Die rebellischen Gesichter Nashvilles
Das erste Album der Raconteurs erschien, weil Jack White und Brendan Benson es einfach wollten. Niemand hatte irgendetwas von Ihnen erwartet. Dann kam der Erfolg. Und danach die Pflichten. Oder etwa doch nicht? Ein Wahlheimatbesuch.
Nashville, Tennessee, erste Eindrücke. Der Horizont: ein Betongewucher. In der lauen Frühlingsluft der Geruch von synthetischem Zimt. Von der Straße her das Brummen von Cherokee-Jeeps mit überdimensionierten Reifen und christlichen Aufklebern an den Stoßstangen. Irgendwo das fernwehgetränkte Hupen eines Güterzugs, der sich unendlich langsam und in unendlicher Länge durch die „Music City“ schleppt. Und mittendrin in dieser 2ist-Century-Metropole der Broadway, eine Enklave aus einer Zeit, in der Download noch was mit Kisten und Planenwagen zu tun hatte.
Dicht drängen sich hier die Cadillac Ranches, Paradise Parks und Full Moon Saloons, aus denen schon am Mittag live die Westem-Jodler säuseln. Souvenir-Shops der „made in China“-Art, der Plattenshop von „Grand Ole Opry“-Legende Ernest Tubb („Grand Ole Opry“ ist die langlebigste US-Radioshow; seit 1925 sendet sie jede Woche Country-Konzerte aus Nashville – Anm. d. Red.), dann auch ein paar Kleiderläden. Sie sind zum Bersten gefüllt mit Cowboystiefeln, Pistolenhalftern und klassischen Bonanza-Lederjacken. Qualitätsware, versteht sich. Quasi die Armanis des wilden Südens. Der Außenseiter steht vor einem Rätsel: Wo hört hier die Passion auf? Wo beginnt die Ironie? Die Frage geht an Jack White, den Mann aus Detroit, der seinen Wohnsitz wie die drei anderen Mitglieder der Raconteurs nach Nashville verlegt hat.
„Willkommen in Amerika!“ ruft er. „Genau das ist die Story von Amerika. Es zeigt sich immer erst nach einer gewissen Zeit, ob ein guter Einfall zur Grässlichkeit verkommt oder zum Kulturgut wird. Nimm zum Beispiel McDonald’s! Das war am Anfang eine verdammt interessante Idee. Der Ausdruck eines goldenen Zeitalters, Amerika in den 50er Jahren. Man war überzeugt, dass alles besser, schneller, stromlinienförmiger werde -innerhalb von zwei Sekunden hast du deinen Hamburger! Und heute? Grauenhaft! Warum sollte man je noch einen McDonald’s betreten?“ Vom Hamburger ist es ein kleiner Sprung zur Musik. „Solche touristischen Musikkneipen wie hier“, sagt White, „würdest du in Memphis nie finden. Dort zeigen sie dir höchstens ein Studio. Die Perspektive ist anders. Nashville ist das Business-Zentrum der Countrymusik. Hier lebt die Musikindustrie. Darum ist die Stadt geprägt vom amerikanischen Geschäftsgeist. Genau wie Los Angeles und New York.“ Jack Lawrence, der eulenhafte Bassist, der sonst kaum etwas sagt, führt den Gedanken zu Ende: „Nashville kann sich nicht an die Vergangenheit erinnern. Memphis kann die Vergangenheit nicht vergessen.“
Vor zwei Jahren erschien das Debüt
der Raconteurs. Vier Musiker hatten ihrem Primärjob zeitweilig den Rücken gekehrt, um ein Album einzuspielen, das niemand von ihnen verlangt hatte. Brendan Benson (Gitarre, Gesang), Jack White (Gitarre, Gesang), Patrick Keeler (Drums) und Jack Lawrence (Bass) kannten sich aus Detroit. Über die Jahre hatten Benson und White immer wieder mit Keeler und Lawrence von der psychedelisch angehauchten Garage-Band The Greenhornes zusammengearbeitet. White hatte live auch schon Songs von Benson gespielt, und umgekehrt. Benson war ein singender Indie-Rock-Songschreiber, dessen Alben bei der Kritik gut ankamen, leider aber nicht in rauen Mengen abgesetzt wurden. Ganz anders Jack White: zusammen mit der als seine Schwester verkauften Meg White hatte er unter dem Namen The White Stripes Blues, Folk und Garage-Rock zu einer frischen Symbiose verholfen. Seit ihrem dritten Album white blood cells sehen sie sich die Popcharts von oben an. Der Erfolg hatte eine Flut von trendigen Kopien des Boy/Girl-Formates auf den Plan gerufen und dem arbeitswütigen White den ehrenvollen Job eingetragen, das Album van lear rose der eigensinnigen Nashville-Diva Loretta Lynn zu produzieren.
