Die Ärzte – „Bob Dylan ist ein Arsch …Neil Young aber auch“


Was tun, wenn alles erreicht und die absolute Freiheit erkämpft ist? Im 30. Gründungsjahr sind Die Ärzte größer denn je. Doch es geht ihnen um mehr. Ein Gespräch über Punkrock als Lebensentwurf.

Ein zur Multifunktions-Gastronomie umgebautes Umspannwerk am Berliner Landwehrkanal. Draußen herrscht gelangweilte Vormittagsstimmung, drinnen wird gerade ein kleines Frühstücksbuffet aufgebaut. Mini-Schnitzel mit Sesam-Panierung und solche Sachen. Medienarbeit macht hungrig. An den blank polierten Restaurant-Tischen schräg gegenüber dürfen wir uns zur Einstimmung auf niedlichen MP3-Spielern das neue Album auch durchhören. Ein wilder Ritt durch 16 Songs, die von der Surfgitarre bis zum Metal-Gebolze so ziemlich alle Stilelemente der jüngeren Rockgeschichte zu bieten haben. Farin Urlaub bedient seinen Ruf als disziplinierter Künstler und erscheint 20 Minuten zu früh. Wie kaum anders zu erwarten, wirkt er überaus fit und gesund. Nach ein paar Erinnerungen an frühere Begegnungen gibt er eine Anekdote über die Position seines armenischen Taxifahrers zum Syrien-Konflikt zum Besten. Dann muss er erst mal essen und Mails checken. Rodrigo González wirkt etwas zerknautschter, als er kurz vor Gesprächsbeginn einläuft, ist aber dann konzentriert dabei. Bela B. Felsenheimer kommt zu spät. Wir fangen schon mal an.

Das neue Album beginnt mit dem Song „Ist das noch Punkrock?“. Punk scheint damit endgültig euer Rhythm’n’Blues geworden zu sein. Die Wurzel, an der ihr euch weiterhin abarbeitet. Im Text taucht sogar Stiv Bators auf. Ist das ein legendärer Held oder eine tragische Figur für euch?

Farin Urlaub (FU): Weder noch. Eher eine moralische Instanz, an der Punkrock als Lebensentwurf bewertet wird: Was würde Stiv Bators dazu sagen? Ist das noch die wahre Lehre? Oder bist du nicht schon Häretiker? Es war Belas Ratschlag, dafür eine nicht so offensichtliche Figur auszuwählen.

Rodrigo González (RG): Außerdem liegt in dieser Auswahl schon ein gewisser Bruch: Stiv Bators hat zu Punkzeiten in einer Schweinerockband gespielt und wurde als Punk vermarktet.

FU: Der Name seiner Band war aber sehr punkig: Dead Boys. Bei diesem Namedropping geht es auch darum, Leute an den Rechner zu bekommen, von wegen: Wer ist denn ditte? Da höre ich mal rein! Wir wollen den Leuten auf elegante Weise zeigen, womit wir aufgewachsen sind.

Die Platte ist voll von musikalischen Bezügen und Anspielungen. Gibt es bei euch das Ritual des gemeinsamen Plattenhörens, wenn ihr als Band wieder zusammentrefft?

RG: Nein, das haben wir im Kopf. Eine Art Soundarchiv, das sich seit Jahren angesammelt hat, mit dem wir natürlich auch die eigene Vergangenheit aufarbeiten.

FU: Erst neulich habe ich die Zero Boys wieder entdeckt. Was für ein unfassbares Album (singt deren „Amphetamine Addiction“ an; Anm.). Geil. Groß.

RG: Oder die Hypnotics und dieser ganze zackige, speedbelastete Ami-Testosteronpunk. Doch auch die düster-depressiven Bands aus dieser Zeit haben was.

Von außen betrachtet wirkt es, als würdet ihr von euren unterschiedlichen Solo-Projekten wieder zusammentreffen wie eine Supergroup. Wie läuft das konkret?

RG: Auf jeden Fall kein gemeinsames Jammen. Das wäre die Antithese von dem, was Die Ärzte sind. Jeder bringt seine eigenen Ideen mit, bei denen es auch um Geheimniskrämerei geht: Man will einander überraschen: Welcher Song wird von mir erwartet? Was wird der andere schreiben? Wie kann ich kontern?

