Die Magie des Augenblicks


Dem Fotografen Anton Corbijn ist in Düsseldorf eine Ausstellung gewidmet.

Madonna und Robbie Williams sind langweilig, Boybands unerträglich, die globale Pop-Ästhetik schrecklich. Statements, die sich nur Anton Corbijn leisten kann: Er zählt zu den Topverdienern unter den Pop-Fotografen – und zu den Lieblingen der Stars. Wie viele Flugmeilen er in den letzten Jahren gesammelt hat, weiß er beim besten Willen nicht – und er will es auch gar nicht. Schließlich ist Anton Corbijn ein Opfer seiner eigenen Leidenschaft – ein Besessener, der gar nicht anders kann, als seinen Lieblingsbands und -promis hinterher zu reisen. Egal, wo sie gerade stecken. Ob in Marokko, in Nord- oder Südamerika oder auf irgendwelchen Südseeinseln. Mindestens zwei Mal die Woche ist er im Flugzeug, verbringt Stunden damit, einund auszuchecken und seine langen Beine abzulegen. Lind das seit 25 lahren. So lange ist der hünenhafte Schlaks, der 1955 im niederländischen Strijen geboren wurde, schon auf einer Mission – seiner Mission. „Der einzige Grund, warum ich diesen Job mache ist, dass ich die Musik liebe. Aus der Fotografie an sich habe ich mir nie etwas gemacht, aber die Musik war immer meine große Liebe, und ich habe nach einem Weg gesucht, um ihr noch näher zu kommen. Irgendwann ist mir dann die Kamera meines Vaters in die Hände gefallen, und ich habe lokale Bands fotografiert, die Bilder in einer Drogerie entwickeln lassen und sie zu einem Magazin geschickt. Dort sind sie tatsächlich erschienen, und deswegen habe ich halt weitergemacht. Ich hatte meine Lebensaufgabe gefunden.“

Do-h In Holland hatte man für seine Kunst wenig Verständnis. Sein Vater, ein calvinistischer Pfarrer, wollte nicht, dass sein Sohn sich mit so etwas Profanem wie Popmusik beschäftigt. Wenn schon Fotografie, dann solle Anton sie studieren – etwa an der Kunsthochschule in Amsterdam. Aber dort hielt man die stimmungsvollen Schwarzweißbilder für wenig künstlerisch. „Als ich in Amsterdam wegen mangelnden Talents abgelehnt wurde, hat mir das ziemlich weh getan. Dabei hatte es auch etwas Positives – erst dadurch bin ich zu dem geworden, der ich heute bin. Hätte ich eine fundierte Ausbildung genossen, würde ich nie solche Fotos machen. Eben, weil ich eine ganz andere Technik verwenden würde. Von daher bin ich glücklich, dass ich meinen eigenen Weg gehen musste und einen Stil entwickelte, den kein anderer hat.“

Doch zunächst brauchte Corbijn eine Perspektive und einen Axbeitgeber. Die einzige Publikation, die Interesse an seinem Werk zeigte, war das Musikmagazin „D’Oor“, bei dem er Mitte der 70er Hausund Hof-Fotograf wurde – und sein erstes Markenzeichen entwickelte: „Ich habe gelernt, selbst mit fünf Minuten in einem langweiligen Hotelzimmer klarzukommen. Darin bin ich wirklich gut.“ Das fanden auch seine ersten „Opfer“ wie Elvis Costello, Echo & The Bunnymen, )oy Division oder Siouxsie Sioux. Sie mochten seine unkomplizierte Art, seine Schnelligkeit und seine düsteren Bilder. Denn Corbijn knipste ausschließlich in Schwarzweiß – morbide und stimmungsvoll. Dabei ist der Künstler nur Teil des Bildes, nicht aber sein Schwerpunkt. Er bewegt sich in einer Landschaft oder einem Szenario und ist oft nur als Silhouette zu erkennen. „Wäre ich jetzt der Fotograf um die Ecke, der Passbilder verkauft, würde ich etwas falsch machen. Aber die Leute verlangen von mir, dass ich Dinge tue, die andere nicht machen. Da gibt es zum Beispiel dieses Bild von Michael Stipe, wie er unter der Dusche steht, und du nur sein Profil erkennst. Und genau das ist der Vorteil, wenn du mit berühmten Leuten arbeitest – du musst sie nicht vorstellen. Die Leute wissen, wie Michael Stipe aussieht, also kannst du damit rumspielen. Ich muss Dinge probieren, die noch keiner gesehen hat.“