Als Musiker engagierte er unter anderen Keeler und Lawrence (in seiner Freizeit für Banjo und Autoharp bei der Schräg-Country-Band Blanche zuständig) . Oft hatten sich die Musiker im Studio versammelt, lang bevor Lynn erscheinen sollte. Einfach weil man das gemeinsame Jammen genießen wollte. Es lag auf der Hand, dass White und Benson Lawrence und Keeler um Hilfe baten, als sie spontan Lust bekamen, im saunawarmen Dachbodenstudio von Benson ein paar Songs auf 8-Spur festzuhalten. „Steady, As She Goes“ – ein Klassiker des modernen Power-Pop – war kurz darauf das erste Resultat. Am Ende des Tages waren zwei Songs im Kasten, ein paar kurze Sessions später ein ganzes Album. In seiner Frische und klanglichen Differenziertheit war Broken boy soldiers eines der tiefgängstigen Alben des Jahres 2006. Die nachfolgenden Konzerte übertrafen noch den ersten guten Rock’n’Roll-Eindruck. Nur: über sich selber reden wollte die frischgebackene Band damals nicht gern. Verstockt und misstrauisch war sie um den runden Tisch versammelt und taute erst ein bisschen auf, als die Zeit schon fast um war. „Wir fingen damit aus lauter Freude am Songschreiben und Geschichtenerzählen an“, sagte White. „Nur darum taten wir uns zusammen. Aus keinem anderen Grund. Wir hätten dieses Album nicht aufnehmen müssen. Aber ich glaube, es wird beim Anhören klar, dass wir es aufgenommen haben, weil wir es wollten.“ Das Argument überzeugte. Wer dermaßen widerwillig Interviews gibt, musste einen triftigen Grund haben, es dennoch zu tun.
Nashville,Tennessee, Cannery Ballroom. Es ist dies kein Tanzsaal mit gleissenden Kronleuchtern, sondern eine zappendüstere, altertümliche Fabrikhalle, in der die Herren Sharp und Hamilton – so informiert uns eine Plakette – „Schwerter in exellenter Qualität für die Konföderation der Südstaaten“ geschmiedet haben. Heute ist es ein Konzertlokal der trendigeren Art, gerade recht für die beiden Gigs zur Livepremiere des zweiten Raconteurs-Albums. Feuriger könnte der Start nicht sein. Das Titelstück des Albums, „Consoler Of The Lonely“, hat wahrlich den Teufel im Tank. Die kuriosen Rhythmussprünge erzeugen mächtig Spannung, White ergeht sich in einem Hendrix-artigen Solo. Verstärkt durch Queens-Of The-Stone-Age-Keyboarder und -Geiger Dean Fertita lassen die Raconteurs in der Folge fast das ganze neue Album brütendheiße Revue passieren.
