. Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, steckte er gerade seit zweieinhalb Jahren in einer zweijährigen (sie) selbst auferlegten Zölibatsphase und dachte laut darüber nach, ob die Mitgliedschaft in einer Rockband seinem Streben nach seinem Traum, eine Familie zu haben, förderlich sei. Und jetzt? Jetzt hat er ein paar niedliche Motorroller und ein Haus in einer schicken Enklave bei Point Dume, einer Pazifik-Landzunge vor Malibu, irgendwo zwischen den Anwesen von Bob Dylan und Mel Gibson. Während der sicherste Beweis dafür, dass sein Zölibat lang beendet ist – seine elf Monate alte Tochter Mia – gerade auf Besuch bei Oma ist, mit Kyoko, Cuomos Ehefrau; die beiden sind seit zwei Jahren verheiratet. Und obwohl es eine Zeit lang in Zweifel gezogen war, ist Cuomo noch immer sehr in einer Rockband.

In der Tat ist Weezers selbstbetiteltes sechstes Album – hilfreicherweise das „Red Album“ genannt, um es vom geliebten 1994er-Debüt „Blue Album“ und vom gemochten „Green Album“ von 1996 zu unterscheiden, aber auch, um auf die frische Lebhaftigkeit dieser beiden Alben anzuspielen – geradezu ein Konzeptalbum darüber, wie verdammt super es doch ist, in einer Rockband zu sein. Weezer formierten sich auf der Höhe des Grunge, entliehen sich von diesem die „Wehe mir!“-Lyrik und dicken Gitarren sowie vom Indierock den gewissen dezenten Streber-Schick und gaben eine Prise Humor hinzu – eine Zutat, die in den beiden anderen Genres oft nur zu schmerzlich fehlte. Eine Generation später hat sich vieles verändert. Und vieles nicht.

Mit seinen zwei Schlafzimmern und einem Pool mit kindersicherer Umzäunung sieht Cuomos Ranchhaus – so ansprechend es auch ist – nicht gerade aus, als gehöre es einem Mann, der mehr als zehn Millionen Platten verkauft hat. Das heißt: Es sieht allerdings so aus, als gehöre es Rivers Cuomo. Und ja, das ist sein Subaru Legacy da draußen in der Einfahrt. Selbst wenn er sich mal etwas gönnt, erlaubt er sich nicht mehr, als wirklich nötig ist. „Diese Gegend wirkt wie eine magische Welt für mich“, sagt er. „Wir haben an die 30 Häuser angeschaut, aber das hier war unser Favorit.“ Soviel auch schon versucht worden ist, Cuomo in die Exzentrisches-Popgenie/Brian-Wilson-Ecke zu manövrieren – und sicher hat seine Neigung, die Öffentlichkeit über Gebühr an Details über sein Sexleben (oder dem Mangel daran) teilhaben zu lassen, dazu beigetragen -, ist er doch einfach ein Vorort-Dad, der stolz seinen Hinterhof herzeigt. „Es ist nicht zu groß. Moderne Häuser sind so groß. Wir wollen nicht so viel putzen.“

Zuerst denkt man natürlich, Cuomo müsse scherzen; sicher ist es ihm doch schon m den Sinn gekommen, dass er die Mittel hat, sich beim Abstauben und Aufwischen ein wenig zur Hand gehen zu lassen? Aber so gern er herumalbert – so richtig zu scherzen beliebt Cuomo eigentlich nie. Seine Youtube-Clips, in denen er vor Kurzem Fans aufforderte, ihm beim Schreiben eines Songs zu helfen („Let’s Write A Song“), waren keine Blödelei, sondern vielmehr ein Hinweis auf die neu gefundene Bereitschaft des einstigen Autokraten zur Kollaboration. Über seiner Lippe prangt ein buschiger Schnurrbart von der Art, die Männer unter 40 im Normalfall nur tragen, wenn sie entweder eine Wette gewinnen wollen oder eine verloren haben. Er aber hat ihn sich stehen lassen, als Mia geboren wurde – als Hommage an seinen Vater, der auf allen alten Babyfotos mit Cuomo genau so einen trägt.