Und das stieß vor allem bei britischen Künstlern auf Gegenliebe. Sie engagierten Corbijn für Pressefotos und Plattencover und empfahlen ihn den Redakteuren des „New Musical Express“, die ihn 1979 nach London holten. Für wenig Geld und zu denkbar schlechten Bedingungen. „Es war unglaublich schwer, als Ausländer akzeptiert zu werden. Als ich ankam, kannte ich niemanden, bekam kaum lobs und wohnte in einem besetzten Haus. Das war richtig hart. Gleichzeitig passiert in dieser Stadt aber auch so viel, dass man gerne vergisst, wie teuer sie ist und wie niedrig die Lebensqualität. Und deswegen bleibe ich dort.“ Merke: Corbijn ist nicht nur ein Dickkopf, sondern auch ein Kämpfer. Einer, der sich durchbeißt und nicht aufgibt. Und so etablierte er sich langsam unter den Starfotografen des Pop-Mekka, vor allem des Post-Punk und der New Wave. Berühmt macht ihn dabei ein ganz bestimmtes Bild: das Porträt von Joy Division-Sänger lan Curtis, aufgenommen in der Londoner U-Bahn anläßlich der Veröffentlichung des zweiten und letzten Albums „Unknown Pleasures“. Curtis blickt mürrisch in die Kamera, während die Band aus dem Bild herausläuft – eine Metapher kommender Ereignisse: Curtis erhängte sich und wurde zum Kultobjekt, Joy Division mutierten zu New Order und millionenschweren Popstars. „Ich musste mit Engelszungen auf sie einreden, um sie überhaupt dazu zu bewegen. Sie fanden die Idee merkwürdig, das Ergebnis aber ganz toll. Von den Zeitungen wollte es zunächst keine abdrucken, weil Fotos von Bands, die aus dem Bild herauslaufen nicht gerade gefragt waren. Doch als lan starb, war es plötzlich überall zu sehen, soBerufsbilder

gar auf dem Cover des New Musical Express. Eben, weil es wie eine Ankündigung seines Todes aussieht, was ja nicht so gedacht war. Es sollte nur den Aufbruch in unbekannte Gefilde verdeutlichen, wobei Curtis kurz zurückblickt.“

Kurze Zeit später machte Corbijn die Bekanntschaft einer jungen irischen Band – U2, die zu diesem Zeitpunkt an ihrem zweiten Album („October“) arbeitete und ein großes Problem hatte: Zwar besaßen sie einen dynamischen, aggressiven Sound mit großer politischer Message, aber kein Image. Mehr noch: Als Iren wurden sie von der britischen Musikpresse automatisch zu Provinzrockem abgestempelt. Und dagegen sollte Corbijn etwas tun. Kein einfacher lob. Denn 112 gaben sich medienscheu, waren unsicher und eigenbrötlerisch. Eine Gang, die so eingeschworen war, dass sie keinen anderen an sich heran ließ. Und auch Corbijn hatte es schwer. Er begleitete sie zu Videodrehs, ins Studio und auf die Bühne. Und je länger er dabei war, desto mehr begann das Eis zu schmelzen. Aus vorsichtigen, fast verstohlenen Schnappschüssen wurden Sessions, in denen Bono richtig aus sich herausging und auch noch Spaß dabei hatte. „In all den Jahren, die wir zusammenarbeiten, hat er sich unglaublich verändert. Er ist viel selbstbewusster geworden, wenn es darum geht, mit seinem Image zu kokettieren und ein gutes Bild herauszukitzeln. Früher war er sehr passiv, heute will er mit der Kamera spielen. Bei meiner letzten Ausstellung hatte ich einen Raum nur mit seinen Porträts, eben von 1982 bis heute. Er war ziemlich beeindruckt und meinte, es würde seine Entwicklung von der Unschuld zur Erfahrung zeigen. Seine eigene Veränderung zu betrachten, muss wirklich komisch sein. Aber was ich am meisten an ihm mag, ist seine Risikobereitschaft. Ich schieße nicht ständig dasselbe Bild, und das würde er auch gar nicht zulassen. Für eine Session in Mexiko hatte er sich sogar die Haare rasiert, wie der Typ aus „Taxi Driver“. Das war etwas ganz Besonderes.“

