Die 50 besten Platten des Jahres 2017
Wir haben abgestimmt und die einzig wahre Liste erstellt: Das sind die 50 Favoriten der ME-Redaktion und somit die besten Alben des Jahres 2017. Ha!
Platz 10: LCD Soundsystem – AMERICAN DREAM
DFA/Columbia/Sony (VÖ: 1.9.)
Es war so, als wären sie nie weggewesen, als hätte es diese Trennung ohne Not und dieses etwas pathetische „Abschiedskonzert“ im „Madison Square Garden“ 2011 nicht gegeben. LCD Soundsystem veröffentlichten ihr viertes Album und waren 2017 so wichtig, wie sie es vor 15 Jahren waren. Auf AMERICAN DREAM verschiebt sich der Zeiger der Stil-Waage zwischen Disco/House- und Postpunk-Tracks zugunsten Letzterer. Und James Murphy, der große Pop-Bescheidwisser und -Kommentator, jagt seine Hörer durch die Referenzhölle: Talking Heads, New Order, David Bowie, ESG, Liquid Liquid. Es spricht für Murphy, dass jeder Track dieses „Comeback-Albums“ an jeder Stelle jedes früheren Albums seiner Band eingesetzt werden könnte, ohne zu stören. Das ist konzeptuelle Kontinuität. LCD Soundsystem sind eine Synthie-Band, LCD Soundsystem sind eine Gitarrenband. Die Gitarre ist nicht tot, sie klingt nur anders hier. LCD Soundsystem sind die größte gute „Rock“-Band, die wir noch haben. Albert Koch
Platz 9: Lorde – MELODRAMA
Universal (VÖ: 15.6.)
Der Nachfolger zu PURE HEROINE ist großer, smarter, moderner Pop. So gut beherrscht nicht mal Taylor Swift diese Art des Pop, verdichtet auf den kleinen Sweet-Spot aus Mainstream-Erfolg und scharfsinniger Gemütsanalyse einer jungen Frau. Die Songs auf MELODRAMA sind wie ihre Interpretin: zartfühlend und selbstsicher, lässig und von innen heraus leuchtend. Jeder einzelne eine meisterhafte Seelenschau darüber, was es bedeutet, heute erwachsen zu werden. In den Texten hat alles seine „Perfect Places“ und flackert zum rechten Zeitpunkt auf: Liebeskummer, Hedonismus, Melancholie, der Rausch einer Partynacht und das Ausnüchtern danach. Getragen wird das von einem warmen, euphorischen Sound: das Grande Piano, die hell glühenden Synthies, die üppigen Harmonien. All das füllt das Herz mit einem irrsinnigen Glücksgefühl. Annett Scheffel
Platz 8: Feist – PLEASURE
Polydor/Universal (VÖ: 28.4.)
Erst als Leslie Feist auf der Bühne in Berlin stand und ihre neuen Stücke spielte, wurde einem richtig klar, was hier eigentlich vor sich geht: Sie produziert(e) kein Album, um es dann irgendwie in das Live-Setup zu übersetzen, mit den bekannten Optionen und Kompromissen. Sie komponiert und textet die allerdringlichsten Songs, schafft Essenzen, und die trägt sie in die Welt hinaus. Das mag sich auf PLEASURE deutlich dadurch ausdrücken, dass es so stripped-down arrangiert und oft ziemlich straight bis spröde gespielt ist (doch achtet mir auch auf die leisen Töne, es gibt sie, sogar viele!), scheinbar schlicht produziert obendrein. Aber es ist eben tatsächlich egal, ob Platte oder Konzert, man wird hier wie da zum staunenden, tief berührten Zeugen einer Aufführung von Musik, der es zuerst einmal um nichts als Wahrhaftigkeit geht. Oliver Götz
Platz 7: King Krule – THE OOZ
XL/Beggars/Indigo (VÖ: 13.10.)