Malibu war nicht die einzige Option der Cuomos; sie haben sich auch in Connecticut umgesehen, ganz in der Nähe von dem Haus, in dem Cuomos Eltern lebten. In Folge der schlechten Vibes, die 2005 die Veröffentlichung von Weezers letztem Album Make Believe begleiteten, trieb Cuomos Unentschlossenheit, ob er die Band noch weiterführen sollte, ihn beinahe endgültig zurück an die Ostküste. Aber diese Ambivalenz spielt er jetzt herunter, als habe das Schicksal eines der beständigsten und kommerziell stabilsten Acts in rock nie auf der Kippe gestanden. „Ich weiß nicht mehr, was ich damals dachte“, sagt er. Vielleicht wusste ich nicht, ob ich zurück zur Musik wollte, und wollte einfach sesshaft werden.“ Er nickt mit dem Kopf und kneift die Augen etwas zusammen, als beschwöre er eine verschwommene, jahrzehntealte Erinnerung herauf. „Das muss ich wohl gedacht haben.“

Bis auf den letzten Mann bestätigen die Mitglieder von Weezer, dass die Periode um das relativ larmoyante, nabelschauende Make Believe herum eine harte Zeit war, und dass das Album darunter litt – wenn auch nicht kommerziell; es verkaufte sich letztlich in den USA trotzdem 1,2 Millionen Mal und brachte Weezers bislang größten Hit „Beverly Hills“ hervor. Bei den Aufnahmen verzog sich Cuomo nach Harvard und ließ die restlichen drei damit zurück, seine Demos zu entziffern und zu interpretieren; darüber hinaus hatte er sich gerade auf die strengen Abläufe der Vipassana-Meditation eingelassen, die nicht unbedingt passgenau mit dem Aufnehmen und Promoten einer Rockplatte zusammengehen. Aber alle vier beeilen sich, die Vorstellung abzutun, die Band – die zwischen dem 1996er-Album Pinkerton und dem „Green Album“ 2001 ja schon mal eine lange Ruhepause gehabt hatte – sei wirklich Gefahr gelaufen, sich aufzulösen. An diesem Punkt wirken sie sehr erpicht darauf, die Message rüberzubringen – wenn auch ein wenig selektive Amnesie eine Rolle zu spielen scheint. „Die größte Fehlannahme über uns ist, dass wir nicht miteinander auskommen“, sagt Bassist Scott Shriner, einen Zahnstocher neben einem vergoldeten Frontzahn. „Schreckliches Missverständnis.“

Beim Schlendern durch das Autry Museum Of The American West in Griffith Park bleibt Shriner an einer Vitrine mit Gewehren aus dem 19. Jahrhundert stehen und erinnert sich daran, wie er damals, nicht lange nach einer zweijährigen Mitgliedschaft bei den Marines, von Toledo nach Los Angeles kam: Im Gepäck hatte er seinen Bassverstärker, seine Kaffeemaschine und eine Schrotflinte. „Ich war aus Ohio. Ich dachte, L.A. würde gefährlich werden.“ Er ist zwar technisch gesehen immer noch „der Neue“ in der Band, aber er ist jetzt seit drei von sechs Alben und sieben von 14 Jahren dabei. Er kommt sozusagen gerade über die Bergkuppe – ein einzigartiger Aussichtspunkt, von dem aus er die Dynamik dieser Band im Blick hat wie kein zweites ihrer Mitglieder, auch wenn seine Rolle in der Band stärker wird und wächst. Mit seinen 42 Jahren ist er der Älteste in der Band, und in Anbetracht der Tatsache, dass seine engste Begegnung mit Erfolg vor Weezer ein Bassistenposten in der Nu-Metal-Pase von Vanilla Ice darstellte, steht für ihn am meisten auf dem Spiel, was das Wohlergehen der Band angeht. Und deshalb verzieht er auch schon das Gesicht bei der bloßen Erwähnung eines Magazinartikels, der vor drei Jahren in recht deutlichen Worten – es waren Shriners Worte – darlegte, wie sehr die Band, nun: nicht miteinander auskam. „Ja, da hatte ich einen schlechten Tag“, sagt er mit einem Lächeln, begierig, das Thema zu wechseln. „Mir kommt es so vor, als würde alles, was ich dazu sage, der Geschichte nur wieder mehr Kraft geben. Aber sie kommt mir heute so irrelevant vor, wie aus einem anderen Leben.“