Wenig andere zeitgenössische Bands schaffen es, sich gleichzeitig so passioniert ins Feedback zu stürzen und dabei die Gewalt über Dynamik, Rhythmus und instrumentelle Detailarbeit nie zu verlieren. Highlights sind nebst „Consoler“ das poppig-folkige „The Switch And The Spur“, „Old Enough“ mit seinem schwergewichtigen Sixties Beat-Groove und das musikalische Hände hoch! von „Hold up“. Dazwischen gibt’s die Evergreens „Steady, As She Goes“ und „Level“. Nach 50 Minuten und einem apokalyptischen „Blue Veins“ verlässt die Band erstmals die Bühne. Die Zugaben dauern nochmal eine halbe Stunde, ehe ein euphorisches „Broken Boy Soldier“ das endgültige Finale markiert. Auf dem Weg ins Hotel komme ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, „I’m from New Orleans“, sagt er. Ich: „Da war ich auch schon – tolle Stadt.“ Er will mich umarmen: „Can you spare a dime for a bredren?“ Erst viel später geht mir auf: Das war nicht „I’m from New Orleans.“ Das war „I’m homeless.“
Ende März ist es, und plötzlich liegt es auf dem Tisch, dieses zweite Album des vermeintlichen Seitenprojekts The Raconteurs. CD, Download, Vinyl – alles am gleichen Tag. Und ohne dass die Band zuvor ein einziges Interview gegeben hatte. Kein Wunder, denkt man sich, nach dem letzten Mal. Jetzt, drei Wochen später, sitzt man ihnen unverhofft doch noch gegenüber, den Herren White, Lawrence, Keeler und Benson. Ort des Geschehens ist die grandiose alte Union Station, vor der heute keine Züge mehr halt machen. Der Bahnhof ist nun ein üppiges Luxushotel.
Siehe da: die Band zeigt sich in großartiger Redelaune. „Es sprachen mindestens30 Gründe dafür, vorher keine Interviews zu geben“, sagt White. „Vor allem wollten wir uns so die Furcht vor dem großen Erscheinungstermin sparen. Wenn man drei Monate vor diesem Tag anfangen muss, die Internet-Tricks zu planen, mit denen man sich die höchstmögliche Chartsplatzierung in der Erscheinungswoche sichern zu können glaubt, geht unglaublich viel kreative Energie verloren.“ Ausschlaggebend für das Erscheinungsdatum war schließlich die Zeit, die es brauchte, nach Ablieferung der Bänder die nötige Anzahl Vinyl-Exemplare pressen zu können, um das Album überall gleichzeitig in die Shops zu stellen. Drei Wochen waren es. „Wir machen Musik, wir nehmen sie auf, wir bringen die Platte raus-Punkt“, sagt White grinsend. „All die Vermarktungstricks, mit denen man sich heute herumschlägt, sind doch zum Lachen. Ich habe es satt, mir über sowas Sorgen zu machen.“ „Und erst die ganze Paranoia!“, wirft Keeler ins Gespräch. „Man traut sich ja nicht mal mehr, einem Freund die neue CD zuzustecken vor lauter Angst, es könnte damit etwas unglaublich Schlimmes passieren!“
Am Anfang gingen die Raconteurs ins Studio, weil sie zwanglos Musik ohne Zwänge machen wollten. Ironischerweise, so würde man meinen, bringt gerade der durchschlagende Erfolg des sorglos hingeworfenen Debüts nun viel größere Sachzwänge mit sich. Mindestens die Plattenfirma dürfte Lunte gerochen haben und mehr vom Selben verlangen. Noch mehr Interviews, zum Beispiel. Noch längere Tourneen. Oder auch strengere Produktionsmaßstäbe. ,^ber erst der Erfolg hat uns in die Position versetzt, dass wir unser Album ohne jegliche Vorab-Werbung veröffentlichen können“, gibt White zu bedenken.
Die Aufnahmen für Consolers of the lonely dauerten kaum länger als die vom Debüt. Drei Wochen Arbeit, eine Unterbrechung, damit die White Stripes auf Tour gehen konnten, und nochmal drei Wochen Arbeit. White: „Das zweite Album ist aus der Tournee zum ersten Album herausgewachsen. Wir merkten, dass wir die Songs live noch ganz anders ausloten konnten.“ Vor allem hätten sie alle entdeckt, dass sie in den Raconteurs Lüste und Launen ausleben konnten, die in ihrer angestammten Umgebung nicht zur Entfaltung gelangten. White: „Weil ich bei den White Stripes allein für die Melodieführung verantwortlich bin, war dort zum Beispiel kein Platz für Gitarrensoli.“ Diesmal zwängte man sich nicht mehr ins Lo-Fi-Heimstudio, sondern mietete sich im Blackbird Studio in Nashville ein, wo die White Stripes schon Icky Thump eingespielt hatten. Zu den Vorzügen dieses Studios gehörte eine Sammlung von „tausenden“ von Mikrofonen und fast ebenso vielen Instrumenten, die, laut Benson, „nicht einfach zum Protzen an der Wand hinge?!, sondern die wir alle jederzeit benutzen durften“.