Und so darf Corbijn nicht nur seine Leidenschaft als Fan ausleben, er wird zum Imageberater und Artdirektor. Dabei sind es vor allem die Plattencover für „The Unforgettable Fire“ und „The Joshua Tree“, die ihm zu internationalem Renommee und großen Aufträgen verhelfen: R.E.M., Nick Cave, Metallica, Bryan Ferry, Rolling Stones, Bryan Adams oder Morrissey – und das nicht für Tausende von Fotos und Hunderte von Cover-Artworks, sondern seit 1983 auch für Video-Clips. Die meisten davon (17 Stück) für die Synthie-Pioniere von Depeche Mode, deren Musik Corbijn zunächst so gar nicht mochte: „Ich habe ihr Potenzial nicht erkannt. Schließlich galten sie damals als reine Teenie-Band, und ich mochte ihre Songs nicht. Sie kamen mir irgendwie komisch vor. Dass ich dennoch anfing, mit ihnen zu arbeiten, lag daran, dass sie mir eine Videoproduktion in Amerika anboten. Und weil ich dort noch nie gearbeitet hatte, sagte ich sofort zu. Dabei war das Budget so gering, dass ich alles alleine machen musste – und die Band selbst hatte überhaupt keine Lust. Nur Alan Wilder wollte auf meine Ideen eingehen, und deswegen ist er auch das einzige Bandmitglied im Video. Den Rest musste ich mit Hotel- und Bühnensequenzen auffüllen. Als das Ganze fertig war, haben sie sich nicht mehr bei mir gemeldet, weswegen ich dachte, dass es ihnen nicht sonderlich gefällt. Doch ein lahr später riefen sie an und wollten ein weiteres Video drehen. Daraus wurde dann „Strange Love“, „Never Let Me Down“ und „BehindThe Wheel“. Nach und nach habe ich auch noch alle Fotoarbeiten übernommen, die Singles- und Plattencover designt und die Bühnendekoration für die ’93er und ’98er Tour entwickelt. Insofern besitze ich also eine gewisse Verantwortung für ihre visuelle Präsenz. Und mittlerweile kann ich auch schon ein bisschen mehr mit der Musik anfangen.“

Das sollte er auch. Schließlich hilft er ihnen mitunter sogar als Schlagzeuger aus. Etwa bei Auftritten zu TV-Sendungen wie „Top Of The Pops“, bei denen sich Depeche Mode gerne als rockende Live-Band präsentieren – zum Vollplayback, versteht sich. „Ich bin ihnen wirklich dankbar, dass sie mich eingeladen haben. Es war schon ein kleiner Traum. Und das sind auch die Sachen, die mein Leben so toll machen – die kleinen Extras. Einmal habe ich sogar für eine Modenschau von loshi Yamamoto gemodelt und für den holländischen Premierminister gearbeitet. Ich habe seine gesamte Wahlkampagne entworfen, und dafür lud er mich in eine Talkshow ein, was ich wirklich sehr genossen habe. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich je so etwas erleben würde, und genieße es ungemein.“Die kleinen Aufmerksamkeiten kommen nicht von ungefähr. Denn Corbiin ist sehr

