Die Arschtrittmaschine neu installiert
Seit Vater Cester gestorben ist, hat sich bei Jet einiges verändert. Das ist auch ihrem zweiten Album anzuhören: Es hat mehr Tiefgang. Es gibt aber auch ein Versprechen ab, das die Jungs im Interview unterstreichen: "Wir bleiben Rocker!'
Hollywood, Sunset Boulevard: Die blassgrüne Farbe an der Außenwand der L.A.-Filiale von Studio Instrument Rentals (kurz: Sl R) ist abgeblättert, das Gebäude wirkt ziemlich schäbig. Doch das SIR gilt immer noch als erste Adresse für Bands, die hier entweder Equipment leihen oder sich auf bevorstehende Tourneen vorbereiten wollen. Hier probten schon die Beach Boys, die Stones, die Chili Peppers. Und geht man allein nach dem Aufwand, der an diesem Tag in Studio 2 betrieben wird, dann gehören nun auch Jet zum erlauchten Kreis dieser Erste-Liga-Rockacts: Ein gutes halbes Dutzend Techniker und Roadies wuselt zwischen Verstärkern, Schlagzeug und Mischpult umher, und entlang der Wände stapeln sich Gitarrenkoffer, höchst klangvoll bedruckt: „Jet- Les Paul Sunburst“, „Jet – Firebird“, „Jet – Nashville Tiger“. Einer der Techniker öffnet eine Box mit der vielversprechenden Aufschrift „The ButtKicker“. „Das Ding ist für Chris‘ Hocker“, sagt er. „Es verstärkt Vibrationen und lässt einen den Boss direkt im Hintern spüren.“ Eine Arschtrittmaschine also. Für 1.000 Dollar.
Nicht, dass Chris Cester einen Tritt in den Allerwertesten nötig hätte. Okay, die Band hatte am Abend zuvor bis sechs Uhr morgens den 26. Geburtstag von Bassist Mark Wilson gefeiert, und Sänger Nie Cester und das Geburtstagskind hängen etwas blässlich und mundfaul durch. Gitarrist CameTon Muncey ist sogar komplett verschüttgegangen und wird erst später, zur Fotosession, wieder auftauchen. Chris hingegen sprüht geradezu vor Energie: „Ich liebe dieses Katergefiihl! „Der freut sich wirklich! „Ich kann dann besser denken, reden, undnichts nervt mich mehr.“
Vor zwei Jahren sah es noch danach aus, als würde die australische Band Jet einen nicht enden wollenden Kater durchleiden, den Mund nie mehr aufkriegen, als Ganzes verschüttgehen. Sie hatten zuvor auch ein bisschen dolle gefeiert. Aber das war nicht der Grund. Nach einem Traumstart mit dem Debütalbum get BORN spielten Jet bald an der Seite der Rolling Stones und von Oasis in aller Welt… „Wir waren auf dem Höhepunkt unserer Karriere“, erzählt Chris: „Wir hatten als Openerfiir Oasis im New Yorker Madison Square Garden das beste Konzert aller Zeiren gegeben. Doch dann kam der Absturz: Ich wachte mit einem schrecklichen Koks-Kater im Tourbus auf und bekam einen Anruf aus Australien: Unser Vater hatte Krebs! Das war der schlimmste Tag meines Lebens.“
Nur zwei Monate nach dieser Diagnose starb John Cester im Alter von 46 ahren an Lungenkrebs. „Dabeihatte er nie in seinem Leben geraucht“, flüstert Chris, offenbar immer noch erschüttert- dann zündet er sich die nächste „Marlboro Light“ an. „Ich sollte wirklich mit dem Rauchen aufliören „, gibt er zerknirscht zu. „Ich habe es damals auch versucht, aber das ist in unserem Geschäft sehr schwer. All unsere Freunde rauchen und trinken. Eine Konsequenz haben wir allerdings aus der Tragödie gezogen: Wir haben mit dem Koksen aufgehört. Das Leben ist zu kurz und zu kostbar, als das man es mit dümmlichem Koks-Gequatsche vergeuden sollte.“ Andere, weichere Drogen stehen aber immer noch auf Chris Diätplan: „Gros ist mein Freund. Es hilft mir, Songs zu schreiben, es fördert meine Kreativität“, behauptet er.
Doch trotz unverminderter Gras-Zufuhr stotterte der Jet-Antrieb, als im September 2004 mit den Aufnahmen zu Album zwei begonnen werden sollte. „Es war einfach noch zu früh „, sagt Chris‘ Bruder Nie. „Unser Vater war gerade erst gestorben, und wir waren mit unseren Gedanken ganz woanders. Wir konnten es kaum ertragen, zusammen in einem Raum zu sein.“ Da halfen auch keine Ortswechsel. „Die Plattenfirmaflog uns mitsamt unseren Freundinnen nach Barbados, Business-Class“, erinnert sich Mark. „Zuerst sollte dort nur eine Fotosession stattfinden, dann wurden doch Instrumente und Aufnahmegeräte ausgepackt. Aber wir waren schlicht zu abgelenkt. “ Wie verwirrt die Musiker gewesen sein müssen, zeigt sich schon in der unterschiedlichen Erinnerung an die Zeit in Barbados. Während Nie von „mindestens drei Wochen “ spricht, war es laut Mark „maximal eine Woche“, die Jet auf der Karibikinsel verbrachten.