Ein Die-Ärzte-interner Songschreiberwettbewerb?

FU: Die Songs kommen viel später. Am Anfang steht die absurde Idee. Diesmal waren es sogar zwei und beide kamen von Bela – erstens: jeweils ein Konzert nur für Männer und für Frauen zu spielen, und zweitens: Ein Album unter einem anderen Bandnamen zu veröffentlichen, für den ich irgendwann „Laternen-Joe“ vorgeschlagen habe.

Bela B (BB): Kaum eine andere Band könnte so etwas machen. Man muss bekannt genug sein, um damit überhaupt einen Effekt zu erzielen. Aber selbst uns hat nach einem halben Jahr die Traute dafür verlassen.

FU: Jedenfalls entstanden die Songs für auch erst nach der Entscheidung für ein weiteres Die-Ärzte-Album. Erst danach ist jeder von uns in Klausur gegangen.

BB: … man schaut dann in Schubladen nach, die Mülleimer werden ausgeleert …

FU: Die Ärzte können grundsätzlich machen, was sie wollen …

BB: … Laternen-Joe zum Beispiel …

FU: … aber wir gehen nicht über Leichen, nur um originell zu sein. Ein Beispiel: unsere Live-Setlisten sind – zumindest in den großen Hallen – immer eine Mischung aus bekannteren und unbekannteren Songs. Verantwortung ist ein großes Wort, aber wenn ich als, sagen wir: Sympathisant auf ein Die-Ärzte-Konzert ginge, also nicht als der superkrasse Fan, der jede B-Seite kennt, und Die Ärzte würden dann nur Songs spielen, die ich nicht kenne, wäre ich persönlich angepisst.

Die großen Meister machen so etwas völlig selbstverständlich, um nicht in der eigenen Routine zu erstarren. Bob Dylan etwa …

FU: Der ist aber auch ein Arsch! (lacht)

BB: … oder Neil Young.

FU: Bestimmt große Künstler, aber auch irgendwie Ärsche.

BB: Die Hälfte der Musikexpress-Leser liest ab jetzt nicht mehr weiter. Noch effektiver wäre so eine Aussage aber wohl im „Rolling Stone“. Aber um aufs Thema zurückzukommen: Farin hatte einen Song für Laternen-Joe geschrieben, für die Website, um dort etwas Verwirrung zu stiften. Rod und ich waren der Meinung, dass der Song zu dicht an Die Ärzte dran ist, poppig, mit Chorgesängen. Von da an hat sich das hochgeschaukelt: Wir schrieben dann neun bis zehn Songs, zwei Drittel davon Parodien auf 1980er-Nummern von Tuxedomoon bis Discharge. Wir hatten als Laternen-Joe nichts zu verlieren. (All diese Songs gibt es als Stream auf der Homepage der Band, www.laternen-joe.de; Anm.).

Also sind Die Ärzte Sport?

FU: In jedem Fall, das ist sogar ein ganz wichtiger Bestandteil. Wer hat das letzte Wort? Das ist dann der Moment, in dem sich Rod gerne in die Ecke setzt und die Elektro-Zigarette anmacht.

RG: … und den Fernseher anschmeißt. (lacht)

FU: … Fremdsprachen lernt …

RG: Ich würde das aber eher als Knobelsport bezeichnen. Punk-Sudoku.

Sport bedeutet aber nicht unangenehme Maloche?

FU: Maloche existiert. Ihr seid gerade Zeuge davon, was Maloche für uns ist.

BB: Es ist gar nicht möglich, Die Ärzte als Arbeit zu empfinden. Wir haben mittlerweile den Luxus, unsere Stimmen zu schonen und nach drei Tagen auf Tour einen Tag Auszeit nehmen zu können. Dass wir drei Stunden live spielen, machen wir freiwillig, weil wir so viele Songs haben und uns nicht entscheiden können. Allein nach einem Konzert körperlich erschöpft zu sein, ist eine Genugtuung.

Ihr braucht also die Soloprojekte nicht zur Selbstverwirklichung?