Interessant an Archy Marshall war schon immer seine Fähigkeit, eine Landschaft aufzureißen, die referenzdurchtrieben erschien, aber letztlich nur Träger für die eigene DNA war. Auf THE OOZ wird dieses Prinzip ausgeweitet. Der Londoner schafft ohne Hast einen 19 Tracks langen, nur im Ganzen verständlichen Bilderbogen, der um seine charakteristische Stimme und um die für ihn charakteristische, abgedunkelte Stimmung all das gruppiert, was dem Zweck dient. Am besten erkennbar ist das in „Dum Surfer“: Sogar in diesem harschen Song besitzt Krule noch einen wunderbaren Twang, die Gitarre spielt ihre Töne teils so, als hätten wir 1957, das Saxofon ist frei, frei, frei. Eingebettet ist dieser Fast-Jazz in ein streng marschierendes Maschinenwerk, das am Ende sogar so etwas wie Gitarrenrock Platz macht. Jochen Overbeck
Platz 6: Dirty Projectors – DIRTY PROJECTORS
Domino/GoodToGo (VÖ: 24.2.)
Gute Trennungsalben sind mehr als Bestandsaufnahmen: Sie markieren weithin sicht-, hör- und fühlbare Wendepunkte, an denen dieses Arschloch Liebeskummer in Funken sprühenden Formen hervortritt. Siehe: BLOOD ON THE TRACKS, 808S & HEARTBREAK, VULNICURA. In diese Reihe gehört nun auch das achte Album von David Longstreths Indie-Projekt. Der trennte sich in dreifacher Hinsicht: von Freundin/Bandkollegin Amber Coffman, von anderen Musikern, sogar vom Indie-Rock. Und entdeckte den futuristischen R’n’B. Das Ergebnis ist ein atemberaubender Trip: An Van Dyke Parks geschulte Streicher und träge E-Gitarren treffen auf Snares, Vocoder-Stimmen, Synthie-Spiralen und metallische Claps. Alles über und ineinandergefaltet in an Bon Iver erinnernden Schichten und Mutationen. Annett Scheffel
Platz 5: Benjamin Clementine – I TELL A FLY
Caroline/Universal (VÖ: 15.9.)
Der Londoner mit Ambitionen so hoch wie seine Steckdosenfrisur macht auf seinem zweiten Album schnell klar, mit welchem Kreativitätskaliber man es hier zu tun hat: Da baut er im Opener „Farewell Sonata“ eine prachtvolle Melodie auf, von der man sich zum entrückten Paartanz im Ballsaal einladen lässt und schon durchschießt Clementine die Halterung des Kronleuchters. Der kracht auf die Marmorfliesen hernieder und zerschlägt alles, was man eben noch Realität wähnte. Nichts und niemand ist sicher, nirgends. Der Ex-Straßenmusiker greift das in überbordenden Songs wie „Phantom Of Aleppoville“, „God Save The Jungle“ und „By The Ports Of Europe“ auf. Es ist die verkettete Geschichte unserer Zeit: vom Bürgerkrieg zu den Flüchtlingen zum Rise of the Right. Der 29-Jährige verwebt dies mit seiner Biografie, gibt dem den Rahmen eines Theaterstücks und schafft damit etwas, das die Grenzen eines Albums sprengt. Stephan Rehm Rozanes
Platz 4: Wandl – IT’S ALL GOOD THO
Affine (VÖ: 2.6.)
Das Elend der (mindestens) Dreiviertelmehrheit der Musiker aus dem deutschsprachigen Raum ist ihre Provinzialität. Wie sie mit Schlagersänger-Attitüde ihre Texte über die Musik stellen und nicht einmal den leisesten Versuch unternehmen, musikalisch etwas zu schaffen, das außerhalb des deutschen Sprachraums irgendeine Bedeutung haben könnte. Dann kommt einer wie der Produzent und Remixer Lukas Wandl aus der österreichischen Provinz (St. Pölten), der anscheinend mit großer Leichtigkeit mit seinem Debütalbum IT’S ALL GOOD THO die aktuelle Lage der elektronischen Musik kommentiert, gegenwärtige Entwicklungen nicht kopiert, sondern erweitert, um eben nicht der „österreichische James Blake“ zu sein. Spuren von Soul, Trap, Bassmusik, aber auch von der Jazz-Fusion der 70er-Jahre ziehen sich durch die verkifft langsamen Tracks. Es gibt dezent bearbeitete Vocals, nicht wenige der Tracks sind skizzenhaft und enden diesseits der Zweiminutengrenze. Ein Albtraum für Rockisten. Albert Koch
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