Parallel zur zweiten Aufnahmeperiode plante und inszenierte die Band auch das herrliche Coverfoto, welches sich in altmodischem Monochrom über ein dreifach ausgefaltetes CD-Blatt erstreckt und die Band (samt Anhang – der bärtige Herr zuhinterst ist Toningenieur Joe Chiccarelli) als Teil eines bizarren Karnevalumzugs zeigt. White: „Wir wollten diesmal nicht viel Geld für blöde Videos ausgeben, für die man viel Energie und Seelenfrieden aufgibt und die dann doch niemand zeigt. Wir haben das Geld also lieber für ein Bild ausgegeben, das bleiben wird.“
Deutlich zu spüren ist, wie schon auf Icky thump, der verstärkte Einfluss anderer Formen von Roots-Musik als dem Blues – von Bluegrass, Country & Western und sogar englischen Folkmelodien. „Die Musik steckt in unserem Blut“, sagt der 32-Jährige im Brustton der Überzeugung. „So vieles hat seine Wiege im amerikanischen Süden. Es ist die Musik, für die wir uns schon immer interessiert haben. Aber in den Kneipen des Nordens hört man selten etwas anderes als Rock’n ‚Roll. Hier im Süden ist man davon aber ständig umgeben. Man hört’s im Radio, im Fernsehen, im Auto, im Restaurant. Im Norden hätten wir nie eine Bluegrass-Band live gesehen. Ich weiss nicht, ob wir diese Eindrücke nun bewusst aufgegriffen haben. Vielleicht war’s Osmose.“ Auch Jack White hat übrigens Sprachprobleme, nur umgekehrt. „Top Yourself“ heißt eines der neuen Lieder. Erst als er das Stück einem englischen Plattenfirmenkapitän vorspielte, erfuhr er, dass das in England „Bring dich um“ heißt. Da gefiel ihm das Stück gleich noch viel besser“.
Nashville,Tennessee, Flughafen.Der Kater. Auf Empfehlung von Patrick Keeler sind wir gestern noch in Layla’s Bluegrass & Hillbilly Inn am Broadway abgestürzt. Zuerst eine deftige C&W-Kombo (dürrer Kettenraucher-Sänger mit Original Stetson-Cowboyhut, tätowiertes Rock-Chick am Bass). Später ein Rockabilly-Quartett samt Pedal-Steel-Gitarre mit Entertainer-Instinkt und Rebellen-Passion. Was sagte Jack White noch? „Ich würde heute lieber falsche Plastikmusik spielen“, sagte er, „und wissen, dass ich bis zu ihrem Tod auf die Loyalität der Fans zählen kann. Es ist furchtbar, Musik auf der Ebene von ,hip‘ und,cool‘ auszutauschen, im Stil von ,Was diese Woche cool ist, ist nächste Woche nicht mehr cool‘. Diese ganze Garage-Rock-Hipster-Pose, aus der wir alle kommen – das ist nicht das Leben.“
Über die Politik des Südens haben wir auch noch geredet. „Es ist schwierig. Der Süden ist konservativ. Ich habe den Eindruck, dass eine Stimme wie meine gar nicht gehört wird. Deswegen bemühe ich mich gar nicht erst, eine Diskussion anzureißen, wenn jemand mit republikanischen oder sonst wie konservativen Sprüchen kommt. Der Geist eines liberalen Menschen ist nicht darauf eingestellt, ein Leben lang liberal zu sein – er will offen bleiben. Wenn man aber auf die konservative Schiene eingefahren ist, ist man eingesperrt. Diskussionen haben da keine Chance. Die werden höchstens zu sinnlosen Debatten.“
Nashville, Tennessee, 15 Uhr nachmittags, letzter Eindruck. Zwischen Airport-Shops und Fingerdocks Country & Western-Bands, die von Heimweh und verlorener Liebe dahinschmalzen. >»www.theraconteurs.com