Stattdessen betont Shriner heute das Positive, erzählt von der Wohlfühlstimmung bei den regelrechten Partys – mit Törtchen! -, bei denen Cuomo Ende 2006 dem Rest der Band erstmals seine neuen Demos vorstellte. Und erklärt, wie die extreme Verschiedenheit der vier Persönlichkeiten und musikalischen Vorlieben in der Band zu deren Beständigkeit beitragen und der guten Chemie dienen. Und dass diese interne Spannung genau das sei, was Weezer zur „größten Band, die es je gab“ macht. „Es ist wie ein vierfaches Yin und Yang“, sagt er. „Wenn du den Typen rausnehmen würdest, der Gary Numan hört, oder den Dylan-Fan oder den, der japanischen Pop mag, oder den, der Mastodon hört wenn einer von denen fehlen würde, würde die Band nicht mehr so klingen, wie sie klingt.“ Bei all den gern gedroschenen Phrasen aus der Abteilung, dass Bands ja wie Familien seien und dass selbst Familien mal durch rauere Phasen gehen etc., muss man sagen, dass es bei Weezer von Anfang an nicht darum ging, dass sich vier Kumpels aus Spaß an der Freud in einen Van quetschten und rausfuhren, um ein bisschen zu rocken. Weezer waren karriere-orientiert und kommerziell ambitioniert, und das bereits 1993, als Karrierismus und kommerzieile Ambition nicht gerade en vogue waren. „Das Ding heißt ja schließlich ‚Musikgeschäft‘ und nicht ‚Musikgaudi'“, sagt Gitarrist Brian Bell, 39, der im Sommer 1993 während der Aufnahmen zum Debüt zur Band stieß und seither keinen Tag gealtert zu sein scheint. In einem schwarzen Nadelstreifen-Blazer mit kleinem Riss unter der Achsel sitzt der letzte Junggeselle in der Band auf der Glasveranda seines Ranchhauses in Encino. Bell hatte genug Tiefpunkte und seltsame Hakenschläge bei Weezer miterlebt, um schon damals zu wissen, dass Make Believe nicht wirklich das Ende der Band sein würde. „Das wäre nicht der Abgesang gewesen, den Rivers gewollt hätte“, sagt er. Allen vieren war aber auch klar, dass die Band ihre Funktions- und Arbeitsweise fundamental verändern musste, wenn sie überleben wollte. „Ich schätze mal, wir sind die einzige Band der Rockgeschichte mit einer Leitlinie und einer Verfassung“, sagt Bell. „Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Weezer wurde vor etwa einem Jahr formuliert, um sicherzustellen, dass wir in Zukunft unseren Zielen treu bleiben. Wir müssen uns beweisen, dass wir immer noch was wert sind, und dass Rockmusik immer noch was wert ist.“