FU: Nö. Die Ärzte sind eher die Basis für alles andere. Natürlich ist es nach dem letzten Auftritt einer langen Tour auch gut, dass man die Anderen am nächsten Tag nicht schon wieder sehen muss. Aber wir wissen mittlerweile, dass wir da etwas ganz Spezielles haben. Es heilig zu nennen, wäre sicher übertrieben. Aber wir bestimmen komplett die Form, in der wir das alles machen. Es gibt keine wirtschaftlichen Zwänge, keinen Druck der Plattenfirma. Wir machen auch ganz bewusst Pausen, um wieder Freude aufeinander zu bekommen. Hättest du mich vor anderthalb Jahren gefragt, ob ich Lust auf das nächste Album hätte, wäre die klare Antwort gewesen: Ach nee, weeßte. Doch als wir uns jetzt wieder getroffen haben, war die Zeit auf jeden Fall reif.

BB: Als es Die Ärzte nicht gab, hatten wir ja auch Bands – über deren Qualität sich sicher streiten lässt …

FU: Meine war super!

BB: Stimmt, wie Rod und ich neidlos zugeben müssen.

RG: Wir haben die ja auch heimlich gekauft und gehört.

FU: (lacht) Ich habe so das Gefühl, dass hier die Ironie mit am Tisch sitzt.

BB: Und ich habe das Gefühl, dass die Achtzigerjahre noch nicht vorbei sind. Aber was ich sagen will: Vom Publikum unserer Solo-Auftritte werden ja keine Die-Ärzte-Songs gefordert. Das war zu Zeiten von King Køng und Depp Jones noch anders, die damals als falsch verstandener Die-Ärzte-Ersatz herhalten mussten. In der Hoffnung, dass es da noch was Altes zu hören gibt. Heute weiß jeder, dass Die Ärzte noch existieren und von daher läuft das viel entspannter. Etwa 50 Prozent der Besucher gehen auch zu Die Ärzte und zu mir kommen dann absichtlich welche mit T-Shirts von Farin Urlaubs Racing Team. Und demnächst werden es ¡Más Shake!-Shirts (Rod González‘ Mod-Band; Anm.) sein und umgekehrt.

Wenn ihr nicht experimentell zueinander findet, gibt es denn eine konzeptionelle Vorstellung für das neue Album?

BB: Der Vorgänger Jazz ist anders war eher düster. Jugendliche von heute würden wohl emo dazu sagen. auch dagegen erfüllt schon eher die Vorstellung, die jemand an uns hat, der uns die letzten Jahre nicht so verfolgt hat. Aber wir sind in keiner Weise festgelegt, da wir uns schon Ende der Achtziger jeden nur mögliche Freiraum erschlossen haben. Man kann einfach nicht vorhersehen, ob da nicht mal eben ein Double-Bassdrum-Metal-Gewitter um die Ecke kommt.

Haben sich die einzelnen Rollen innerhalb der Band verändert?

BB: Das ist ein ständiger Prozess, der schwer zu erklären ist. Das können nur wir drei wirklich verstehen. Für mich ist es völlig anders, wenn ich Schlagzeug zu einem Song von Rod spiele als zu einem Song von Jan.

FU: Weil Rod dich in Ruhe lässt?

BB: Auch. (lacht) Für uns sind diese Unterschiede und Ergänzungen völlig offensichtlich, aber für die Außenwirkung ist nur wichtig, dass wir einander anspornen.

FU: Wobei alle Songs auf dem Album immer „ärztefiziert“ sind. Ein Lied muss allen dreien gefallen. Doch da werden keine Quoten erfüllt und die Auswahlkriterien sind positiv: Wir nehmen zuerst, was allen gefällt – umstrittene Songs bleiben auf der Strecke. Negative Kritik oder Motzereien kommen vor, sind aber selten.

Dennoch ist es eine kleine Sensation, dass erstmals ein Song von Bela zur Leadsingle wurde: „zeiDverschwÄndung“.

