Die Stimme des Herrn


„Mhmmjaahmm“ stöhnt die junge Dame vor der Bühne, die verklärten Augen zur Saaldecke verdrehend. Gerade mal beim Refrain des dritten Songs angelangt, spielt der schwarze Mann am Mikrofon schon seine beste Waffe aus: Seal, jene hltträchtige Mischung aus Terence goes to Hollywood und Krümel-Monster, läßt seinen schwarzen SS-Mantel fallen, sein nach bester Surflehrer-Schule nur an den Enden geknotetes Hemdchen erlaubt tiefe Einblicke. Ganz klar — der Mann hat mehr zu bieten als nur eine stolze Heldenbrust. Ein vernarbtes Gesicht zum Beispiel, oder die Nobel-Rastazöpfchen, mit Silbermuffen an ihrer Settutouflösung gehindert, lösen sofort den Schlüsselreiz zur Erwekkung längst verdrängter Mutter-Instinkte aus.

Seal weiß, daß er es nicht leicht hat. Auf Platte singt er den Stoff, mit dem Hit-Fabrikant Trevor Harn nach Jahren wieder Chart-Anschluß bekam, perfekt produziert. Seal startet so pur, wie er kann — „Crazy“ nackt, nur von Westerngitarre begleitet. Ein Konzert mit kräftig aufspielender Live-Band ohne Sanges-Hilfe aus der Konserve ist bei anderen oft die reine Lust, bei ihm bleibt nur das vergebliche Warten auf Steigerung, die lange Suche des Bühnen-Teddys nach seiner Stimme. Seal ohne Soul.