Keiner der vier wird konkrete Grundsätze aus diesem ehrwürdigen Schriftstück ausplaudern, aber einer der wichtigsten scheint sich um die Arbeitsteilung innerhalb der Band zu drehen. Und obwohl Cuomo seit jeher de facto der Anführer der Band gewesen ist (er gestattet freimütig die öffentliche Wahrnehmung seiner selbst als „der Typ mit der Brille, der ein bisschen nerdig ist und viel rumjammert und ein Kontrollfreak ist“), war er mehr als bereit dazu, diese Bürde auf dem neuen Album zu teilen. Jeder hat diesmal Songs beigetragen, die Instrumente wurden durchgewechselt, und da sind tatsächlich zwei Songs auf der neuen Platte, die weder aus Cuomos Feder stammen noch von ihm gesungen werden, Beils „Thought I Knew“ und Drummer Pat Wilsons „Automatic“. Ein dritter Song, Cuomos uncharakteristisch abgründiges „Cold, Dark World“, wird von Shriner gesungen. Diese neu gefundene Gelassenheit wurde gleich zu Beginn auf eine harte Probe gestellt: Rick Rubin, der make believe produziert hatte, hatte einmal mehr seine Dienste angeboten. Aber nach der Vorarbeit an nur einer Hand voll Songs Anfang 2007 verschwand er, aus Gründen, über die sich keiner in der Band so richtig im Klaren, aber auch keiner besonders verbittert zu sein scheint. „Nein, wir wollten nicht notwendigerweise die Zusammenarbeit mit ihm einstellen“, sagt Bell. „Es ist eher so, dass er die Zusammenarbeit mit uns einstellte.“ (Rubin lehnte ein Interview für diese Story ab).

Diese unerwartete Planänderung verlangte der Band ein Stück Flexibilität ab, und so siedelte sie um in ein Theater, das Malibu Performing Ans Center – ganz in der Nähe von Cuomos Haus -, wo sie von Juli bis September 2007 auf sich selbst gestellt und ohne Produzent aufnahm. Eine dritte, zehntägige Reihe von Sessions mit dem in Dublin ansässigen Produzenten Jacknife Lee – gerade frisch vom neuen R.E.M.-Album – im Februar 2008 erwies sich als so fruchtbar, dass Weezer den Mann bereits fest für ihr siebtes Album gebucht haben – Veröffentlichung sehr, sehr vielleicht gegen November 2009.

Die Mitglieder von Weezer – und ganz sicher ihre glühende Fanbase – kategorisieren gern jedes neue Weezer-Album als Reaktion auf das, das davor kam. Make Believe sollte etwas die selbstgefällige Zügellosigkeit des Vorgängers Maladroit zurechtrücken, welcher wiederum experimenteller hatte sein sollen als das sehr aufs Wesentliche reduzierte „Green Album“, das als Beschwichtigung der Fans nach der Schrulligkeit von Pinkerton gedacht war, welches nach dem großen Konsens des Blockbuster-Debüts die Verhältnisse ein bisschen zum Tanzen hatte bringen sollen. Aber man höre die Songs der Band einmal zufällig durcheinander und wird feststellen, dass sie sich eher ähneln als nicht. Was natürlich die Leute nicht davon abgehalten hat, das „Red Album“ als Weezers Rückkehr zu alter Ohrwurm-Frische abzufeiern. Es ist diese Beständigkeit, die auf der einen Seite Weezers andauernden Erfolg ermöglicht hat, durch die sie aber auch Gefahr laufen, in einem sich rapide wandelnden Das-hippe-Ding-der-Srunde-Markt als selbstverständlich schlicht hingenommen zu werden. „Ich glaube ganz ehrlich nicht, dass das ein Problem ist“, sagt Luke Wood. Wood arbeitete zur Zeit des „Blue Album“ in der Marketingabteilung von Geffen Records und ist heute als leitender Angestellter bei Interscope einer der wichtigsten Fürsprecher der Band. „Sie jagen keinen Trends hinterher, und ich hoffe, dass sie dafür belohnt werden. Wir hören ein tolles Album mit großen Hits drauf- wie oft bekommt man so etwas vorgelegt? Das ist doch Honig für die Bienchen.“