wählerisch, knipst längst nicht jeden und weigert sich schon seit Jahren, Rap- und HipHop-Künstler abzulichten. Auch mit Teenie-Stars und Boygroups will er nichts zu tun haben: „Natürlich ist das ein Phänomen, vom visuellen Standpunkt her aber vollkommen unattraktiv. Darin steckt einfach keine Magie. Ich versuche nun einmal, etwas mehr in den Leuten zu finden als das, was man auf den ersten Blick sieht. Und das funktioniert nicht einmal bei Robbie Williams, der ja extrem erfolgreich ist. Er ist ein guter Handwerker, hat aber keine Magie.“ Genau wie Madonna und Michael Jackson: „Sie wissen, was moderne Musik ausmacht. Trotzdem haben sie nichts, was mich interessiert.“

Was allerding« nicht daran liegt, dass Corbijn mit seinen inzwischen 46 Jahren keinen Zugang zur Popmusik mehr hat. Zwar geht er nicht mehr zu jedem Konzert und auch längst nicht mehr in jeden Club, betont aber auch, dass er nicht in einer „bestimmten Zeit und Epoche festklebe“. Und er ist immer noch auf der Suche – nach kreativer Erfüllung und dem berühmten Menschen hinter all dem Glitzer und Glamour. „Ich arbeite mit Leuten, die ich treffen will, die meine Neugierde wecken – von denen ich wissen will, wie sie reagieren, wie sie denken. Und es ist doch toll, jemanden wie William Burroughs, Allen Ginsberg oder Stephen Hawking abzulichten. Eben eine gute Gelegenheit, sie auch mal privat kennenzulernen. Und das ist meine kleine, ideale Welt: Du verläßt morgens das Haus, trinkst eine Tasse Tee mit einer interessanten Persönlichkeit und kommst nachmittags mit einem tollen Foto zurück. Ein schöne Vorstellung.“ Zumal sich Corbijn seit Ende der 80er nicht nur um Musiker kümmert, sondern auch um die Schönen, Reichen und Schwierigen – Schauspieler, Models, Berühmtheiten eben. Menschen, die kaum noch menschlich, sondern eher göttlich sind, die ständig im Rampenlicht stehen, aber nie sie selbst sind, und die vor allem keine Zeit haben. Die hat er mit seiner schnellen, unkomplizierten Art begeistert, ist zumeist mit atemberaubenden fünf Minuten Zeit ausgekommen und hat sie alle in seinem ’96er Photoband „Star Trak“ verewigt – 144 Seiten Promis. Lind das in Posen und Situationen, die sie mal nicht als Star, sondern als Wesen mit Macken und Makeln zeigen. Etwa David Bowie in Windeln, Lars von Trier nackt im Garten, Nick Cave im Zuhälter-Look oder Star-Tenor Luciano Pavarotti mit dem Blick eines Besessenen. „Du musst die Erwartungen der Leute aushebeln und noch einen Schritt weitergehen. Sonst hat dein Foto keine Berechtigung. Warum sollte man auch etwas machen, was jeder kennt? Du mußt etwas Neues hinzufügen – andernfalls ist es nur ein Job. Ich habe Pavarotti in der Oper gesehen und dachte mir: ‚Mein Gott, der Typ hat eine unglaublich dunkle Seite.‘ Aber in all den Bildern, die du von ihm siehst, trägt er einen kleinen Hut und bunte Hawaii-Hemden. Ich hingegen habe ihm nahegelegt, es mal mit einem schwarzen Shirt und ein wenig Make-up zu versuchen. Eben, um ein viel intensiveres Bild zu erzielen. Das hat ihm sehr gefallen.“