BB: Es gibt noch eine zweite historische Neuerung: Zum ersten Mal hat jeder von uns gleich viele Songs auf dem Album – so war das zumindest geplant. Farin hat letztlich einen Song mehr, aber wir haben auch sehr darum gekämpft, dass der noch aufs Album kommt. In der Geschichte der Die Ärzte gab es nur zwei vorab geplante Leadsingles: „Schrei nach Liebe“ und „Männer sind Schweine“. Bei allen anderen hat sich das immer während der Produktion ergeben. Diesmal standen drei zur Auswahl und unser Umfeld durfte mit abstimmen.

RG: Es geht aber nicht unbedingt darum, den offensichtlichsten Song als Erstes auszukoppeln. Es ist eine strategische Frage: Womit willst du die Leute konfrontieren?

BB: So fiel die Wahl damals auch auf den „Schunder-Song“ mit seiner positiven Aussage zur Gewalt, die in diesem Fall mal gerechtfertigt war. Eine tolle erste Aussage zu einem Album! (lacht) Diesmal wollten wir den Fans in „zeiDverschwÄndung“ einfach ausreden, uns weiter zu hören: Wenn ihr nicht merkt, dass wir zu alt für euch sind, dann übernehmen wir die Entscheidung für euch.

FU: Das hat doch auch Eier, zu sagen: Danke, dass ihr all diese Tickets gekauft habt, aber schaut uns doch mal an: Wollt ihr das wirklich?

In diesem etwas koketten Kontext steht auch „Freundschaft ist Kunst“, wo das gediegene Herumhängen mit bildenden Künstlern und Schauspielern beschrieben wird. Die Welt der Bildungsbürger-Schickeria. Zumindest für eure Fans eine eher fremde Welt …

BB: Ich möchte da jetzt nicht groß heruminterpretieren, aber es ist kein Coming-of-Age-Stück. Band-intern hieß es zumindest: Du hängst wohl gerade viel mit Schorsch Kamerun ab oder was? Der Song ist ein neues Bild zum Punk-Komplex, halt meine Version zu „Ist das noch Punkrock?“.

Offenbar ein Dauerthema für euch. Nach „Punk ist …“ auf 13 und „Als ich den Punk erfand …“ auf Geräusch ein weiteres Stück über die Grenzen von Pop und Politik. Wieso steht ihr nicht längst über dieser Debatte?

FU: Punk ist immer noch heiß umkämpft – ob wir da jetzt mitmischen oder nicht …

BB: Nach unserer Auflösung in den Achtzigern hat mal ein Leserbriefschreiber behauptet: „Die Ärzte haben den Schweinepunk verraten.“ Wir haben das nie verstanden. Wir haben uns nie als Schweinepunkband gesehen und wollten den Schweinepunk auch nicht verbessern.

FU: … an dem gibt’s aber auch nicht viel zu verbessern. (lacht)

BB: „Ist das noch Punkrock?“ ist einfach als Titel ein schöner Opener und „Fick dich und deine Schwestern“ eine schöne erste Zeile.

Trotzdem geht es dabei um eure Positionierung, oder?

FU: Eher eine musikalische. Das ist einfach ein Fetzer. Strategisch betrachtet, wäre es eher ein Grund dagegen gewesen: Ach, schon wieder ein Lied über Punkrock?

BB: Ich fand die Zeile „Ist das noch Punkrock, wenn dein Lieblingslied in den Charts ist“ einfach eine tolle Popzeile und habe deswegen sofort dafür gestimmt, dass der Song aufs Album kommt. Jan als Songschreiber war sogar dagegen. Er ist aber auch ein Taktiker, der diverse Psychologiebücher gelesen hat: „Hier ist mein Scheiß, aber den wollt ihr sowieso nicht.“ Und am Ende hat er einen Song mehr als die anderen auf dem Album.

Ihr habt in den vergangenen Jahren eine besondere Erwartungshaltung aufgebaut, jedes Album mit möglichst originellen Begleitideen, wie Geheimkonzerten, lustigem Merchandise und aufwendigem Artwork flankiert. Bringt ihr euch damit nicht in die Schnickschnack-Falle, weil die Fans über eine normale Veröffentlichung mittlerweile enttäuscht wären?