„Ich würde fast sagen, wir sind momentan vielleicht so populär wie nie zuvor“, sagt Patrick Wilson; der 39-Jährige lebt mit Frau und zwei Kindern in Canyon Lake, südlich von Los Angeles. Zumindest, was Ticketverkäufe angeht. Wir gehören nirgendwo so richtig dazu, wir haben unser eigenes Universum. Vielleicht ist das naiv, aber ich glaube, es ist ganz einfach: Wenn du einfach rockst, wollen die Leute den Rock.“ Wilson ist schon fast die gesamte Lebensdauer von Weezer verheiratet, und es war die Ungezwungenheit, mit der der Drummer häusliche Beschaulichkeit und den Irrsinn des Tourlebens unter einen Hut brachte, die in Rivers Cuomo die Überzeugung reifen ließ, dass ihm das auch gelingen könnte. „Ich habe mich nie mit dieser klassischen ‚Ich möchte in eine Band, um Mädels abzugreifen‘-Vorstellung identifiziert“, sagt Wilson. „Dieser ganze Lifestyle-Aspekt von Rock’n’Roll ist mir völlig fremd. Ich hob Kokain noch nicht mal von Weitem gesehen, noch nie.“

Wenn die Männer von Weezer sich als unempfindlich gegenüber Veränderungen im Zeitgeist betrachten, dann liefert unser Fotoshoot am Venice Beach, bei dem ein Quartett junger Mädchen samt ihrer Mütter – aufgeregt Schnappschüsse von der Band macht, noch ein paar Belege für diese Ansicht. Die ersten beiden Singles vom „Red Album“, „Pork and Beans“ und „Troublemaker“, gießen mit leichter Hand brütende Teen-Angst in eingängige Refrains – dass sie von vier Typen mittleren Alters stammen und trotzdem ehrlich klingen und nicht anbiedernd, ist Weezers größte Kunst. „In seiner pursten Form geht es im Rock um die Kämpfe der Adoleszenz“, sagt Luke Wood von Interscope Records. „Und Rock kann als eine Art Weltanschauung diese Zeit in jemandes Leben illustrieren. Ich habe das Gefühl, dass Rivers über all die Jahre nichts von dem Staunen über Musik und ihre oppositionelle Natur und Wirkung verloren hat.“ So weit entfernt von der Unterhaltungsfabrik Los Angeles sich Rivers Cuomo auch sehen mag, ist er doch vielleicht einer ihrer versiertesten Method Actors. Damit der den Bezug zu den Außenseiter-Teenagern nicht verliert, muss er selber ein Außenseiter-Teenager sein. „Es war immer seltsam, als Kid die Kiss-Texte mitzusingen, in denen es um Sex und Frauengeschichten geht, und keine Ahnung zu haben, wovon die da eigentlich reden. Und später dann Slayer zu hören, und selber nichts mit Satan am Hut zu haben.“

Sollte irgendwann einmal die Rock’n’Roll Hall Of Farne eine Nachstellung von Rivers Cuomos Jugendzimmer präsentieren wollen, wird das wohl nicht viel anders aussehen als das Innere des Gästehäuschens in seinem Garten. Über der Tür hängt ein Schild, das ihm sein großer Bruder in der neunten Klasse gemacht hat: „Peter’s Room“ (Cuomo, der in einem Ashram in Connecticut aufgewachsen ist, trug als Teenager den Namen Peter Kitts, nach seinem Stiefvater). Seine alten Kiss-Platten hängen in Schutzhüllen an den Wänden, dazwischen auch Odyssey of Iska, das Album von Jazzsaxophonist Wayne Shorter, auf dem Rivers Vater Frank Drums spielte. Das alte Schlagzeug seines Vaters nimmt etwa ein Drittel des Raumes ein. Ein paar Gitarren hängen an Haken. Cuomo nimmt eine besonders mitgenommen aussehende Fender herunter. „Das war meine erste Gitarre“, erklärt er und reicht sie uns. Ein Kiss-Logo und ein umgedrehtes Kreuz sind in Kopfplatte beziehungsweise Hals geritzt. Diese Gitarre, die er vor 25 Jahren geschenkt bekam, ist – unter anderem – schon mehrmals angezündet worden und hat Narben in diversen Schlachten davongetragen; ins Auge stechen rostfarbene Flecken über den Tonabnehmern. „Wenn ich mich sehr stark konzentrierte, kaute ich an meinen Fingern“, sagt Cuomo. „Das ist Blut.“