Und natürlich wird man durch das Fotografieren von Stars auch irgendwie selbst zu einem. Man wohnt in teuren Hotels, isst in erlesenen Restaurants, fliegt First Class und ist auf den wichtigsten Parties vertreten – der Promijäger als eigener Promi. „Ich sehe mich nicht als Berühmtheit. Klar, sind viele meiner Bilder bekannt, aber mein Leben besteht immer noch aus harter Arbeit. Da ist nicht viel Magie im Spiel. Alles, was ich versuche ist, meine Bilder interessant zu gestalten, und ich habe das Glück, dass viele Leute sie auch so empfinden. Über meine eigene Position habe ich aber keine allzu großen Illusionen. Ich bin glücklich hinter der Kamera, und mag es nicht, wenn man mir zu viel Beachtung schenkt.“Dabei ist Corbijn längst ein Medienstar und genießt besondere Privilegien. Etwa die ehrwürdigen und extrem komplizierten Rolling Stones abzulichten – und das auch noch mit Karnevalsmasken. „Das war unglaublich schwierig“, seufzt Corbijn. „Die hatten überhaupt keine Lust, sich irgendwie fotogen zu geben, wollten auch nicht nach draußen gehen oder sich sonderlich in Pose werfen. Zum Glück hatte ich diese venezianischen Karnevalsmasken dabei, und nach langem Erklären und einigen Drinks fanden sie die Idee gar nicht so schlecht. Letztlich hatten sie sogar einen Riesen-Spaß dabei, und die Session wurde ein voller Erfolg.“ Was natürlich ein unbezahlbarer Image-Gewinn für Corbijn ist und sich auch in seiner Tagesgage niederschlägt. Die liegt inzwischen bei 40.000 Mark und wird von Plattenfinnen und Managements bereitwillig beglichen.

Und genau das ist auch der Grund, warum er die Fotographie der Video-Arbeit vorzieht: „Videos sind unglaublich aufwendig und stressig. Das fängt schon damit an, dass man nicht alleine arbeiten kann, sondern im Team, dass man an Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen gebunden ist und wirklich alles bis ins Letzte ausarbeiten muss. Man kann nicht spontan sein, weil man sich keine Fehler erlauben darf- denn das schlägt sich sofort finanziell nieder. Außerdem nervt es mich, dass ich für ein gutes Foto nur wenige Stunden brauche, für ein gutes Video aber mehrere Wochen. Deswegen ziehe ich mich daraus langsam zurück.“ Ganz abgesehen davon, dass er die Sender, auf denen die Clips laufen, ohnehin kaum ertragen kann: „Sie richten sich nur noch an 10-15jährige, und genau so sehen denn auch die Videos aus. Sie sind mindestens so stupide wie das Publikum.“ Und Anton Corbijn weiß sehr genau, wovon er spricht. Er hat auch hier alles erlebt und erreicht – ausgesprochen aufwendige Produktionen mit dem Budget eines halben Spielfilms (Metallica, Bryan Adams), viele Freundschaftsdienste (Echo & The Bunnymen, LI2, Depeche Mode) und auch ein paar Dinge,

die ihm heute sichtlich peinlich sind. Etwa Naomi Campbells Sangesversuch „Love & Tears“, Banderas „May This Be Your Last Sorrow“ oder Palais Schaumburgs „Hockey“. Richtig stolz ist er dagegen aufsein preisgekröntes Nirvana-Video zu „Heart Shaped Box“ von 1994, das durch eine unglaubliche Symbolik und ungewöhnliche Farbkonstellationen glänzt – der jüngste Tag als Musikvideo. „Die Hauptideen stammen von Kurt – eben die Images von religiösem Fanatismus, von Krebs, von Brutalität und Gier. Mein Job bestand eigentlich nur darin, das Ganze in Szene zu setzen und etwas aufzulockern. Etwa durch die falschen Vögel, die auf dem Kreuz hockten, oder aber durch die dicke Frau und die Schmetterlinge. Ich habe sein Bilder nur noch ausgefüllt – und jedes Einzelne mit Farbe versehen. Denn ursprünglich war der Clip schwarz-weiß und musste von Hand nachkoloriert werden. Eine Heidenarbeit, aber es sah toll aus. Kurt gefiel es so gut, dass er mich auch für das nächste Video engagieren wollte. Doch ich lehnte ab, weil ich nicht wusste, wie ich das letzte übertreffen sollte. Deswegen gab es auch kein weiteres Nirvana-Video – er wollte mit niemand anderem mehr arbeiten. Ein tolles Kompliment. Überhaupt war Kurt ein sehr netter Kerl. Nicht, dass ich ihn wirklich gekannt hätte, aber mit ihm zu arbeiten, war toll.“