FU: Wir sind selbst noch Fans und gutes Artwork ist einfach wichtig. Klar, ist das Dienst am Kunden. Aber wir wollen das genau so! Musikvideos sind tot, doch was machen wir? Wir drehen 32 Clips zur neuen Platte. Oder nimm das aktuelle Albumcover: Es ist super-unhip. Von 2 000 aktuellen Veröffentlichungen sehen 1 999 nicht so aus. Hipness interessiert uns dabei nicht. Wie oft wurde schon prophezeit, dass diese oder jene Band jetzt endlich Die Ärzte ablösen würde? Doch an die wenigsten erinnert man sich heute noch. Hip sein ist total blöd, denn danach kommt erst mal unmodern.

BB: Artwork ist halt ein wichtiger Teil des Kunstwerks. Auf diese Weise kann ich etwa den Rummel um Lady Gaga verstehen, auch wenn mich ihre Musik nicht interessiert. An unserem neuen Artwork finde ich die Farben am besten: Pastelltöne – weil ich Pastell hasse. Ansonsten finde ich schon, dass es zuletzt mehr Bands in Deutschland gegeben hat, auch im kommerziellen Sektor, die nicht nach Trends miefen.

FU: Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir entthront werden.

BB: Von Kraftklub, oder?

FU: Zum Beispiel. (alle lachen)

Euer Fanclub ist einer der größten und bestorganisierten des Landes. Eure Megatour 2012 ist fast ausverkauft, bevor auch nur irgendjemand einen Ton von der neuen Platte gehört hat. Wie schon erwähnt, generiert Popularität auch Verantwortung. Wird euch das manchmal zu viel?

FU: Wir sind nicht so altruistisch, wie es vielleicht scheint. Wir wollen in erster Linie eine gute Zeit haben. Natürlich denkt man drüber nach, ob man jetzt noch eine heiße Nummer spielen kann, wenn es unten in den ersten Reihen eng wird …

BB: DU machst dir diese Gedanken!

FU: … es ist in jedem Fall nicht so, dass wir im Studio ein Poster hängen haben, auf dem steht: „Das will der Fan!“ Es geht um uns!

BB: Was mich tatsächlich ein wenig stört, ist, dass heute viel mehr an uns herankommt. Wir sind zwar nicht auf sozialen Netzwerken aktiv, aber trotzdem erreicht uns heute viel mehr Feedback als früher. Mich stresst dieses Ausmaß an Meinungsterror heute manchmal.

FU: Es wird jedenfalls nicht so weit kommen, dass die Fans irgendwann in den kreativen Prozess eingespannt werden.

Etwa einen Kilometer von hier entfernt habt ihr vor bald 30 Jahren, am 26. September 1982, im „Besetzereck“ in der Oranienstr. 198 euer erstes Konzert gegeben. Noch Erinnerungen?

FU: Die Gage war ein Kasten Bier und ein Liter Milch.

RG: (lacht) „Ein Liter Milch.“

BB: An dem Abend gab es fast gar keine Gage. Und sonst haben wir doch immer nur einen halben Kasten Bier und deinetwegen Softdrinks bekommen. Einmal spielten wir im KZ36 da gab’s einen halben Kasten Bier und zehn Mark Fahrgeld. Dafür wurden wir dann auch glatt angemacht: „Was nehmt ihr denn Geld? Im KZ36 spielt man doch umsonst!“

Plant ihr, als Fortsetzung eures „15 Jahre netto“-Konzerts vom Juni 2002, für 2012 ein „30 Jahre brutto“-Konzert?

BB: Nicht wirklich. Wir spielen dieses Jahr zwei große Festivals und dafür sollte das Jubiläum groß angekündigt werden. Doch da auch die Kollegen von den Toten Hosen ihr 30-Jähriges begehen, betreiben wir in dieser Hinsicht gepflegtes Understatement. Unser Aufsager heißt ganz sanft: „Kommt doch mal bei Hurricane/Southside vorbei, da spielen dufte Bands, ist wie jedes Jahr bestimmt wieder ganz nett dort … und wir sind auch da. Vielleicht sieht man sich. Eure Die Ärzte.“

Im Song „Das darfst du“ geht es um Verweigerung. Wem oder was hättet ihr euch zuletzt verweigern sollen?

FU: Nichts nach 1983.

