Die Schallplatte lebt – ein bisschen
Die Vinyl-LP ist der einzige physische Tonträger, der seit Jahren dramatische prozentuale Absatzzuwächse erreicht. So wurden 2014 in Deutschland 27,2 Prozent mehr LPs verkauft als noch 2013. Ein Blick auf die absoluten Zahlen wirkt ernüchternd. Die CD ist das dominierende physische Medium, Vinyl ein Mini-Erfolg in der Nische.
Helene Fischer auf Vinyl – tut das denn not?
Sobald aber ein Ereignis eintritt, sind die, die das Haar in der Suppe finden wollen, nicht weit, selbst dann, wenn sie „eigentlich“ der Sache positiv gegenüberstehen, finden sie genügend Ja-abers. Die Situation war klar, vor dem kleinen Vinyl-Boom. Da hatten Indie-Labels Schallplatten für Musikliebhaber produziert. Die Welt war schwarz und weiß. Schwarz kaufte CDs, weiß Vinyl. Dass die Major-Labels auf den langsam Fahrt aufnehmenden Vinyl-Zug aufspringen würden, weil das Umsatz und Gewinne verspricht, dürfte niemanden überrascht haben. Auch das Faktum, dass bei den Majors das Musikbusiness mehr mit Business als mit Musik zu tun hat, wurde hinlänglich dokumentiert und bedarf keiner weiteren Belege. Dass die Majors sich jetzt so verhalten, wie zuzeiten der CD-Revolution, ist aus ihrer Sicht verständlich. Investiert wird in den Geschäftsbereich, der Gewinne verspricht. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um das nachvollziehen zu können. Zu Beginn des CD-Zeitalters veröffentlichten die großen Plattenfirmen wahl- und lieblos ihren gesamten Backkatalog auf CD. Heute wird wahl- und lieblos der gesamte Backkatalog auf Vinyl wiederveröffentlicht. Aber auch hier wird sich zeigen, bis zu welcher Grenze die Zielgruppe mitspielt. Muss es wirklich die Acht-LP-Box mit dem Gesamtwerk der Dire Straits sein? Braucht die Welt Tina Turners PRIVATE DANCER auf Vinyl? Dire Straits, Tina Turner – klassische Flohmarktplatten, die sogar dort in den Kisten liegen bleiben. Tut die Veröffentlichung von Helene Fischers FARBENSPIEL aus dem Jahr 2013 auf Vinyl wirklich not? Die Schallplatte stand bei Redaktionsschluss auf dem Amazon-Bestseller-Rang Nummer 14 351 in Musik, während die CD fast zwei Jahre nach Veröffentlichung immer noch auf Platz 25 steht. Wer bitte kauft FARBENSPIEL von Helene Fischer auf Vinyl? Das wird wohl für immer ein großes ungelöstes Rätsel der Popkultur bleiben.
Die bösen Majors
Die wenigen verbliebenen Presswerke auf der Welt sind – auch im Drei-Schicht-Betrieb – an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt. Wenn heute ein Label eine Platte veröffentlichen will, muss es vom Auftrag bis zur Lieferung bis zu drei Monate Wartezeit kalkulieren. Auch dafür werden die Major-Labels verantwortlich gemacht. Mit ihrer kapitalistisch-retromanischen Attitüde würden sie mit ihren Rerelease-Aufträgen die Presswerke blockieren, die mehr an größeren Aufträgen als an den 200er-Auflagen der kleinen Labels interessiert wären. Wenn das letzte unmögliche Album auf Vinyl wiederveröffentlicht wird, werden die Karten neu gemischt werden und die Presswerke werden sich derer besinnen, die sie im dunklen Zeitalter mit Aufträgen versorgt haben. Nerds wie du und ich freuen sich derweil über bezahlbare Wiederveröffentlichungen von Gil Scott-Heron, John Coltrane, Terry Callier oder Ornette Coleman. Auch dafür – neben dem ganzen anderen Mist – sind die bösen Majors verantwortlich.