Dabei hat auch Corbijn nie wieder so aufwendig gedreht wie mit den Grunge-Ikonen. Seine aktuellen Produktionen sind denn auch sehr minimalistisch und schlicht. Einerseits mit dem Singer/Songwriter Joseph Arthur, andererseits mit At The Drive-In, die sich am liebsten live ablichten lassen. Erfrischend unkompliziert also. Lind genau das ist die Idee. Denn schwierige Sachen hat Corbijn schon genug gemacht – und den Spaß daran verloren. Das gilt insbesondere für die verlockenden Anfragen der Großindustrie – Automobilhersteller, Jeansfirmen und Lifestyle-Giganten. Die wollen ihren Produkten zwar eine moderne Ästhetik verleihen, gebärden sich aber ausgesprochen engstirnig. „Ich habe mich jahrelang geweigert, irgend etwas für die Werbung zu machen“, so Anton, „und als ich mich dann darauf einließ, fand ich das Prozedere grausam. Gerade die deutschen Firmen sind einfach schrecklich. Sie wollen alles bis ins Kleinste ausarbeiten und halten endlose Meetings ab, auf denen sie literweise Kaffee trinken. Ich erinnere mich noch, was es für ein Theater war, als ich Kate Moss für eine Kampagne wollte Sie stand damals ganz am Anfang ihrer Karriere, und die Werbemanager wollten ihr Potenzial nicht erkennen: Es sollte unbedingt jemand Namhaftes sein, und ich musste regelrecht kämpfen, um Kate durchzuboxen.“ Und daraufhat Corbijn genau so wenig Lust wie auf das unrentable Video-Geschäft – und das Showbiz an sich. Schließlich hat auch er für seinen Erfolg einen hohen Preis bezahlt: Eine gescheiterte Ehe, kein Privatleben und andauernder Stress setzen ihm zu. So hat er bereits einen Kreislaufkollaps hinter sich, verzichtet auf jede Form von Alkohol und Nikotin und sehnt sich in seinem tiefsten Inneren nach Familie, Ruhe und Geborgenheit. „Ich plane dieses lahr ein Projekt, das ich tatsächlich von zu Hause aus erledigen kann, was bedeuten würde, dass ich wirklich mal längere Zeit in meinen eigenen vier Wänden verbringe. Wer weiß, vielleicht drehe ich ja auch einen Film. Dem Metier nähere ich mich schon seit Jahren, und einige meiner Bilder sind ja auch wie Filme. Es wäre aber nicht gut, zu viel zu verraten, denn das ist schlecht fürs Karma.“ Zumal Corbijn vorerst viel zu sehr in laufende Projekte eingebunden ist – allen voran Cover-Artwork und Pressefotos zum neuen Depeche Mode-Album „Exciter“, das laut Aussage des Insiders „viel optimistischer klingt, als alles, was man von der Gruppe gewohnt ist“ Damit nicht genug, ist er auch fürs Merchandising und das Bühnen-Design verantwortlich – und das hält ihn bis zum Sommer auf Trab. Ganz zu schweigen von den Ausstellungen, die er seit dem letzten Herbst unter dem Titel „Werk“ organisiert: opulente Retrospektiven aus 25 Jahren Popfotografie, die nun auch im Düsseldorfer Forum NRW (bis 22.4.) zu bewundern sind und danach auf Wanderschaft durch die Republik gehen – übrigens mit etlichen Arbeiten, die bislang noch nirgends zu sehen waren.