Die Seele, so düster
Unglaubliches Video, grandioses Album: Kanye West hat sich das Recht auf seine Macken verdient.
Eigentlich hätte hier auch ein Interview mit Kanye West stehen können. Hätte. Wenn Herr West sich nicht spontan dazu entschieden hätte, anstatt nach Berlin lieber nach Japan zu fliegen. Bei dem Rapper ist man ja auf fast alle Eventualitäten vorbereitet. Allerdings hätte man ihn schon auch gerne gefragt, wie das so ist, als schlimmste Erinnerung eines an schlimmen Erinnerungen nicht gerade armen Ex-Präsidenten der USA zu gelten. Und ob er wirklich so verrückt ist wie alle sagen, oder ob er nicht ganz einfach nur etwas naiv für seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit eintritt, wenn er Musikpreise lieber bei Beyoncé als bei Tayler Swift sieht, oder im Fernsehen höchst emotional George Bushs fehlendes Interesse an Schwarzen kritisiert. Und was hat es eigentlich mit diesem Phönix auf sich?
Kanye West muss irgendetwas zwischen genial und spinnert sein. Seit Ende August postet er jeden Freitag einen neuen Song auf seiner Seite, er hat das wohl aufwändigste Video seit langem gedreht und sich spätestens mit dem besten Pop-Hip-Hop-Album des Jahres das Recht auf jegliche Eigenheiten gesichert. „Runaway“, das über 30-minütige Video zum neuen Album My Beautiful Dark Twisted Fantasy, das West zusammen mit Hype Williams drehte, erzählt in gewaltigen Bildern die Geschichte einer Liaison mit einem Phönix, der im Garten mit Rehen abhängt, bevor er wieder verbrennt. Fall Out Boy Pete Wentz bezeichnete es als das „einzige ambitionierte Musikvideo des Jahrzehnts und übertreibt damit nur minimal. Mit dem Phönix beschreibt sich der Rapper selbst, auch er zerfalle zu Asche und entstehe neu, um eine bessere Person zu werden und bessere Produkte abzuliefern, lässt er wissen. Viel besser kann Wests wirres Gesamtkunstwerk allerdings kaum noch werden.
Albumkritik S. 96