Ringbücher mit all den hunderten von Songs, die er je geschrieben hat, geordnet nach Jahren, säumen die Regale an der Wand – aber besonders stolz ist Cuomo auf sein Nirvana-Heft, in dem er die Songs der Band in Muster und Formeln zerlegt. Für Cuomo hat Pop immer mit einem Rätsel zu tun, das es zu lösen gilt, eine Sache, die er sogar noch idealisiert, wenn er ihre mathematische Essenz offenlegt. Und seine Faszination für persönliche Nostalgie beschränkt sich nicht auf Fantum. Cuomo steckt gerade mitten in einem archäologischen Projekt in eigener Sache, trägt Gegenstände aus seiner Vergangenheit zusammen und interviewt Leute, die er vor 15 Jahren und mehr mal kannte. Einige der alten Demos und musikalischen Schnappschüsse sind enthalten auf der Compilation Alone: The Home Recordings Of Rivers Cuomo, die Ende 2007 erschien. Das Beste kommt aber erst noch, in Form von Memoiren, die er gerade Verlagen anbietet und die sich vor allem auf sein Leben zwischen 1992 und 1994 konzentrieren/Während er sich in diesen Tagen langsam – endlich – mit seinem Status und seinem Format als Musiker anzufreunden beginnt, wird auch eines klarer: Von all den Kümmernissen, mit denen Cuomo in seinen Songs und in seinem Leben gerungen hat – spirituelle Unerfülltheit, ein kaputtes Bein, eine zerrüttete Familie, sexuelle Identitätskrise -, quält ihn vielleicht keines immer noch so sehr wie eine einsame Entscheidung in Sachen Friseurbesuch, die er vor 15 Jahren getroffen hat. „Die ganze Weezer-Ästhetik war eine totale Negation von allem, wofür ich gestanden hatte“, sagt Cuomo. Wir sitzen in seinem Zimmer. Eine Weltkarte bedeckt die eine Wand, Kissen für Meditation sind in eine Ecke gehäuft. „Ich war ein leidenschaftlicher Metalhead. Und ich erzählte meiner Mutter immer, ich würde mir NIEMALS die Haare schneiden lassen. Und dann, kurz bevor die Fotos für das „Blue Album“gemacht wurden, tat ich es doch und war ein völlig neuer Mensch.“ Er öffnet einen großen Tupperware-Eimer und wühlt wehmütig in einem Durcheinander von Nietenarmbändern, Gürteln und schmuddeligen Bandanas aus seinen Glam-Tagen herum. „Ich spielte Gitarre in einer Band, die klang wie Queensryche, und dann vollzog ich auf einmal diese abrupte Kehrtwende, die eine Menge Leute wohl ziemlich sauer auf mich gemacht hat. Mir wurde zwischendurch richtig bange, weil ich mich selber so derart gegen den Strich bürstete. Aber es hat sich gezeigt, dass die unterdrückten Instinkte aus dieser Zeit auf andere Art und Weise dann doch noch an die Oberfläche getreten sind.“

Diese andere Art und Weise war nie augenfälliger als auf dem „Red Album“ – vier der zehn Songs drehen sich um die Rockness als solche, explizit und selbstreflexiv. Als ein Künstler, der seine Autorenstimme als „Emo-Nörgler-Typ“ einordnet, lässt sich Cuomo voll auf sein romantisch-entrücktes öffentliches Image ein, ja presst es förmlich nach Stoff für seine Texte aus. Der übermütige Album-Opener „Troublemaker“ prahlt: „I’m gonna be a star and people will crane necks / to get a glimpse of me and see if I’m having sex.“ Während sich „Pork and Beans“ laut fragt, ob ein paar Produktionskniffe von Timbaland vielleicht helfen könnten, den Song zum Hit zu machen. „Heart Songs“ legt seine Liebe da schon viel offener dar, in Form einer Liste von inspirierenden Popsongs.

