Popkolumne, Folge 101

Die Kneipe ist das beste Clubhouse – Paulas Popwoche im Überblick


Paula Irmschler gegen Vereinzelung und „Bridgerton“ und für Melancholie und Celeste.

Moment mal, Kolumne 101? Das klingt jetzt so als müsste ich euch was erklären. Okay, eines vielleicht: Wartet nicht damit, zu Ärzt:innen zu gehen, wenn ihr was habt. Sag ich euch immer noch mit Kirschkernkissen im Rücken. Wartet nicht damit, eure Steuersachen zu machen. Erledigt alle Arbeit schon am Abend vor dem Tag, an dem ihr sie erledigt haben müsst, weil ihr dann mit einem guten Gefühl aufwacht. Stellt eure Wassergläser, Kaffeetassen und Alkoholpullen möglichst weit weg von euren technischen Geräten. Esst Zucchini mit etwas Olivenöl gebacken mit Mozzarella oben druff.

Ja, nee, im Ernst: Es ist okay, jeglichen Erwachsenenkram nicht hinzubekommen, es ist normal. Und nicht nur jetzt wegen Corona, sondern generell. Führt ihr auch diese Gespräche zur Zeit? Ihr sagt zum Beispiel: „Ist gerade alles stressig und schwierig“. Und die andere Person sagt „Ja, Corona, ne …“. Und ihr sagt „Ja, genau“, und denkt: Eigentlich hattet ihr die meisten Probleme schon vorher. Es ist nicht alles wegen Corona und die Welt wird nicht plötzlich geil, sollte die Scheiße mal vorbei sein.

Worauf ich hinaus will: Tut euch zusammen, unterhaltet euch über den Shit, der euch Angst macht und von dem ihr glaubt, dass andere ihn auf magische Weise gut hinkriegen. Es stimmt nicht. Fragt Freund:innen, wie das mit der Steuer geht, ob sie nette Ärzt:innen kennen, ob sie vielleicht etwas Geld übrig haben oder sonst irgendwie helfen können. Bietet selbst Hilfe an. Wir sind eigentlich alle gleich dumm und müssen uns helfen und wir müssen was gegen die Vereinzelung tun, das wäre so mein 101 der Liebe für euch.

Netflix-Serie 101

Ich habe da eine Idee. Die Protagonistin meiner Serie soll rotblondes Haar haben, schlank und weiß und jung sein. Ihr Umfeld ist teilweise Schwarz, teilweise dick, teilweise gay. Das ist aber vor allem interessantes diverses Beiwerk, um die Protagonistin noch mehr strahlen zu lassen, sie ist nämlich modern und aufgeschlossen beziehungsweise ist es ihr eh egal. Sie ist cool wie die Männer, aber dennoch feminin, damit nehmen wir alle mit. Wenn wir einen männlichen Protagonisten für unsere Serie nehmen, soll er lockiges Haar haben und etwas „nerdy“ sein.

Ich kann es irgendwie nicht mehr sehen. Warum sind nicht Penelope Featherington (gespielt von Nicola Coughlan) oder Marina Thompson (gespielt von Ruby Barker) bei der Liebesschnulzen-Serie „Bridgerton“ die Hauptfiguren (oder Ncuti Gatwa aka Eric Effiong in „Sex Education“)? Sie sind doch viel interessanter? Ich weiß natürlich die Antwort, aber ich will sie nicht mehr hören.

Die Nebenrollen-Diversität führt dazu, dass junge Leute angesprochen werden, ohne die alten Konservativen ganz zu vergraulen. Der Mittelpunkt bleibt wie er ist. Vielleicht bekommen die Nichtweißjungschlanken auch mal ihren Auftritt, aber später, wartet’s doch mal ab. Oder ihr guckt halt weiter Nischensachen. Auch sonst hat mir die meistgestreamte Netflix-Serie aller Zeiten („Bridgerton“) nichts gegeben, was nicht schon „Verbotene Liebe“, „Gossip Girl“ und Rosamunde Pilcher mir „gegeben“ haben. Auch schlimm der Moment, in dem die Protagonistin Daphne Bridgerton „entjungfert“ wird. Es würde kurz wehtun, sagte der schwierige Typ Simon Basset in der Hochzeitsnacht mit ihr. So hip und divers die Serie sein will, sie affirmiert immer noch die schlimmsten Heteroklischees der Welt, zum Beispiel, dass eine Frau zwingend Schmerzen haben muss, wenn sie das erste Mal von einem Penis penetriert wird. Das stimmt nicht. Ich werd schon wieder wütend, informiert euch endlich, Serienmacherleute. Und an alle anderen: Guckt lieber „Shameless“ (US-Version und UK-Version), denn darüber möchten wir beim nächsten Mal an dieser Stelle reden.