BB: Wir haben lange diskutiert, ob wir „MTV Unplugged“ machen sollen. Weil wir dann mit deren Logo arbeiten mussten. Aber die ließen uns dann so viel Freiraum – auch in der Gestaltung, dass wir uns damit wohl fühlten. Und MTV hatte die höchste Einschaltquote des Jahres. Warum sollten wir uns Konzepten unterordnen, wo wir doch sind, wer wir sind? Wir sind Die Ärzte, verdammte Scheiße.

Ist die Entscheidung, euer Album auch zu nennen, eine Mutprobe? Denkt ihr „Das können wir doch nicht bringen“, lacht euch dann schlapp und schließlich: „Scheiß drauf!“?

FU: Wir haben nur einmal einen Rückzieher gemacht, eben bei diesem Laternen-Joe-Album. Unser eigenes Label war bereits überzeugt, aber dann bekamen wir kalte Füße. Doch grundsätzlich machen wir uns nicht so große Gedanken darüber. Normalerweise beschließen wir was und gehen nach Hause. Da wälzt sich keiner im Schlaf.

Aber wenn dann der Zahlenmensch kommt und sagt, er hätte das eben durchgerechnet …

FU: Wir haben keine teuren Ideen, eher absurde.

BB: Wir sind halt eine Budget-Band. (alle lachen) Einmal wollte unser damaliger Haus- und-Hof-Fotograf Olaf Heine Nacktfotos von uns machen. Zwei sagten Ja, einer sagte: „Spinnt ihr, mehr erniedrigen kann man sich doch nicht?!“ Dann diskutierten wir darüber und schließlich wurde Rod mit allem angezogen, womit man sich nur anziehen kann, Elvis-mäßig overstyled. Und wir wären da dann mit unseren Schniepeln …

FU: … mit unseren kalten Mini-Schniepeln …

RG: Komm, ein bisschen angewichst waren die schon, oder?

FU: Schön wäre es gewesen!

BB: Und dann wollten wir daraus so Hauswerbung machen, so 20-Meter-Poster.

FU: Das wäre endlich auch für uns eine Möglichkeit gewesen, meterlange Schwänze zu haben!

BB: Doch als ich davon meiner damaligen Freundin erzählte, hing der Haussegen schon eher schief. Sie wohnte an der Reeperbahn, wo eins dieser Poster hängen sollte. Sie meinte nur: „Und da soll ich dann jeden Tag mit meinen Freundinnen vorbeigehen und alle gucken auf deinen Schwanz?“

Das ist nicht die ganze Wahrheit …

Weitere musikalische Anspielungen auf Alben der Ärzte. Und ja, den allseits bekannten „Wir wollen keine Bullenschweine“-Querverweis in „Männer sind Schweine“ schenken wir uns.

1 Die Gesangsmelodie und das tragende Riff von „Am Ende meines Körpers“ aus dem 1996er-Konzeptalbum über Haare, Le Frisur, sind ganz eindeutig von „Astronomy Domine“, dem ersten Song des Debütalbums von Pink Floyd, The Piper At The Gates Of Dawn, inspiriert.

2 Der Mittelteil vom Nr.-1-Hit „Unrockbar“ (2003) bedient sich am Riff von Phillip Boas „Kill Your Ideals“. In „Wir sind die Besten“, dem ersten Song auf der Bonus-EP zum

Album Jazz ist anders (2007), bedanken sich die Ärzte quasi bei Boa und bezeichnen sich und ihn als die besten ihrer Art.

3 Im Outro von „Die Banane“ (aus Le Frisur) orientieren sich die Backing-Vocals der Sängerin Chichi stark an denen aus Haddaways 1992er-Schlager „What Is Love“.

4 Das Gitarrensolo in „Manchmal haben Frauen“ (2000) spielt mit dem aus „Stand & Deliver“ von Adam & The Ants, worauf sich aller Wahrscheinlichkeit nach übrigens auch die Titelmelodie der Kinderfernsehserie „Neues vom Süderhof“ bezieht.

5 Und gleich noch mal Adam & The Ants: Die Holterdipolter-Drums in „Erklärung“ aus Le Frisur wären ohne das Getrommle in „Kings Of The Wild Frontier“ als Vorbild wohl nicht möglich gewesen.