Über ihre gemeinsame Zeit in einer Hütte irgendwo in Massachusetts herrscht dann wieder Einigkeit: „Daswarwirklich nur kurz , bestätigt Nie. „Wir hatten die romantische Idee, ähnliche Bedingungen wie The Band in ihrem ,Big Pink‘-Haus zu schaffen: ein Studio in ländlicher, idyllischer Abgelegenheit. Aber es war Winter, es war saukalt, und wir Australier vertragen nun ma/fceine Kä/te.“Immerhm: Auf einem Tascam-Portastudio fiir25o Dollar gelangen ihnen ein paar Demoaufnahmen, die Chris „irgendwann mal als eigenständiges Album “ veröffentlichen will, denn sie waren „schön schräg, experimentell und roh.“
Für ein zweites Album war das aber nicht genug. Durchgefroren und frustriert trennten sich die vier. Nie und Mark zogen sich nach Melbourne zurück, Cam nach London und Chris nach Los Angeles. Dort arbeiteten sie unabhängig voneinander an Songs – und spürten dabei, wie der Druck, der auf ihnen lastete, immer größer wurde. „Die Plattenfirma wollte neue Songs, die Fans wollten neue Songs. Irgendwann war der Antrieb starkgenug, und auch wir wollten neue Songs“, erzählt Chris. „Wir arbeiten nun mal am besten unter Druck“, gibt Nie zu: „Ansonsten hätten wir nie den Hintern hoch gekriegt.“ Und damit sie ihn auch richtig hochbekamen, schob Chris noch einen hinterher: „Unser nächstes Album soll fünfmal besser als das erste werden“, steckte er der Fachpresse zu Beginn der Aufnahmen. „Manchmal kann ich halt die Klappe nicht halten“, sagt er und grinst. „Aber es hat ja funktioniert…“
Die neun Stücke, die an diesem Tag in den SIR-Studios Journalisten vorgespielt werden, klingen komplexer, voluminöser, einfach fetter als die Songs auf GET BORN. Über ein Jahr lang arbeiteten Jet mit Produzent Dave Sardy in L.A. an den Songs und fügten sogar Bläser und Streicher hinzu. Manches vom neuen Material erinnert nun weniger an frühe Stones oder Beatles als an Phil Spector und die Everly Brothers, „get -»
-» BORN war fördert Pub, SHINE ON istfördas Stadion“, verlautbart Chris. Und Nie fugt hinzu: „Das neue Album hat musikalisch und inhaltlich mehrTiefe. Es ist sehr vomTodunseresVatersbeeinflusst. Man schreibt keine Party kracher, wenn man gerade seinen Vater beerdigt hat…“
Bester Beleg für diese These ist der Titelsong, laut Nie „der wohl langsamste Song, den wir je geschrieben haben „. „Shine On“ ist denn auch eine Hommage an den verstorbenen John Cester: „Das musste einfach raus. Aber ich wusste zuerst nicht, wie“, erzählt Nie. „Da bekam ich einen Anruf von meiner Mutter. Einem unserer Brüder ging es sehr schlecht, er war ziemlich am Durchdrehen. Und ich dachte mir: Was würde mein Vater meinem Bruder jetzt sagen? Oder: Was würde mein Bruderjetzt gernevon meinem Vater hören ? Danach schrieb ich Shine On’in nur einer Nacht.“
Wer nun Angst bekommt, die Rock’n’Roll-Band Jet hätte dem Rock’n’Roll abgeschworen, wird sogleich beruhigt: „Wirsind immer noch eine Rock’n ‚Roll-Band“, wiegelt Chris ab. „Wir können auch gar nicht anders“, sagt Mark und erzählt vom Schicksal: „Wer in Australien eine Rockband gründet, tut dies nicht, um berühmt zu werden oder weil es gerade in Mode ist. Wirfeilen lieber an unserem Sound, alsdass wir irgendeinem Hype hinterherjagen. Deshalb gibt es ja so viele gute Rockbands aus Australien: Wir meinen es ernst.'“Und als ob es Chris‘ Worten an Klarheitgemangelt hätte, unterstreicht Nie noch: „Wir sind Rocker, und es wird niemals ein Balladenalbum von Jet geben. Oder gar ein Disco-Album.“ „Ein Disco-Album?!“, amüsiert sich Chris: „Niemals! Eher sterbe ich!“
Selten waren sich die Brüder so einig. Noch am Anfang der Aufnahmen gab es laut Mark Situationen, in denen „gar nichts mehr ging“, weil sich Chris und Nie wieder stritten. Doch der Tod des Vaters brachte die beiden Brüder näher zusammen. „Das liegt zum einen bestimmt an unserem Verzicht auf harte Drogen „, sagt Chris. „Wir sind einfach wesentlich konzentrierter und ernster bei der Sache.“ „Zum anderen haben wir durch dieTragödie gelernt, besser miteinander zu kommunizieren“, ergänzt Nie, alsmüsste er hierfür gleich ein praktisches Beispiel geben. „Wir streiten zwar immer noch, aber wir streiten besser und konstruktiver.“
