Die Geister, die sie riefen


Das haben sie wirklich getan: The Mars Volta machten sich an einem Ouija-Brett aus dem Nahen Osten zu schaffen. Erst inspirierte es ihre neue Platte, dann steckte aber bald der Teufel darin - und beileibe nicht nur im progrockigen Detail.

„Kunst muss kompromisslos sein.“ Irgendwann wirft Cedric Bixler-Zavala diesen entscheidenden Satz in die Diskussion, nebenbei und schulterzuckend. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ein Ungetüm von einem Album wie The bedlam in goliath als Kunst zu betrachten, und die leichteste, dabei keinerlei Kompromisse einzugehen. Einerseits.

Anderseits hat der schmächtige Sänger mit der bizarr zurechtgeföhnten Langhaarfrisur gut reden, gibt es doch nur sehr wenige Gruppen, die so konsequent und so dicht an den Grenzen des Erträglichen musizieren. The Mars Volta gelten Skeptikern seit dem Debüt Deloused in the comatorium (2003) als mindestens anstrengend, seit Amputechtuke (2006) sogar als stellenweise unhörbar. Da verhedderte sich sogar der Kritiker eines großen deutschen Musikmagazins in einem Viertelstünder wie „Tetragrammaton“, wo bisweilen mehrfach gedoppelte E-Gitarrensoli erst rückwärts, dann doppelt so schnell vorwärts laufen, und verlor nach ungefähr acht Minuten das Interesse. Diese Musik, so sein entnervtes Urteil, habe alles – nur keine Seele.

Keine Seele? Da hockt, nervös wippend, Omar Rodriguez-Lopez, Gitarrist und Kopf der Band, ganz vorne auf dem Rand des Sofas, wedelt wie ein besessener Dirigent mit beiden Händen durch die Luft und hält gerade einen atemlosen Monolog über seine Erfahrungen mit Rick Rubin, auf den Mars Volta seit ihrem Debütalbum lieber verzichten:….. und lass mich das noch hinzufügen: Wenn Leute sagen, sie wollen, dass wir Rick Rubin zurückholen, dann wissen sie nicht, worüber sie reden. Es ist eine ästhetische Entscheidung, es gibt zu viele Kompromisse, und mit Rick hören sie nicht … UNS. Also sollten sie vielleicht lieber Rick-Rubin-Platten hären gehen oder Riefe Rubin bitten, Musiker anzuheuern, die Mars-Volta-artige Musik machen, und dann können alle in einem wundervollen Garten leben mit duftenden Blumen und so…“, ruft er und klatscht zum Abschluss seiner Suada lachend in die Hände, während sich sein Kumpel Cedric vorbeugt und milde diesen einen Satz sagt: „Kunst muss kompromisslos sein.“

Keine Frage: Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodriguez-Lopez sind der kreative Kern von Mars Volta, und sie verstehen sich blendend, fast blind. „Den besten Sänger seiner Generation“ nennt Omar Cedric, und Cedric bezeichnet Omar als „besten Gitarristen auf diesem Planeten“. Dem konnte sich unlängst der US-Rolüng-Stone nur anschließen, als er die „20 Gitarrengötter unserer Zeit“ kürte, Omar inkl. Womöglich spricht es ja auch gegen die „Seele“ dieser Band, wenn einer der anderen Gitarrengötter, John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers, im Nebenberuf ebenfalls bei Mars Volta die Saiten zupft? Zwar war Rodriguez-Lopez auf dem Chili-Album Stadium arcadium auch Gast, Frusciante gehört allerdings bei jeder Mars-Volta-Studioproduktion zum Inventar. „Er ist unser Bruder, luid wir betrachten ihn als Bandmitglied“, sagt Rogriguez-Lopez: „Wenn wir eine Platte machen, dürfen wir auf ihn zählen. Und ihn als Musiker gebrauchen, um unserer Palette eine weitere Farbe hinzuzufügen.“

Und wenn das Gemälde fertig ist, sind die einzelnen Pinselstriche selbst für die beteiligten Musiker nur noch schwer zu unterscheiden. „Wie war das noch?“, erkundigt sich Bixier-Zavala, „die rechte Box ist er und die linke bist du?“ Da grinst Rodriguez-Lopez und erklärt geduldig: „Ja, beiden Gitarrensoli läuft John über die rechte Box, und ich laufe über die linke Box. Bei frances the mute hat er Soli gespielt, die ich ihm fünf Minuten vor den Aufnahmen erklärt hatte. Bei Amputechture hatte ich überhaupt keine Lust auf die Gitatre, sondern hockte nur da und ließ John spielen. Und diesmal hat er jedes Solo auswendig gelernt und kommt damit über den rechten Lautsprecher, was den Sound ziemlich atmosphärisch dicht… und eigenartig macht.“

