Die Mythologie des Lorbeerkranzes


Don Letts

London, 1974: Acme Attractions hieß der Laden an der Kings Road, in dem Donald Letts als 18-Jähriger die ersten Punks einkleidete. Dazu legte er Reggae-Platten auf. Zu seinen Stammkunden zählten Bob Marley und Joe Strummer. Letts wurde zum Haus-DJ im Roxys, Manager der Slits und Bandmaskottchen von The Clash, er gründete Big Audio Dynamite und drehte unzählige Dokumentationen zur Musikkultur. Sein aktueller Film heißt „Subculture“. Im Auftrag des Modehauses Fred Perry erzählt Don Letts darin vom Aufstieg und Fall der britischen Jugendkulturen.

Was waren Sie als junger Mann für einer, ein Rude Boy?

Da ich halb Jamaikaner bin und halb Engländer, bin ich so was wie der Vater aller Subkulturen, die sich je mit Fred Perrys Lorbeerkranz geschmückt haben.

Angefangen haben Sie in einer Boutique.

Das war kein Klamottenladen, das war eine Begegnungsstätte! Wir brachten uns gegenseitig bei, wie man sich selbst erfindet.

Man sagt, Sie hätten damals Punk und Reggae Dub miteinander vermählt.

So sagen es die Historiker. Als es anfing mit dem Punk, wurde ich DJ, und weil es noch gar keine Punkplatten gab, spielte ich jamaikanische Singles. Ich hatte Glück: Die Punks mochten mein Zeug.

Sind Sie tatsächlich der Mann, der sich auf dem Cover von BLACK MARKET CLASH der Polizei entgegenstellt?

Ja, das bin ich. Auf der Portobello Road, bei den Notting Hill Riots. Was das Bild nicht zeigt, sind meine schwarzen, mit Steinen und Flaschen bewaffneten Brüder. Um die Wahrheit zu sagen: Es ist der Augenblick, in dem Don Letts versucht, sich zu verdrücken. Ich wünschte, er wäre ein Held gewesen.

Was bedeutet Ihnen Fred Perrys Lorbeer?

In der jamaikanischen Kultur ist es wie in den britischen Subkulturen: Musik und Mode gehören untrennbar zusammen. Als ich aufwuchs, trugen meine weißen Freunde ausnahmslos Fred Perry. Von uns hatten sie die Hochwasserhosen, wir übernahmen ihre Polohemden. Außerdem warb Fred Perry nicht im Fernsehen. Mode, die im Fernsehen lief, konnte unmöglich cool sein. Perry folgte keinen Trends. Trends hassten wir auch.

Haben Sie jemals jemanden in Fred Perry gehasst?

Die Fascist-Skinheads natürlich. Die waren ja äußerlich wie Fashion-Skinheads unterwegs. Niemand kann verhindern, dass die falschen Leute die richtige Marke anhaben. Dass Fred Perry selbst die Enteignung durch die Rechten schadlos überstanden hat, spricht übrigens für die Stärke seines Stils.

Fred Perry selbst war Tennisprofi, er kam aus der Arbeiterklasse. Weil ihm die adlige Anzugsordnung im Tennis nicht schick genug erschien, ließ er sich schmale Polos schneidern. Waren die Subkulturen eine Antwort auf die Klassenfrage?

Gewiss. Worin hätten wir uns mit der Oberschicht messen sollen? Sport, Bildung, Geld? Wir konnten uns nur besser anziehen, interessanter aussehen, den spektakuläreren Sex und die tollere Musik haben. Nur weil die Briten so streng über Oben und Unten wachen, konnten auf der Insel die fruchtbarsten Subkulturen gedeihen.

Hat nicht schon Margaret Thatcher die Klassengesellschaft für aufgelöst erklärt?

Wir haben auch keine Klassen mehr, sondern nur noch Menschen, die sehr viel haben, und Menschen mit sehr wenig. Junge Leute werden immer stylish sein wollen. Aber ihnen fehlt heute neben dem Geld der Wille zur Massenbewegung. Übrigens waren Subkulturen auch immer attraktiv für gelangweilte reiche Kinder. Joe Strummer stammte aus einem Diplomatenhaushalt. Aber das ist ja auch das Ziel jeder ernst zu nehmenden Subkultur: die Klassenschranken einzureißen.

Wo wird Mode gemacht: auf den Straßen oder in den Modeateliers?

Auf der Straße und von Designern, die das akzeptieren. Wie bei Fred Perry.

Ihr Film zeigt auch Rocker. Die hatten mit Fred Perry nie was an der Tolle.

Genau deshalb zeige ich sie. Jede große Marke versteht auch die Verweigerung als Adelsschlag. Auch die Casuals und Raver hatten mit Fred Perry nichts zu schaffen. Indem die Marke im Film nur am Rand vorkommt, drückt sie die Würde eines Klassikers aus.

Wo sind die Subkulturen heute hin?

Sie sind mit dem 20. Jahrhundert verschwunden. Ihre Grundlage war ein Mainstream, der ambitionierte junge Menschen nicht befriedigen konnte. Wir mussten uns ein Leben am Rand suchen. Heute erfüllt das Internet alle Bedürfnisse und Sehnsüchte. Stämme wirken auf die Jugend des 21. Jahrhunderts albern. Niemand möchte in Uniformen herumlaufen. Niemand muss mehr in einen Plattenladen laufen, um in die Geheimnisse der Musikkultur eingeweiht zu werden. Niemand muss in eine seltsame Boutique rennen, um sich mit den Feinheiten der Stammesgarderobe vertraut zu machen. Aber wer weiß: Vielleicht werden da Energien frei, die bisher ver-schwendet wurden, um irgendwo dazuzugehören. Vielleicht wird es wichtiger werden, seine Sinne beisammenzuhalten als die Frisur. Schade nur um die kreative Kollektiverfahrung: Die Biochemie ist eine andere, wenn man sich gegenseitig in die Augen blickt. Hätten sich Lennon und McCartney nicht in die Augen geblickt, wären der Menschheit nicht die Beatles beschert worden. Nichts gegen Computer, aber kein Computer sagt dir, wenn eine Idee Mist ist.

Die Subkulturen waren die DNA von Fred Perry. Wer soll die Polos künftig tragen?

Die Subkulturen haben alles transzendiert. Auch das Alter. Ich bin 56, so alt wie der Rock’n’Roll. Ich bin nicht so blöd, zu glauben, ich wäre noch Teil einer Jugendkultur. Aber im Geiste hört das 20. Jahrhundert nie auf, nichts verschwindet wirklich: Man sieht Elemente aus dem Punk, Symbole der Mods, und der Fred-Perry-Kranz ist heute ein Markenzeichen, in dem sich die ganze Geschichte ausdrückt. Auch wer sie genauer kennt, trägt sie stolz mit sich spazieren. Uns war vor 40 Jahren auch egal, wer Fred Perry war und wofür er stand. Klamotten sind ein sehr einfaches Verständigungsmittel.

Fred Perry wird immer teurer, ist das ein Verrat an der Arbeiterklasse?

Im Gegenteil: Die Wertschätzung wächst mit dem Preis, gerade wenn man ihn nur unter Schmerzen bezahlen kann. Das ist die Ökonomie der Coolness.