Die Notwendigkeit, Blumen Zu Gießen
Wer gute Platten macht, muß leiden: Alle Welt will ein Stück vom Kuchen, doch Cake-Chef John McCrea wäre am liebsten zu Hause
Dem Mann mit den hängenden Schultern und dem seltsamen Anglerhut auf dem Kopf steckt der jetlag in den Augen. Nein, auf Tour zu sein mache ihm wirklich keinen Spaß, murmelt John McCrea, Sänger und Hauptsongwriter von Cake, mit einem schwachen Lächeln. „Songs schreiben und Platten machen, das macht mir Spaß“, sagt er hilflos, als suche er immer noch nach einer Erklärung dafür, wie ihn diese zwei unschuldigen Vorlieben in eine solch mißliche Lage bringen konnten. Hier, in einer verschwenderisch luxuriösen Hamburger Hotelsuite zu sitzen und Interviews geben zu müssen, ist für den bescheidenen, nervös, fast verletzlich wirkenden McCrea definitiv eine mißliche Lage. „Auf Tournee sein ist gräßlich. Es ist nicht gesund. Grelle Farben, aufregende Dinge, aber keine, naja, Vitamine, keine Wurzeln. Einfach unnatürlich. Und wenn du gegen die Natur handelst, leidest du. Unterwegs sein nimmt dir was von deinem Leben, von dem, was einfach zum Leben gehört. Spazierengehen, Hobbies, die Blumen gießen – ich hab meine Pflanzen alle weggegeben, weil ich kaum noch zu Hause bin…“
1991 hatten sich McCrea (voc, git), Victor Damiani (bass), Greg Brown (git, org), Todd Roper (dr) und der Trompeter Vince di Flore in Kaliforniens glanzloser Hauptstadt Sacramento gefunden und frönten fortan einem Sound von erfrischender Originalität. Cakes unprätentiös-reduziertes, doch unwiderstehlich energetisches, einzigartiges Backwerk aus Country, Folk, Rock, mexikanischer Mariachi-Musik, Funk- und HipHop-Grooves und Jazz-Feeling, zu dem McCrea seine beißend ironischen, fatalistischen und ergreifend gefühlvollen Kurzgeschichten erzählt, brachte der Band zunächst eher hilflose Vergleiche mit Musikern wie Jonathan Richman, They Might Be Giants oder den Violent Femmes ein und bescherte ihnen alsbald einen kleinen College Radio-Hit: „Rock’n’Roll Life Style“ aus ihrem selbstproduzierten ersten Album „Motorcade Of Generosity“. Seither war man fast ständig on the road. Und der Streß ist nicht kleiner geworden: Mit ihrem Zweitling „Fashion Nugget“, einer fast unwirklich grandiosen Ansammlung von 14 wahren Song-Juwelen, werden Cake in den USA als eines der heißesten Eisen der letzten Jahre gehandelt – ein Eisen, das die Plattenfirma jetzt auch in Übersee schmieden will. Kein Ende der (Tor)Tour scheint also in Sicht.
Zwar gewinnt McCrea dem ganzen auch Gutes ab: „Schön ist, daß ich mir jetzt endlich eine Krankenversicherung leisten kann. In den USA hat man es als Musiker nicht so leicht, wenn man nicht gerade erfolgreich ist. Zahnmedizinische Versicherung und so, das ist wirklich ein Ding“, freut er sich aufrichtig. Und räumt weniger pragmatisch – ein: Ja, natürlich hat es auch was Nettes zu wissen, daß unsere Musik Leute anspricht.“ Doch bezüglich der mittlerweile moderat aufkeimenden Cake-Begeisterung bleibt er Skeptiker: „Das Publikum hat einen sehr unberechenbaren Appetit auf neue Dinge. Zur Zeit sind wir eben ein neues Produkt, aber ich könnte mir gut vorstellen, daß uns dieser wankelmütige Riese ‚Öffentlichkeit‘ schon nächste Woche wieder fallen läßt.“ Für die Maschinerie des Rock-Business hat McCrea nur Verachtung übrig – und daß seine kleine Band da hineingeraten könnte, ist ihm mehr als unheimlich. Der Seattle-Hype und seine direkte Folge, der sogenannte „Alternative Rock“, ist für McCrea ein besonders rotes Tuch. „Es ist schon komisch, daß Musik für sich in Anspruch nimmt, rebellisch, subversiv, alternativ zu sein. Was ist subversiv an großen, muskulösen Weißen, die sich gegenseitig vermöbeln? Was ist neu daran? Kraft und Macht – der alte Scheiß. Diese ganze Szene kommt mir vor wie ein Haufen tätowierter Pfaue, die einem riesigen Hype aufsitzen, ohne Bezug zur Realität und ohne Inhalte. Und die Musik-einfach zu laut für das menschliche Ohr. Das ist so eine typische 20. Jahrhundert-Arroganz, zu sagen: ‚Ist mir scheißegal, ob dein Organismus das überhaupt verarbeiten kann – ich dröhn Dich jetzt verdammt noch mal zu!'“ lohn McCrea ist es lieb, wenn die Dinge im Rahmen bleiben. Der Verstärker, über den er seine klapprige Akustikgitarre spielt, ist etwa so groß wie ein Toaster- weil er einfach nicht größer sein muß. Vince Di Fiores Trompete zerschmettert keine Trommelfelle, Greg Brown drischt keine Powerchords. Cakes Sound ist ein kleiner, und läßt doch nicht mehr los. So manches Ohr wird sich wohl öffnen, wenn die fünf im Mai als Vorgruppe der Counting Crows nach Deutschland kommen. Und vielleicht entwickelt ja ein ominöser Riese demnächst Heißhunger auf kalifornischen Kuchen, und ein wieder besser gelaunter Mann mit Anglerhut kann es sich leisten, nie mehr auf Tour zu gehen, sondern zu Hause neuangeschaffte Blumen zu gießen und wunderbare neue Lieder zu schreiben.