„Eigenartig -dieses Attribut passt auch auf das Konzept von the bedlam in goliath. Zwar wird, wie bei Mars Volta üblich, wieder eine durchgehende Geschichte erzählt. Allerdings ist die, wie bei Mars Volta üblich, nicht in wenigen Sätzen zu erläutern, sondern ein ernst gemeinter Versuch, gleich das ganze Konzept Konzeptalbum auf eine neue, fast metaphysische Ebene zu hieven. „Diesmal ist uns das Konzept, wenn man so will, eher aufgedrängt worden“, sagt Cedric. Seinen Anfang nahm alles, als Omar Rodriguez-Lopez 2006 in den Nahen Osten reiste: „Vielen Leuten habe ich seltsame kleine Geschenke mitgebracht, und Cedric bekam ein Ouija-Brett. Und es änderte nicht nur die Platte, die wir machen wollten, sondern unser aller Leben.“

Ein Ouija-Brett wird von Spiritisten dazu benutzt, Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen. Auf dem Brett sind Buchstaben, Zeichen, Ziffern und Wörter wie „Ja“, „Nein“ oder „Ich warte“ aufgemalt. Der Benutzer fährt mit einem Zeiger über das Brett und wartet, welche Botschaften sich aus den unwillkürlichen Bewegungen ergeben – die dann als Zeichen aus dem Jenseits interpretiert werden können. „Es machte hochgradig süchtig“, erzählt Cedric, der das Geschenk mit in den Tourbus genommen hat: „Nach all den Jahren, in denen wir verdammt viel Drogen genommen haben, erschien es uns als halbwegs gesunder Weg, um Spaß zu haben. Außerdem haben wir viele Freunde an Drogen verloren und immer gefragt:,Was, wenn wir ihm noch etwas sagen könnten? Was, wenn wir ihm jetzt eine Frage stellen könnten?‘ Diese Art von Neugier hat uns mit dem Hexenbrett spielen lassen.“

Cedric schrieb dabei immer mehr Dinge und Namen und Slogans auf, die sich ihm über das Hexenbrett mitteilten. „Ecriture automatique“ heißt diese Technik, unter Ausschaltung des Hirns Worte herauszulassen. Gar nicht so leicht. Und gar nicht mal so lustig, weil sich allmählich die Geschichte eines Killers herauskristallisierte, der sich Goliath nennt. Und dann? „Dann fiel das Brett auseinander, wir haben es aufgebraucht“, erinnert sich Cedric: „Die Oberfläche löste sich, und Papiere mit seltsamen Gedichten kamen zum Vorschein, auf Hebräisch. Wir ließen sie uns übersetzen und benutzten sie auch auf dem Album … Also, wir sind ja ohnehin ziemlich paranoid. Schon früher sprachen wir darüber, von einer dunklen Wolke verfolgt zu werden. Diesmal aber, Mann, diesmal wurde es noch viel schlimmer.“

In Welchem Sinn? „Es wollte nicht, dass diese Platte fertig wird“, behauptet Omar: „Es gab zwei Überflutungen in zwei verschiedenen Wohnungen, die Equipment vernichteten. Und technische Probleme, abstürzende Computer, verlorene Informationen. Ein Toningenieur, mit dem wir seit vier Jahren zusammenarbeiten, meldete sich mit einem Nervenzusammenbruch ab. Er glaubte, die Platte wäre vom Teufel besessen.“

Das Brett musste irgendwo vergraben werden, damit die Platte entstehen konnte. „Wir mussten dafür kämpfen, dass sie auf die Welt kam“, sagt Cedric. Omar: „frances the mute war eine Monsterplatte für mich. Auf einem technischen Level hatte ich ständig Probleme. Abgesehen vom technischen Level ist bei the bedlam in goliath ein völlig neuer Aspekt dazugekommen, in spiritueller, metaphysischer, psychologischer Hinsicht. Dinge, die wir uns einbildeten, und Dinge, die wirklich da waren. Es war, als lebten wir die ganze Zeit in einem Albtraum. Nach den Schwierigkeiten mit frances dachte ich, ich könne schlichtweg jedes Album aufnehmen. Doch dann kam diese Platte…“

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