6 In den letzten Sekunden von „Zitroneneis“ (1983) wird „Surfin‘ Bird“ der Trashmen zitiert.

7 Riff, Gesangsmelodie in der Strophe und

Titel von „Vermissen, Baby“ (Planet Punk, 1995) haben eindeutig das Vopo’s-Cover von „You’re Gonna Miss Me“ der 60er-Garagenrock-Band The Spades zum Vorbild.

8 Am Schluss von „Nazareth“ (Planet Punk) grüßt ganz kurz das Riff von „From Me To You“ der Beatles.

9 „Rod Army“, die B-Seite von „Goldenes Handwerk“ (1998), arbeitet im Outro mit dem Refrain von Manowars „Hail And Kill“.

10 Der Refrain von „Alles für dich“, einer der B-Seiten zur Single „Rebell“ (1999) weist starke Ähnlichkeit zu dem des Screaming-Trees-Songs „Witness“ (1996) auf.

Stephan Rehm

Scharfrichter im Himmel

Wer ist dieser Stiv Bators, den Farin Urlaub in „Ist das noch Punkrock?“ auftreten lässt? Ein Säulenheiliger, der von seinem leopardengefleckten Thron im Punk-Walhalla angehalten ist, die wahre Lehre zu überprüfen: „Was würde Stiv Bators dazu sagen?“, heißt es im Text. Die Rolle des ideologischen Wachtmeisters dem 1990 verstorbenen Sänger der Dead Boys zuzuweisen, kann man als respektvollen Gruß oder auch als Kennerscherz verstehen. Auf jeden Fall ist es ein wohl gesetzter Verweis auf eine Schattengestalt der Musikgeschichte:

Ein rastloser Provinzrocker aus Cleveland/Ohio, der seine alte Kumpelsband Frankenstein in Dead Boys umtaufte und nach New York führte. Ihr 1977er-Debütalbum Young, Loud and Snotty war derber Krawall. Schlecht angezogener Ami-Punk mit Sauerkraut-Haaren, in dem noch viel New York Dolls und Iggy Pop steckte. Keine verkopfte Avantgarde, sondern voll in die Fresse. Schon bald zog Bators mit Sängerin und Playmate Bebe Buell (die spätere Mutter von Liv Tyler) um die Häuser. Ein Jahr später pflügte er mit strippenden Transvestiten über die Bühne. Grenzerfahrungen, immer hart an der Rande zur Freakshow. So sollte es sein. Die Karriere der Dead Boys stand zu diesem Zeitpunkt bereits vor dem Ende. Mit dem Produzenten des zweiten Albums hatten sie sich überworfen, die 1978er-Tour geriet zur Katastrophe. Drummer Johnny Blitz hatte es in einer Messerstecherei schwer erwischt.

„Was würde Stiv Bators dazu sagen?“, fragen Die Ärzte – und bis hierhin klingt alles nach einer klassischen Kurzzeit-Punklegende. Doch Bators wollte mehr. Über den Umweg Los Angeles zog es ihn mit Ex-Sham-69-Sänger Jimmy Pursey nach England. Hier formierte er 1982 die Supergroup Lords Of The New Church. Mit ihren Kajal-Augen und wild toupierten Matten wurden sie zu Ahnherren des Postpunk. Ein Stilbaukasten bis hin zu Guns N‘ Roses. Bators‘ Bühnenstil war weiterhin exzessiv. Ende der Achtziger strangulierte er sich bei einer Kletteraktion mit seinem Mikrokabel – und war nach Auskünften der Rettungsärzte bereits klinisch tot. Zur Legendenbildung passt, dass Bators‘ „geweihte“ Lederjacke mit einem Fluch belegt war: Wehe, wenn sie abhanden kommt! Im Mai 1990 verschwand das gute Stück in seiner neuen Heimat Paris. Er gab – ohne Erfolg – eine Such-Annonce auf. Prompt wurde Bators im Juni in einen Autounfall verwickelt, den er mit einer scheinbar harmlosen Schädelverletzung überstand. Im Krankenhaus ließ man ihn gehen. Er fuhr in seine Wohnung und starb dort an einer Gehirnblutung. Stiv Bators als Showmann des Untergangs. rn