Wenn die beiden Cester-Brüder vom Tod des Vaters sprechen, bricht ihnen noch immer die Stimme. „Wir haben ihn als Kinder nicht viel gesehen. Er ging um vier Uhr morgens zur Arbeit und kam meist erst zurück, wenn wir schon im Bett lagen. Später habe ich dannfönf Jahre mit ihm in der Fabrikgearbeitet, under hat mich gelehrt, keine halben Sachen zu machen „, erinnert sich Nie. Seinem Sohn Chris brachte der Vater allerdings auch noch ganz andere Sachen bei: „Ja: .Hithimfirstandhithim hard!'“, sagt Chris und lacht. „An die Devise halte ich mich bis heute. „Zuletzt vor einem guten halben Jahr, in New York. „Ich soffmichfiinfTage durch die Bars der Stadt, lag nicht einmal in meinem Hotelbett.“ Fünf Tage ohne Schlaf, und das ohne Koks? Chris stottert: „Nun, ah, das war ein Ausrutscher. Aber seitdem habe ich wirklich nicht mehr gekokst. Jedenfalls biss mir ein Typ von einer anderen Band, die ich hier nicht nennen möchte, spaßeshalber in den Hab. Wie ein Vampir. Der Typ ist bekanntför solchen Scheiß, aber bei mir war er an den Falschen geraten. Ich hab’ihm gleich eine reingehauen. Ist schon lustig, was einem Väter so beibringen …“
Wenn alles nach Plan verlauft, dann kann Chris vielleicht bald selbst zweifelhafte Lebensratschläge predigen – seinen Kindern: „Ich habe mich hier in LA. in ein Mädchen verliebt und bin mit ihr verlobt. Sie heißt Alexi Wasser und ist Schauspielerin. lhrVater ist Fotograf.Der hat früher Fotos von den Beatles, den Stones und Marcel Duchamps geschossen. Ein sehr wütender russischer Immigrant, aber wir verstehen uns gut von einem wütenden Immigranten zum anderen eben, hahaha … „Zusammen mit Alexi will Chris demnächst für zwei Jahre nach New York übersiedeln, später nach Europa: „Du hast nur ein leben,genieße es! Ich will wie ein Zigeuner leben.“
Auch die anderen zieh t es schnell und weit weg aus L.A. „Wir haben zwei Monate zu lang an unserem Album gesessen „, stöhnt Nie. „Wir wollen nichts wie raus aus HellA… „“Ja, es reicht“, stimmt Mark zu. „Vor allem Cam muss nach Hause. Der hat seine Freundin seit acht Monaten nicht mehr gesehen. Der hat absolutes Hüttenfieber, deshalb ist er auch gestern verloren gegangen. Wir schicken ihn baidnach London und spendieren ihm vier Tage lang einen Koch von ,Nobu‘, dem besten Sushi-Restaurant der Stadt. Dann können er und seine Süße sich in ihrer Wohnung verbarrikadieren. Bis dahin muss er sich mit Pizza von Damiano ’s über Wasser halten,eines der wenigen Highlights von LA.“ „Hilft aber auch nur bedingt wie diese Kopfschmerztabletten „, motzt Nie aus dem Hintergrund. „Eine Stunde später ist der Schmerz wieder da. Eine Scheißstadt ist das…“
Nie selbst hat sogar noch größere Umzugspläne als sein Bruder. Er hat sich gerade ein Haus am Corner See in Italien gekauft. „Unser Vater war Italiener, und ich habe eine Menge Verwandtschaft dort. Über Weihnachten war ich das erste Mal dort, und es war spektakulär schön. Ich hab‘ das Haus bislang zwar nur auf Fotos gesehen, aber ich bin mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war. Meine Freundin Pia studiert derzeit Jura in Italien, und der Umzug wird mir gut tun.“ „Klar, und als Nachbarn wirst du George Clooney und den Typen von Muse, Matthew Bellamy, haben“, lacht Mark: „Mit denen wirst du dich bestimmt toll verstehen. Dann könnt ihr über Frauen oder Opern-Rockfachsimpeln…“
Mark ist der Einzige, der in Melbourne bleiben will. „Wirgeben bald zwei Konzerte in Australien, und dazwischen haben wir eine Nacht in Melbournefrei. Das wird die tollste Nacht meines Lebens! Melbourne ist und bleibt meine Heimat. Ich werde mit besten Freunden meinen Geburtstag nachfeiern. Und dann geht es endlich auf große Tour. Das ist doch überhaupt der Grund, warum ich all das hier mitmache: Ich will Boss in einer Rock’n’Roll-Band spielen. Ich will auf der Bühne stehen unddenLeuten in den Hintern treten.“ Das ist das Stichwort. Nie, Mark und Chris stehen auf und bewegen sich in Richtung Bühne in Studio 2.. Der „ButtKicker“ ist unter Chris Hocker installiert, die Proben können beginnen. Und danach dann nix wie raus aus Hell A!
www.jettheband.com