Das Herzstück des Albums aber ist das kess bombastische „Greatest Man (Variations On A Shaker Hymn)“, in der Cuomo das Thema Rock-Größenwahn auf die einzig sinnfällige Art anpackt: indem er die sonischen Gemeinplätze von „Bohemian Rhapsody“ und The Who’s „A Quick One, While He’s Away“ zu ihrem postmodernen Extrem miteinander verquickt. (Es ist schwer, sich den sexuell abstinenten, sich selbst geißelnden Cuomo von make believe vorzustellen, wie er Zeilen abliefert wie „You try to play cool like you just don’t care / But soon I’ll be playing in your underwear“ oder aber „I got the money and I got the fame / and you got the hots to ride on my plane“.) Darauf angesprochen aber, ob diese Songs eine neue, veränderte Sichtweise auf sein Rockstartum – und Rockstartum im Allgemeinen – widerspiegeln, scheint der Mann, der einst über sechs Seiten hinweg Nirvanas „Rape Me“ dekonstruierte und analysierte, überrascht, dass jemand dem Kontext seiner Texte so viel Beachtung schenkt. Er macht ja schon bei den einfachsten Fragen lange Gedankenpausen, bevor er sie sorgfältig beantwortet – an dieser hier kaut er extralange. „Ich weiß nicht“, sagt er schließlich. „Vom kreativen Standpunkt aus würde ich sagen, ich wollte in dem Song mal ein anderer sein. Ein Rockstar zu sein, hat über die letzten 14 Jahre hinweg sehr viele verschiedene Dinge bedeutet. Das hier ist nicht das, was ich mir als Kid vorgestellt habe, wenn ich nachts unter der Bettdecke lag und davon träumte, bei Kiss zu spielen – die Realität ist doch eher kühl. Ich weiß noch, wie ich mit Mitte, Ende 20 dachte: Mann, ich bin ein Rockstar! Ich sollte es krachen lassen!‘ Ich hab mich dann richtig selber ein bisschen in diese Richtung angeschubst, aber letztlich liegt es einfach nicht in meinem Wesen. Vielleicht gibt es uns ja deshalb als Band immer noch.“

Bei all dem Gerede über Paradigmenwechsel und „neue Spielregeln“ in der Musikindustrie genießen Weezer ihren recht konventionellen Ansatz in der Zusammenarbeit mit ihrer Plattenfirma. Sie brauchen einander. „Trent Reznor sagt ja, er macht jetzt alles ohne Label, aber er hat eben trotzdem noch einen Haufen von Leuten, die für ihn arbeiten“, sagt Brian Bell. „Ich schätze mich glücklich, dass wir eine Firma haben, die an unsere Musik glaubt und sie promotet, das verschafft uns sicher Vorteile. Man braucht einfach jemanden mit einem Plan. Und all die jungen Bands, die ich kenne – die wollen alle immer noch einen Plattenvertrag. Das gibt dem ganzen einfach einen gewissen Wert, eine Bestätigung. Es ist etwas, das man auch den Eltern erklären kann.“

Die Pläne der Band für die Zeit unmittelbar nach der Veröffentlichung des Albums sind typischerweise noch unklar. Bell sagt, er habe etwas von Shows in Japan später im Sommer läuten hören. Aber sollten die Pläne des neuerdings kollaborationsversessenen Cuomo für die nächste Tour Früchte tragen, werden es nicht Weezer sein, die die Sache mit dem Ausrocken erledigen. „Ich würde gern sehr, sehr kleine Shows spielen“, sagt Cuomo, „mit ein paar hundert Leuten, die um die Bühne herumsitzen. Und die Bühne ist vollgestopft mit allen möglichen Instrumenten und Möbeln, und die Leute können jederzeit raufkommen und mitspielen. Wie bei einem Hootenanny. Das wird vollkommen gaga.“

Aber scharrt er nicht schon mit den Hufen, dass es bald losgeht, wieder da raus in die Clubs und den inneren Rockstar ein bisschen Gassi fuhren? Die tosenden, in Verehrung ergebenen Massen? Die Lichter und der Trubel? Der ganze Scheiß? Cuomo denkt kurz nach, dann zuckt er die Schultern. „Ich bin kein großer Hufe-Scharrer“, sagt er. Aber ich bin mir sicher, dass es super wird.“

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