Melancholie 101

„Es hat sich herausgestellt, dass eine der Säulen des Abendlands das Wirtshaus ist“, beginnt der Beitrag von Gerhard Polt über die Notwendigkeit der Wirtshauskultur, anzuhören im Podcast Bayern 2 kulturWelt, und es ist ganz zauberhaft. Ich krieg Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, wie lange es wohl dauern wird, bis man wieder von Corona unbeschwert seine Beschwerden miteinander teilen kann. Denn Polt hat natürlich Recht: Kultur, Politik, Entertainment und die temporäre Möglichkeit, der Einsamkeit zu entfliehen, die gibt es nirgendwo so unvermittelt wie in den Wirtshäusern. Klar gibt es jeglichen unerträglichen Scheiß dort auch, aber ich will mich lieber wieder mit blöden Leuten in der Kneipe anschreien als im Internet und danach einen Schnaps mit den guten Leuten trinken. Sag ich zumindest jetzt mal so, weil ich vollkommen vergessen habe, wie das ist.

Mash-ups 101

Ein paar Hipster, die „Wonderwall“ covern? Nein, Danke, 2007. Doch, Nein. Es ist geil! Die britische Band Deco hat ein ziemlich geiles Mash-up aus „Wonderwall“ und „Smalltown Boy“ gezimmert, das es echt „bringt“:

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Noch eine Nummer geiler finde ich aber das durch TikTok bekannt gewordene Mash-up von „We Like To Party!“ der Vengaboys und Linkin Parks „Numb“: „We Like To Numb“. Es ist so richtig schön kaputt und ich finde es trifft ganz gut das Lockdown-Gefühl. Zieht euch unbedingt auch die Kommentare darunter rein.

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James Baldwins Musikgeschmack 101

Der 1987 verstorbene amerikanische Schriftsteller, der sich vor allem mit den Themen Rassismus und Sexualität auseinandergesetzt hat, hat jetzt ein Spotify-Denkmal bekommen. Der Kurator Ikechúkwú Onyewuenyi des Hammer Museums in Los Angeles hat eine 32 Stunden (478 Tracks) andauernde Playlist kreiert, basierend auf der Plattensammlung Baldwins, die er während seiner Zeit in der Provence hörte. Dabei sind Nina Simone, Stevie Wonder, Gloria Lynne, Diana Ross und viele tolle andere Künstler*innen. Ich kann diese Playlist gut zum Lesen hören, passt ja auch irgendwie.

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Leider hab ich unlängst herausgefunden, dass ich fiese Deadlines nur mit Eurodance-Geballere schaffen kann und das wird wahrscheinlich keinen Kurator interessieren.

Alben Ende Januar 101

Wer noch mal sagt, es gäbe heutzutage keine originelle Musik mehr, ist wahrscheinlich schon lange tot. Vergangenen Freitag wurden wir als Menschheit mit mindestens drei unglaublichen Alben beschert: Arlo Parks‘ COLLAPSED IN SUNBEAMS, Albertine Sarges‘ THE STICKY FINGERS und Celestes NOT YOUR MUSE. Parks ist eher so die Poetin, mal cool, mal verletzlich, aber nie verkopft oder künstlich aufgeblasen und so chillig hört sich das auch an, es ist einfach Hypnose fürs Herz. Sarges aus Berlin hat endlich das Album rausgebracht, das sie schon im vergangenen Jahr rausbringen wollte. Aber da Corona immer noch nicht vorbei ist, wurde das weitere Verschieben immer obsoleter. THE STICKY FINGERS sind acht vielfältige Tracks, hippieesk, funky, indie, kämpferisch, feministisch, lustig. Es wird teilweise auch richtig abgerockt! Und dann ist da noch meine Anwärterin für das Album des Jahres: Celeste. Bei einigen Songs denke ich mir: Warum gibt es die noch nicht? Weil sie gleich wie Hits klingen, die man schon einige Male gehört hat und mit denen man schon Vieles verbindet, zum Beispiel „Tonight, Tonight“ oder „Stop This Flame“. Retrosoul plus Adele plus bissl Shadiness: Celeste, Beste.

Noch mal mit Nachdruck 101

Was, ein paar von euch haben immer noch nicht den Aufruf der ZeroCovid-Kampagne unterzeichnet? Dann wird’s aber höchste Eisenbahn. https://zero-covid.org/

Findet auch die Berliner Rapperin Lena Stoehrfaktor:

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„Ich sauf allein“ statt Clubhouse: Linus Volkmanns Popwoche im Überblick

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